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Full text of "Aegidii Albertini Hirnschleiffer"

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fantıno 


Cons 


| Abdias 
Ageſilaus 
Alciatus 


Ambroſius 
Ammianus 
Anacharſis 
Anaxagoras 
Ariſtophanes 
Ariſtoteles 


Arfenius 


Auguſtinus 
Aulifthenes 


Aufonius 


Bafılius Magnus 


Beda 


Bernardus 


Biblia 


Syllabus Auctorum 


Die in dieſem Hirnſchleiffer 
gebraucht werden. 


Boetius 


Cafhodorus 


Cato 


Chryſoſtomus 


Cyprianus 


Democritus 


Diogenes 


Dionyſius 


Elephas Thema- 


nites 
Euripides 


Gregorius Magn. 
Gregorius! Nazian- 


Zenus 
Herillus 
Heſiodus 


Hieronymus 


Hy- 


Syllabus Audorum. 


Hyginas Pythagoras 
Horatius Plato 
Hugo de S. Vi- Plautus 
ctore Plutarchus 
Jacobus de Vi- Sambuccus 
triaco Seneca 
Livius Simonides 
Optatus Timon 
Origenes Theodoſius 
Orpheus Theophraftus 
Ovidius Virgilius 
Philo Judzus Ulpianus, 
Phifologus 7 
9 d 


5 


1 
Hirnſchleiffer. 


Angerona. 


Nder andern Heydniſchen Götter 


IT wurden auch zwo Goͤttinnen verehrt / 
N die eine hieß volupia oder Wolluſtbar⸗ 
keit: Die andere hieß Angerona oder 
Kummernuß / dieſe Bildnuß ſtundt mitten im 
Tempel Volupiæ, vnd deutete mit dem Finger 
auff den Mund / vnd ſagte gleichſamb: Attende 
br: merck auff dich. Hierdurch werden fuͤrnem⸗ 
lich zwey Ding bedeut / Er ſtlich / daß der Mund 
4 ein 


[4 


2 Hirnſchleiffer. 


ein Haͤuſel iſt / welches einem jeden offen ſteht / 
vnd alle Speiſen vnd Getranck ohne Vnderſcheid 
noch Maß hinein leſt / dardurch aber wird Leib 
vnd Seel verderbt / dann viel mehr Menſchen 
kommen durch den Fraß vmb / weder durch das 
Schwerd / dann der Krieg wehret nur ein / zwey 
oder etlich wenig Jahr / aber der Fraß wehret 
drey oder viermal im Tag / bißweilen einen gan⸗ 
tzen Tag lang / vnd die Nacht darzu: der Sontag 
erkleckt nicht / ſondern man machet auch gute 
(oder vielmehr böfe) Montaͤg. 

Durch den Fraß werden die guͤtter verſchwen⸗ 
det / daß Verſtandt verrückt / die Vernunfft ver⸗ 
letz / die Gedaͤchtnuß verſchwaͤcht / die Vnordendt⸗ 
liche Paſſiones erweckt / die Tugent außgetrie⸗ 
ben / die Geſundtheit verderbt / die Geilheit ahn⸗ 
gezuͤndet / ja mit einem Wort Gula eſt radix o- 
mnium malorum. Der Fraß iſt ein Wurtzel alles 
vbels / der Fraß hat die erſte Elter außm Para⸗ 
deiß getrieben / den Eſau deß Reichs der erſter 
Geburt beraubt / daß Iſraelitiſche Volck zur 
Abgoͤtterey geführte. Die Philiſtæer lebten ihn 
effen/ trincken vnd frewden / ſehe der todt iſt über 
dieſelbige gefallen Der Fraß hat ſchier dem Jo- 
nathæ daß leben benommen / wann daß Volck feis 
nen Vatter nit abgehalten hette. Dieweil dem 
Teuffel was maßn außm laſter deß Fraß alles 
vbel herrhuͤret / nit vnwiſſigh / dahero er den 
Menſchen durch diß mittel zum offteren ver⸗ 
ſuecht. Aunibal der groſſer Carthaginenſiſcher 
Kriegvobriſchter damit er die dem Wein zuge⸗ 
thaue 


ö 
ö 
ö 
ö 
N 


Hirnſchleiffer. 5 


thane Africanos, welche der Stadt Carthagini 
ſtarck zuſaͤtzten / vderwunde; vermiſchte einige 
Fuder Wein mit ſafft deß Schlaffmachenden 
Krauß Mandragotræ, dieſe Fuder Wein ſtelte 
Annibal ihns leger wund ſimulierte die Flucht / 
warauff die Africaner daß Laͤger ahngefallen / ſich 
deß Weinß bemaͤchtiget / damit erluͤſtiget vnd 
biß zur drunckenheit dem Baccho gedienet. Dahe 
die Africaner nun im Schlaff darnider lagen / 
qam Annibal vberfaͤll vnd erſchlogen ſie alle. 
Eben alſo ſtreidet gegen vns die wir Saldaten 
Chriſti ſint / der höllifcher Sathan, tfallet an das 
Schloß vnſers hertzens / vnd damit ers vberwin⸗ 
den moͤge / ritzet er ahn den Menſchen zum Fraß / 
wolluſten vnd materialiſchen Wein; nit vnbil⸗ 
lich wahrnet dan Angerona ſagent: Attende tibi; 
merck auff dich. 

Am andern / deutet Angerona oder die Kuͤm⸗ 
mernuß nicht ſo faſt auff dem Mund / als auch 
auff die Rede / welche auß dem Mund herfuͤr ges 
het: So ſpricht derwegen Angerona zu einem 
vnnuͤtzen Schwetzer / Schalcksnarren vnd Aff⸗ 
terreder: Attende tibi, merck auff dich vnd halte 
dein Maul im zaum / Dann es ſteht geſchrieben: 
der Menſch muß Rechenſchafft geben von einem 
jeglichen vnnuͤtzen Wort / welches auß ſeinem 
Mund gangen:Zu den geitzigen Kraͤmern ſpricht 
Angerona: attende tibi, halt dein Maul / liege 
nicht / verſchwere dein Seel dem Teuffel nit vmb 
eines ſchlechten Gewinns / oder eines eintzigen 
Hellers wegen. Zu je Geilen vnd Vnkeuſchen 

A2 ſpricht 


A Hirnſchleiffer. 


ſpricht ſie: rede nicht ſchampare vnd ärgerliche 
Wort in bey ſeyn erbarer Frawen vnd Jung⸗ 
frawen / damit dein Zung mit ein Schwerd ſey / 
welches viel Menſchen Geiſtlicher weiß toͤdtet. 
Zu den Hofleuten ſpricht Angerona : halt dein 
Raul vnd rede wenig / vnd daſſelb be daͤchtlich / 
dann du haſi viel Coriphæos, Protocolliſten, 
Gloſſiſten vnd Auffmercker. Zu den Gottloſen 
Fluchern vnd Schwerern ſpricht ſie: at tende tibi, 
huͤte dich für fluchen / ſchweren vnnd Gottsle⸗ 
ſtern / dann der Teuffel hat viel auß Gottes Ver⸗ 
haͤngnuß mit Leib vnd Seel hinweggefuͤrht / vnd 
im $uffe zerriſſen. Zu den fuͤrwitzigen Haſen 
ſpricht fie: huͤte dich / die Ding zuerforſchen vnd 
zu reden / welche dir vil zu hoch vnd vnergruͤnd⸗ 
lich ſeynd / dann weil etliche deut viel von den al⸗ 
lerhoͤchſten Geheimnuſſen von der Dreyfaltigkeit 
vnd prædeſtinati on diſputiren vnd reden wollen 
vnd mit ihrem blechenem Verſtandt alles auß⸗ 
zircklen / ergruͤnden / wiſſen vnd profitiren woͤl⸗ 
fen / ſo werden ſie zu Narren / vnd fallen von ei 
ner Ketzerey vnd Schwermerey in die ander / ge⸗ 
rathen auch letzlich in den Atheiſmum, vnd in 

ſolche Gottloſigkeiten / daß fie nicht wiſſen was 
ſie glauben / oder mit weme ſie es halten ſollen. 
Zu den Freunden ſpricht ſie: Attende tibi, 
hüte dich / daß du die Geheimnuß / die dir vers 
trawet worden / nicht ſchwetzeſt vnd verratheſt / 
dann darauß erfolgen groſſe Vngelegenheiten / 
als Feindſchafften / Mordt vnd Todtſchlaͤg. Zu 
den Predigern ſpricht ſie: huͤte dich / daß du nicht 
zu 


Hirnſchleiffer. 5 


zu viel vnd zu wenig redeſt / dann durch zu viel 
vnd vnbeſcheidentliche Reden verderbeſtu den 
Magen der zarten vnd ſubtilen Zuhoͤrer / welche 
die Warheit nicht leyden mögen: durch zu wenig 
reden vnnd ſtillſchweigen aber erzuͤrneſtu Gott / 
welcher nit will / daß die Prediger ſtumme Hund 
feyn / oder nur liebliche angenehme Ding predi⸗ 
gen / ſonder die Schwein oder Laſter weidlich 
ſtraffen ſollen. 

Zu den Prieſtern ſagt Angerona:attende tibi, 
verwahre deinen Mund fleiſſig / dann Ezech. 44. 
ſagt: Daſſelbe Thor ſoll verſchloſſen ſeyn. 
Weil durch das Thor oder den Mund deß Prie⸗ 
ſters / wann er celebrieret / GOtt in das Sacra⸗ 
ment deß Altars hinein / vnd wann er prediget / 
hinauß gehet / ſo hat er gewißlich groſſe Vrſach 
auff feinen Mund zu mercken / vnd ihne dermaſ⸗ 
ſen zu verwahren / als wake es Gottes Mund 
ſelbſt. Dann (wie jener ſpricht: confecrafti os 
tuum Evangelio. nugis illud aperire illıcitum 
eſt, affuefcere ‚facrılegium. Wie es ſich nicht 
geziemet / daß deß HERRN Grab den Hunden 
vnd Schweinen offen ſtehe / ſondern eben deß we⸗ 
gen mit einem Stein bedeckt iſt worden / alſo ge⸗ 
zimpt ſich nicht weniger / daß nach der Empfa⸗ 
hung oder Nieſſung deß Leibs Chriſti / der Mund 
deß Prieſters leichtlich auffgethan vnd verunrei⸗ 
nigt werde / ſonder er bedarff einer guten Clau⸗ 
ſur / Schloſſes / oder Steins / der nicht leicht⸗ 
lich hinweg gethan kan werden: es ſey ein Prie⸗ 
ſter fromb oder böß / ſo 4 doch ein Notturfft / daß 

3 ein 


6 Hirnſchleiffer. 


ein groſſer Stein de Stillſchweigens auff feinen 
Mund gelegt werde: damit / wofern er fromb iſt / 
die Gnaden nicht darauß verſchuͤtt werden: Iſt 
er aber böß / damit er andere nicht beleidige / vo- 
lvite ergo ſaxa ingentia ad os ſpeluncæ. Ioſ. 10. 
v. 15. Aber leider bey vielen wird anjego erfüllt 
was Oſeas ams. c. ſagt: Iſrael iſt verſchlun⸗ 
den vnd vnder den Händen wie ein vnn ein 
Geſchierꝛ worden / Ephraim iſt wie ein 
einſamer Waldeſel. 

Zu den Religioſen ſpricht Angeronatatten- 
de tibi: Schwetze nicht / ſonder ſey ſtill / dann es 
ſagt der H. Jacob: der ſich für einen Religioſen 
auß gibt / vnd aber ſeine Zung nicht zaͤmet / ſon⸗ 
der fein Hertz verfuͤhret / deſſen Gottes dienſt ſey 
vmbſonſt. Vnder andern Vrſachen / warumb 
die weiſe Männer die Welt geflohen / vnd ſich in 
die Einöden begeben / war auch dieſe eine / damit 
nemblich fie jhr Leben nit beflecken möchten mit 
vergebleichen Reden: Dieſer Vrſachen halben er⸗ 
mahnt der H. Geiſt alle Religioſen / vnd ſpricht: 
Rede nichts freuenlichs / vnd laß dein Hertz nicht 
eilen etwas zu reden vor Gott / dann Gott iſt im 
Himmel / vnd auff Erden / darumb laß demer 
Wort wenig ſeyn / als wolt er ſagen: Die ſchle⸗ 
chte vnd veraͤchtliche Menſchen doͤrffen vor den 
maͤchtigen Fuͤrſten vnd Herm nit wol reden / vnd 
die jenigen / ſo da wenig wiſſen / pflegen vor den 
Gelehrten zuerſtummen: Weil aber Gottes 
Mayeſtaͤt vnd Weiß heit vnendtlich iſt / du aber 
ein 


Hirnſchleiffer. 7 


etn veraͤchlicher Erdwurm / vnd voller Vnwiſ⸗ 
ſenheit biſt / weiſt auch / daß er alle deine Wort 
erwoͤgt / ſo ſihe dich wol fuͤr / was / vnd wie du 
redeſt / ſey nit geſchwind im herauß reden / ſon⸗ 
dern ſchweig ſtill / fo viel dir möglich iſt. 

Wir ſehen / daß der Koͤnige oder Fuͤrſten 
Cammerdiener in jhren Zimmern oder Loſamen⸗ 
tern / wenig oder gemach vnd ſtill reden. Dan die 
Authoritaͤt eines Koͤnigs erfordert / daß ſeine 
Diener ſtill vor jhm ſeyen / aber herauſſer im 
Saal reden ſie etwas lauters / weil ſie weit vom 
König ſeynd / ſchreyen vnd lachen auch biß weilen / 
als waͤren ſie vnſinnig. 

Die Religioſen feind gleichſam Gottes Cam⸗ 

merherin oder Cammerdiener / warten dem Ge⸗ 

bett allzeit ab / wanderen durch die Betrachtung 
allezeit vor feinem Angeſicht vmb / halten ein 
groſſes ſilentium oder ſtillſchweigen / reden we⸗ 
nig / vnd fuͤhren ein eremplariſches Leben. Andere 
aber / welche kein ſolches andaͤchtiges Leben fuͤh⸗ 
ren / noch auch ſtets betten / pflegen das ſilent um 
nicht ſo ſtreng zu halten / vnd nit ſo maͤſſig lich zu 
leben: Andere findt man / die leben / als wurden ſie 
von Gott niemals geſehen noch gehoͤrt / ſelten 
erheben ſie jhr Hertz vnd Gemuͤth gen Himmel / 
ſonder ſchreyen laut / reden vnordenlich vnd mer⸗ 
chen nit auff jhr Maul / ꝛc. Beſchl ießlich / ſpricht 

Angerona zum Weiblichen Geſchlecht: attende 

tibi, merck auff dein Maul / vnd befleiſſe dich deß 

ſtillſchweigens / dann du biſt von Natur liderlich / 

vnbeſtendig / geſchwaͤtzig / vnd kanſt nichts gehei⸗ 
1 mes 


3 Hirnſchleiffer. 


mes bey dir behalten / Daher ſagt die Schrifft 
Num. c. 12. Maria vnd Aaron haben wider jhren 
Bruder Moyſen geredt vnd gemurret. 

Von der Weiber Geſchwaͤtzigkeit erzehlet Plu- 

tarchus nachfolgendes artlich Exempel / als eins⸗ 
mals im Roͤmiſchen Senat etliche Tag lang et⸗ 
was wichtiges vnd geheimes tractirt vnd berath⸗ 
ſchlagt ward / vnd weil man interim in der Statt 
vnderſchiedlich davon redete / fo vnderſtundt fich 
eines Senatoris oder Ratsherꝛn Fraw jhren Her⸗ 
en zufragen / was doch daß fuͤr ein wichtiger han⸗ 
del wäre, von dem man ſo lang rathſchlage? Da⸗ 
mit nun dreſer Rathsherꝛ feines Weibs Thorheit 
vnd Fuͤrwitz ſtillen moͤchte / fo gab er ihr zur Ant⸗ 
wort vnd ſprach: mein Fraw / es gebuͤhrt mir 
gleichwol nicht auß dem Rath zu ſchwwaͤtzen / aber 
doch / weil du mich fo faſt bitteſt / vnd mir ſtarck 
verheiſſeſt / es keinem eintzigen Menſchen zu of⸗ 
fenbaren / noch weiter zu ſagen / ſondern bey dir 
allein in geheimb zu behalten / ſo will ich dirs ver⸗ 
trawen / vnd iſt diß der Handel: Ein Wachtel hat 
man fliegen ſehen / die hatte einen guͤldenen Helm 
auff dem Kopff / vnd einen Spieß in den Klawen: 
derowegen berathſchlagen wir vns / ob dieſes et⸗ 
was guts oder boͤß bedeute. 

So bald nun der Ratsherꝛ auß dem Hauß in 
den Rath gangen war / gieng die Fraw zu jhrer 
Maͤgden eine / ſchlug auff die Bruſt / rauffte jhr 
Haar auß / ſchrye / heulte vnd weinte / vnd ſprach: 
O mein Her: / O mein Herꝛ / O du armes Var: 
texland / wie wirds vns ergehen? was fuͤr ein Vn⸗ 
heil 


Hirnſchleiffer. 9 


heil ſteht vns bevor? die Magd erſckrack vnd frag⸗ 
te jhre Fraw / was doch geſchehen waͤre? da erzehl⸗ 
te vnd vertrawte die Fraw jhrer Magd alles was 
ihr Herꝛ jhr geſagt vnd vertrawt hatte / aber ſie 
verbotte jhr / fie ſolte bey leib niemandt nichts 
darvon fagen: die Magd aber ſchwieg nicht lang / 
fondern vertrawte es alsbald einer anderen 
Magd / dieſelbe vertrawte es geſchwind jhrem 
$iebhaber / der jhr ohn gefehr begegnete: Dieſer 
Geſtalt kam dieſe Fabel in kurtzer Zeit von einem 
zum anderen auff den Marck oder Pl atz / vnd zwar 
dermaſſen geſchwind / daß der Raths her: nicht ſo 
bald das Rathhauß erreicht hatte / fihe/ es begeg⸗ 
net jhm einer vnd fragte ihne / ob er nichts newes 
gehört habe? nein / antwortet er: ich weiß nichts / 
weiſt du aber etwas / fo fag mirs Man ſagt (ant⸗ 
wortet der ander) es fen ein Wachtel vber die 
Statt geflogen / vnd hab einen guͤldinen Helm 
auff dem Kopff, vnd einen Spieß in den Klawen 
geführt / vnd deßwegen werde Rath gehalten. 
Der Rathsher: lachte / vnd als er in den Raht 
kam / erzehlte er fernen Mit⸗Rathoßreunden die 
Fabel / vnd ertoͤßte dar durch den Nath vnd die 
Statt auß der eitelen gefaßten Forcht. Aber zu 
feiner Heimkunfft ſtellte er ſich gegen ſeiner Fraw⸗ 
en ſehr traw rig vnd betruͤbe / vnd ſprach O Maio / 
wir ſeynd verlohren / vnd es wird vn bel erge⸗ 
hen / dã der Rath hate erfahren on in nel wo rden / 
daß die Geheimnuuß von der Wachtel auß vnſerm 
Hauß außkommen iſt / derwegeu Din sch auß der 
Statt geſchafft worden / vnd muß von d elites Ge⸗ 
As ſchwaͤtzig⸗ 


10 Hirnſchleiffer. 


ſchwwaͤtzigkeit wegen / im Elend vmbziehen. Die 
Fraw erſchrack / vnd fieng an zu laugnen / aber er 
ſtraffte vnd ermahute ſie / fie ſolte hinfüran beſſer 
auff jhr Maul mercken. 

Weißlich hat dieſer Rathsherꝛ gehandelt / in 
deme er die Trew der Weiber ohne ſonderbare 
Gefahr bewehrt / vnd dardurch erfahren hat / 
daß nemblich faſt alle Weiber ins gemein ge⸗ 

ſchwetzig ſeyen / vnd nichts verſchweigen koͤn⸗ 
ten / dann wer hat jemaln ein ſtum⸗ 
mes Weib geſe⸗ 
hen. 


. 88 


Hirnfdleiffer. 
Schraber. 


1 5 


Wzde nothwendig vnd nuͤtzlich dem Menſchen 
die Außſprach oder das reden iſt / alſo noth⸗ 
wendig vnd nuͤtzlich iſt ihm das Schreiben / wie 
vbel auch dem Menſchen ein boͤſe vngeſchickte 
Rede oder Außſprach anſtehet / alſo übel ſtehet 
ihm ein vngeſchickte vnformliche Hãdſchrifft an / 
zumaln / wann viel Vngeſchicklichkeiten mit vn⸗ 
der lauffẽ / vñ die Materi an ihr ſelbſt verdrieß lich 
vnd vnannemblich iſt; Hergegen wird der deſer iu 
ſtig / wann er einen ſchoͤnen wolformirten / glei⸗ 
chen vnd ſaubern Buchſtaben oder Schrifft liefert 
A 6 Wel 


12 Hirnſchleiffer. 


Viel anſehnliche Herꝛn vnd Potentaten haben 
ſich einer ſchoͤnen vnd ſaubern Schrifft befliſſen / 
vnd vnder andern Keyſer Theodoſius deß Arca- 
dis Vetter / von deme noch viel Schrifften vor⸗ 
handen ſeynd / nemblich die Evangelia vnd ande⸗ 
re / die er ſehr zierlich mit guͤldenen Buchſtaben 
geſchrieben. 

Ein ſchoͤne zierliche Schrifft / vnd ein wolge⸗ 
ſtelltes Concept erfrewet den Menſchen eben ſo 
ſehr als ein kunſtreichs Gemaͤhldt oder Bild / dan 
das Gemaͤhldt oder Bilt repræſentiret nur die 
Geſtalt vnd beſchaffenheit deß Leibs / aber in ei⸗ 
nem geſchriebenen Brieff / begreiffen vnd erklaͤ⸗ 
ren wir die innerliche Meinung vnſers Gemuͤths: 
das Bild repræſeut ret mir gleichſamb das Kleid 
vnſers Freunds / aber die Schrifft oder der 
Brieff reptælſentiret den wahren Freund / ja ſo 
gar auch ſeine Gedancken / Rathſchlaͤg / Schmer⸗ 
tzen / Sorgen / Frewd vnd alle Wirckungen: 
was wir nicht wol reden duͤrffen / wann wir ge⸗ 
genwertig waͤren / das entdecken wir ihm in vn⸗ 
ſerm Abweſen durch ſchreiben: Alſo / daß die 
Schrifft ein lebendiges vnd wirckendes / das Ge⸗ 
mald aber ein todtes vnd ſtummes Bild iſt. 

Vnmuͤglich iſts außzuſprechen / was die 
Freunde für Nutzbarkeiten auß den Sendſchrei⸗ 
ben empfahen / dann ſie reden vnnd cenverſiren 
Freundlich mit einander / vnangeſehen fie viel 
Neil weit von einander ſeynd. Durch Schreiben 
werden die jenigen Gemuͤter / welche dermaſſen 
auff einander verbitteret ſeynd / daß fie einander 
weder 


Hirnſchleiffer. 13 
weder ſehen noch hoͤren moͤgen / widerumb ver 
ſoͤhnt / Es werde auch darduech die gute Freund⸗ 
ſchafften vnd Vertrewlichkeiten gemacht vnd er 
halten. Was derwegen die Zung im Mund wir⸗ 
cket durchs reden / das wircket vnd thut die Fe⸗ 
der durchs ſchreiben: welcher mit derſelbigen 
wol vmbgehen / ſie zierlich vnd beſcheidenlich 
fuͤhren / mit Hand vnd Verſtandt ſchreiben kan / 
der gelanget letztlich zu hohen Ehren / vnd wird 
biß weilen den gelehrten vnd Adelichen Perſonen 
fuͤrgezogen: In ſumnia die Feder regieret alle 
Land. 
Ander Diſcurs. 

Boetius pflegte den Leib deß Menſchen ein ver⸗ 
geßliche Buͤrd zu nennen / dann Pla ro vermeyn⸗ 
te / die Seel / wann fie anfangs erſchaffen wird / 
habe ein Erkantnuß aller Dingen / aber wann ſie 
dem jrꝛdiſchen Leib eingegoffen wird / alsdann 
verleurt ſie als bald ſolche Ert antuuß dermaſſen / 
daß fie dieſelbe nicht brauchen kan / biß vnd fo 
lang fie wider durch die Sinn auffge weckt wird: 
Dieſer Vrſachen halben hielt Plato darfuͤr / daß 
das jenig / was die Menſchen lernen vnd ergreif⸗ 
fen / ſeye nichts anders als ein er inneren. 

Die Gedaͤchtnuß wird durch vnderſchiedliche 

Mittel erlangt: Erſtlich natuͤrlicher weiß / dann 
mancher Menſch hatt von G Ott vnd der Natur 
die Gnad / daß er alles / was er hoͤret oder leſet / 
geſchwind in der Gedaͤchenuß faſſen vnd behalten 
kan. Am andern wird die Geidaͤchtnuß gemacht 
vnd befuͤrdert durch hieroglyjphica , Figuren / 

2 7 Ge⸗ 


14 Hirnſchleiffer. 
Gedaͤchtnuß gemacht vnd befürdert durch hie- 
roglypica, Figuren / Gemaͤld vnd Zeichen: 
Drittens / wird die Gedaͤchtnuß erhalten durch 
die Schreiberey: Derwegen ſagt Eccleſ. 38. 
Die weißheit ſolt du ſchreiben zur zeit der 
Ruhe. Deſſen zu eine r Fi ur hat Gott das 
Geſetz der Juden auff ſteinerne Taffeln geſchrie⸗ 
ben / wie Exod. am 18. cap. zuſehen. 

Wie nun deß Menſchen Angeficht ein Eben: 
bild der Seelen iſt / alſo iſts auch die Hand / 
dann wie die Seel im gantzen Leib vnd in einem 
jeden Theil deffelben begreiffen iſt / alſo auch die 
Handt / dann ſie gehet uͤberall vnd in einem jeden 
Theil deß Seibs. In der Hand ſehen wir das E⸗ 
benbild aller dreyen Facultaͤten oder Kraͤfften der 
Seelen / dann der Will wird bedeut durch den 
Daumen / vnd der Verſtand durch den Finger / 
welcher auff lateiniſch Index oder der Zeiger ge⸗ 
nennet wird / dann er zeiget die Ding / die 
wir zu ſehen oder zu mercken begehren. Die Ge⸗ 
daͤchtnuß aber wird bedeut durch die zehen Fin⸗ 
ger / welche Zahl ein Anfang vnd Vrſprunch al⸗ 
ler anderer Zahlen vnd Proportionen iſt. 

Die Hand iſt ein Vrſprung vnd Inſtrument 
aller Kuͤnſten vnd Wiſſenſchafften / dan ſie bawet 
die Staͤtt / Acker / die Felder / ſaͤet den Samen 
auß / ſchneidet das Korn / diſponirt vnd ordnet 
die Gaͤrten / greiffer den Pulß / richt die Artzney 
zu / verbindet die Wunden / machet Vhrwerck / 
Schiff / Waͤgen / Kaͤrꝛen vnd Gutſchen / trucket 
Bücher / gieſſet das grobe Geſchuͤtz / ſchmiedet 
Meſſer 


Dienfchleiffe, 15 
Meſſer vnd Harniſch / feget vnd ſchaͤrpffet die 
Schwerter vnd Lantzen / mahlet Tafeln / ſchni⸗ 
tzlet Bilder / ſchlaͤgt auff allerley Inſtrumenten / 
vnd machet allerhandt Zeug ond Kleider / was 
man von Noͤthen hat. So gar wird Trew vnd 
Glaub durch die Hand repræſentiret / vnd wan 
etwa ein Bundnuß vnd Freun dſchafft gemacht 
wird / ſo reichet man einander die Hand zum Zei⸗ 
chen der Beſtaͤttigung. 

Das allerfuͤrnehmſte aber / welches die Hand 
wircket / iſt die Schreiberey / dann ſie entdeckt mit 
wenig Dinten die allergeheimſte vnd verborgen⸗ 
fie Ding / die gute vnd böfe Gedancken / Auſchlaͤg 
vnd Vorhaben. Der Mund thut viel / die Hand 
aber noch viel mehr / dan der Mund wircket nur in 
vnd bey den gegenwertigen / aber die Hand wirckt 
durch die Schreiberey in vnd bey den abweſen⸗ 
den / beſchreibt auch die allbereit beſchehene vnd 
vnbeſcheheue Ding / was der Mund redt das ver⸗ 
ſchwind geſchwind im Lufft / vnd wird mit der Zeit 
vergeſſen / aber was die Hand ſchreibt / das waͤret 
vnd bleibt allzeit. Der Mundt redet vnd herꝛſchet 

nur vber die gegenwertigen / aber die Hand oder 
Feder beherꝛſchet vnd erſchrecket auch die abwe⸗ 
ſenden in ferꝛnen Landen. Philippus König in Hiſ⸗ 
panien hat viel mehr verricht mit der Feder ſchrei⸗ 
dendt / dann fein Vatter Caro lus mit der Lantzen 
ſtreittendt. 

Wie aber bißweilen das Amgeſicht larvirt vnd 
falſch iſt / alſo iſt auch zu Zeiten die Handt deren 
Notarien vnd Schreiber / welche GOttes deß 
Henn 


16 Hirnſchleiffer. 


- HEren vergeflen/ die entweder jhre Schrifften 
verfaͤlſchen / die Teſtament vnd letſte Willen deß 
Teſtatoris verkehren / die Inſtrumenta veraͤnde⸗ 
ren / ſie im fall der Noth verbergen / die pia legata 
vertuſchen / falſche Contract ſchreiben / die ſimu⸗ 
lirte Kaͤuff vnd Vertaͤuff mit falſcher Hand bede⸗ 
cken / vnd vngerechte vnzimbliche Pacta auffri⸗ 
chten / falſche Informationes in Buͤrgerlichen vnd 
Malefitzſachen geben / vnd die Sach vmbkehren 
oder gar verdunckelen. Oder aber die Hand deren 
Procuratorn vnd Advocaten / welche Gottes vnd 
jhres eigenen Heils vergeſſen / von beyden ſtreit⸗ 
tigen Partheyen den Nutz ſchoͤpffen / alle gerech⸗ 
te vnd vngerechte Haͤndel annemmen / die aller⸗ 
ſchümmſte vnd fauleſte Sachen verthaͤtigen / vnd 
nichts anders thun / als die Feder ſpitzen / durch die 
leges, ſtatuta, canones, ſophiſmata die Warheit 
vndertrucken / vnd die Falſchheit behaupten / die 
Richter verfuͤhren vnd irꝛ machen / ſie zu der Vn⸗ 
gerechtigkeit bewegen / vnd jhre Clienten erſaige⸗ 
gern vnd außfaugen 

Item mit jhrer Hitz vnd Witz die Partheyen / 
ja Fuͤrſten vnd Herzen verhetzen vnd aneinander 
knuͤpffen. Oder aber die Hand der Predicanten / 
welche mit jhrer Luͤgenfeder die H. Scheifft ver⸗ 
kehren / falſche Glollas machen / ihre ırrrige 
Mengen ſpargieren vnd außfprengen / vnd 
die Einfaͤltigen verführen. Derowegen wird zu 
ihnen geſagt: Wie doͤrfft ihr agen: Wir 
ſeynd weiß / vnd deß HErꝛen Geſetz haben 

Kir 


Hirnſchleſſer. 17 
wir bey vns? Jurwar de falſche Feder der 
Schrifftgelehrten hat Luͤgen zugericht. 
Oder aber die Hand deren / velche ein ſehr ſchlech⸗ 
te vnnd veraͤchtlichs Mater vor ſich nemmen / 
vnd einen gantzen Trachtat hrauß machen / inmaſ⸗ 
fen Pithagoras gethan / ind ein gantzes volu- 
men von den Bulbis geſchreben: Vnd Phanias 
das Lob einer Diſtel ſtattlch herfor geſtrichen. 
Democritus machte ein gantz Buch von der 
Vierdten Zal: Polycrates ſchrieb eins zum Lob 
der Vngerechtigkeit / vnd Favorinus zum Lob 
dep viertaͤgigen Fiebers. Andere machen in ihren 
Schrifften auß einer Mucken einen Elephanten / 
auß einem Eſel ein Gelehrten / auß einem gemei⸗ 
nen Mann einen vom Adel / auß einem Edelman 
einen Freyher:n / auß einem Fuͤrſten einen Gott / 
auß einer ſchoͤnen Frawen ein Goͤttin. Alle der⸗ 
gleichen Scribenten / Practicanten / !uͤgen⸗ 
ſchreiber / Clamanten / Novellanten vnd Ler⸗ 
menblaſer ſeyndt dem Landt je ſchaͤdliche vnd ge⸗ 
fährliche leut / vnd wären wuͤrdig / daß die ſchar⸗ 
pffe Mandata die wider die Muͤſſiggaͤnger außge⸗ 
hen / auch wider ſie vollzohen wuͤr den. 


Dritter Diſcurs. 

Jacobus de Vitriaco ſchreibt / es ſeyen zween 
Freunde geweſen / der eine habe alle vnd jede 
Dienſt vnd Gutthaten / die er von ſeinen Freund 
empfangen / fleiſſig auffgeſchrieben der ander 
aber hab alle Dienſt vnnd Freundſchafft / die er 
dem andern erwieſen / beſchrieben: Nun begab 
es 


18 Hirnſchleiffer. 


es ſich daß fie vneins wurden / dann der erſt ſagte / 
ich lieb dich am meiſten / dieweil ich die Guttha⸗ 
ten / die ich von dir empfangen / auffſchreibe / ſo hab 
ich dardurch Vrſach vnd Gelegenheit daran zuge⸗ 
dencken / vnd dich deſto mehr zu lieben / auch nie⸗ 
maln von deiner Freundſchafft zu weichen. Der 
ander aber ſagte: du redeſt recht vnd wol / aber 
du ſolt wiſſen / daß ich meine Gutthaten / die 
ich dir erwieſen / nicht darumb auffſchreibe / da⸗ 
mit ich dir ſie verheben vnd fuͤrrupffen moͤge / 
ſonder damit ich (wan ich fie leſe) dich in der 
Freundtſchafft erhalten / vnd ſolche Gutthaten 
nicht verlieren moͤge. 

Weil ſich aber diefe zween Freundt dißfals nicht 
vergleichen kondten / ſo compromitterten ſie ei⸗ 
nen Philofopum oder Weltweiſen Mann / derſelb 
erkente vnd verabſcheidete / daß der ander beſſer 
thaͤte / weder der erſte. Gott iſt der jenig / der vns 
vnendlich viel guts thut vnd alles auffſchreibet / 
nicht zwar in Meinung / daß ers vns verheben vnd 
fuͤrrupffen woͤlle / wofern wir anderſt danckbar 
gegen ihm ſeyn / dan er begehret vns allzeit in ſei⸗ 
ner dieb vnd Freundſchafft zuerhalten: wir aber 
follen die Gutthaten / die wir von GOtt emp⸗ 
fangen / fleiſſig auffſchreiben / damit wir ſie offt 
leſen / betrachten vnd danckbar darumb ſeyn moͤ⸗ 
gen / dan wofern wir ſolches nicht thun / ſo iſt zu⸗ 
beſorgen / Gott werde vns zur Zeit deß Gerichts 
ſein geſchriebenes Buch vnd gehaltenes Proto⸗ 
coll vor Augen legen / vnd vns vnſer groſſe Vn⸗ 
danckharkeit verheben / fuͤrrupffen vnd vervr⸗ 
theilen. Vierdter 


Hirnſchleiffer. 19 
Vierdter Dilcurs. 

Durch den fleiſſigen Schreiber oder Lotarium 

wird noch ein andere ſchoͤne Geheimnuß bedeut / 
daß nemblich wir uͤber vnſer Leben / thun vnd laſ⸗ 
ſen / ein fleiſſiges Protocoll oder Regiſter halten 
muͤſſen / damit wir wan GOtt einmals Rechen⸗ 
ſchafft von vns begehren vnd ſprech en wird: Gib 
Rechnung von deiner Haußhaltung: wir 
alsdan wol beſtehen / vnd nicht zu Spott vnd 
Schanden gemacht werden / Dan GOtt der All⸗ 
maͤchtig iſt ein Koͤnig aller Koͤnigen / vnd ein HErz 
aller Herꝛen / ſo viel auch Menſchen ſeyn / eben ſo 
viel Hauß halter hat er: Dan dem einen leyhet er 
viel / dem andern wenig / vnd zwar nach eines je⸗ 
den Standt / damit ſie ihren Nutz vnd Gewinn 
damit ſchaffen ſollen / nemblich die Seel / den eib 
vnd alles was darzu gehoͤrt: Item alle Creaturen 
hat er zu deß Menſchen Dienſt vnd Nutz verord⸗ 
net / damit der Menſch ſie brauchen oder auch 
entrathen ſolle / zu deſto mehrer befuͤrderung der 
Ehr Gottes / vnd zu deſto beſſerer erlangung der 
ewigen Seligkeit. Niemand iſt / deme Gott mt ſei⸗ 
ne ſonderbare Gaben vnd Gnaden nach ſeinem 
Goͤttlichen Willen vnd Wolgefallen beſchert vnd 
gegeben haͤtte. Niemand iſt / der ſich mit gutem 
fug über die Guͤtigkeit vnd Freygebigkeit GOt⸗ 
tes beſchweren koͤndte / daß er nemblich zu wenig 
empfangen haͤtte. 

Wie nun der empfang groß iſt / alſo wird auch 
die Rechnug der Außgaben / die von dem Menſ⸗ 
chen erfordert werden / zun Zeit deß N 
hen 


20 Hirnſchleiffer. 


chen Gerichts / ſo bald nemblicher er auß dieſem 
Leben geſchieden iſt / nicht ſchlecht ſeyn / dann es 
ſteht geſchrieben: daß den Menſchen der Todt iſt 
aufferlegt worden / vnd nach dem Todt. das Ge⸗ 
richt. Dann wie ein Schaffner alles verꝛechnen 
muß / was er empfangen / eingenommen / vnd 
wie ers hergegen außgeben vnd verwendt / vnd 
wie er gehaußt hat / vnd ob er zu ſeines Herꝛn 
Nutz oder Schaden darmit vmbgangen ſeh / alſo 
wirds auch allhie zugehen. 

Man findet in der Welt / vnd ſonderlich bey 
den Regimenten ſonderbare Diener vnd Beamp⸗ 
ten / die man Einnemmer / Rentmeiſter / Zahl⸗ 
meiſter oder Pfennigmeiſter nennet / vnd die 
thun nichts anders / als deß Fuͤrſten oder der 
Staͤtt Gefaͤll / Renten / Zoll / Maͤut / vnd 
Auffſchlaͤg einnemmen vnd viel darvon außge⸗ 
ben / deren etliche aber halten ein fleiſſiges Pro⸗ 
tocoll oder Regiſter / vnd ſchreibens alles mit 
Fleiß ein; andere aber ſeynd hialaͤſſig / ſaumig 
vnd faul / vnd ſchreiben den Empfang oder Auß⸗ 
gaben nicht fleiſſig ein / wann ſie dann vnverſe⸗ 
hens ſterben / alßdann muͤſſens ihre arme hin⸗ 
derlaſſene Weiber vnd Kinder entgelten / dann 
wann der Fuͤrſt oder Her mit ihnen Rechnung 
haͤlt / alßdann ſihet man leichtlich was der Em⸗ 
pfang geweſt ſey / aber nit was außgeben iſt wor⸗ 
den / Dann etliche Einnemmer brauchen ihrer 
Hern Geld entweder zu ihrem eignem Nutz vnd 
Vortel / oder verſchwendeus vnnuͤtzlich / andere 
wiſſen dergeſtalt darınit vmbzugehen / vnd alles 
der 


| 


7 

Hirnſchleiffer. 21 

dermaſſen zuverwicklen vnd durch einander zu⸗ 
miſchen / daß man ſchwerlich darauß kommen / 
vnd kein Richtigteit haben lan: derwegen ſagt 
man im Sprichtwort / es ſey gut eines Zahlmei⸗ 
ſters Fraw ſeyn / aber boͤß ſein Wittib ſeyn. 
Alſo vnd ebner Geftalle iſts je ein klaͤglicher 
Handel / wann gleichſamb ein verwittibte Seel 
nur die Außgaben verrechnen muß / vnd wann 
fie allhie auff Erden ſampt dem beib die Gaben 
Gottes mißbraucht / verſchwendet / zu deß Leibs 
Wolluͤſten verwendet / vnd der Welt vnd dem 
Teuffel darmit gedient hat: O wie ein hartes 
Wort wirds ihnen ſeyn / wann ſie anhoͤren wer⸗ 
den: redde rationem villicationıs tuæ: thue 
Rechnung von deiner Haußhaltung. 

O Menſch gib Rechenſchafft wie du bißhero ge⸗ 
lebt / was du guts oder böfes begangen / was du 
fuͤr Wort geredt / vnd fuͤr heimliche Gedancken 
gehabt haſt: Gib Rechnung von der Seel / die 
ich dir als ein groſſes Kleinot vertrawet hab / 
vom Leib / welchen ich deiner Sorg uͤberantwor⸗ 
tet / vnd mit den fuͤnff Sinnen gezieret hab / da⸗ 
mit du ihne zu meinem Dienſt gebraucheſt: gib 
Rechnung von den Leibs vnd Glucks⸗Güͤtern / 
die ich dir beſchert vnd vertrawt hab / damit du 
dir durch fie vermittelſt der Werck der Barmher⸗ 
tzigkeit gegen den Armen / den Himmel erkauffen 
vnd zuwegen bringen ſolteſt: Gib Rechnung von 
den ſon der ba ren Gaben / die du vor andern von 
mir emp fangen / vnd mit denen du der gantzen 
Chriſte nheit viel guts ſchaffen vnnd wurcken häte 
teſt 


| A | 
22 Hirnſchleiffer. 


teſt können / wofern du nur ſelbſt gewolt hetteſt / 
dann wann die Gaben vermehrt werden / ſo 
wachſet auch die Rechnung ſolcher Gaben / vnd 
weme viel gegeben iſt / von deme wird viel gefor⸗ 
dert werden. 

Wann nun dieſe vnd dergleichen Wort zu der 
vor Gericht ſtehenden Seel geredt / vnd darneben 
geſagt wird werden: Du kanſt laͤnger tein Hauß⸗ 
halter ſeyn: was wird fie nicht alsdan gedencken / 
O armer Sünder / was wirſtu thun / wan du ſo 
ſehr wirſt geaͤnſtiget werden ſtrenge Rechnung zu 
thun von ſolchem alle? quid faciam ( ſagte Job) 
cum ſurrexetit ad judicandum Dominus & cum 
quæſierit? quid reſpondebo illi? Wann zur Zeit 
deß Todts vnd Gerichts / die Rechnung meiner 
Hauß haltung vnd alles deſſen was mir geliehet 
vnd anvertrawt worden / von mir abgefordert / 
vnd zu mir geſagt wird werden / hinfüran wirſtu 
mein Hauß halter nimmer ſeyn: was werde ich 
alsdann fagen? nichts wirſtu wiſſen zu antworten 
oder zu repliejren / viel weniger wird dir erlaubt 
werden einen eintzigen Zaͤher zu fällen / noch auch 
dich mit einem eintzigen Zaͤher zu beſchützen / 
nichts anders wird vorhanden ſeyn / als daß du 
ſampt dem Job am ro. cap. fprächeft: Erl aſſe 
mich doch / daß ich meine Jamer ein wenig 
beweine / ehe daß ich hingehe vnd nicht wi⸗ 
derkomme / als wolt er ſagen: O HEr/ weil ich 
dan eine ſo ſtrenge Rechnung thun muß / vnd aber 
im wenigſten gefaſt bin / vnd nicht zu 1 
wei 


Hirnſchleiffer. 23 
weiß / ſo bitt ich dich / du woͤlleſt mir nur ein klei⸗ 
ne friſt verwilligen / daß ich meine Suͤnd vnnd 
Armſeligkeiten beweinen möge: aber leider das 
paululum!, das modicum wird dir nit verwilligt 
werden / ſondern es bleibt bey deme / jam non po⸗ 
teris villicare es kan nimmer ſeyn / du biſt nim⸗ 
mer im Leben / es ſtehet nimmer in deiner Macht 


etwas guts vnd verdienſtliches zu wircken / ſon⸗ 


der wie du anjetzo erfunden wirſt / alſo ſoll mit dir 
nach Billigkeit vnd Gerechtigkeit gehandelt / 
procedirt vnd verfahren werden. 

Derwegen iſt der jenig Menſch weiß vnd fuͤr⸗ 
ſichtig / welcher feine Einnahmen vnd Außgaben 
fleiſſig auffſchreibt / der täglich. vnd ſonderlich zu 
Abend fein Gewiſſen eigentlich examiniret vnd 
erforſchet / nemblich mit Gott dem HErꝛen ab⸗ 
rechnet / vnd offtermals beichtet vnd communici⸗ 
ret / damit / wofern er je in derſelben Nacht von 
hinnen ſcheiden muͤſte / er mit der Rechnung beſte⸗ 
hen / nicht zu ſchanden gemacht / vnd hinab zur 
Hoͤllen verſtoſſen werde Wie ein fleiſſiger Rent⸗ 
oder Zahlmeiſter alles fleiſſig auffſchreibt / was er 
vnder Tags einnimbt vnd auß gibt / vnd wie er ab 
le Abend zu ſeiner Rechnung ſchawet / damit er 
auff alle fuͤrfallende Faͤll / begehren / vnd erfor⸗ 
dern / bey feinem Heren beſtehen / vnd in ſeinem 
Gewiſſen deſto ruͤhig er ſeyn moͤge / alſo muͤſſen 
auch wir thun / vnd kaͤglich mit vnſer Rechnung 
gefaſt ſeyn / nach rath deß weiſen Manns am 9. 
Cap. Dann in der Hoͤllen iſt weder Werck / 
Kunſt / Er kautnuß noch Weißheit. 


92 


7 


24 Hirnſch leiffer. 


Beſchließlichen / wie jener Villicus oder 
Schaffner / nachdem er feines Herzen Güter on- 
nuͤtzlich verthan hatte / dem einen etwas von 
Korn / dem anderen etwas von Oel / vnd dem 
dritten etwas Gelds nachließ / vnd dar⸗ 
durch gute Freunde vberkam / die jhm hernacher 
in der Noth halffen / alſo nachdem wir die Guͤter 
vnd Reichthumb Gottes vnnuͤtz ich verſchwen⸗ 
det / lang gnug darmit auff der Wechſelbanck ge⸗ 
ſeſſen / gewuchert / Land vnd Leuth erſaͤigert ha⸗ 
ben / wann wir lang gnug im Seſſel geſeſſen / ge⸗ 
ſchrieben / die Feder geſpitzt vnd vns bereichet ha⸗ 
ben / ſo laſſet vns dermahln einſten in vns ſelb⸗ 
ſten gehen / die Rechnung vberſchlagen / vnd zu 
Juſtificierung derſelben / den vbermaͤſſigen Em⸗ 
pfang reſtitutren / vnd was vberblieben / den Ar⸗ 
men mittheilen / vermög der Wort / Luc. c. 16. 

Machet euch Freunde vom Reichthum 
der Dugerechtigkeit / auff daß / 
wann jhr nun Gebrechen ha⸗ 
ben werdet (fie euch auff⸗ 
nemmen in die ewi⸗ 
ge Taberna⸗ 
cul. 


X * 
* 


Hirnſchleiſſer. 27 


Weiber Regiment. 


Je Amazonifche Weiber waren vor Zeiten 

ſehr beruͤmbt / von wegen jhrer Kuͤnheit / 
Dapfferkeit vnd Glory jhres Reichs / dann dermaſ⸗ 
ſen wol regierten ſie / daß ſie alle jhre Nachbarn 
zwangen nach jhrem Geſetz zu leben. So gar hat⸗ 
ten ſie das Hertz den Alexandrum Magnum anzu⸗ 
greiffen / vnd die Hoffnung ober jhne zu triumpht⸗ 
ren: Dapffere vnd beruͤhmbte Weiber waren auch 
Debora und Judith, dann als zu jhren Zeiten alles 
verzagte vnd verzweiffelte / haben ſte durch die 
Starckmuͤhtigkeit den Sieg / Ruhe vnd Fried er⸗ 


halten. 
B Libuſſa 


26 Hirnſchleiffer. 
Libuſſa deß Koͤnegs in auge einige Tochter 
regierte nach ihres Batters Todt die Naͤhren und 
Boͤhmen dermaſſen weißlich / daß man der Orten 
keines andern Koͤntgs mangelte oder begehrte. Die 
Juſtici adminiſtrirte ſte dermaſſen loͤblich daß kein 
eintziger Menſch drüber klagte. Die Laſter ſtraffte 
ſie mit einer ſolchen Maß / daß kein Verbrecher un⸗ 
geſtrafft verblieb. Gar gern wären die Landſtaͤndt 
noch länger under jhrem ge. ment verblieben / wo⸗ 
ferꝛn fie wicht viel lieber einen Erben von jhr geſe⸗ 
hen und gehabt haͤtten / derwegen ermahnten und 
bewegten ſie letzlich ſie / daß ſie ſich mit Primislao 
verheurate. Was geſtalt auch die Maͤnner ſich von 
einem Weib in Eng elland viel Jahr lang regieren 
haben laſſen / daß weiß jederman. Die Koͤnigin To⸗ 
myris erlegte den C ysum in einer ſchlacht: Keyſer 
Heliogabalus ſetzte die Semiamiram fein Mutter 
auff den Keyſerlichen Thron / und ubergab ihr das 
Regiment deß ganzen Reichs / derwegen beſuchte 
fie den Rath / verordnete auff den Berg Quitino ein 
Parlament von Weibern / und berathfchlagte da— 
ſelbſt alleReichs⸗Sachen mit ihuen / darneben ma⸗ 
chte ſie ſonderbahre lächerliche decrera, Geſetz und 
Ordiantzen / wie und was Geſtalt die Weiber ſich 
fleiden: Item / waß fur Weiber in Gutſchen fahren 
oder auff Zelter reiten / oder ſich in den Saͤnfften 
umbtragen laſſen doͤrfften: Aber der Senat oder 
Rath zu Rom hat bal lonach deß Heliogabali Todt / 
durch ein ernſtliches Decret oder Gebott verord⸗ 
net / daß kein Weib den Zutritt im Rach haben ſol⸗ 
te / und wofern ein Keyſer oder Koͤnig darwider 
handlen wuͤrde / ſolte derſelb den Hoͤlliſchen Teuf⸗ 
flen confecrirt und auffgeopffert werden. f 
Ja 


| Hirnſchleiſſer. 25 

| Ja ſo gar ward verordnet / daß die Weiber im⸗ 

merdar under der Männer Tttul / Schutz und Re⸗ 

gierung ſeyn und bleiben ſolten / damit alſo jhnen 
durch dieſes Mittel richt allein die gemeine Aem⸗ 
pter / ſondern auch das Hauß Regiment benom⸗ 
men wuͤrde / dann es iſt wid er allen Verſtandt und 
Billigke it / daß die jenige / welche vermoͤg deß Goͤtt⸗ 
lich en Geſaͤtzes / dem Mann gehorſamen ſoll / uber 
den Mann herſche und regiere. 

Alle Nationes oder Voͤlcker haben die Weiber 
vom Regiment oder gemeinen Aemptern abge⸗ 
ſchafft / dann ſie haben zum kriegen weder Hertz / 
Staͤrcke noch Dapfferteit / noch zur Adminiſtrirung 
und Regierung der Staͤttund Landen Verſtandts 
gnug. Plato hat gleichwol die Weiber nicht gantz 
und gar vom Regimẽt in den Stätten außgeſchloſ⸗ 
ſen / ſonder hat es mit dieſem Beding zugelaſſẽ / wo⸗ 
fern fie mit ſonderbaren Maulichen Tugenten ver⸗ 
ſehen wären: weil aber die Weiber gemeinlich nur 
Weibiſche und verzagte Gemüter haben / ſo haben 
unſere Vorfahren recht und wol verordnet / daß die 
Weiber zu keinen Dignitaͤten und Aemptern ſolten 
genommen werden / ſeytemal ſie es weder an der 
Natur noch an der Geſchickligkeit / noch an der Er⸗ 
fahrenheit / noch an der Dapfferfeit haben. 

Es fragt der H. Baſilius warumb doch Gott / als 
er in deß Mans⸗ und Weibs Hertz die Lieb gegoſſen / 
gewoͤlt habe / daß der Mann das Weib viel lieber 
haben ſolte / weder das Weib den Mann. Er 
antwortet jhm aber ſelbſt drauff und ſpricht: Gott 
habe darumb gewolt / daß das Weib weniger 

ſeyn ſolte dan der Mann / ſo viel das Regiment / 
V 2 den 


28 Hirnſchleifſer. 

deu Verſtandt / die Fuͤrſichtigkeit vnd Rathſchlag 
belangt / derwegen iſt dem Weib nit erlaubt / ſich 
vmb dergleichen Ding / ohne deß Manns vorwiſ⸗ 
fen anzunemmen: damit fich aber der Manndeſſen 
nicht vbernemmen oder ſtoltziren ſolte / ſo hat Gott 
das Weib erhebt / vnd gewolt / der Mann ſoll ihr 
in der Lieb vnderthaͤnig ſeyn: das iſt aber je ein har⸗ 
te Dienſtbarkeit / vnd kan derwegen vom Mann 
geſagt werden / er ſey ein Herz vnd Schlave deß 
Weibs:Ein Her zwar / damit er ſie weißlich führe 
laite / regtere vnd herꝛſche: aber ein Schlave / weil 
er jhr dienet / weil er fie ehret / liebet / vnd ſich fo 
hart von jhrentwegen bemuͤhet. 

Dieſe dieb macher / daß die Weiber noch heutigs 
Tags das Regiment fuͤhren / vnd daß die Maͤnuer / 
welche bill ch regieren / prefidiren vnd herſchen 
ſolten / ſich dem Gehorſam ihrer Weiber vnderge— 
ben / dan ob ſchon die Weiber von der Verwaltung 
der Regiments⸗Sachen abgeſchafft ſeynd / ſo ſehen 
wir doch / daß meiſtentheils die Weiber die Welt 
regieren / vnd es ſo weit bringen / daß die Maͤnner 
ſchier alles thun müſſen was die Weiber woͤllen 
vnd gern ſehen / derwegen machen vnd erwoͤhlen ſie 
vielmals den Magiſt rat heimlich / vnd erſetzen die 
Aempter / daß ſchier niemand kan zu kom̃en / invita 
Minerva ohue ihren Guaſt / Stim̃ vnd Einwilli⸗ 
gung: die Manner oder die Herren geben guten Be⸗ 
ſcheid auß / vnd verheiſſen bißweilen dieſem vnd je⸗ 
nem armen Schlucker ein Ampt / Dienſt oder 
Gnad / wann aber nur ein eintzige Nacht / dazwi⸗ 
ſchen kompt vnd fie mit ihren Weibern reden / als⸗ 
dann befind ſich deß Morgens / daß es nichts iſt 
ſeynte⸗ 


Hirnſchleiſſer. 19. 
ſeyntemal die Weiber nicht drin haben willigen 
woͤllen. 

Das der Herr im Evangelio das Reich Gottes 
einen Saurteig / welchen ein Weib anmachte / ver⸗ 
gleichet / hat er dar durch zuverſtehen geben / was 
für ein Vnterſcheid zwiſchen den Wercken eines 

Nanns / und zwiſchen den Wercken eines Weibs 
ſeyn folle © dan es waͤre je ein gröffer Baforinb/ 
wan man ſagen wolte / der Mann fol Brot backen / 
das Weib aber ackern und ſaͤen. Der Mann ſoll 
marmliche Werck vernichten / und weil er di e Staͤrck 
deß beibs hat / fo gebühret jhm die Staͤrck / Muͤhe 
und Arbeit auſſer Hauſes zuverrichtẽ und außzuſte⸗ 
hen / das Weib aber iſt zart / ſchwach undforchtſam̃ / 
derwegen ſolle ſie das jenig / was der Mann auſſer 
Hauſe erobert / im Hauß verwahren und erhalten. 

Im alten Teſtament war verbotten / ein Nleid 
zu tragen / welches von Wuſt und Leinwad ge⸗ 
macht worden / hierdurch ward gen kli. hee Weiß 
zuverſtehen geben / daß urem and ungleich er demp- 
ter annemmen / noch au h das Ampt eines Verbs 
und Mans zugleich unnd miteipander veruchten 
ſolle / dann es ſeynd underſcheidliche Aemprer und 
Buͤrden: es kan auch nicht wol ſeyn / daß der Mail 
ein Weib vertrette / und das Weib deß Manns 
Ampt verſehe / dan dardurch würde die Welt umd 
gekehrt. 

In den weiſen Spruͤchen am zr. cap. wird von 
einem haͤußlichen Weib gemeldt: Sie hat ge⸗ 
ſchawet auff die Gaͤng jhres Hauſeés / und 
ihr Brodt nicht mit Muͤſſigkeit geſſen. 

A 3 Das 


1 


30 Hirnſch leiffer. 
Das iſt:ſie hat die Weeg ihres Hauſes betrachtet / 
und hat ihr Brod nicht im Muͤſſiggang geſſen: 
hierdurch gab der weiſe Mann zu ver ſtehen / daß 
das Ampt eines Weibes ſeye / Kinder zugebären/ 
dieſelbige in der Keuſchheit und Gorts forcht erzie⸗ 
hen / und das Hauß⸗Regiment verſorgen ſolle / 
vermoͤg der Sehr S. Pauli / die er feinem Mit⸗ 
Juͤnger Tito am 8. cap. gab / da er ſpricht 
Sie ſollen ſorg auff das Hauß haben. 


ae wie Gott der HErrzuanfangs/als er alle 

Ding erſchaffen / geſagt / befohlen und verordnet 
hat / die Erde ſolle fruchtbare Baͤum herfuͤr brin⸗ 
gen / ein jeder nach ſeiner Art und Geſchlecht: Die 
Aepffelbaͤum ſollen Aepffel / die Birnbaͤum Birn / 
ꝛc. tragen: Alſo will er auch / daß eben dieſe Ord⸗ 
nuug im Eheſtand under den Menſchen gehalten 
werde / und daß ein jeglicher die jenige Werck ver⸗ 
richte / die ihm von Natur gebuͤhren / unnd ihm 
Gott eingepflantzt hat. Der Man ſoll thun was ei⸗ 
num Mann gebuͤhret / und das Weib was einem 
Weib zuſtehet. 

In einem wolgeordneten Haußweſen ſollen die 
Aempter underſchieden ſeyn / und der Man ſoll ſei⸗ 
ne Dien er / Raͤth / den Hof und das Land regieren / 
aber das Weib oder die Fuͤrſtin foll auff ihr Fraw⸗ 
enzimmer ſehen / damit nicht von ſolchen Min: 
nern / Richtern und Regenten geſagt werden koͤn⸗ 

neieffeminati dominabuntur eis: Weiber haben 
uͤber ſie geherꝛſchet. Dan wie vorzeiten die jenigen 
Abgoͤtter EHæminati oder weibiſche Maͤnner ge⸗ 
nennt wuͤrden / welche ſich beſchneiden lieſſen / da⸗ 


mit ſie den Goͤtzen dienen moͤchten / alſo koͤnn en an⸗ 
jetzo 


Hirnſcheiffer⸗ 31 
jetzo die jenigen billich ed œminati oder weibiſch 
genennet werden / welche der Weiber die ſie unor⸗ 
denlich lieben) Abgoͤtter ſeynd / und ſich ſelbſt zum 
regieren und Adminiſtrirung der Juſtici unduͤchtig 
machen / dann ſie handlen und richten nicht was 
recht und billich iſt / ſonder was den Weibern die 
ſie als Göttinnen lieben und ehren beliebet unnd 
gefällig iſt. 
Anderer Diſcurs. 

Ferner kan durch dieſe Figur verſtanden werden 
das Regiment der Vngerechtigkeit / wan nemblich 
die Königin Injuſtitia oder Vngerechtigkeit præ ſi- 
direr und das Regiment fuͤhret: Es ſolte billich die 
Weißheit uberall præſidirenund regieren / weil es 
aber an vielen Orten nicht geſchicht / ſo iſt kein wun⸗ 
der / daß es in der Welt ſo wercklich und backſchierig 
zugehet. Dieſe Königin der Vugerechtigkeit ſitzet 
auff dem Thron der Narꝛheit / und iſt umbgeben mit 
ihren afeelisund Geſpielen / dieſelben halten mit⸗ 
einander und erſchiedliche Rathſchlaͤg / von denſel⸗ 
ben redet der H. David in feine 25 Pſal. da er fagt: 
Dein Barmhertziskeit iſt vor meinen Au⸗ 
gen und ich hab ein Wolgefallen in der 
Warheit: Ich bin nicht geſeſſen im Rath 
der Eitelkeit / und hab nicht Gemeinſchaff 
gehabt mit Bbellthaͤtern: Ich hab gehaſſet 
die Ver ſamblung der VBoßhafftigen / und 
will nicht ſitzen bey den Gottloſen 

Weil David Gott den HErn allzeit or Augen / 
und ein, Wolgefallen an der Tugend und Warheit / 

B 4 hat / 


72 Hirnſchleiffer⸗ 

hat / ſo begehrte er vielerley Verſamblungen und 
Rathſchlaͤgen nicht beyzumohnen: Der erſte Rath: 
ſchlag oder Verſamblung heiſt Concilium vanita- 
tis oder der Rath der Eitelkeit / inmaſſen die Pha⸗ 
riſeer einen wider den HErꝛn Jeſum hielten / und 
ſagten: quid faeiemus, quia hic homo multa ſigna 
facit dergletchen Rathſchlaͤg und Verſamlungen 
werden noch heutigs Tags in der Welt viel gehale 
ten / unnd man ſuchet allerley Mittel unnd Weg / 
Chriſtum und ſein Kirch zu vertilgen / und den Ca⸗ 
tholiſchen Chriſten den Boden gar außzuſtoſſen. 
Der ander Rath heiſt Concilium iniquitatis oder 
der Rath des Geitzes / deme die Ingenirer und Er⸗ 
finder der partiden, Finantzen / ſophiſtiſchen liſtigẽ 
Mitteln / das Volck zu erſaigern / bewohnen / und 
zu dieſem ihrem Int ent ſchmieden fie ſond erbahre 
ungerechte und verkehrte Geſetz / Ordnungen und 
Statuten / fuͤhren boͤſe und newe Gebraͤuch ein / 
gedencken aber nicht / was beym Eſaia am 10. c. ge⸗ 
ſchrteben ſtehet: Wehe denen die ungerechte 
Geſetz machen / und das unbillig ſchreiben / 
und daß ſie die Armen im Gericht undertru⸗ 

cen / und die Elenden meines Volcks am 
Gericht mit Gewalt undertrucken / damit 

die Witwen ihr Raub / und die Weißtein 

ihre Beute werden. Der dritte heiſt Concilium 

impietatis ſive impeſtilentiæ oder der Rath der 

Gottloſigkeit und peſtilentz / und dieſer Rath wird 
von den Superintendenten oder Ketzermeiſt ern in 
thren Zuſammenkunfften gehalt en / und von der 


Be⸗ 


Hirnſchleiſſer. 33 
Befuͤrder⸗Vermehrung und auffaemmen der Ke 
tzereyen tractirt und gehandelt. Der vierte Rach 
heiſt Conſilium maliguitatis oder der Raht deß 
Affrerredens und Ehrabſchneidens / denſelben be⸗ 
ſuchen die Calumnianten und Ehrendieb, Leꝛder 
wenig Menſchen underlaſſen dieſen Rath zubeſu⸗ 
chen: Selten find man einen / der gar ein unſtraͤff⸗ 
liches Leben fuͤhrte / der nicht gern ander deut Leben 
repræhendiret / beredet / lalmeuſet und auffſticht: 
Ob ſchon der Nahe der Gottloſen gantz ubel be⸗ 
ſchaffen iſt / fo zeſtoͤret doch G Ott denſelben / dann 
er iſt der jenig / von dem Job. am 5. Capittel ſagt: 
Er machet zu nichten die Anſchlaͤg der Boͤß⸗ 
liſtigen / daß es jhre Haͤnd nicht aufführen 
moͤgen / daß ſie hatten angeſchlagen: Er fa⸗ 
het die Weiſen in ihrer Liſtigkeit / und ma⸗ 
chet zu nichte der Boͤſen Rath. 

Deſſen haben wir viel herꝛliche und ſchoͤne rem 
pel in heiliger Schrifft / und zwar erſtlich an deß 
Joſephs Bruͤdern / dern boͤſe Rach und Auſchlaͤg / 
Gott dermaſſen umbkehrte / daß an ſtatt / daß ſie 
ihne ſuchten zuverderben / fie hernach gezwungen 
wurden / ihnen als einen Fuͤrſten in Egypten zu 
verehren. Jener Hoffmann Amar hätte feinen 
Feind Mardochzum gern umbbringen laſſen 
hatte auch allber eit zu ſolchem Endt einen Galgen 
fur ihne bawen laſſen / aber GOtt ergriffe ihne in 
ſeiner Boßheit / und kehrte das Blaͤtle umb / daß 
ihm eben das jenig begegnete / was er dem Mardo- 
cha o vermeint haite, 

Die Fuͤrſten der Synagog / hielten einen Rath⸗ 
ſchlag wider den HEien Jeſum / wie ſie 1 
A 5 tila⸗ 


1 


34 Hirnſchleiffer. 
gen mochten / aber Gott fuͤgte es dahin / daß fie 
ſelbſt durch die Roͤmer vertilgt und in ihre Dienſt⸗ 
barkeit geriethen. Pharao vermeiute / er wolle ſi⸗ 
cher ſeyn / wofern er die Iſraeliter gantz auß Egy⸗ 
pten treiben oder gar vertilgen mochte / aber es ge⸗ 
rieth ihm ſolches zu feinem ſelbſt eiguẽ Verderben. 
Der ſtarcke Goliat vermeynte / es wuͤrde ihm ein 
groffe Ehr / und den Philiſtern ein gute Sicherheit 
ſeyn / wann er die Hebreer in einer abſonderlichen 
Schlacht uberwunde / aber er ſelbſt verlohr dar⸗ 
durch ſein Ehr und geben/ und brachte die Seinen 
in groſſe ungelegenheit und ſchaden. Der ſchoͤne 
Abſalon vermeynte auch das gantze Iſraelitiſche 
Koͤnigreich zuerlangen / wofern er nur ſeinen Vat⸗ 
ter David bekriegen und auß dem Weeg raumen 
mochte / aber durch eben dieſes Mittel verlohr er 
alle ſeine Guͤter zu ſampt dem Leben: Koͤnig Bal⸗ 
thafar verm eynte / die geraubte heilige Geſchir: 
auß dem Tempel wurd en feinem Pancket / welches 
er feinen Fuͤrſten hielt / ein groffe Ehr ſeyn / aber 
darauß erfolgte jhm ein groſſe Trawrigkeit / dann 
das Paucket nam ein ſehr leidiges und erbaͤrmli⸗ 
ches Endt. Hoͤre was der weiſe Mann von ſolchen 
Paacketen halt / im 21. c. ſagt er: Es i ſt kein Ver⸗ 
andt / kein Rath wider den HErꝛn. 


Hierauß erſcheint nun die Thorheit / dern Rath⸗ 
ſchlag nicht fuͤruem̃l ich auff Gott und feine Gebott 
und Willen zielen und gerichtet werde / und welche 
ſeinen Willen und Geſetz hindan ſetzen / nur damit 
jhr Will unnd Begierd feinen Fortgang gewinne. 
So gar verfuͤget er daß ſolche Rathſchlaͤg uber die 
jeni⸗ 


Hirnſchleiffer. 35 
jentgen ſelbſt außgehen / die je erſiunen und auff⸗ 
bracht haben: Alle die Suͤndẽ / welche dardurch von 
den Vnderthauen begangen werden / fallen gleiche 
fals auff ſolcher Regenten oder Rathsherꝛn Halß / 
dann weil Gott dem Moyſt befalch die Furſten deß 
Volcks gefauglich einzuziehen / und ſtranguliren 
zujaſſen / welche nichts boͤſes begangen hatte / ſo iſt 
leichtlich zuerachten / was die jenigen für ein Straff 
zugewarten haben / welche die boſe Rathſchlaͤg ſtiff⸗ 
ten / und alles Vnraths / der darauß entſtehet / ein 
Vrſach ſeynd: Dieſer Vrſachen halben warnet der 
H. Geiſt die Richter und Raͤth Pfalz. und ſpricht: 
So laſſet euch nun weiſen ihr Richter im 
Land / dienet dem HErꝛn mit Forcht / und 
frewet euch mit zittern: daß etwan der Here 
nit zuͤrne / und jhr vom rechten Weeg ver⸗ 


derbet. 


Dritter Diſcurs. 


Ferner wird uns auch in dieſer Figur vor Aus 
gen geſtelt das geiſtliche oder innerliche Reg im ent 
der Billigkeit / welche gleichſamb ein Koͤnigin und 
Regentin uberfechsPafiones oder Aumuthung en / 
nemblich die dieb / das Verlangen / die Erluͤſtigung / 
die Feindſchafft / das Fliehen und die Trawrigken: 
Die erſten drey befleiſſen ſich deß Guten / under⸗ 
werffen ſich der Billigkeit / und ſeynd ihr gehor⸗ 
ſamb: Aber die andern drey habẽ einen boͤſen Vor⸗ 
ſatz / widerſetzen fich der Billigkeit / und beflecken 
das menſchliche Leben mit vielerley kaſter. 

B 6 Wofern 


36 Hirnſchleiſſer. 

Wofern dieſe Begierligkeiten wol gebraucht 
werden / ſo ſeynd ſie ein Tugend / wofern fie aber u⸗ 
bel angelegt werden / ſo ſeynd ſie Laſter unnd 
Schwachheiten: Gut ſeynd ſie / wann ſie die Seel 
gleich ſam auff dem Rucken tragen / und in die Hoͤhe 
erheben: Boͤß ſeynd ſie aber / wann ſie die Seel ni⸗ 
dertrucken und zu Boden werffen: Gut ſeynd ſie 
woferꝛn die Staͤrck auß dem Zorn entſpringt / wo⸗ 
fern die Furcht machet / daß wir uns mit einer gu⸗ 
ten Wacht verſichern / wofern die Furcht machet / 
daß wir gern gehorſamen / wofern die Feindſchafft 
in ein Meidung der Laſtern verkehrt wird / wofern 
die Lieb machet / daß wir in der Lieb Gottes entzuͤn⸗ 
det werden / wofern die Kuͤnhett uns uber alle Bes 
truͤbnuſſen erhebet / und die Großmuͤchigteit deß 
Gemuͤchs erhelt / damit es von den Laſteru nicht u⸗ 
berwunden / und in die Dienſtbarkett gebracht wer⸗ 
de. Aber boͤß ſeynd ſie / wofern daß Widerſpiel ge⸗ 
ſchicht / dann auß jhuen entſpringt die Hoffart / 
Geilheit / Hinlaͤſſigkeit / Geldgeitz / Verbitterung / 
Blindheit und Vnwiſſenheit / die lieb deß zeitli⸗ 
chen / und die Verhaſſung deß ewigen. 

Ob ſchon etwa im Menſchen ein Gnad oder Tu⸗ 
gend verhanden war / ſo kan doch ein einige hefftige 
Paſſion oder Begierlichteit alles verderben unnd 
umbſtoſſen / dann jhre Zeen ſeynd wie eines Löwen 
Zeen / und bringen die Seelen der Menſchen umb / 
wie fchröcflich das brullen deß Loͤwen iſt / alſo iſt der 
Schrecken. So gar machet ſie den Menſchen zu ei⸗ 
nem unvernuͤnfftigen Vieh / dan ob ſchon er derſelb 
ein Menſchliche Geſtalt hat / ſo verkehren jhne doch 
die Paſſiones in ein unvernuͤnfftiges Thier und 

machet 


Hirnſchleiſſer. 37 
m achet ihne mut hwillig und unfeufch wie ein Roß 
und Mauleſel / unverſchambt wie ein Hund / bel» 
ſchleichiſch wie ein Schlang / liſtig wie ein Fuchs / 
grimmig wie eindow / forcht ſamb wie ein Haaß / uns 
be ſtendig wie ein Vogel / wild wie ein unbendiges 
Pferd / narriſch wie ein Aff / einfaltig wie ein Wie⸗ 
ſel / verſchlag en wie ein Katz / buͤffiſch wie ein Ochs / 
zornig wie ein Hund / mit worten gebiſſig wie ein 
Weſpe / affterredig wie ein Natter / ſchaͤndlich wie 
e rauberiſch wie ein Wolff / faul wie ein 

el. 
Beſchl ießlichen / w iderſetzen ſie ſich allen dreyen 
Potentiis und Kraͤfften der Seelen / und zwar erſt⸗ 
lich dem Verſtandt / den ſelben verduncklen / verfin⸗ 
ſteru und ſchwaͤchen fie d ermaſſen / daß Ela. c. 39. 
ſagt / daß ſie an der Wand dappelten wie 
die Blinden er ſihet den Himmel nicht / noch ge⸗ 
de icket an die gerechte Vrtheil Gottes nicht. Zum 
‚andern / verwunden fie den Willen dep Menſchen 
dermaſſen / daß derſelb ſetner Freyheit beraubes 
wird / dem Goͤttlichen Willen allerdings widerſtre⸗ 
bet / und ſich dem Willen der ſchnöden Luͤſten und 
Begierden gantz und gar ergibt / und ihr ewiger 
Kuecht und Schlave wird: Daher kan von derglei⸗ 
chen Leuten geſagt werden / was Herm. c. 5. ſagt: 
Du haft ſie geſchlagen / aber es hat ihnen 
nicht wehe gethan / du haſt ſie geplagt / a⸗ 
ber fie haben die Zuͤchligung nicht woͤllen 
anneminen. Drittens berauben fie der Gedaͤcht⸗ 
nuß ihre Verrichtung / verurſachen ihn ihr ein ſehr 
ſchadliche Vergeſſeuheit / fo wol aller Goͤtklichen 
B 7 Barm⸗ 


38 Hirnſchleiffer. 

Varmhertzigkeit und Gutthaten / als auch der na⸗ 
turlichen Gaben und Gnaden. Item / ein ſchaͤndt⸗ 
liche uad feindſelige Vndanckbarkeit gegen GOtt 
und den Menſchen. Item / ein Verachtung der 
Gottlichen Gebotten und Rath / wie auch deß Le⸗ 
bens / deydens / Sterbens und Schmergen Chriſti. 
Deßgleichen der vier letzten Ding / deß Toots / de 
Gerichts / der Hollen und ewigen Glory und Se⸗ 
ligkeit / deren Gedaͤchtnuß und Erinnerung dem 
Menſchen ſehr nuͤtzlich und nothwendig iſt / die 
Suͤnd zu flehen und zu meiden. 


Vierter Diſcurs. 
Beſchließlichen / wird durch dieſe Koͤnigin das 
Golt oder Gelt / und durch die Beſitzung die E fFe- 
cten und Wirkungen deß Golts bedeut. Man 
ſchreibt und ſagt viel guts von der alten und guͤldi⸗ 
nen Zeit und derſelben Gluͤckſeligkeit / und herge⸗ 
gen von der jetzigen eiſenen und bleyenen ungluͤck⸗ 
ſeligengeit / wan aber wir die Augen deß Verſtands 
recht auffthun / und den Lauff der jetzigen Welt ei⸗ 
gentlich betrachten / ſo muͤſſen wir bekennen und 
ſagen / daß anjetzo die guͤldene Zeit verhanden / (und 
wie jener ſpricht: 
Aurea nuns verè ſunt ſecula, plu rimus 
Auro, 
Venit honos,; auro conciliatur amor; 
Pecunia, 


Golt und Gelt iſt ein Koͤnigin und Regentin der 
Welt / nichts iſt guͤtiger und ehrwuͤrdiger in der 
Welt / als eben das Gel t / venditur plurimus ho- 
nos auro, die Ehr und Aempter werden erkaufft 
durchs Gelt, 


Curia 


Hirnſchleiffer. 39 
Curia panperibus clauſa eſt, dat cenſus honores 

Inde grau Iudex inde ſeuerus eques : 
ſprach Iugurcha, als woite er ſagen: Den Arm en 
ſchlagt man zu Hof die Thuͤr vor der Naſen zu / wer 
zu Hof Gelt hat / deruberkompt / bald ein Ampt. 

Nichts iſt machtiger als eben das Bolt: es 
durchtringet und erobert alles: Ferro nocentius 
aurum, viel ſchadlicher iſt es / denn das Eiſen / dan 
durchs Eiſen werden nur die Leiber beſchadigt / ge 
ber durchs Golt werden die Seelen gelodt. 

Von wegen deß Gelts wird verzachen der 
Glaub / die Religion / die Keuſchheit / die Tugendt / 
die nahe Freundſchafft / die Reputation / die Ehr / 
das Vatterland und alle Goͤttliche und menſchliche 
Rechte werden umb deß Gelds willen undertruckt 
und mit Fuͤſſen getretten. Wie die Voͤgel mit dem 
Strick gefangen werden / alſo die Menſchen durchs 
Gold. Wann das Golt und die Herin deauricuna 
und terra rubea und Rubrickpfennig an fahen zu res 
den / ſo wird alle Wolredenheit faul und ſtill / dann 
es überredet / nnangeſehen es fich mulder Stimm 
niet hören laͤſt. 

Ipſelicet Denia Mu ſis comitatus, Homere, 

Si nihilattuleris, ibis, Homere fo ras. 

Munera crede mihi,placant homineſq; Deoſq; 

Placatur donis Iupiter ipſe datis. 


Was die Roͤnigin deß Geldts 
vor Beyfitzerin hat. 


Der Koͤnigin Beyſitzerin deß Geldts heiſt Su⸗ 
perbia oder Hoffart / von dern geſchrieben ſteht do- 


mus, 


40 Hirnſchleiffer. 
mus, quæ nimis eſt locuples, annullabitur Sa- 
perbia. Dann das Gut machet Muth / Muth mas 
chet Vbermuth / Vbermuth machet Armuth / Ar⸗ 
muth wehe thut. Die ander heiſt Invidia, dann 
deß Abrahams und Loths Hirten neideten und zan⸗ 
cketen immerdar miteinander / dan ihre Reichthum̃ 
waren zu groß / und konten nicht beyſamẽ wohnen. 
Die dritte heiſt Audacia oder Vermeſſenheit und 
Vnverſchampheit / von dern ſagt Abdias: Super- 
bia cor dis tus te extulit daun die Reichthumb ma⸗ 
chen / daß die Kramer unverſchampter weiß nach 
dem Geſchlecht / die Schreiber nach dem Adel / der 
Adel nach dem Freyherrn Standt trachten. Die 
vierte heiſt Faulheit / dann die Reichen thun je 
nichts anders als faulentzen / im Loderbeth ligen 
uud gleichſam im Geſtanck der Wolluſten verfau⸗ 
len. Die fuͤuffte heiſt Intemperantia, oder Bnmaͤſ⸗ 
ſihkeit oder der Fraß. Die ſechſte heiſt Luxuria, 
oder Geilheit. Die ſiebende heiſt un vorſaͤttigkeit / 
a mor habend: ſpricht er) eſt immenſa habendi li- 
bido, fen ſimulachrum divit iarum infia fta & in- 
fatiabilss tames : E ffodiuntur opes irritamenta 
malotum f God / Silber und Edelgeſtein ziehen 
alles boͤſes nach ſich / und werden auß der Tieffe der 
Erden gegraben: es gehen die Menſchen in die al⸗ 
lerttefffte Fiaſternuſſen / fie leben ohne Gott / ſie bes 
rauben ſich der Sonnen / ſuchen gute Gel egenheit 
under der Erden / und verlaſſen die Freud deß 
Rechts / aber unverſehens fallt alles ein und ſie 
werden lebendig darunder begraben. 

Der Getz iſt nichts anders / als ein unordentliche 
Degierd uand Augſthaffeiges Verlaugen / un⸗ 
zeit⸗ 


Hirnſchleiſſer. 41 
zeitlichen Schaͤtzen und Reichthumben / und ein un⸗ 
erſaͤttliche Begterd der Augen. Wie das Aug nicht 
erſaͤttigt wird durchs ſehen / alſo iſt die Begierd der 
Reichthumben unerſaͤttlich. Der Goltgeitzige Koͤ⸗ 
nig Mydas wuͤnſchte unnd begehrte von den Goͤt⸗ 
tern / das alles / was er anrührte / mochte in Golt 
verkehrt werden: Sein begehren ward erhoͤrt / ja 
fo gar dte Speiſen / welche er deruͤhrte / wurden in 
Golt verandert / derwegen muſt er letztlichen deß 
Hungers ſterben: Eben em ſolcher My das iſt auch 
ein Reicher Geitzhalß / welcher fein Getraͤidt / fein 
Wein und Oel⸗Gewaͤchs / ſein Viech / Laͤmmer / 
Kaͤlber / Schaf / Ochſen / ac. vertauffet / zu Gelt ma⸗ 
chet / und darneben ſelbſt Hunger und Noth leidet. 
H alton ein Tartariſcher Koͤnig belaͤgerte und ers 
oberte die Statt Baldon und lieſſi den darin woh⸗ 
nenden Cali fum fahen / und alle deſſelben Schatz 
und Reichthumb vor ihn bringe / und ſprach zu ihm 
warum haſt du dieſen ſo groſſen und unendlichen 
Schatz nicht zum Kriegsweſen und Verthaͤdigung 
deines Landts gebraucht? der Califus antwortet- 
Ich hab vermeyntich wäre mächtig gnug / und nie⸗ 
mand werde mich uͤberwind en koͤnnẽ: Aber RKalton 
ſprach:weil du dann dich ſelbſt fuͤr weiſe und maͤch⸗ 
tig gehalten / ſo wil ich dir ein Ort und ſoſche Speis 
fen fuͤrſetzen laſſen / welche auff dein Majeſtaͤt und 
Herꝛlichkett gehoͤren / nemblich Golt / Silber und 
koͤſtliche Geſtein / die da ſo fleillig verwahrt haft: 
Folgendts ließ er ihne in einen ſtarcken und veſten 
Thurn verſperꝛen / der war umbgeben mit allen ſei⸗ 
ven Schaͤtzen und Reichthumben / deß wegen muſte 
er deß Hungers ſterben. Die achte ee heiſt 
goͤt⸗ 


42 Hirnſchleiſſer. 

Abgötterey dan die reiche Geitzhalß ſeyndt nicht 
Beſitzer ihrer Guͤter / ſondern ſeynd ihre Sclaven 
und leibeigne Knecht / und fie gieſſẽ auß ihrem Gelt 
und Gut einen Abgott / denſelben verehren fie und 
betten jhne an. Derwegen ſagt der HEr zu ihnen 
durch den Eſaiam am 65 cap. Wehe euch / die 
jhr dem Gluͤck einen Tiſch richtet und das 
Tranckopffer darauff opfſert / ich wil euch 
zum Schwerdt zehlen. 

Die alte Heyden pflegten zur Zeit deß Wol⸗ 
ſtandts auff einen Tiſch außbuͤndige Speiſen zu ſe⸗ 
tzen / und mit Roſen und Blumen zu zieren / recen 
ter und ſtarck zu trincken / und dem Gluͤck ein Opf⸗ 
fer zu halten / in hoffnung / es würde jhnẽ daß Gluͤck 
hinfuͤran deſto guͤaſtiger ſeyn / und fie mit Reich⸗ 
thuinben verſehen / Aber wehe euch Reiche l ſpricht 
der HErꝛ) die jhr die Neichthumb für ein Göttin 
verehrt / und keinen andern Gott habt / als eben das 
Golt: da ihr doch uur armſelige Schlaven deſſelben 
ſeydt: es wird euch auch vor dem ſcharffen Schwerd 
meiner Gerechtigkeit nicht beſchuͤtzen. Die neundte 
heiſt Crudelitas oder Vubarmhertzigkeit / dan ob 
ſchon die Reichen vom Schweiß und Blut der Ar⸗ 
men wolluſtiglich leben / ſo ſeynd fie doch gege den⸗ 
ſelbigen viel zu hart / geſtreng und un barmhertzig: 
Recht und woll jagt dervegen Michæas am 7. cap. 
Der beſt under ihnen iſt wie ein Dorn / und 
der auffrichtiaſte wie ein dornichte Hecke: 
wie der Dorn am Mantel hangen bleibt / alſo hänge 
ſich der Reich an den Armen / damit er ihn erſeigern 

und 


| 
| Hirnſchleifſer. 43 
und außſaugen möge. Wer durch ein Dornhecker 
ehet / der muß ein Theil deß Kleidts an de Doͤrnern 
gen laſſen: Will ein Schaf hindurch / ſo muß 
8 die Woll dahinden laſſen / Alſo ſeynd die geitzige 
Menſchen gleichſamb Hecken und dornicht e Zaͤun / 
dan es laͤſt ſich anſehen / als haben ſie einen deimb in 
den Haͤnden: Gefährlich ſeyndt die Reichthumb / 
und ſelten iſt einer unbefleckt under ihnen / daher 
werden fie ſelten und ſchwerlich ſelig. Die Zehendk 
heiſt Mendaciumoderłuùͤgen / dan von den geitzigen 
Kramern oder Kauffleuten / welche reich werden / 
tehet geſchrieben. Hierem. am 9. Cap · Sie ha⸗ 
ben Ihre Zungen wie ein Luͤgenbogen ge 
ſpannet / und nit wie ein Warheit sbogen. 
Dermaſſen gewehnen fie jhre Zungen zum liegen / 
aß ſie kein wahres Wort rede koͤnnen fo gar ſchwe⸗ 
en fie bey Haut und Bein / bey Gott und allen ſei⸗ 
zen Heiligen / das ſie ihre Waaren fo und fo theur 
rfaufft haben / und daß fie es umb Fein? Heller we⸗ 
iger geben koͤnnen / und daß fie ihren Schaden 
hun / da doch alles erſtuncken und erlo gen iſt. Die 
ilffte heiſt Miferia oder Armſeligkeit / dan damit die 
Nauffleut reich werden moͤgen / ſo ſchetzen und ach⸗ 
en fie kein Gefahr / under einen ſchweren Buͤrd fuͤh⸗ 
en fie ein armſeliges Leben / ſie reiſen / lauffen / gehn 
ind ſchiffen von einem Jahrmarck zum andern / 
urchſtreiffen alle Land / und uberfahren alle Meer 
ß in Jadiẽ / nit hochſter Gefahr deibs und debens. 
Mancher ſitzet zu Hoff / ſorget / dichtet und trach⸗ 
et bey Tag bey nacht / wie er reich werden moͤchte 
ind ob er ſchon reich worden / und letztlich ermahnt 
g wird 


44 Hirnſchleiffer. 
wird / er foll ſich dermaln einſten von Hof hinweg 
und auff ſeiue Guͤter zur Ruhe begeben / und dem 
Heil ſeiner Seelen abwarten / ſo wil er doch nicht / 
ſondern verbleibt / und trachtet noch tmmerdar nach 
mehrerm / biß er etwa in ein Vngluͤck faͤllt / ſich zu 
todt Kuͤmmert / ſtirbt / und an der Seelen verdirbt: 
O groſſe Blindheit der Kinder Adams? welche in 
dem Elend dieſer verfluchten Welt nicht allein viel 
Muͤhe und Arbeit haben / onder auch ſich in ſolchet 
ihrer Muͤhſeligkeiten frewen und drinn erluͤſtigen. 
Die zwoͤlffte Beyſitzerin heit Sculcitia oder Tyor: 
heit: dann was kan naͤrriſcher feyn / als wann ein 
reicher Geitzhalß ſein Seel in die Verdamnuß ſetzet 
von eines andern wegenꝰes heiſt aber: cum fueris 
fœlix, ſemper tibi proximus eſto: das iſt / wann di 
reich biſt worden / ſo thu dir ſelbſt etwas guts. 
Das Widerſpiel thun etliche / welche / damit fir 
ihre Kinder bereichern moͤgen / ſo freſſen ſie uͤbel, 
trincken uͤbel / und koͤnnen nicht ſchlaffen / und ver 
zeh ren ſich ſelbſt. Sie habe nicht allein das taͤgliche 
Fieber / ſondern habens ſtuͤndlich / alle Nacht / allt 
Augenblick: alle Feyertaͤg wuchern / ſchinden / ſcha 
ben und fündigen fie von ihrer Kinder wegen: Die 
ſes tägliche immermehrende Fieber richtet der 
Menſchen bald hin / dann es nimbt ihm die Vrſack 
deß gutendebens / nemblich die Speiß / den Schlaf, 
die Ruhe: dan von wegen der kieb feiner Kinder, 
darff er nicht eſſen / Von dieſer Sorgfaͤltigkeit red 
der Eecl. c. 18. Ein boͤß geitzig Aug darff ſick 
nicht ſatt eſſen / leydet Mangel an Speiß 
und iſt trawrig uber feinen Tiſch. Im ander 
Capitte 


Hirnſchleiffer. 


er koͤnne von ihrentwegen nit 


Capittel ſagt e 
ſchlaffen. Dann alle feine lebtag ſeind voll 
ſchmertzens mit Leid vnd Vnmuth / daß 
auch ſein Hertz deß nachts nicht ruhet. Kein 
Ruhe hat er auch von wegen ſeiner Kinder / 
Dann von wegen der Sorg kan er nieht 


Wer derwegen weiſe iſt / der ſey ihm ſelbſt der 
nechſte / wer ſich in einem reichen glücklichen Wol⸗ 
ſtandt befindet / der verhalte ſich dermaſſen gegen 
ſeinen Kindern / Freunden vnd Nechſten / daß ſie 
feiner genieſſen / er ſelbſt aber dadurch nicht ver⸗ 
kuͤrtzt vnd verdampt werde / ſonder damit er ſelig 
werden vnd die irꝛdiſche Reichthumb gegen 
den Hüpmliſchen vertauſchen 


moͤge. 


2; (0 88 


5 


Hirnſchleiffer. 
Walden upt. 


» Je weit der Simmel den kufft und das 
Meer den Erdboden ü bertrifft / al fo weit uͤ⸗ 
bertrifft das Haupt oder der Kopff deß Menſchen 
alle andere Glieder def deibs. Recht und wol wird 
derwegen das Wort inéffabilis oder unaußſprech⸗ 
lich / vornan die Stirn deß Haupts geſetzt / und 
dardurch zu verſteh en gegeben / daß die gute unnd 
gleicheſproportion / Formb und Ordnung / mit dern 
Gott das Haupt und alle andere Theil deß Ange⸗ 
ſichts erſchaffen / unaußſprechlich iſt. 
Das erſte / welches an deß Menſchen Kopff zu 
betrachten fuͤrfaͤllt / ſeynd die Haar: REN das 
uge⸗ 


Hirnſchleiſſer. 47 
Angeſicht heßlich und unannemblich ſeyn wuͤrde. 
woferꝛn es gar kein Haar haͤtte / wie die Zweig und 
Blätter den Baum zieren / und mit ihren © chate 
ten den Menſchen bedecken / und vor der groſſen 
Hitz koͤnnen beſchuͤtzen: Alſo ſeynd die Ha ar ein 
Tach deß Baws deß gantzen menſchlich en deibs: Sie 
umbgeben und beſchuͤtzen auch das Hirn / un dv er⸗ 
zehren die Feuchtigkeiten / auß denen die Haar auff 
dem Kopff wachſen und erzeucht werden: alfı / daß 
fie gleichſamb ein Purgatton und Reinigung deß 
Haups ſeynd / ſie ſeynd auch gleichſamb ein Deck 
wider die Hitz und Kalte. 

Fermer / wann im Alter die Haar graw oder 
weiß werden / alsdann erenneren ſte die Menſchen 
zweyer Ding / erſtlich / daß ſte hinab zum Grab und 
zum Todt zilen / derowegen ſollen ſie ſich bey Zeit bes 
reiten /und gebencken daß fie nimm er jung ſeyen / 
ſoygern bald ſterben muͤſſen / Daher ermahnet der 
wen Mann / am 1. cap. die junge Leut / und ſagt: 
fie ſollen an GOtt gedencken / ehe nud bevor der 
Mandelbaum bluͤh et. Ein alten greißgrawen Man 
vergleichet er einem bluͤhenden Baum / von wegen 
der weiſſen Geſtalt ſeiner Blumen / dan wann der 
Menſch dieſer geſtalt bluͤhet / alodann ermahnen 
ihn feine Blumen / daß der Baum feines $eibe all⸗ 
bereit außgedorat iſt / und feine natürliche Kraͤffte 
verloren habe / da doch ſonſten die Blumen an den 
Baͤumen ein Zeugnuß ber Kraͤfften ſeyndt / welche 
noch in ihnen vorhanden. 

Armſelig ſeynd derowegen wir / wan wir EOM 
nicht loben / ehren und dienen in unſer Jugẽ d / oder 
auffs wenigſt im Alter / zumaln weil wir nicht ſo 
lang / 


43 Hirnſchleiſſer. 

lana / als die Baͤum leben noch wehren / noch auch 
vns alle Jahr / wie die Baͤum vernewern / dann ab 
ſchon dieſelbige das anfehen haben / als ſterben vnd 
verderben fie im Winter / ſo grunen / bluͤhen vnd 
wachſen ſie doch widerumb im Fruͤling vnd Som⸗ 
mer / als wurden ſie wider jung: Das haben aber 
wir Menſchen in dieſer Welt nicht zuge warten / 
dann tu derſelben blühen wir nit wie die Baum im 
Sommer / ſondern wir verdorren im Winter ons 
ſers Alters. 

Beſchließlichen mahnen vns die grawe oder 
greiſe Haar an die Sitten / die vns geziemen / vnd 
die dem Alter gebuͤhren vnd woll anſtehen / vnd vn⸗ 
ſer Alter ehrwuͤrdig machen / Dann der weiſe 
Mann ſpricht in ſeinen Spruͤchen cap. 20. 
Der Alten grawe Haar iſt der Alten 
Schmuck. Vnd gas ſeynd eben die jenige Alten / 
von denen der Her: Levit. o 19 ſagt: Vor einem 
grawen Haupt ſoltu auffſtehn / vnd die Pers 
ſon deß Alten ehren. 

Voralten Zeiten pflegten die Kriegsleut lange 
Haar zu tragen: Die alte Francken hielten die abge⸗ 
ſchnittene Haar für ein Zeichen der Vnderthaͤnig⸗ 
keit oder Dienſtbarkeit vnd Leibeigenſchafft / aber 
die lange Haar an den Fuͤrſten waren ein Zeichen 
der Heriligkeit und Heriſchung Von Jugend auff 
ziegleten fie lange Haar / die ihnen hinden biß auff 
die Achßleu hiengen / aber zu beyden ſeyten wuͤrden 
fie gekraͤuſelt / gepufft / geſalbt / und mit lieblichen 
Geruch gezieret / wie zu ſehen iſt in den alten mo⸗ 
nüencis, und ſonderlich in der Kirche zu Pariß. Di 

Königin Crorildis hatte zween Königliche 50 Vz 
DS 


Hirnſchleiffer. 49 


Nahmens Childebertus vnd Clotarius, die waren 
ihr gleichwol ſehr lieb / aber noch lieber hatte ſie ih⸗ 
res verſtorbenen Sohns Clodemiri zween Soͤhn / 
vnd befliſſe ſich dieſelbe zu der Cron zubringen / vnd 
hergegen die vorgemelte zween außzuſchlieſſen: Zu 
ſolchem End aber zieg lete ſte ihnen mit allem Fleiß 
lange Haar Als ſolches Childebertus vnd Clota- 
rius mercken / ſchickten ſie einen Geſandten zu ihr / 
vnd lieſſen ihr ein bloſſes Schwerdt vnd ein Scheer 
zeigen / vnd darneben entbieten / fie ſolle entweder 
mit der Scheer oder dem Schwerd die Haar ihrer 
jungen Vettern abſchneiden laſſen / daruͤber erzuͤr⸗ 
net fie ſich dermaſſen / daß fie ſagte: weil fie zum 
Reich nit kommen ſollen / ſo wil ich fie viel lieber 
todt / denn beſchoren ſehen. Darauff wuͤrden als⸗ 
bald beide junge Knaben vor ihren Augen ent⸗ 
hauptet. 
Den Weibern ſtehen die lange Haar wol vnd 
zierlich an / vnd ihre Art vnd Eigenſchafft iſt / daß 
fie ſich ſtrelen / kaͤmmen vnd ſchmuͤcken / damit fie für 
ſchoͤn gehalten werden / Aber den Männern iſts ein 
Schandt / dann content vnd zu frieden ſollen ſie 
ſeyn mit ihrer natürlichen Geſtalt vnd Schoͤnheit 
vnd ihr fuͤrnembſte Zierd ſoll in der Weißheit / Fuͤr⸗ 
ſichtigkeit vnd Rath beſtehen / dann forma viros 
neglecta decet, noch übler ſtehets ihnen an / wann 
ſie ihre Haar kraͤußlen / puͤffen vnd ſchmuͤcken / vnd 
ihre Haͤnd mit Armbaͤnder zieren wie die Weiber / 
inmaſſen etliche He liogabali, Sardanapali, Nero- 
nes gethan / ſich allerdings in Weiber zuverkehren 
vnder ſtehen / ihre grawe Haar faͤrben / ihre Baͤrth 
beſcheren / außruͤpffen / er Angeſichter vnd ar 
ale 


so Hirnſchleiffer. 


ſalben / anſtreichen / vnd ſich immerdar mit dem 
Spiegel berathſchlagen / vnd wie die Weiber auff⸗ 
ziehen. 


Von der Stirn. 


Das ander / welches den Menſchen zieret / iſt die 

Stirn / zumaln wan ſie hoch / breit vñ glatt iſt / ein 
ſolche Stirn iſt ein Anzeig eines guthen hohen Ver⸗ 
ſtandts vnd ſanfftmuͤtigen Geiſts Item / iſt geſchaͤ⸗ 
mig Die dritte Zierd deß Haupts ſeynd die Augen: 
Gott hat nichts ſchoͤners / noch wunderlichers am 
Himmel erſchaffẽ als eben die Sonn vnd den Mon / 
am Menſchẽ aber nichts fehöners noch wunderbar⸗ 
lichers / als eben die Augen / die ſeynd gl eichſamb ein 
Schildwacht / Begleiter vn d Fuhrer deß gantz Lie 
bes / ſie ſeynd Fenſter vnd Inſtrumenc zu der Erkant⸗ 
nuß Gottes zugelangen vnd ſeine Werck am Him⸗ 
mel / auff Erden vnd im W aſſer zubetrachten vnd 
allerhandt Weißheiten / Sctentzen vnd Wiſſen⸗ 
ſchafften zuvergreiffen: Wie das Liecht ein fehr wũ⸗ 
derbarliches Werd Gottes iſt / dann es zeig et vnd 
endecket vns den meiſten Theil vnd Schönheit 
der Natur / alſo hat Gott das Siecht der Augen im 
Menſchen erſchaffen / damit er lernen vnd ergreiffen 
moͤge / vnd ſein Verſtandt in der Erkandtnuß der 
Goͤttlichen Dingen erleuchtet werde. 

Wol zumercken iſt auch das Ort / wo Gott die 
Augen hingeſetzt hat / nemblich oben an den hoͤch⸗ 
ſten Theil deß gantzen deibs / als auff den hoͤchſten 
Thurn / vnd wie Gott die Sonn / den Mohn vnd alle 


andere diechter oben in den Himmel vnd de hoͤchſten 
Thei⸗ 


Hirnſchleiffer. sı 
Theilen der groffen Welt verordnet vñ geſetzt hat / 
alſo hat er gewoͤlt / daß die Augen an dem hoͤchſten 
Theil deß menſchlichen keibs ſtehen / vnd das jenige 
verzichten vnd wircken ſolten im Menſchen was die 
Sonn vnd der Mohn verzichten in der Welt. Wie 
nun fie an den allerhoͤchſten Orth ſtehen / alſo wer⸗ 
denkwir dardurch erinnert / wohin / vñ zu was fuͤr ei 
nem Ort ſie fuͤrnemblich ſehen vnd ſchawen ſollen / 
nemblich gen Himmel auff Gott / inmaſſen David 
gethan / als er ſagte im 122. Pſalm: Ich hab mei⸗ 
ne Augen auffg ehebt zu dir / der du im Him⸗ 
mel ſitzeſt. Die Augen ſeynd gleichſamb ein ka⸗ 
tern oder Fackel deß gantzen Leibs / vnd haͤtten kein 
bequemers Ort haben fönnen / als eben wo GOtt 
ſie hin verordnet hat. 

Ferꝛner ſeyndt der Augẽ zwey / vnangeſehen eins 
gnug wäre zum ſehen: Hierdurch aber wer den wir 
erinnert / daß wir vnderſchiedlicher weiſer deut Rath 
ſuchen vnd brauchen ſollen / dann zwey Augen ſehen 
beſſer / dann eins Daß auch dan eine Aug Lnck / vnd 
das ander Rechts iſt / bedeut daß wir daß rechte 
Aug / das iſt / das Aug des Gemuͤths / nicht allein 
verwenden ſollen zum Gluͤck vnd Wolſtand / ſon⸗ 
dern auch zur lincken der Widerwerdigkeit. 

Beſchließlichen / daß die Augen mit vielen Haͤut⸗ 
lein vberzogen ſeynd /bedeut / daß man fie mit groſ⸗ 
fen Fleiß bewahren ſolle / dann den Todt gehet gar 
leichtlich durch dieſe zwey Fenſter hinein / wie zuſe⸗ 
hen iſt an dem David / welcher durchs vnbehutſame 
anſchauwen eines Weibs den Ehebruch vnd Tod⸗ 


ſchlag begangen. i 
C 2 Von 


12 Hirnſchleiffer. 
Von den Ohren. 


Wie nun die Augen die erſte Fuͤhrer ſeynd / wel⸗ 
che Gott einem jeden Menſchen gegeben hat / vnd 
wie auch ſie die Aurhores vnd Erfinder ſeynd ſchier 
aller Kuͤnſten / Wiſſenſchafften vnd Erkantnuſſen 
aller Dingen / alſo ſeynd die Ohren ſehr bequem / ein⸗ 
ander die Scientzen vnd wiſſenſchafften zu commu⸗ 
niciren vnd mitzutheilen / vnd die kehr vnd Weißhei⸗ 
ten zuergreiffen. 

Sie ſeynd auch ein Zierd deß Haups / Dann 
wann man einem Vbelthaͤter ein groſſe Schand 
will anthun ſo laͤſt man jhm die Ohren abſchneiden: 
Nit weniger bedecken / verwahren vnd verſichern ſie 
auch das Hirn / welches nahe bey den Ohren ligt) 
damit es nit verwundt / oder leichtlich zerbrochen 
werde: Fermer / wie die Augen vber das liecht vnd 
von den Farben vrtheilen / vnd dardurch dem Men⸗ 
ſchen einen groſſen Nutz vnd Luft geben / alſo vrthei⸗ 
len die Ohren vber den Klang vnd Thon der Stim⸗ 
men / Harmoneyen vnd Melodeyen / vnd dardurch 
empfahet der Menſch einen Luſt vnd Nutz 

Der furnembſte Nutz aber / welchen die Ohren 
dem Menſchen bringen / geſchicht durch die Wort / 
vermittelt derſelben communiciren fie einander jh⸗ 
re Concepten / Gedancken vnd Rathſchlaͤg / dann 
ohne dieſelbige wuͤrde das gantze menſchliche Leben 
nit allein blind / ſondern auch ſtumm vnd vnvoll⸗ 
kommen ſeyn / ſampt haͤtte der Menſch weder Zun⸗ 
gen noch Mund noch wort: weil auch der Menſch 
der Schr vnd Vnderweiſung bevcrff/ fo iſt kein ein⸗ 
iger anderer leiblicher Sinn tauglicher darzu / hd 

eben 


Hirnſchleiffer 3 


eben die Augen vnd das Gehoͤr / oͤann ſie legen das 
erſte Fundament der Lehr. 

Nicht ohne iſts / daß das Geſicht die Ohren oder 
daß Gehoͤr in vielen Dingen vbertrifft / aber doch 
hat ein lebendige Stim̃ ein ſonderbare / verborgene 
raͤfftige energiam vnd Nachtruck: ja fo gar fi- 
des ex auditu, der Glaub entſpringt auß dem Ge⸗ 
hoͤr / dann das Gehör iſt das jenig / darauß das Le⸗ 
ben der Seelen ſeinen Anfang nimbt / vnd von dan⸗ 
nen nahet ſich die himliſche Schr zu der Seelen: die⸗ 
fer Vrſachen halben befleiſſet fich der Teuffel zum 
hoͤchſten das Gehör zuverſtoffen / vnd den Men⸗ 

ſchen taub ze machen / wie zuſehen iſt an de Iſraeli⸗ 
tern / von denen Zach c. zmeldet: Sie aber wol⸗ 
tensnicht mercken / ſondern kehrten den 
Rucken vnd wi ben ab / vnd beſchwerten 
ihre Ohren / daß ſie es nicht hören muſten. 
Fuͤrnemblich vnd inſonderheit aber bemuͤhet ſich 
der Teuffel / daß die Warheit nicht gehoͤrt / ſondern 
verfolgt werde / wie zuſehen iſt an dem Propheten 
M chea, derſelb ward von wegen der Warheit mau⸗ 
lirt oder mit Backenſtreichen vbel tractirt. Item / 
der Tauffer loannes ward eben deßwegen geröffpt/ 
Ieremias ward befengnuſt vnd Elaias vom Hero- 
de. Viel andern Heiligen iſts eben alſo ergangen / 
vnd iſt noch heutiges Tags die Warheit den Ohren 
vnannem̃blich vnd feindſelig. Wie die jenigen / wel⸗ 
che nahe bey dem Port Toroneo in Thracia woh⸗ 
nen / taub vnd gehoͤrloß ſeyn / von wegen deß groſſẽ 
rauſchens vñ getuͤmmels deß Waſſers / welches da⸗ 
ſelbſt auß den hohen Steinfelſen hinab ins Thal 
C 3 fällt 


14 Hirnſchleiffer. 
falt alfo ſeynd die Paſſiones, Begierlichkeiten / Ver⸗ 

langen / Sorgen / Haͤn del vnd Geſchaͤfft ein Vr⸗ 
ſach / daß man die Goͤttliche Eingebungen vnd Er⸗ 
mahnungen der Prediger nicht hoͤret / vnd die 
Warheit verfolgt. 

Sonſten wird durch die zwey Ohren die offen 
ſtehen / vnd deß einigen Munds zuſeyn / bedeut / daß 
wir viel ſchneller vnd geſchwinder ſeyn ſollen zũ hoͤ⸗ 
ren / dann zum reden. Daß auch die Ohren am Men⸗ 
ſchen kleiner ſeynd / dan die Ohren amEſel / bedeut / 
daß wir fie nicht einem Klapffer vnd Schwetzer ley⸗ 
hen ſollen Beſchließlichen / daß vnſere Ohren nicht 
hangen wie der Haſen Ohren / bedeut / daß wir nicht 
allein gern von jrꝛdiſchen / ſondern auch von Goͤr⸗ 
lichen Dingen ſollen re den hoͤren. 


Von der Naſen. 


Ein wol proportionierte Naſe iſt auch eine vuͤder 
den fuͤrnembſten Zierden deß Haupts vnd Ange— 
ſichts / hergegen iſt kein Glied / welches das Ange⸗ 
ſicht vnd Haupt mehrers verſtellet vnd ſchaͤndet / 
als ebẽ ein heßliche vngeformbte oder abgeſchnitte⸗ 
ne Naſe: Von einer gar groſſen Naſen ſagt jener: 

Si ſoli apponas naſum, deinde ore dehiſcus, 

Oſtendes horas non malè prateritas: 
Ein lange Naſe iſt gleichſamb ein Zeiger an der 
Sonnen⸗Vhr / vnd die Ober⸗Reyhe der Zeenen 
ſeynd die Zahl einer Sonnen⸗Vhr. Ammianus 
redet von einer groſſen Naſen / vnd ſagt: 

Hau manibus Proclus potis eſt emungere 

naſum. 


Zu 


Hirnſchleiffer. 75 


Zu dem iſt fie dem gantzen deib ſehr dienſtlich / vnd 
fo nderlich dem Hirn / dann fie iſt gleich ſamb ein 
Rinne oder Gang / dardurch die Phlegmara vnd 
Choleriſche Humorn vnd Feuchtigkeiten deß Hirns 
hauffenweiß rinnen. 

Ferner iſt der Geruch einer Naſen ſehr noth⸗ 
wendig / die gute Speiſen von den boͤſen ſchier eben 
ſo wol zuvnderſcheiden / als der Geſmacken deß 
Munds: Item / durch die Naſen werden die ſpini— 
tusanimales, als durch wolrie chende heylſame 
Salben oder koͤſtl iche Waſſer geſtaͤrckt vnd erquickt. 
Wie auch das Hirn den Lufft bedarfft / zu onderhal⸗ 
tung vnd erzeugung der fpirituum animalium » 
alfo dienet jhm auch diß fals die Naſe nicht allein 
mit dem Geruch / ſonder auch mit der ceſpiration 
vnd Erholung deß Athems durch die Naſe. 


Vom Mund. 


Deß Menſchen Mund lehret vns drey Ding: 
Erſtlich / daß er nur allein iſt / da doch der Augen 
vnd Ohren zwey ſeynd / bedeut / daß wir im Reden 
ein groſſe Maͤſſigkeit halten follen / dann Prov. am 
7. leſen wir: Wer feine Leffzen maͤſſiget / der 
iſt weiſe. Zum andern / daß jhn die groͤſſe deß 
$eibs vbertrifft / bedeut / daß man im eſſen vnd trin⸗ 
cken ein Maͤſſigkeit halten ſoll. Drittens / daß der 
Mundt ſich nicht abwerts zu der Erden neiget / be⸗ 
deut / daß wir nicht allein fuͤr die jrꝛdiſche Speiß / 
ſondern auch fuͤr die Geiſtliche ſorgen ſollen: Alle 
andere Thier laſſen jhre Meuler vnderſich zur Er⸗ 
den vnd Weid hangen / allein den Menſchen hat 
C 4 Gott 


76 Hirnſchleiffer. 
Gott auffwerts gen Himmel erhebt. Wir woͤllen 
aberet was weiter gehen / vnd ſehen / was ſonſten 
durch das Wort ine ffabilis an der Stirn deß Haups 
fer mer bedeut werde. 


Anderer Diſcurs. 


Vom Vort ine ffabilis, welches vornen 
an der Stirn ſteht. 


Mit groſſem Fleiß zierte GOtt im alten Teſta⸗ 
ment deß Hohenprieſters Kleid mit allerley Gloͤck⸗ 
lein vnd Granataͤpffeln: aber deß Hohenprieſters 
Haupt ließ er noch viel ſtaͤtlicher zieren / vnd zwar 
mit ſeinem eiginen Nahmen / nemblich ineffabilis, 
das iſt / vnaußſprechlich: Der Ehrw. Beda ſagt / es 
ſey leiner andern Vrſachen halben geſchehen / als 
weil GOttes Macht vnd Weißheit alles vbertrifft / 
alſo ſey es billich / daß fein Nahm dan das allerhoͤch⸗ 
ſte Ort geſetzt werde. Hieronymus bringt ein ande⸗ 
re Vrſach herfuͤr vnd ſagt: Dieſer Nahm ineffabi- 
lis, ſey darumb oben an die Stirn deß Haupts def 
Hohenprieſters geſetzt worden / vt totamPontificis 
pulchritudinem Dei vocabulum coronet & 
protegat: Damit der Rahme deß HeErꝛn die gantze 
Schönheit deß Hohenprieſters zieren vnd beſchuͤtz⸗ 
en ſolte. 

Origenes aber redet noch anders darvon vnnd 
ſagt: quia ıpfe eſt caput omnium, ideo iſte or- 
natus capiti fupponitur: Wie Gott ein Haupt 
aller Dingen iſt / alſo will er / daß ſein Nahm oben 
an dem Haupt ſtehe / damit der Hoheprieſter h, 

ol / 


Hirnſchleiffer. 77 


ſoll / daß ob er ſchon das Haupt der Kirchen iſt / ſo ſey 
doch noch ein anders Haupt ober ihne. Philo lu- 
dæus, ſetzet auch ein andere Vrſach / vnd ſagt / die 
Thorheit / Eitelteit vnd Schwachheit deß menſchli⸗ 
chen Haupts ſey dermaſſen groß / daß GOtt für ein 
Nottuͤrfft gehalten / daß der Kopff deß Menſchen bes 
feſtigt vnd durch ſeinen eignen Nahmen erhalten 
wuͤrde: Koͤnig David erllaͤret uns gleichfals die Vr⸗ 
ſach / welche GOtt bewoͤgt hat / ſeinen Rahmen obẽ 
an deß Menſchen Haupt zu ſetzen / vnd ſpricht:scit 
Dominus cogitationes hominis, quoniam va- 
næ ſunt, das iſt: Gott weiß / daß der Menſchen Ge⸗ 
dancken eitel / ohne Fundament vnd Beſtandt ſeynd / 
Dann was koͤndte eitler ſeyn / als eben deß Cherebi 
Eitelkeit / der kondte kaum fuͤnff zehlẽ / vnd dannoch 
ſetzte er ſich nider an das Vfer deß Meers / vnd wolte 
die vngeſtuͤmme Wellen abzehlen.? Was haͤtte naͤr⸗ 
riſcher ſeyn koͤnnen / als daß die Voͤlcker ſich vnder⸗ 
ſtundẽ mit allerhand Woͤhr vnd Waffen den Nord⸗ 
wind zubekriegen / keiner andern Vr ſachen halben / 
als weil derſelb ihrem Lande groſſe Schaden zufuͤg⸗ 
te? Was kan närzifcher ſeyn / als daß jener ſein Hauß 
anzuͤndete / keiner andern Vrſachen halben / als das 
mit er die Mucken vnd Fligen / welche jhne im 
Sommer vexierten / zugleich verbrennen moͤchte / 
auß lauter Feindſchafft? Mann hat wunderbar⸗ 
liche Fantaſten gefunden / welche vermeynten / daß / 
weil ſie gleichſamb Erdine Geſchirt waͤren / derwe⸗ 
gen kondten ſie nicht leyden / daß fie akgeruͤhrt vnd 
dardurch villeicht zerbrochen moͤchten werden: 
Andere haben jhnen ſelbſt eingebildt / gleichſam 
waͤren fie Voͤgel oder Sömen. N 
C 4* Von 


18 Hirnſchleiffer. 


Von einem Spanier ſagt man / der ſey in der 
Wuͤſte vber Berg vnd Thal vmbgelauffen / hat ver- 
meynt / er waͤre ein Beer. Andere Fantaſten hat 
man gefunden / welche / als ſie ſahen / daß der Haan 
vor dem eſſen die Fluͤgel geſchwungen / haben ſie 
gleichfals ihre Arm bewegt / vnd bald darauff geſü⸗ 
gen. Andere waren dermaſſen forchtſamb / daß ſie 
beſorgten / es werde der Himmel einfallen vnd alles 
erſchlagen / derwegen richtete ſich allzeit zur Flucht / 
damit ſie auſſer der Welt Grentzen kommen / ſich 
ſalviren vnd erꝛetten möchten. Cogitationes mor- 
talium timidæ & incert æ providentiæ noſttæ , 
ſpricht der weiſe Mann: Deß Menſchen gedancken 
ſeynd eitel / forchtſamb / verzagt / vnd bißweilen ver⸗ 
meſſen / feine Fuͤrſichtigkeiten ſeynd gegruͤndt auff 
vngewiſſe eitele Diſcurſen / Daher gewinnen jhre 
Anſchlaͤg gemeinlich den Krebsgang. f 
ancher Vatter braucht einen groſſen Fleiß vnd 
Fuͤrſichtigkeit mit ſeinem Sohn / laͤßt jhne ſtudirẽ / 
wendet viel auff jhne / vnd hilfft jhm / daß er ein 
Geiſtliches oder Weltliches Ampt / ein Canonicat / 
ein Prælatur Pfleg⸗oder Vogtey erlangt / aber 
bald hernacher laͤſt er ſein ingenium ſehen / vnd zei⸗ 
get / was für heimliche Tuͤck hinder jhm geſteckt / die 
jhm aber zum Verderben gereichen. 

Noch ein andere Vrſach iſt verhanden / warumb 
Gott feinen Nahmen / ineffabilis fornen an der 
Stirn deß Hohenprieſters geſetzt hat / weil nem⸗ 
blich die Eitelkeiten der menſchlichen Gedancken 
ynaußſprechlich vnd vnbegreifflich ſeynd / dann 
Gott allein weiß / ertennet vnd ergruͤndet fie. Dann 
wer koͤndte zu gnuͤgen erkennen die vielfaltigen füs 


gen / 


Hirnſchleiffer. 59 


gen / welche in deß Menſchen Kopff geſchmeidet 
werden Item / die Falſchheiten / ſo da erdichtet 
werden: Item / die Schlöffer / welche im Luft ge⸗ 
bawet werden?’ Allein Gott weiß / verſtehet vnd ers 
gründet ſolches alles: Er allein verſtund deß Key⸗ 
ſers Caligulæ boͤſe Gedancken / als derſelb wuͤnſche⸗ 
te / daß alle Roͤmer nur einen eintzigen Nacken haͤt⸗ 
ten / damit er jhnen deſto leichtlicher mit einem eintz⸗ 
igen Streich den Kopff abſchlagen / vnd den Gar⸗ 
auß machen haͤtten moͤgen. 

Weil dan dem alſo / hat Gott ſolche vnauß⸗ 
ſprechliche Armſeligkeiten / Eitelkeiten vnd Thor⸗ 
heiten abwehren woͤllen durch hinzuſetzung ſeines 
hohen Nahmens. 

Beſchließlichen iſt der Here nicht mit deme zu 
frieden / daß er ſeinen Nahmen oben auff dem Kopff 
ſetzen / ſchreiben oder mahlẽ leſt / ſondern er hat jhne 
auch ſtechen oder graben laſſen durch einen Kupffer⸗ 
ſtecher / Steinſchneider oder Pittſchierſtecher: Er 
will / daß die Potentix vnd Sinn deß Haupts deß 
Prieſters / ond die Geheimnuß ſeines Nahmens / 
nicht nur bloͤßlich eingeſchreiben wurdẽ / ſondern hat 
gewoͤlt / das ſie gegraben / oder geſtochen wurden / 
dã ſonſten moͤchten ſich leichtlich allerhand Veraͤnde⸗ 
rũgen erheben / vnd das Geſicht / daß Gehoͤr / vnd ſie 
Einbildungen moͤchten ihre Bilder drein drucken. 
Dann wie vom Protheo geſagt wird / daß er vnder⸗ 
ſchiedliche Geſtalten an ſich genom̃en vnd ſich biß⸗ 
weilen in der Geſtalt eines koͤwen / bißweiln in eines 
Fiſchers / bißweilen eines Baums / bißweilen eines 
Tigerchiers erzeigt vñ ſehen ließ / alſo findt mã auch 
ſeltzame vnd wunderbar liche Koͤpff in der Welt / die 

E 7 ſtecken 


60 Hirnſchleiffer. 


ſtecken voller ſeltzamer widerwertiger Gedancken / 
Humorn / Hummeln / Grillen / Mucken vnd Taubẽ / 
dann bißweiln ſtellen fie ſich grimmig wie die $6 
wen / bißweiln ſanfftmuͤtig wie die kaͤmmer / bißwei⸗ 
In forch : ſamb als Haſen: jhr Kopff iſt gleichſamb 
voller Vogelneſter / haben wunderbarliche vnd ſeltz⸗ 
ame opiniones ‚fie ſchiffen auß dem hohen Gebirg 
in die Wolcken / vnd traben bißweln auff den Meer⸗ 
wellen auff einem ſtarcken Kuͤriß pferd herumb / os 
der bawen hohe Schlöffer in Lufft / vnd ſchlagen in 
jhrem Hertzen allerley Cronen auff / haben laͤcher⸗ 
liche Fantaſeyen / Hoffnungen / Verlangen vnd 
Anſchlaͤg / werden von einem jeden ſchlechten Wind 
geſtuͤrtzt vnd vmbgeworffen / bedaͤrffen derwegen 
deß hoblens vnd ſchleiffens gar wol. 


Dritter Diſcurs. 


Sonſten wird das Wort ineffabilis an ber 
Stirn deß Hohenpriſters noch anders außgelegt / 
vnd dardurch die vnauß ſprechliche Hochheit vnd 
Wuͤrdigkert deß Prieſterlichen Stands bedeut / 
welchen Gott damals im alten Geſetz durch dieſen 
Titul dem Volck Iſraels zuverſtehen gab. 

Mit ſiebenerley Dignitaͤtẽ vnd Hochheiten ſeynd 
die Prieſter von Gott begabt: Die erſt iſt die Be⸗ 
freyung von aller exaction, Dienſtbarkeit vnd Ge- 
walts der weltlichen Fuͤrſten / dann zu jhnen ward 
gelagt: Ich hab euch erwoͤhlt auß allen Ges 
ſchlechten Iſraels daß jhr mein ſeyn ſoltet. 
So leſen wir auch Num. e. 35. das Geſchlecht Le vi 
von allen andern Geſchlechten oder Stammen 
abge⸗ 


Hirnſchleiffer. &ı 


abgeſondert / vnd von allen gemeinen Bürden der 
Kinder Iſraels befreyet worden. Der H. Hierony- 
mus redet auch von dieſen Freyheiten vnd ſpricht: 
Die Knechte Chriſti haben die Freyheit / daß ſo 
bald fie in den Dienſt Gottes geſetzt feynd worden / 
ſeynd fie von der Fuͤrſten Dienfibarfeit befreyet. 
Der Her befihlt den weltlichen Oberkeiten vnd 
Fuͤrſten im 104. Pſalm / vnd ſpricht: Taſtet 
meine Geſalbten nicht an. 

Die andere Hochheit der Prieſter iſt / daß Gott 
fie von den Zehenden / die ihme zugehoͤren / ernehret / 
damit ſte aller Buͤrd / Muͤhe vnd Arbeit uͤberhebt / 
vnd ihm deſto freyer vnd beſſer dienen möge: Alſo / 
daß zu ihnen geſagt wird Iosn, am 10 Capittel: 
Andere haben gearbeit / ihr aber ſeyd in ih⸗ 
re Arbeit gangen. Der König Joas ſagte 4, 
Reg. 12. in der Figur Chriſti: Das Geld ſo je⸗ 
der mann fuͤr ſein Seel gibt / vnd alles Geld / 
daß jederman von freywilligen Hertzen opf⸗ 
fert / daß ſollen die Prieſter nach ihrer Ord⸗ 
nung iu ſich nemmen. Dieſer Vrſachen halben 
iſt billich / daß die Prieſter fürfolche Seelen opffern 
vnd bitten / vnd die es nit thun / die ſchawen auff / 
wie ſie ins fünfftigbey GOtt dem Hern beſtehen 
werden. Dann über die jenigen / welche das All⸗ 
muſen übel einnemmen/ beklagt ſich der Herꝛ vnd 
ſpricht: Sie eſſen die Sind meines Volcks. 

Die dritte iſt / daß alle vnd jede Stantsperſonen 
ihnen an Gottes ſtat gehorſamen: Von dieſer Di⸗ 
gnitaͤt redete der H. David im 46, Pfal vnd 55 

Ie 


62 Hirnſchleiffer. 


Die ſtarcke Goͤtter der Erden ſeyndt ſehr 
erhoͤcht. Im Exo do ſagte der Her: zum Moyſe: 
Ich hab dich geſetzt zu einem GOtt vber 
Pharao, Item / Deut. c. 17. Du ſolt alles thun 
daß ſie dir ſagen / die an der Statt / die der 
HeErr erwoͤhlt hat / die Oberſten ſeynd / vnd 
ſolt halten vnnd thun daß fie dich lehren 
werden nach dem Geſetz vnd nach dem Re; 
chten / daß ſie dir ſagen / ſoltu dich hale 
ten / daß du von demſelben nit abweicheſt / 
weder zur Rechten noch zur Lincken / vnd 
woferen jemandt hoffertig vnd vermeſſen⸗ 
lich handlen wuͤrde / daß er deß Prieſters 
Gebott nicht wolle gehorſam ſeyn / der ſoll 
durch Vrtheil deß Richters ſterben. Es iſt kein 
Wunder / daß die Menſchen den Prieſtern gehor⸗ 
ſamen / feytemat fo gar die Elementen / ja die 
Teuffel ſelbſt ihnen gehorſamen / vnd auff ihren Be⸗ 
fehl auß den beſeſſenen Menſchen weichen. 
Vierdtens werden fuͤrnemblich durch die Prie⸗ 
ſter die Goͤttl che Geheimnuſſen erklaͤrt vnd außge⸗ 
legt / deſſen zum Zeichen ward im alten Geſetz nur 
den Prieſtern erlaubt / das Sanctuarium oder Hei⸗ 
ligthumb / ehe vnd bevor er bedeckt vnd angelegt 
ward / inwendig zuſehen. Daher ſagt der Henn 
beym Match. c. 13. Euch iſt gegeben zu kennen 
die Geheimnuß deß Reichs Gottes. Vnd 
durch den Ea ech. c. z. das Wort von meinem 
Mund 


Hirnſchleiffet. 65 


Mund hoͤren / vnd ihnen verfündigen von 
meinentwegen. 

Die fünffte Hochheit der Prieſter iſt / daß Gott 
ihnen als ſeinen allerliebſten Freunden vnd Hirten / 
ſein geliebte Geſpons vnd Braut die Kirch / ſampt 
allen ſeinen Gaben der ſieben Sacramenten befoh⸗ 
len hat / zum zeichen eines ſonderbaren zu ihnen tra⸗ 
genden vertraweus. 8 

Die ſechſte Hochheit iſt die Authorltaͤt vnd 
Macht die Suͤnden zuverzeihen / dann der HERR 
ſagt zum Petro Matth. c. 16. Alles was du auff 
Erden binden wirſt / das ſoll gebunden 
ſeyn in den Himmeln / vnd alles was du loͤ⸗ 
ſen wirſt auff Erden / das foll auffgeloͤßt ſeyn 
in den Himmeln. 

Beſchließlichen beſtehet der Prieſter Hockheit in 
der Conſeerirung def allerheiligſten deibs vñ Blutz 
Chriſti: dergleichen iſt weder den Engeln nochErtz⸗ 
engeln gegeben worden / dieſe Hochheit betrachtet 
der H. Petrus in der 1. Pet e. 2. vnd ſprach: Ihr 
ſeyd das außerwoͤhlte Geſchlecht / das Koͤnig⸗ 
liche Prieſter thumb / das heilige Volck. 

Vierdter Difcurs, 

Endlich ſpeculiren etliche das Wort ineffabi- 
lis, welches vornen an der Stirnen deß Prieſter oder 
andern Menſchen geſchrieben ſtundt / noch anders 
auß / vnd ſagen: Gott habe die Hochheit vnd Wuͤr⸗ 
digkeit der Seelen oder deß Verſtandts (welche ihr 
Woh⸗ 


64 Hirnſchleiffer. 


Wohnung fuͤrnemblich in der Stirn oder im Hirn 
hat) dardurch bedeuten vnd zuverſtehen geben / 
vnd gleichſamb zum Prieſter ſagen woͤllen / er ſol⸗ 
le dieſelbe fleiſſig verſehen / verſorgen vnd verwah⸗ 
ren. Dann ihre Fuͤrtrefflichkeit beſteht in neun 
Dingen. 

Erſtlich in dem / daß ſie nach dem Goͤttlichen 
Ebenbild erſchaffen iſt: Dann es ſagte der Her: 
Geneſ. 1. Wir woͤllen den Menſchen ma⸗ 


chen nach vnſerm Bildnuß. Zum andern / 
was der Leib hat / das empffahet er von der See⸗ 
len / nemblich die Schoͤnheit / Staͤrck / die Rede 
vnd die Bewegnuß. O eib / was für einen Edlen 
Gaſt haſtdu / von deme du alles haſt: Dann wann 
der Leib ohn ein Seel iſt / fo iſt er ſchaͤndlich vor 
Gott / vnd iſt wie ein vnbewechlicher Stock oder 
Block. Drittens uͤbertrifft die Seel alle leibliche 
Creaturen / dann ein eintzige Seel iſt viel edler 
vnd koͤſtlicher dann die gantze Welt. Die vierdte 
Hochheit iſt / daß Gott ihr die Engel zu Beſchuͤtzer 
vnd Verwahrer beſtellt vnd verordnet hat / ver⸗ 
moͤg der Wort: Er hat ſeinen Engeln be⸗ 
fohlen / daß ſie dich bewahren. Die fünffte 
iſt / daß Chriſtus fie mit groſſer vnd vieler Mühe 
vnd Arbeit zuwegen gebracht / vnd langer als 
30. Jahr fuͤr ſie gedient hat Zum ſechſten / ſpei⸗ 
ſet er fie mit ſeinem loͤſtlichen Fleiſch vnd traͤncket 
ſie mit ſeinem Blut / von dieſer redt der H. Ioan. 
am 6. Capittel: Mein Fleiſch iſt warhafftig 
ein Speiß / vñ mein Blut iſt warhafftig ein 


Tran. 


Hirnſchleiffer. 65 


Tranck. Die ſiebende Hochheit iſt / daß Gott ſie 
ihm zu einer Wohnung erwoͤhlet hat. Die achte 
iſt / daß Gott ſie allein erfüllen vnd erſaͤttigen kan / 
dann er iſt der Seelen Bräutigam : Alle andere 
Ding fönnen in ihr wohnen / aber fie nicht er⸗ 
füllen. 

Beſchließlichen beſtehet der Seelen Wuͤrdigkeit 
in deme / daß ſie deputirt vnd verordnet iſt zu der 
ewigen Seligkeit O wie ein edle Creatur iſt die 
Seel / welche von Gott erſchaffen iſt / damit fie 
feiner Anſchawung geni eſſe immer vnd ewiglich / ö 
ineffabiliscreaturs, O vnaußſpreliche Creatur / 

du ſteckeſt inwendig in deß Prieſters Stirn / 

damit durch ſie regiert vnd geleit 
werden vnendlich viel an⸗ 
dere Seelen. 


(o) d 


66 Hirnſchleiſſer. 


Ein Mann ſihet in einem Spiegel 
einen Dar:en: 


De Spiegel werden gemeinlich von den Wei⸗ 

bern gebraucht / ſonderlich von denen / welche 
gern ſchoͤn waͤren / vnd der verbotten dieb dienen / 
dieſer Vrſachen halben kan der Spiegel ein Rhat⸗ 
geber der Schoͤnheit genennet werden / dann er ra⸗ 
thet den naͤrꝛiſchen Weibern / vnd Männern / wie 
ſie ihr Angeſicht zieren / anſtreichen / ſchmuͤcken / vnd 
ihre Haar vnd Baͤrth butzen ſollen: Solches aber iſt 
nit allein ein Mißbrauch / ſondern ein Hoffart vnd 
Suͤnd / dann keiner andern Vrſachen halben ſeynd 
die Spiegel erdacht vnd erfunden worden / als da⸗ 
mit 


. 


Hirnſchleiffer. 67 


mit der Menſch ſich ſelbſt ſehen vnd erkennen moͤch⸗ 
te. Ein ſchoͤnere Menſch ſoll ich im Spiegel beſcha⸗ 
wen / damit er ſich vor Spott vnd Schand huͤte: 
Ein heß licher / damit er feine Mängel vnd Gebre⸗ 
chen deß Leibs durch die Tugend erſetze: Ein Junger 
damit er durch ſein bluͤende Jugend erinnert werde / 
daß ſolches ein Zeit deß lerens vnd tugendſamen 
wirckens ſey: Ein alter aber damit er ſein Alter be⸗ 
trachte / alle kindliche Neigungen ablegen vnd auff 
den Todt gedencken folle. 99 

Vnder jenen alten fieben Athenienſiſchen Welt 
weiſen / war meines erachtens / Chilo der fuͤrnembſt 
vnd weiſeſt / dann alles was die andern außſpra⸗ 
chen / das faſſet er in ein kleine Summa oder Buͤſ⸗ 
chel zuſammen. Deß Perianders deht war / man 
ſolte vor allen Dingen den Zorn bezwingen / Dann 
(wie Job ſpricht:) Die Narꝛen werden durch den 
Zorn vmbracht. Solon lehrte / man ſolle Gluͤckſe⸗ 
ligkeit dieſes debens allzeit in Verdacht haben / vnd 
ihr nicht trawen / dann ſo lang der Menſch lebt / iſt 
er nicht fuͤr gluͤckſelig zu halten / dann niemand 
weiß / was er fuͤr ein End nemmen werde. 

Bias lehrte vnd ſagte: die Welt wäre allerdings 
erfuͤllt mit Armſeligkeiten / Dann / wie Job c. 14. 
ſpricht: Der Menſch wird erfuͤllet mirwelen 
Betruͤbnuſſen. Cleobulus ſagte / es ſey nichts 
beſſers / als daß der Menſch ein Ziel vnd Maß hal⸗ 
te in allen Dingen. Ein jeder ſagt halt ſein Mei⸗ 
nung / aber Chilo recapitulirte oder name alles 
zuſammen / vnd ſprach mit wenig Worten + Nofce 
te ĩpſum: das iſt / Renne dich ſelbſt. 

Die⸗ 


68 Hirnſchleiffer. 


Dieſe Wort: Noſce te ipſum wuͤrden damals 
oben an die Kirchen⸗Thuͤr zu Delphis mit guͤlde⸗ 
nen Buchſtaben geſchrieben / dann dermaſſen noth⸗ 
wendig iſt die felbft eigene Erkantnuß / daß der 
Braͤutigam zu ſeiner Braut in den hohen Liedern 
am. 1 cap. die fich ſelbſt nicht fennete / ſagte: Ken⸗ 
neſt du dich nit / du ſchoͤneſte vnder den Wei⸗ 
bern / ſo gehen hinauß. Er will ſagen: ob ſchon 
du die allerſchoͤnſte vnder den Weibern biſt / jedoch / 
woferꝛn du dich ſelbſten nicht kenneſt / ſo troll dich 
auß meinem Hauß / vnd gehe mir auß dem Geſicht. 

Damit aber die Seel ſich ſelbſt kenne / ſo gibt ihr 
Elephas Themanites einen guten Rath / vnd ſagt: 
Wirſt du dein Schoͤnheit beſuchen / ſo wirſt du 
ohn Suͤnd bleiben: woferꝛn du dich ſelbſt in einem 
Spiegel beſchaweſt / ſo wirſt du dich memaln ver⸗ 
ſuͤndigen Die Alten mahlten die Fuͤrſichtigkeit in 
der Geſtalt eines weiſen Manns / der ſich in einem 
Spiegel beſchawte / dann deß Spiegels Art vnd 
Eigenſchafft iſt / daß er den Menſchen ſein leibliche 
natuͤrliche Geſtalt / Schoͤnheit / Maͤngel vnd Ge⸗ 
brechen zeiget. 

Im Exodo befähl Gott der Herz / daß im Tem⸗ 
pel allzeit ein Spiegel vorhanden ſeyn / vnd die 
Prieſter die das Opffer zuverꝛichten hatten / ſich 
zuvor darınn ſpieglen vnd beſchawen ſolten / ob fie 
nicht etwas vnſaubers oder heßlichs an ihnen haͤt⸗ 
ten. Woferꝛn fie auch einen Fleck oder Mackel im 
Geſicht verſpuͤrten / ſo giengen ſie alsbald zum 
Brunnen vnd ſaͤuberten ſich: das war nur ein feiner 
Gebrauch vnd gute Gewonheit: an ſtatt aber deſ⸗ 
ſelben 


Hirnſchleiffer. 69 
ſelben pflegen vnſere jetzige Prieſter / vor dem 
Hpffer der heiligen Meeß / zu beichten / vnd alſo die 
Flecken in ihrem Gewiſſen zu reinigen. 
Wir Weltlichen haben gleichfals einen ſchoͤnen 
Spiegel / nemblich nieroglyph co, Fizuren vnd 
Gleichauſſen / die geben vns vnſere Flecken / Ge⸗ 
brechen vnd Maͤngel heimlich zuerkennen / deren 
werden etliche in dieſem Spiegel eingefuͤhrt / Aber 
leider / die Welt⸗Menſchen achten ſich ihrer nit vil / 
begehren die Warheit nit zu wiſſen / noch in dieſem 
Spiegel zu beſehen / vnd ſich ſelbſi zu erkennen / auch 
ſich dardurch zu betruͤben vnd vnluͤſtig zu machen / 
ſonder der ein beſchawet ſich im Spiegel ſeines A⸗ 
dels / vnd vermeint / er ſey deß alten Geſchlechts 
der Gothen / vnan geſehen er nar von Strigel oder 
Scherhauſen iſt: Der ander beſihet ſich im Spie⸗ 
gel feiner Weißheit vnd Gelechrtheit / welche ein 
Thorheit vor Gott iſt / vnd die Menſchen in der 
Hoffart auffblaͤſt vnd zu Narꝛen machet: Der dritt 
Spiegel ſihet in ſeine Reichthumb / vnd verlaͤſt fich 
auff ſeine Ducaten / volle Treidkaͤſten vnd Wein⸗ 
keller / inmaſſen jener Reiche im Evangelio thaͤte. 
Der vierdt beſchawet vnd richtet ſich nach dem 
Spiegel der Schmeichler / Fachßſchwaͤntzer / 
Sch morotzer vnd Tellerlecker: deß gleichen im Lob / 
welches d.efelbigen ihm geben vnd ihn darmit ſpei⸗ 
fen / auch dardurch verurſachen / das ſolche Leut 
ſich ſelbſt kitzlen / für heilig / gelehrt / edel / maͤchtig / 
ja für heilige Antomos oder maͤchtige Alexandros 
halten. 
Solche Spiegel aber ſeynd falſch / vnd ſeynd ein 
lauter Betrug / dann man kan ſich ſelbſt nicht rech 
vnd 


70 Hirnſchleiffer. 


vnd eigentlich darinn ſehen vnd erkennen / dardurch 
aber werden viel Leut verführt / vnd elendiglich ge⸗ 
ſtuͤrtzet: Aber das Noſce te ipſum, das viſitans 
ſpeciem tuam, die ſelbſt eigene Er kantnuß iſt der 
rechte Spiegel / dann es iſt niemand ohne Maͤngel / 
ein jeder hat feine Gebrechen: iſt er nit geſchoſſen / 
ſo iſt er doch ein wenig getroffen : hat er keinen 
Sporn zuviel / ſo hat er doch einen zu wenig: hat 
er keine Mucken / fo hat er doch Tauben: nemo abf- 
que crimine vivit: hat er keinen Schiefer oder of⸗ 
fentlichen Tadel vnd Gebrechen an ihn / ſo hat er 
doch einen heimlichen / welchen er nur ſelbſt ſihet 
vnd weiß. 

Die deut halten offt einen fuͤr geſcheid / gerecht 
vnd heilig / wann er aber heim kompt / ſich im wah⸗ 
ren Spiegel deß No ſce te ip ſum, vnd feine ſpeci em 
vnd Seelen⸗Geſtalt beſchawet / ſo ſihet er einen 
Narꝛen / einen Heuchler / Gleißner / einen Buler 
vnd Geitzhalß. 

Heilig war Jacob vnd hatte ſeinen Schweher 
miemaln belediget / aber doch ſetzte er ſich in groſſe 
Gefahr / als er ſich ſelbſt rechtfertigte vnd ſagte 
Gen. 31. Bey welchen du deine Goͤtter findeſt / 
der ſterbe hie fiir vnſern Brüdern / ſuch das 
deinig bey mir / vnd nimbs hin. Dann er wu⸗ 
ſte nicht / daß Rachel ſein Weib ihrem Vatter die 
Goͤtzen geſtolen hatte. Ob ſchon einer noch ſo ge⸗ 
recht iſt / fo ſoll er doch ihm ſelbſt nit zu viel traw⸗ 
en / dann das Fleiſch iſt ſehr geneigt die Goͤtzen der 
Wolluͤſten zu ſtelen. 

Joſeph 


Hirnſchleiffer. 7 

Joſeph der Statthalter in Egypten / ließ alle 
Saͤck feiner Bruͤder mit Gerreid anfuͤllen / aber in 
deß Benjamins Sack ließ er ein ſilbernen verguld⸗ 
ten Becher vnd ein Summa Gelds ſtecken: herna⸗ 
cher wuͤrden alle ihre Saͤck von wegen deß Bechers 
beſucht / als wäre derſelb durch ihrer einer geſtolen 
vnd entfrembd worden / ſolche Bezichtigung thaͤte 
ihnen ſehr wehe / dann ſie wuſten ſich alle vnſchul⸗ 
dig derowegen verpfaͤndten fie ſich / daß wofern der 
Becher in einem Sack gefunden wuͤrde / alsdann 
ſolte derſelb Bruder getoͤdt / vnd ſie alleſamb zu 
Selauen gemacht werden. Auff dieſes erbieten vnd 
verpfaͤnden wurde alle ihre Saͤck eroffnet vnd durch 
ſucht / leßtlichen befand ſich der Becher in deß 
Benjamins Sack / welcher der juͤngſt Bruder / vnd 
dem Joſeph am allerliebſten war. 

O wie viel deut werden für heilig / gerecht vnd fuͤr 
Gottes Diener gehalten / wann man aber den 
Sack ihres Gewiſſens auffthut / da findet man den 
Diebſtall vnd Becher deß Neidts / Ehrgeitzes / der 
Geilheit vnd Eigennutzigkeit. Heilig vnd gerecht 
war David / aber doch ſchreye er Palm. go. Mach 
mich rein von meinen heimlichen. Heilig vnd 
gerecht war Paulus / aber doch ſagt ex in der 1. Cor. 
am. Cap. Ich weiß mich ſelber in nichts ſchul⸗ 
dig / aber darin bin ich nicht gerechtfertigt. 
Der. HErꝛ iſt aber der mich richtet. Als wolt er 
ſagen: Ich weiß mich gleich wol keines Laſters zu⸗ 
erinnern / aber Gott iſt der jenig / der n Sack mei⸗ 
ner Gedaͤchtnuß vnd Gewiſſens dure uchen / vnd 
den 


72 Hirnſchlei ffer. 


den Diebſtall finden wird. Wer derwegen beghert ei⸗ 
nen lebendigen Stocfiich zuſehen / der beſchawe 
ſich in dem nofce te ipſum, er gehe in ſich ſelbſt / er⸗ 
foſche vnd betrachte ſich ſelbſt / ſo wird er villeicht 
einen finden / der einem Narꝛen mit langen Ohren 
vnd Schellen gleich ſt het. 


Folgen etliche ſchoͤne Spiegel. 


Sonſten ſeynd noch andere ſchoͤne Spiegel vor⸗ 
handen / der erſte iſt das Exempel eines jeden exem⸗ 
plariſchen frommen vnd gerechten Manns / nach 
deffen deben vnd Wandel wir vnſer Leben vnd Sit⸗ 
ten richten ſollen: Dieſen Spiegel zeiget vns S. 
Paulus / da er ſpricht zum eb. c. 13. Gedencket 
an ewre Vorſteher / die euch das Wort 
Gottes geſagt haben / vnd ſehet an den Auß⸗ 
gang ihres Wandels / vnd folget ihrem 
Glauben Eben dieſer Vrſachen halben werden 
in der Catholiſchen Kirchen die heilige Männer zu 
den Prælaturen erhebt / vnd ihr Leben gleichſamb 
zu einem Spiegel gemacht / damit ein jeder ſehen 
möge / worinnen er ihnen nachfolgen fol. 

Der ander Spiegel iſt die H. Schrifft / in wel⸗ 
chem wir nicht allein das Angeſicht vnſers Standts 
ſonder auch die gebuͤhrliche Schaͤtzung aller Din⸗ 
gen finden koͤnnen / Dann in dieſem Spiegel wer⸗ 
den die jenigen / welche einen guten Willen haben / 
vnderwieſen / die hinlaͤſſigen geſtrafft / die muth⸗ 
willigen gezaͤmbt / die weiſen gelehrt: Wir finden 
auch darinn die Gebott / was wir thun ſollen / die 

Ver⸗ 


Hirnſchleiffer. 7 
drohungen was wir meiden vnd fliehen ſollen / die 
Verheiſſungen was wir von Gott begeren ſollen. 
Die H. Schrifft wird vns als ein Spiegel fuͤrge⸗ 
ſtellt / darinn wir vnſer innerliches Angeſicht / vn⸗ 
ſere Heßligkeit ſehen vnd erkennen fönnen/ wie weit 
wir noch von der Vollkommenheit ſeynd. 
Deer dritte Spiegel iſt das Gewiſſen / je mehr 
nun dieſer Spiegel deß Gewiſſens poliert vnd ges 
reinigt wird / vermittels deß heiligen debens / vmb 
fo viel deſto heller vnd fl arer ſihet vnd erkennet der 
Menſch was er ſehen vnd erkennen foll. 

Der vierdte iſt der Spiegel aller Creaturen / in 
denen wir / als in einem Spiegel den Erſchaffer er⸗ 
kennen / nemblich die Macht deß Vatters / die 
Weiß heit deß Sohns / vnd die Guͤtigkeit deß Hei⸗ 
ligen Geiſtes. 

Der fuͤnffte iſt der Spiegel der Engeln von we⸗ 
gen der natuͤrlichen Reinigkeit: In dieſem Spiegel 
ſollen ſich die jenigen beſchawen / welche zum voll⸗ 
komnen Leben / vnd eins mals in die Geſellſchafft 
der Engeln begeren zu gelangen 

Der ſechſte Spiegel iſt Gott ſelbſt / in deſſen An⸗ 
ſchawung die Heiligen im Himmel ſich vnd alles ſe⸗ 
hen. Von dieſem Spiegel ſagt Dionyſius: Gott 
iſt ein freywilliger Spiegel / der ſich einem jeden er⸗ 
zeiget nach Nothdurfft ſeiner Verdienſten / derowe⸗ 
gen ſehen die Verworffenen ihn als einen Zornigen / 
die Außerwoͤhlten aber / als einen Guͤtigen. 

Beſchließlichen iſt noch ein Spiegel vorhanden / 
der iſt der Todt / denſelbigẽ zeigt ons vnſere H. Mut⸗ 
ter die Kirch / vnd ſpricht: Memento homo, quod 
cinis es, & in cinerem reverteris, Gedenck / O 


Menſch / 


74 Hirnſchleiffer. 


Menſch / daß du Aſchen biſt / vnd wirft widerumb in 
Aſchen verkehrt werden Dann wann der Menſch 
an ſein? Todt gedenckt / vnd ſihet daß er keine Stund 
deß ſicheren debens vor jhm hat / ſo erinnert er ſich 
der dangwirigkeit ſeines Gemuͤths / der Schaͤndlig⸗ 
keit ſeiner Hoffart / deß Grewels ſeiner Wolluͤſt / 
Geylheit vnd Vnkeuſcheit: Dardurch wird er be⸗ 
wegt / daß er in ſich ſelbſt gehet / feine hochmuͤthige 
Sinn demuͤtiget / die zeitliche Reichthüb vnd Wol⸗ 
lüͤſt verachtet / vnd all ſeine Gedancken auff Geiſt⸗ 
liche vnd Himmliſche Ding ſetzet. O herꝛlicher See⸗ 
len⸗Spiegel / du vervrſacheſt / daß ſich die Seelẽ mit 
jhren Zaͤhren abwaſchen. Dieſe feind die Spiegel / 
in denen wir ons täglich beſchawen ſollen / Aber 
(leyder / wir thun wie die Affen / welche den Spiegel 
zerbrechen / damit fie jhre Hußligkeit nicht ſehen 
ſollen: Item wie die Cameel⸗thier / welche / wann fie 
trincken woͤllen / daß Waſſer im Bach betruͤben / 
nur damit ſie hren Hoger oder Buckel oben auff 
dem Rucken nicht ſehen. 
Ein ander Spiegel 
Dieſer Mann laͤſt ons noch ein andern Spiegel 
ſehen / vnd gibt vns dardurch zu verſtehen / was- 
geſtallt ein jeder Menſch durch ſein ſelbſt eigenes 
Verhalten vnd Wandel allen andern Menſchen 
zu verſtehen gebe / was er ſey / vnd was er vnderm 
Kittel fuͤhre / vnd was hinder jhm ſtecke. Dann weil 
die Tugenden vnd Safter im Gemuͤth ſtecken / ſo koͤn⸗ 
nens die Menſchen mit jhren Augen nicht ſehen? 
Derowegen muͤſſen wirs auß den Wercken / die auß 


jhnen entſpringen / erkennen / vnd den jenigen für 
einen 


Hirnſchleiffer. 7 


einen hoffaͤrtigen vnd vermeſſenen Geſellen halten / 


welcher in ſeinen Sachen einen Vbermuth erzeiget / 
ſich ſelbſt ruͤhmet / vnd im wenigſten leiden mag / 
daß man jhn auff de Fuß trette / oder ihm zu nah ges 
he: Hergegen wird der jenig fuͤr einen demuͤtigen 
Mann gehalten / der ſich gegẽ maͤnniglichen freund⸗ 
lich erzeiget / vnd die Ehr vnd Aempter verachtet: 
Fuͤr einen Geitzhalß wird der gehalten / der dẽ Geld 
viel zu genaw nachſtelt / vngern zahlt / ſeinem Ge⸗ 
ſind vbel zu eſſen / vnd den Armen wenig oder gar 
nichts gibt. Aber fuͤr einen freygaͤbigen halten wir 
den jenigen / der koſtfrey iſt / gern zahlt / vnd den 
Duͤrfftigen gern gibt: 

Die jenige Fraw wird fuͤr keuſch gehalten / welche 
gern anheimbs bleibt / vnd auff der Gaſſen mit ni⸗ 
dergeſchlagenen Augen gehet: Aber für liederlich iſt 
die zu halten / welche alle Orth / Gaſſen vnd Zuſam⸗ 
mer funfften beſucht / jhre freche Kleider / Sitten 
vnd Geberden jederman ſehen laͤſt / die buleriſche 
Bücher / fo von der dieb handlen / lieſet / vnd gern 
ſchampare Wort vnd Geſchwaͤtz anhört. 

Als der Erloͤſer jenen von Mutter⸗ leib gebornen 
Blinden heylte / ſagten etliche Juden von jhm: 
Er hat den Teuffel. Andere aber ſagten: Diß 
ſeynd nicht Menſchen Werck / der den Teuffel hat / 
dann wie kan der Teuffel der Blinden Augen auff⸗ 
thun ? Das iſt ſo viel geredt / kein Befeffener koͤnn 
ſolche herꝛliche Werck oben, Eben diß kan auch von 
vns geſagt werden / dann / wofern wir deß Teuffels 
Wercken nachfolgen / ſo werden wir fuͤr Beſeſſene 
gehalten: Hergegen hält man vns für Engel / 
wofern wir der Engel Natur vnd Reinigkeit nach⸗ 
folgen. D 2 Als 


76 Hirnſchleiffer 


Als der H. Johannes zu verſtehen geben wolte / 

ob einer die dieb haͤtte oder nicht / ſprach er 1. Ioan. e. 
3. Wann jemand dieſer Welt Guͤter hat / vnd 
ſihet ſeinen Bruͤder Noth leidẽ / vnd ſchleu ſt 
ſein Hertz fuͤr jhm zu / wie bleibt die Liebe Got⸗ 
tes in jhm? Als wolt er ſagen: Ob ſchon du ſagſt / 
du ſugſt Gottes vnd deines Naͤchſten dieb / jedoch / 
wofern du deines Naͤchſten Nohtduͤrfftigteit nit zu 
hulff tkompſt / fo ſihe ich nicht / wie du dich der Rebe 
billich beruͤhmen koͤnneſt. Eben diß fönnen auch wir 
von denen ſagen / ſo da jhr Gelt mit ſpillen / mit fö- 
ſtlichem Haußrath / mit pancketirn vnd mit ſchoͤnen 
Frawen verſchwenden / vnd aber den Armen nichts 
geben / in denſelben iſt durchauß keine diebe vorhan⸗ 
den : Dann wie ein verborgenes Fewrim Buſen 
nicht lang verborgen bleiben / ſondern ſeine Hitz 
herfür laͤſt / alſo wofern eine lieb im Menfchegift / 
ſo muß ſie durch die Werck erſcheinen:dann nur den 
Wercken glaubt man. 

Vorzeien ließ Gott alle Thier fuͤr vnrein haltẽ / 
welche keine geſpaltene Fuß hatten. Wer wolte aber 
ein Pferd nicht fuͤr rein halten / ſeytemal es nicht als 
fein nichts vureines iſſet / ſondern auch dermaſſen 
wol proportioniert vnd geſtallet iſt / das mancher 
fuͤrwitziger Herꝛ rooo vnd mehr Guͤlden fuͤr eins 
bezahlet? Es ſteckt aber etwas anders hiervnder 
verborgen / dann wann einer einen gantzen Fuß hat / 
vnd ſeine Fuͤß nicht ebeilet / noch auch in ſeinen 
Wercken keine Weißheit noch Rath brauchet / als 
dann wirde fuͤr ein vnreines Thier gehalten Hier⸗ 
auß ſchlieffe vnd ſage ich / daß der jenig ſich vnbil⸗ 


lich ei⸗ 


Hirnſchleiffer. 75 
lich einer zugefuͤgten Injury beklaget / welcher in ſei⸗ 
nen Werden Vrſach gibt jhn zu injurüren. 
Manche Sram betlagt ſich / es verachten ſie die 
Nachbarn / vnd halten wenig von jhr: daran thut 
nun ſie recht / vnd billich nimbt ſie jhre Ehr vnd gutẽ 
Nahmen in obacht / dann beym Eccleſiaſtici cap er- 
ſteht gefehrseben: Fleiſſe dich einen guten Nah⸗ 
men zu vberkommen vnd zu halten: Dann 
der wird dir bleiben vnd beſtaͤndiger ſeyn I 
mehr dann tauſent groſſer Gold⸗Schaͤtz. 
Wie kan ſie aber eine Ehr oder guten Nahmen er⸗ 
langen / wan fie leidet daß verdaͤchtigeleuth bey jhr 
auß⸗ vnd eingehen / oder wofern fie im Huren⸗ 
Geſchmuck auffzeucht / oder wann ſte ſonſten frech 
in Worten iſt / vnd vielmehr einer Venus / dann der 
Judith gleich ſiehet? Begerſt du aber einen guten 
Nahmen zuerlangen / ſo verhalte dich wie Judith 
gethan / die ward von jederman beruͤmbt vnd loͤb⸗ 
lich gehalten / dann fie hielt ſich ſtill vnd eingezogẽ / 
foͤrchtete Gott / vnd war niemand vorhanden / der 
etwas arges von jhr redete. Daher ſagt die Schrifft: 
lud c. s. Sie hattejhr oben in jhrem Hauß 
ein offentliches Kaͤmmerlein gemacht / da 
fie mit jhren Maͤgden beſchloſſen wohnete. 
Mancher Prieſter beſchwaͤrt ſich vnd ſagt / man 
rede jhm vbel nach / er aber gedenckt nicht / daß er 
villeicht Vrſach dar zu gibt: Dañ was kan man viel 
von jhm halten / wann er / wie ein Weltlichen den 
Mantel halb vnder die Achfet ſchlaͤgt / burſiret vnd 
mit den Weltlichen vmblaufffet / die gantze Nacht 
durch die Statt ſtreiffet / viſutiret verdaͤchtige Hau⸗ 
D 3 ſer / 


78 Hirnchſleiffer. 


fer/trägt Wehr vnd Waffen / zeucht mehr in Welt⸗ 
als Geiſtlichen Kleidern vmb? Wie kan der jenig 
fuͤr einen guten Geiſtlichen gehalt werden / welcher 
nichts Geiſtlichs an jhm hat noch erzeigt / vnd we⸗ 
der Gott noch der Kirchen dienet? So lebe dero⸗ 
wegen ehrlich / ſo wird man dich fuͤr einen exempla⸗ 
riſchenrieſter halten / dan man probieret die Prie⸗ 
ſter nicht auß jhren langen Prieſterlichen Kleidern / 
ſondern nach jhremkeben vnd Wandel. 

Als der Hohe⸗prieſter Samuel feine Vnſchuld 
vnd Reinigkeit an Tag geben wolte / hielt er dem 
Volck nicht fuͤr / was er für ein hohes Prieſterliches 
Ampt ſo viele Jahr lang verſehen haͤtte / ſondern / 
er zeigte jhnẽ ſein herꝛliche / andaͤchtige vnd fuͤrtreff⸗ 
liche Werck / die er GOtt geleiſtet hatte / vnd ſprach: 
1. Reg. c. 12. Redet von mir dem Here n / 
ob ich jemands Ochſen oder Eſel genom⸗ 
men ob ich jemand hab Gewalt oder Vn 
recht gethan / ob ich jemand vndertruckt 
hab. O ſchoͤner Spiegel / alles Volck ſahe augen⸗ 
ſcheinlich / erkennte vñ bekennte / daß keiner vnder jh⸗ 
nen vorhanden ware / der etwas vnzimblichs von 
ihm zu ſagen wuſte. O Menſch / begerſt du einen gu⸗ 
ten Nahmen zu erlangen / ſo zeige dem Volck den 
Spiegel deines guten Exempels / dann auff ein 
frommes Leben / folgt ein guter Nahm. 


Dritter Spiegel. 
Ein vberauß groſſe Gnad hat GOtt dem Men⸗ 
ſchen erweiſen / in dem er jhn zu ſeiner Wohnung 


erwoͤhl t hat: Dann die Seel deß Gerechten iſt ein 
Sitz 


Hirnſchleiffer. 79 
Siß oder Wohnung der Weißheit / das iſt / Gottes. 
Selig ift derowegen der jenig Freund / zu dem der 
Heri ſagt: Komb / mein Außerwoͤhlte / ich 
will meinen Thron in dich ſetzen. Dann ein 
ſolche Seel viel edler vnd wuͤrdiger / dann die aller⸗ 
herꝛlichſte Fuͤrſten der Erden / welche auff hohen 
guͤldinen Thr onen ſitzen. Begerſt du aber zu wiſſen / 
durch was Mittel du erkennen koͤnneſt / ob Chriſtus 
in dir wohne? So merck: Dan als der Erloͤſer zu 
Tyro vnd Sidon vmbgieng / kam er in ein Hauß / 
vñ wolte doch nicht / daß es jemand wiſſen fi olte:aber 
es ward offenbar: Dann es iſt vnmoͤglich / daß ein 
ſolcher Gaſt / wie Chriſtus iſt / in eines Menſchen 
Gemuͤth fönne verborgen bleiben. Dan wie einer / 
der ſchoͤne Aepffel bey ſich träge / der kan fie gleich⸗ 
wol verbergen / aber den Geruch kan er nicht auff⸗ 
halten / dann der Apffel verrathet ſich ſelbſt / vnd 
gibt ſich zu erkennen: Alſo / ob ſchon ein Gerechter 
in deſſen Seel der Her wohnet) jhn in geheim 
vnd verborgen haͤlt / ſo wird er doch durch him̃liſchẽ 
Geruch / welchen er von ſich laͤſt / bekannt. Vnd als⸗ 
dann erkennen wir / daß CHriſtus in deß Menſchen 
Gemuͤthſey / wann nemblich er den Geruch Cyhriſti 
von ſich gibt / ſeinen Sitten vnd Tugenden nach⸗ 
folgt / vnd ſich mit Chriſti Wercken / fo viel muͤ⸗ 
glich / vergleichet. 

So laſſet derowegen vns / die wir ( wie der Apo⸗ 
fiel zun Galatern € s. ſpricht: Im Geiſt leben / 
auch im Geiſt wandeln: geben wir in Chriſto / 
fo laſſet uns in Chriſto leben: dann wer da ſagt / er 


D 4 bleibe 


80 SH infhleifer. 


bleibe in Chriſto / der muß wandeln allermaſſen wie 
er gewandelt hat / das iſt / es muß ſich ſein leben mit 
Chriſti geben vergleichẽ / damit er ſagen koͤnne / was 
der H. Job c ez ſagt: Seinen Fußſtapffen hat 
mein Fuß nachgefolgt. Deßwegen ſagt auch 
der H. Petrus 1. Pecr. c 1. Heiliget den HErꝛn 
Chriſtum in eweren Hertzen. Als dann aber 
heilig en wir Chriſtum in vnſern Hertzen / wann wir 
heilig ſeyn / vnd vns dermaſſen verhalten / daß je⸗ 
der man erkennen koͤnne / Chriſtus ſey in vnſern Ge⸗ 
muͤthern: Dann ſeynd deine Werck vnd Sitten nicht 
heilig vnd ehrlich / ſo ſage vnd beruͤhme dich nur 
nicht / daß Chriſtus in dir wohne / dann du thaͤteſt 
jhm Vnrecht vnd ein groſſe Schmach an / wofern 
du ſagen wolteſt Chriſti Wohnung wäre in einem 
vnreinen ſtinckendẽ Gemuͤth: Dan was hat die Ge⸗ 
rechtigkett zu ſchaffẽ mit der Vngerechtigkeit? Was 
hat das diecht für eine Gemeinſchafft mit der Finſter⸗ 
nuß? Was Chriſius mit dem Belial? Dein laſter⸗ 
hafftiges gebe gibt zu erkennen / daß nicht Chriſtus / 
ſondern Belial in deinem Gemuͤth ſey. 

Villeicht gibt eben dieſes dieſe Figur zu erkennẽ / 
in dem nemblich der Mann in dem Spiegel einen 
Narꝛen / nemblich den Teuffel welcher der allererſt 
Narꝛ geweſt / vnd noch taglich viel Narꝛen macht) 
ſihet. Eins mals brachte einer dem HErꝛn Chriſti 
einen beſeſſenen fuͤr / vnd ſprach: Marc. cap. 9. 
Meiſter / ich hab zu dir gebracht meinen 
Sohn / der hat einen ſprachloſen Geiſt / 
vnd wo er jhn erwiſchet / ſo reiſſet er jhn / 


vnd 


Hirnſchleifer. 81 


vnd ſchaͤumet vnd knirſchet mit den Zaͤh⸗ 

nen vnd verdorret. Dieſe ſeynd nun die Wir⸗ 

ri eines Menſchens / der den Teuffel bey fich 
at. 

Das erſte / welches er an im hat / ſeynd die ſeltza⸗ 
me eitele Geberden / Kruͤmmungen vnd Bewegungẽ 
deß deibs vnd der Glieder: Was ſeynd aber die v⸗ 
berfluͤſſige Geſchmuͤck / Zierd / Pracht vnd Geylh ei⸗ 
tẽ dere Weiber anders / als geſticulat iones, Geber⸗ 
den vnd Sitten deß Teuffels / denen Gottf eind iſt? 
Was wird auch durchs Fewr vnd Waſſer / darinn 
der Teuffel den Jungling warff / anders bedeut / als 
daß der Teuffel den Menſchen jetzt ins heiffe Fewr 
deß Zorns vnd Geilheit wirfft / bald aber im Waſſer 
der Wolluſtbarkeiten entraͤnckt / vnd jhn dermaſſen 
ſtumm macht / daß er ſeine Suͤnd in der Beicht 

nicht fuͤrbringen kan. 

Dieſe ſeynd nun die Zeichen / darbey man erkennẽ 
tan / was der Menſch in de Spiegel ſeines Gemuͤths 
fuͤhre / ob er Chriſtum oder den Belial bez ſich habe: 
Dann ob ſchon emer ein Geiſtliches oder eines 
Raths⸗Her in Kleid an hat / jedoch / wofern er gern 
in Schenck⸗haͤuſern ſitzt / friſt vnd ſaͤufft / ſchlem⸗ 
met vnd demmet / lefflet vnd bulet / greinet vnd ha⸗ 
dert / vnd hoch zu ſteigen begehrt / der gibt zu erken⸗ 
nen daß Chriſtus feine Wohnung bey jhm hat / ſo⸗ 
dern der Bacchus, Venus, Iupiter vnd Lucifer bey 
jhm wohnen: Dann Chriſtus wohnet nur bey de⸗ 
nen welche ein Chriſtliches / Gottſeliges Leben fuͤh⸗ 
ren / vnd an ſolchen Leuthen ſpuͤrt man / daß nicht 
allein Chriſtus in jhren Seelen wohne allhie zeit⸗ 


D 4 lich / 


82 Hirnſchleiffer. 


lich / ſondern ſie werden auch hernacher bey ihm 
ewiglich wohnen. 


Vier Larpen. 


Os wol das Goͤkkliche Ebenbild an dem Men⸗ 
ſchen in vielen ſeinen Gliedern klaͤrlich erſchei⸗ 
net / fo offenbaret ſichs doch fuͤrnemblich im Ange⸗ 
ſicht / dann Chriſtus vnſer Erloͤſer hatte in ſeinem 
Angeſicht ſcheinbarliche Ze chen der Gottheit / ver⸗ 
moͤg der Wort Davids / da er im 144. Pſalm ſagt: 
Du biſt der ſchoͤneſt vnder den Menſchen⸗ 
Kindern / die Gnad iſt außgegoſſen in deine 
Lefftzen. Sein allerheiligſte Mutter hatte in ihrem 
Angeſicht die Stralen der Goͤttlichen Sugenben 
a 


(2 


Hirnſchleiffer. 83 


Nach dem Moyſes lang mit dem HErm auffm 
Berg Sinai geredt hatte / uͤberkam er ein fo her 
lichs glantzẽdes Goͤttlichs Angeſicht / daß das Volck 
ihn nicht anſchawen konte / derowegen ward er ver⸗ 
vr ſacht fein Angeſicht mit einem Schleyer zu bede⸗ 
cken: Alſo / daß Moyſes der aller erſt geweſt iſt / der 
ſein Angeſicht mit einer Larven bedeckt hat / nicht 
zwar auß Muth willen oder Falſchheit / ſondern auß 
Noth vnd Zwang: Aber (leyder) wir brauchen an⸗ 
jetzo die darven nicht auß Noth / ſondern auß Muth⸗ 


willigkeit: Wir ſeynd nur homines perſonati, wir — 


haben vnd fuͤhren das Angeſicht eines Menſchen / 
ſeynd aber dem Vogel Harpyr gleich / derſelb woh⸗ 
net an den aͤuſſerſten Enden der Welt beym Meer / 
iſt ſehr grauſam vnd vnerſaͤttlich / vnd hat ein Ge⸗ 
ſicht wie ein Menſch / aber ſonſt nichts menſchlichs 
an ihm: Wann er einen Menſchen in der Wuͤſten zu 
sonen bringt / fo toͤdtet er ihn / wann ihn aber duͤr⸗ 
ſtet,/ vnd er vngefehr zu einem Brunnen kompt / 
vnd ſein Angeſicht drinn ſihet / alsdann wird er 
traurig vnd betruͤbt / dann er erinnert ſich / daß er 
einen Menſchen / der ihm gleich ſihet / vmbracht 
hat derowegen ſtirbt er für lauter deyd. 

Durch dieſen Vogel wird ein Suͤnder verſtanden / 
welcher ſich von wege der Suͤnd / ſehr weit von Gott 
abfündert im ſuͤndigen vnerſaͤttlich iſt / vnd gleich⸗ 
wol das Angeſicht eines Menſchen hat / beſitzt aber 
nichts menſchlichs / dann ſeine Seel welche das in⸗ 
nerliche Angeſicht iſt) iſt durch die Suͤnd ſcheutzlich 
deformiert vnd verſtellt. Wir / wir ſeynd der Vogel 
Harpya, welcher durch vnſere Suͤnd den wahren 
Menſchen Chriſtum in der Wuͤſten dieſer Welt 

D vmb⸗ 


84 Hirnſchleiffer. 


vmbbracht haben / ja noch taͤglich vnſern Naͤchſten 
durch Neyd / Haß vnd Verkleinerung tödten vnd 
vmbbringen / derowegen ſolten wir zum Waſſer 
der . Schrifft gehen / darinn werdẽ wir ſehen / was 
wir fuͤr einen getödt vnd vmbracht haben. Als dann 
ſollen wir auch weinen vnd Buß thun / vnd das 
ſchaͤndliche Larven⸗geſicht von vns werffen. 

Vorzeiten pflegte man auff den Pancketen / 
Gaſtereyen vnd Frewd⸗feſten die Angeſichter mit 
Larven zu bedecken / vnd ein Kurtzweil darmit zu- 
treiben / inmaſſen noch heutigs Tags zur Faßnacht⸗ 
zeit geſchicht / als dann werden bitzweiln auch ſchwaͤ⸗ 
rere Suͤnd vnd vnchriſtliche Werck darvnder began⸗ 
gen / wann wir a ber die Augen vnſers Verſtands 
auffthun / vnd auff der Menſchen jetziges procedere 
vnd verhalten achtung geben / ſo werden wir ſchier 
nichts anders als lauter Larven⸗geſichter ſehen / 
man ſihet ſchier kein bloſſe auffrechte vnd red 
Geſichter mehr / dann man thut in der Welt nichts 
anders / als ſimulirẽ vnd das Angeſtcht verfaͤlſchen 
vnd vermum̃en: Ein newe Tugend iſt aufflkommen / 

die heiſt Diſſimulatio die hat den meiſten Glauben 
bey den Leuthen. 

Ovidius ſchreibt / es ſey im Hauß der Sonnen 
ein ſonderbarer Gott gemahlt geſtanden / der hab 
Prothus oder Ambiguus geheiſſen / weil er vnver⸗ 
ſehens andere Figuren vnd Geſtalten an ſich namb. 

Im Hauß der Sonnen / das iſt / in der ſtreitenden 
Kirchen werden viel ſolche Ambigui, Prothi, ges 
mahlte Freund vnd Gließner gefunden / die werden 
gleich ſam wie Goͤtter verehrt / vor denen aber 
warnet vns der Herz Math. c. 6. vnd ſpricht: 


Ihr 


Hirnſchleiffer. 85 
Ihr ſolt nicht traurig werden wie die Gleiß⸗ 
ner. Das Wort Hypocrita, iſt ein Griechiſch 
Wort / vnd bedeutet einen Gleißner / welcher inwen⸗ 
dig böß iſt / außwendig aber ſich fromm ſtellet. Zus 
gleicher weiſe wie ein Weib / welches von Natur 
heßlich iſt / ihre Zuflucht zu den Farben / Salben 
vnd Anſtrich nimbt / vnd ſich darmit butzet / zieret 
vnd ſchmucket / alſo / weil der Gleißner kein wahre 
Tugend an ihm hat / ſo erzeigt er nur falſche Schein⸗ 
tugenden. 

Wie ein Gauckler in den Schaw⸗ſpielen mit ver⸗ 
decktem Angeſicht vmbgehet / es mit allerley Farben 
vnder ſcheidet / vnd jetzt in der Geſtalt eines Weibs / 
bald aber in der Geſtalt eines Manns auffzeucht / 
damit er das Volck betriegen möge / alfo vertretten 
die Gleißner in den Kirchen die Perſon anderer 
Leuth / die ſie nicht ſeynd / vnd ſie ſtellẽ ſich / als ſeyen 

gerecht / ſeynds aber nicht. Ferner / wie in einer 
Scena oder Comaedi ein Armer die Perſon eines 
Reichen / vnd der Knecht die Perſon ſeines Herm 
vertritt: Item / wie ein heylloſer Menſch die Perſon 
deß H. Franciſti repra ſentiret / alſo / wan der Heuch⸗ 
ler in der Trageedi dieſer Welt herfuͤr gehet / ſo re⸗ 
præ ſentiret er die Perfö eines Demuͤtigen / damit er 
ſein hoffaͤrtiges Gemuͤth bedecken moͤge. Iſt einer 
ſehr geitzig / ſo ſtellt er fich freyguͤbig O wie viel der⸗ 
gleichen Gleißner hat man gefunden in der Welt! 
Ein Gleißner war Abſalon / als er vnderm ſchein 
der Sanfftmut vnd Guͤtigkeit ſeinen Bruder Amon 
zu gaſt lude / m Meinung ihn vmbzubringen / vñ ſei⸗ 
ne Schweſter Thamar zu raͤchen: Item / als er vn⸗ 
derm ſchei der findlichen Liebe zur Gerechtigkeit / 

D 7 ſei⸗ 


96 Hirnſchleiffer. 


feinen Vatter ſuchte zu vertreiben / vnd das Koͤnig⸗ 
reich zu beſitzen. Gleißner waren die Phariſeer vnd 
Schrifftgelehrten / welche der Her: ſtraffte / vmb 
daß ſie vnderm ſchein der Andacht die Kinder von 
der Pietaͤt / die ſie ihren Eltern zu erweiſen ſchuldig 
waren / abhielten / vnd ihnen zuverſtehen gaben / 
daß ſie daß Geld / welches ſie ſonſten zu Erhaltung 
ihrer armen vnd duͤrfftigen Eltern hergaben / den 
Prieſtern zuſtellten / vnd ſagten: Mann ſols viel⸗ 
mehr Gott vnd dem Altar / weder den El⸗ 


tern auffopffern. Diß ſeynd nun rechte Heuchler / 


u 


welche vnderm ſchein der Pietaͤt vnd Religion ihren 
vnerſaͤttlichen Geitz deß Gelds diſſimulirten. Das 
mit auch ſie fuͤr ernſthaffte Vollzieher deß Goͤttli⸗ 
chen Geſaͤtzs gehalten würden / fo ſchrieben ſie die 
Zehen⸗Gebott auff Pergement / bunden ſie vornen 
an die Stirn / vnd machten gleichſam eine Cten 
vmbs Haupt herumb / damit ſie es allzeit vor Au⸗ 
gen haͤtten. Aber in ihren Gemuͤtern ſteckten ver⸗ 
giffte boͤſe Geſaͤtz / vñ ob fie ſchon aͤuſſerlich ein Frey⸗ 
gaͤbigkeit erzeigten / ſo waren fie doch geitzig / neydig 
vnd hoffaͤrtig: Daher nennte ſie der Her: geweißte 
Todten⸗graͤber / welche außwendig verguͤldt vnd 
mit koͤſtlichen Steinen vnd herrlichen Vberſchriff⸗ 
ten geziert / inwendig aber mit bloſſen außgefreſſ⸗ 
nen Todten⸗ beinen / mit ſtinckendem faulen Fleiſch / 
mit erſchroͤcklichen Wuͤrmen erfuͤllt ſeynd. 

Ferners ſeynd auch alle die jenige fuͤr Gleißner 
zu halten / die ſich gegen einem jedwedern freundlich 
erzeigen / vnd aber im Hertzen feind ſeynd / vnd 
heimlich verachten oder verꝛathen: Deßgleichen die 
Kraͤ⸗ 


Hirnſchleiffer. 87 


Krämer oder Kauffleuth / welche offentlich viel All⸗ 
muſen geben / heimlich aber die Staͤtt durch ihren 
Wucher vnd Eigen⸗nutzigkeiten erſeigern: Nicht 
wenig er die Prieſter / welche vnder den langen 
ſchwartzen Kleidern / andere gefaͤrbte Kleider tra⸗ 
gen / vnd beyn ebens dem Gottes dienſt fleiſſig bey⸗ 
wohnen / aber ein vnreins Gemuͤth vnd beynebens 
anheimbs ihre Fetteln vnderhalten: Ebenmaͤſſig 
einer / welcher eine Prælatur vnderm ſchein der Res 
ligion begert / vnd doch fein eig ne Ehr vnd Nutz 
darvnder ſucht: In ſumma / all die jenige ſeynd 
Gleiß ner / welche das eine aͤuſſerlich ſimulirn vnd 
zeigen / ein anders aber drunden prætendiren vnd 
ſuchen. 

Ob nun wol dem alſo / vnd man vnendlich viel 
ſolche Gleißner in der Welt findt / ſo gebuͤret doch 
niemand / andere zu vrtheilen vnd Gleißner zu ſchel⸗ 
tec v onangeſehen dieſelbẽ im WerckGleißner ſeynd / 
dann Gott will nicht / daß wir vnſern Naͤchſten vers 
meſſentlich vrtheilen / ſondern wir ſollen alles Gott 
dem Herꝛn vnd feiner Goͤttlichen Gerechtigkeit 
heimſetzen. Wan dir dein Naͤchſter ein gutes Exem⸗ 
pel offentlich gibt / alsdann hat er das feine gethan / 
vnd dir das Pfand / welches er dir ſchuldig iſt / gege⸗ 
ben / vnd du kanſt ein mehres vom ihm nicht fordern 
oder begeren. Chriſtus iſt von Gott zu einem Rich⸗ 
ter verordnet / demſelben iſt nichts verborgen. Er 
wird die allerfinſterſte vnnd verborgenſte Winckel 
der Hertzen vnd Gemuͤther erforſchen vnd vrtheilen. 
Der Menſch wird durch eines andern liſtiges ſimu⸗ 
liren leichtlich betrogen / Gott aber kan nicht betro⸗ 
gen werden / dann er betrachtet das innerlichſte / vnd 
erforſchet eigentlich den Anfang biß zum End. Der 


88 Hirnſchleiffer. 


Der Menſch ſihet nur was vor Augen iſt / aber 
der Herꝛ ſihet das Hertz / vnd durchdringets: Der⸗ 
owegen ſpricht Jeremias c. 17. Deß Menſchen 
Hertz iſt boͤß / vnd vnergruͤndlich. Die Gleiß⸗ 
ner mögen gleichwol die Menſchen betriegen / aber 
Gott den Hera koͤnnen fie nicht betriegen. Deß⸗ 
wegen ſagte der HErꝛ Chriſtus zu den Phariſeern 
Luc. c. 16. Ihr ſeyt / die ihr euch ſelbſt recht⸗ 
fertiget fur den Menſchen. 


Anderer Diſcurs. 

Gott iſt auch ſehr feindt den Gleißner / das er⸗ 
ſcheint erſtlich auß dem / daß er die jenige Thier ver⸗ 
wirfft vnd fuͤr vnrein halt / welche die Menſchen fuͤr 
gut halten. Den Gchwan hat Gott mit ſchnee⸗ 
weiſſen Federn vnd einem lieblichen Geſang geziert / 
vnd dannoch iſt er von Gott verworffen worden / kei⸗ 
ner andern Vrſach en / als weil ſein weiſſe Geſtallt 
nur in den äufferlichen Federn beſtehet / dann fein 
Fleiſch iſt kohlſchwartz / vnd iſt nur mit der aͤuſſer⸗ 
lichen Schönheit vmbgeben. Hierdurch werden die 
Heuchler verworffen / welche nur auß wendig ein 
weiſſe vnd liebliche Geſtallt der Tugenden von ſich 
geben / aber ein böß laſterhafftigs Gemuͤth haben: 
Was kan aber ſchaͤndlicher ſeyen / als eben das? Die 
Zaͤher ſeynd allzeit wol feyl bey ihnen / dann wann 
man vom Paſſion vnd Schmertzen Chriſtt predigt / 
ſo laſſen fie einen gantzen Bach der Zäher auß ihren 
Aug flieſſen. Das ſeynd aber nur äufferliche Ding / 
dann wann man ihr Gemuͤth beſihet / ſo iſt es ein 
lauter Stein. Sie erzeigen ein weiſſe Geſtalt der 
Keuſch⸗ 


Hirnſchleiffer. 89 


Keuſchheit vnd reinigung / aber ihr Gemuͤth iſt heß⸗ 
lich vnd vnrein. Jene zween Richter hatten ſchnee⸗ 
weiſſe Baͤrt vnd Har / vnd bulten vmb die keuſche 
Suſan nam, aber Daniel zeigte dem Bold ihr ſchaͤnd⸗ 
lichs vnd ſtinckendes Fleiſch. 

Ferner / ob ſchon der Adler ein Koͤnig vnder den 
Vögeln iſt / vnd ſie alleſampt in der Groͤſſe / Zierd 
vnd Staͤrck uͤbertrifft / vnd beynebens nicht erblin⸗ 
det / vnangeſehen er die glantzende Sonn noch ſo ei⸗ 
gẽtlich anſchawet: Nicht deſto weniger verwirfft ihn 
Gott / weil er feiner Hochheit gleichfamb ſelbſt ver⸗ 
giſt / ſich auff die Erd begibt / vnd Schlangen vnd 
Maͤuß friſt: Hierdurch werden nun die jenige Gleiß⸗ 
ner bedeut / welche die fuͤrnembſte vnder allen feyn 
wöllen / vnd doch in ihren eignen Sachen hinlaͤſſig 
ſeynd / vnd ſich ſelbſt ſo veraͤchtlich halten / daß ſie 
nur nach ſchlimmen zergaͤnglichen vnd jrꝛdiſchen 
Hungen trachten / grob vnd vnbarmhertzig ſeynd. 

Der Milvus oder Weyhe iſt gleichfals ein ſchoͤ⸗ 
ner Vogel / vnd fleugt hoch vnd geſchwind / aber doch 
wendet er allzeit feine Augen abwartz / damit er die 
junge Huͤner vnd Schlangen freſſen moͤge / dero⸗ 
wegen wird er vom Herm verworffen: Hierdurch 
werden die Gleißner bedeut / welche ſich mit der 
Spitzfuͤndigkeit ihres Ver ſtands hoch erheben / 
aber doch all ihre Sorg auff zeitliche Guͤter vnd 
Wolluſt verwenden. Deß gleichen vermag Gott 
den Strauffen eben ſo wenig / weil er nicht fliegen 
kan / ſondern allzeit auff der Erden vmbhuͤpfft: 
Hierdurch werden die jenige bedeut / welche aller 
jrꝛdiſch vnd weltlich ſeynd / da doch billich ihre Ge⸗ 
dancken im Himmel ſeyn ſolten: Ihr W 
ede⸗ 


90 Hirnſchleiffer. 


bedecken fie mit dem / daß ſie Geiſtliche Kleid er kra⸗ 
gen / vnd mit Geiſtlichen Tituln geziert ſeynd: Sie 
führen den ſchein eines Vogels / ſeynd aber darne⸗ 
ben jrꝛdiſche Thier: Sie haben Fluͤgel / koͤnnen aber 
nicht fliegen / noch gen Himmel ſteigen / ſondern 
beharꝛen allzeit bey der Erd. Alle dieſe werden von 
den Menſchen gelobt / aber von GOtt dem HErꝛn 
verworffen: Was hilfft ſie aber der Menſchen Lob / 
wofern Gott wieder ſie iſt? 

Ferner erſcheint GOttes Feindſchafft wider die 
Gleißner auß dem / das er von ihnen ſagt Job. c.36. 
Die Heuchler vnnd Liſtigen reitzen Gottes 
Zorn / vnd beſchreyen nicht / wann ſie gefan⸗ 
gen ligen: Als wolt er ſagen Weil ſolche Gleiß⸗ 
ner ſich der Beicht nicht vnderwerffen woͤllen / damit 
ihnen nicht etwan eine Schand begegne / ſondern 
nur immerdar auff die Ehr vnd Hochheiten ſehern / 
vnd begeren bey den Menſchen fuͤr die jenigen ge⸗ 
halten zu werden / fuͤr welche man ſie allzeit gehal⸗ 
ten / ſo erzuͤrnen ſie Gott den HErm inſonderheit / 
vnd weil ſie die Tugend allzeet ſimulirt haben / ſo 
woͤllen fie fo gar in ihrem letzten End von ihren Irꝛ⸗ 
thumben nicht weichen / finden auch kein Mittel ſich 
zum Herꝛn zu bekehren / vnd ihre Suͤnd zu beich⸗ 
ten / dan ſo gar in ihrem Todt ſchnappẽ ſie noch nach 
dem menſchlichen Lob / damit ſie auch an der eiteln 
Ehr feinen Schaden leiden / ſo laſſen fie ehe die ewi⸗ 
ge Seligkeit: Immittelſt auch ſie mit ihnen ſelbſt 
alſo ſtreiten / vnd vom Stachel deß Gewiſſens an⸗ 
gefochten werden / ſo ſterben ſie daruͤber gantz arm⸗ 
ſeliglich: Aber die Frommen vnd Gerechten / welche 
nur 


Hirnſchleiffer. 91 
nur die Ehr Gottes ſuchen / täglich beichten vnd 
communicirn / die ſterben fein friedlich vnd ſanfft⸗ 
muͤtiglich im Herın. 

Noch andere wunderbarliche ſeltzame Gleißner 
ſeynd vorhanden / welche / damit ſie das Laſter der 
Gleißnerey meidẽ moͤgen / ſo fallen ſie in ein anders 
viel gefährliches Vbel. Dann fie geben allen vnd 
jeden Tugenden Vrlaub / das Faſten verlaſſen ſie 
vnd die rauhe Kleider verwerffen ſie. 

Vorzeiten ehrte man das Gebett dermaſſen / daß 
man in den Synagogen vnd auff der Gaſſen neben 
den Haͤuſern ſtundt / vnd offentlich bettete / aber an⸗ 
jetzo bettet man weder auff der Gaſſen / noch in der 
Kirchen / ſo gar halten ſie es fuͤr ein Gleißnerey / 
vnd fuͤr ein ſolches Ding / welches ihrer Reputation 
zuwider iſt / wann ſie in der Kirchen vor GOTT 
nider knien ſolten: Deßwegen knien ſie nur auff dem 
einen Knye / vnd damit ſie nur ihre Kleider auff 
der Erden nicht beſudeln / oder ihrem Knye nicht 
wehe thun / ſo legen ſie ein Kuͤſſen oder Handſchuch 
darvnder. Deßgleichen hielt man vorzeiten viel 
von dem offentlichen Allmuſen geben / vnd wann 
die Reichen auß gehen wolten / fo lieſſen fie einen 
Trommeter vor ihnen hergehen / der auffbließ / 
damit die arme leuth herzu lauffen ſolten / vnd die 
Allmuſen⸗geber vor allermaͤnniglichen durch die 
Fenſter möchten geſehen werden. Aber (leyder) an⸗ 
letzo kompts dahin / daß man nicht glortirt / wann 
ſie der Noth der Armen helffen / ſondern wan ſie ihre 
Patrimonia ſchaͤndlich verſchwenden / ſo laſſen fie 
zu ſolchem End ihre Trommeter voran reiten / 
vnd weydlich auffblaſen / damit alſo * 
ihre 


92 Hirnſchleiffer. 


ihre Thorheit Pracht vnd Verſchwenderey ſehen 
vnd wiſſen möge. 

Ebenmaͤſſig war es vorzeiten ein hohe Ehr / wann 
einer ein Haͤrines⸗Kleid / das mutwillige Fleiſch 
darmit zu daͤmpffen / anlegte / dann damals hielt 
man die Werck der Buß in Ehren: Aber wer anjetzo 
in koͤſtlichen vnd ſeltzamen Kleidern am naͤrriſchten 
auffzeucht / der wird am meiſten geehrt / vnd ein 
gnaͤdiger Her: / oder ein ſtrenger Juncker geſchol⸗ 
ten. Nunmehr verſtecken ſich die Laſter nicht in die 
Winckel vnd heimliche Oerther / ſonder ſchweben 
offentlich vmb / vnd laſſen ſich aller Orthen ſehen / 
beym hellen Tag. Nunmehr haͤlt man die Glory 
vnd den groſſen Nahmen fuͤr vnſterblich. Die Hof⸗ 
fart wird erhebt vnd die Demut vndertruckt / Fre⸗ 
vel traͤgt das Faͤhnlein / Fraß wird gelobt / Maͤſſig⸗ 
keit wird g haͤndt: Schand wird erhoͤhet / Keuſch⸗ 
heit ligt vnder / alle kafter werden geehrt / vnd die 
heriliche Tugenden veracht. Daher ſagt Eſaias 
c. 9. mt vnrecht: Das Recht iſt hinder ſich 
gewichen / vnd die Gerechtigkeit iſt weit ge⸗ 
ſtanden: Die Warheit iſt auff der Gaſſen 
nider gefallen / vnd die Billigkeit mocht nicht 
herfůͤr kommen: Die Warheit iſt vergeſſen. 
Eben dieſe Wort kan man auch ſagen vom jetzigen 
Welt⸗lauff / dann die Boßheit hat ein fo hohes an⸗ 
ſehen genommen / daß die allerveraͤchtlichſte vnd ge⸗ 
fraͤſſigſte deuth biß in Himmel erhebt werden / aber 
wann einer ſich der Armut vnd Maͤſſigkeit befleiſt / 
ſo wird er von maͤnniglich veracht / vnd fuͤr einen 


Heuchler 


Hirnſchleiffer. 93 


Heuchler vnd Gleißner gehalten: Je mehr einer 
ſich im Koth der Laſtern vmbweltzt / je mehr glorürt 
vnd frewet er ſich deſſen / iſt aber einer vorhanden / 
der ihn ſtrafft / ermahnt vnd auff dem rechten Weg 
zu bringen begert / der wird verhaſt / geſchaͤnd vnd 
geſchmaͤhet. Derowegen kan man von dieſer Welt 
billich ſagen / was Jer emias am 3. Cap. ſagt: 
Darumb iſt dir der Fruͤh regen verſagt / vnd 
der Abend⸗ regen außblieben / du haft ein Hu⸗ 
ren⸗ſtirn / vnd wilt dich nicht mehr ſchaͤmen. 
Alsdann wird vns der Regen verſagt vnd entzogen / 
wann die gerechte vnd wahre Prediger nicht recht 
reden doͤrffen / vnd nicht ſtatt finden / den Samen 
der Tugenden in die menſchliche Gemuͤther außzu⸗ 
ſaͤhen: Dardurch werden entzogen die Außtheilun⸗ 
gen der Goͤttlichen Gnaden vnd Segen / die ſie in 
ihren Gemuͤthern empfinden ſolten / ſintemahl 
ſie vnverſchaͤmpte Larven⸗geſichter vnd Huren⸗ 
ſtirnen haben / die Suͤnd ohn alle Scham begehen / 
vermehren / vnd die Augen der Menſchen nicht 
ſchewen. Dieſer geſtalt haben auch die Laſter ihre 
Gleißnerey / welche ihre Glory vnd kob nicht auß 
der wahren Zierd der Tugenden / ſondern auß ſimu⸗ 
lirten Laſtern ſchoͤpffen: Aber Gott / der aller 
Hertzen kennt / wird einem jeden geben 
nach ſeinen Verdienſten. 


(o) d 


Fuchs 


Hirnſchleiffer. 
Fuchs mit der Maſcara. 


Fe 


His Ariftophanes einen Idioten beſchrieben wol⸗ 

te / nennte er ihn ein Simulachrum pictum, 
ein gemahltes Bild oder ein Mafcara, oder Schoͤn⸗ 
bart / welche auß wendig ſcheint ein Menſch zu ſeyn / 
inwendig aber iſt nichts. Ein Weiſer hat das inner⸗ 
liche vnd aͤuſſerliche / aber ein Idiot hat nur das 
aͤuſſerliche allein: Die Augen deß Weiſen ſtehen 
im Kopff / aber der Narꝛ gehet in der Finſternuß / 
vnd hal ſeinen Kopff in den Augen Ein Weiſer 
ba: Augen vnd ein Haupt / vnnd die Augen im 
Kopff / aber ein Narꝛ hat den Diſcurs deß Kopffs 
im anſchawen der Augen: Ein Weiſer ordnet das 
ſchawen 


Hirnſchleiffer. 


95 


ſchawen der Augen der geſtalt / daß der Kopff 
contempliren möge / aber der Narr hat fein andere 
Betrachtung im Haupt / weder was in den Augen 
ſcheinet: Ein Weiſer hat ſeine Augen im Kopff / 
ſihet vnd ſpeculiret mit ihnen / aber an einem Nar⸗ 
ren hats das anſehen / als hab er nichts anders vom 
Kopff oder Menſchen / weder was man aͤuſſerlich 


an ihm ſihet. 


Dieſes deuteten die Alten an / als ſie fingirten 
vnd ſagten / es ſey einmahls ein Fuchs in eines 
Tantz⸗meiſters doſament kommen / vnd hab ein ſchoͤ⸗ 


ne Larff auff der Banck ſehen ligen 


* 
* 


Derowegen 


hebt er fie auff / vnd ſagte: Du biſt ein ſehr ſchoͤner 
vnd huͤpſcher Kopff / haſt aber wenig Hirn. Man⸗ 
cher Menſch hat von Natur ein ſo ſchoͤnes Angeſicht 
vnd Geſtallt / als waͤr er der allervollkommenſt vn⸗ 
der allen Thieren / aber es mangelt ihm die Schoͤn⸗ 
heit deß Verſtands / vnd iſt in feinen Diſcurſen vnd 
Reden ein lauterer Idiot. 

Sambucus ſagt / es hab eins mals ein alter Mann 
einen Sohn gehabt / der ſey mit der Kranckheit der 
Ignorantz vnd Vnwiſſenheit behafft geweſen / den⸗ 
ſelben führe er zum Oraculo Apollinis, vnd fragt 
daſſelb / ob ſeinem Sohn nicht koͤnte geholffen wer⸗ 
den? Die Antwort aber war dieſe / er ſoll ihn nemb⸗ 
lich den Silentio eonſecriren vnd auffopffern: dann 
das ſtillſchweigen iſt die einige Artzney dergleichen 
Kranckheiten zu heylen 
S forſan Inven: fi non mens tota rediret 


Saltem fi welit, diſſimulare potefl, 
Das iſt: 


96 Hirnſchleiffer. 


Ob ſchon die Kranckheit der Thorheit vnheylbar 
iſt / ſo kan ſie doch verborgen werden durchs ſtill⸗ 
ſchweigen. Ob ſchon aber dem alſo / ſo findt man 
doch Narren / die haben ein ſo groſſes Gefallen an 
jhrer Perſon / daß ſie vermeinen / jhre Wort ſeyen 
lauter Oracula, darvber ſich jederman hab zuver⸗ 
wundern 

Ulpianus ſchreibt von einer alten Seulen / die 
ward dem Abgott Mercurio mitten auff einem 
dreyfachen Weg auffgericht / vnd alle die jenigen / 
welche an dem Orth fuͤrvber giengen warffein jeder 
einen Stein zu der Statua oder Bildnuß. Von jhm 
redet Alciatus alſo: 
In trivio mons eſt lapidum , ſupereminet illi. 
Diß war nun die Ehr / welche ſie dem Bild Mercuri 
anthaten / nẽblich ein jeder warff einen Stein dran / 
vnd weil der Steinhauffen je laͤnger je groͤſſer ward / 
fo bawten fie auß denſelben Steinen dem Mercurio 
einen Tempel. Alle die jenige verehren den Mercu- 
rium mit Steinen / welche einen Idioten mit einem 
ſtaͤttlichen Ampt oder Dignitaͤt verſeher: Es iſt auch 
ſolchs nichts anders / als dem Abgott Mercurio ei⸗ 
nen Tẽpel bawen / dann ein ſolcher Idiot hat gleich⸗ 
wol das Anſehn / als ſey vnd wiſſe er etwas / aber er 
weiß nichts / er hat nichts im Hirn / iſt nur ein Maſca⸗ 
ra oder Schoͤnbart / ein Prachthanß / ein Schwetzer / 
ein Großſprecher / der nichts hinder ihm hat / nichts 
verſteht / nichts ſihet noch hört. Ein ſolcher Idiot iſt 
auch nichts anders / als ein ſehr ſchoͤne mit Perlen 
vnd edlen Steinen gezierte Scheid / in der nur 
ein bleyenes Schwerd ſteckt. Obſchon aber eine 
Scheid noch ſo ſchoͤn vnd zierlich eee 
Kiek 


Hirnſchleiffer. 97 


Kleinotern beſetzt wird / alſo / ob ſchon ein Narꝛ mit 
Reichthumben / Digmtaͤten vnd Hochheiten geziert 
wird / ſo iſt er doch nur ein ſtuck Bley / welches 
nichts mußt. 

Wie einer mit der Schlingen einen Stein in die 
Höhe wirfft / alſo vnd eben fo viel iſts / wan einer 
einen Narꝛen ehrt / oder ihm ein Ampt gibt. Wann 
der Stein in die Höhe geworffen wird / geſchicht ſol⸗ 
ches durch Gewalt vnd wer dem Narꝛen ein Ampt 
gibt / der handelt wider deß Narien Natur / dann 
wie der Stein vmb ſo viel ſtaͤrcker vnd deſto haͤrter 
auff die Erd nider fallt vnd zerſchmettert wird / vmb 
wievtel höher er in den Lufft hinauff iſt geworffen 
worden: Alſo / wann der Narꝛ zu den Dignitäten 
erhoͤhet wird / gereicht im ſolchs zu einem deſto 
ſchwaͤrern Fall. 

Ein in die Hoͤhe geworffener vnd wider hervnder⸗ 
fallender Stein gibt Zeugnuß der Schwäre feiner 
Natur: Alſo vnd ebener geſtallt / wan einer Narı ei⸗ 
ne Dignität oder ein Ampt zuwegen bringt / als⸗ 
dan ſihet man ſein ſchlechtes tale ntum, vnd ſchwa⸗ 
che Qualitäten. Was man zuvor nicht von ihm 
gewuſt hat / das ſihet vnd ſpuͤrt an / wann er in ſei⸗ 
em Ampt vnnd Vernichtung grobe Irꝛungen bee 
gehet. Ob ſchon noch ſoviel Dignitaͤten / Ehren vnd 
Pra laturn einem Idioten zugelegt werden / ſo koͤn⸗ 
nen ſie doch ihm feine Kranchheit der Va wiſſenheit 

nicht curiren / ſondern er iſt ein Narꝛ vnd bleibt 

ein Narꝛ / ein Maſcara, ein bloſſes 
Bild eines Menſchen ohne 
Hirn. 


E Ein 


98 Hirnſchleiffer. 

Ein Koͤnig mit einem doppelten 
Augeſicht. 
. 


EInemal s diſputirten drey Perſianiſche Haupt⸗ 
eut mit einander / was doch das allerſtaͤrckſte 
Ding auff Erden waͤre? Einer vnder ihnen ſagte / 
es waͤre der Koͤnig: Meines erachtens hat er nicht 
gar vnrecht geredt / dann die Königliche Majeſtaͤt 
zeucht die allermeiſte Staͤrck vnd Macht nach ſich. 
Plato ſpricht: Der König iſt gleichfam ein menſch⸗ 
licher Gott. Plutatchus ſpricht: Der Fuͤrſt iſt 
ein Ebenbild Gottes / der alles verwaltet vnd res 
giert. 

Ein 


Hirenfchleiffer. 99 

Ein Koͤnig iſt ein „ urlichs Ebenbild der Gott— 
heit / dann wie Gott ein vollkom̃nes Weſen iſt / vnd 
nichts vnvoltom̃nes an jhm hat / alſo ſoll der König 
vollfommen ſeyn / vnd nichts ſchaͤndlichs an jhm 
haben. Die Koͤnige ſeynd ein Ebenbild Gottes 
auff Erden / dan wie der Allmaͤchtige G Ott den 
gantzen Erdkreiß vermittels der Gerechtigkeit vnd 
Barmhertzigkeit regteret / alſo regieren die Koͤnige 
mit eben dieſen zwehen Stuͤcken die Völder auff 
Erden. 

Das gaben nun die Egyptier zuberſtehen / in de⸗ 
me fie einen König mahltẽ mit einem Scepter / auff 
deffen ober⸗Theil war ein ſtorchen⸗KRopff / vnd am 
vnder⸗Theil hieng ein Meer⸗Roß. Der Storch iſt 
von Natur guͤtig vnd barmhertzig / das Meer⸗Roß 
aber iſt grimmig vnd wuͤtig. Hie durch bedeuten ſie / 
daß die Könige als Gottes Leutenant vnd Statt⸗ 
halter / regieren ſollen mit Barmhertzigkeit vnd Ge⸗ 
rechtigkeit. 

Nicht allein ſeynd die Koͤnige ein Ebenbild Got⸗ 
tes / ſondern durch jhn regieren ſie vnd führen ihre 
Cronen vnd Scepter / Dan es ſteht geſchrieben; 
O ihr Voͤlcker / gehorſamet den Königen ) 
ehret ſie / vnd feyd jhnen getrew / dann ich 
bin der jenig / der ſie einſetzet vnd beſtetti⸗ 
get / ich bins / der jhnen die Cron auff den 
Kopff ſetzet / nd den Scepter in die Hand 
gibt: Das wuſte vnd erkenne der H. David / als 
der Plal. 2. ſagte: Aber ich bin Koͤnig von jhn 
geſetzt vber ſeinen heiligen Berg Syon. 
E 2 Gott 


100 Hirnſchleiffer. 


Gott reſpectiret hoch die Ke x ge / dann fie ſeynd ſeine 
Statthalter auff Erden. Als dero wegen die Koͤni⸗ 
gin Jezabel war gerichtet word en / ſagte Jehu 4. 
Reg. 9. Beſehet vnd begrabet ſie / dann 
fie iſt eines Königs Tochter. Ob nun wol dem 
alſo / ſo iſt doch auch hergegen wahr vnd gewiß / 
daß die Koͤnige / Fuͤrſten vnd Her Menſchen / vnd 
eben ſo wol Erden ſeindt als andere / vermoͤg deß 

Berß: 
Pulvis c umbra ſumus , pul vis nihil ef 

n iſi fum us, 

At nıkil eſt fumus, nos nihil ergo ſumils. 
Einsmals tamen deß Koͤnigs auß Perſia Geſand⸗ 
ten zum Ageſilao König zu Lacedemonia, vnd 
nennten jhren Herm einen groſſen Koͤnig Aber A- 
geſilaus antwortet: Was hat er mehr weder ich / 
wofern er mich in der Gerechtigkeit vnd Sanfftmu⸗ 
tigkeit nicht vbertrifft? Nicht die groſſe Königreich / 
Fuͤrſtenthumben vnd Herꝛſchaffien / nicht die hohe 
Dignitaͤten / Scepter vnd Cronen machen den Koͤ⸗ 
nig groß / ſonder die Tugenden machen jhn herzlich/ 
dan ohn die Tugenden iſt kein Heꝛꝛlichteit an jhm 
vorhanden: Ob ſchon ein vntugendſamerlaſterhaff⸗ 
tiger König auff dem Königlichen Thronin feiner 
Majeſtaͤt vnd Hochheit ſitzet / ſo iſt er doch eben ſo 
wol Erd / Staub vnd Aſchen / als ein Bettler / der 
vor der Thuͤr bettelt vnd vmb etwas bittet Was 
hilfft jhm ſein Cron auff dem Haut / wofern er mit 
dem Halß in der hoͤlliſchen Galeren ange chmiedet 
iſt? Was hilffts jhn / daß man jhn lobet / ehret vnd 
preiſet / vnd gleichſamb für einen Gott haͤlt / 2 
era 


Hirnſchleiffer. 101 


fern das Gewiſſen jhm darneben ſein Seel naget: 
Wenig hilfft das Lob der Welt / wofern 
jhn ſeyn boͤſes Gewiſſen naget vnd beiſſet. 

Nicht allein ſeynd die Koͤnige nur Erd vnd 
Staub / ſondern ſeyndt auch gleichſamb wie das 
Gluͤck im Spiel: Wann ein Knab mit dem, Ball 
ſpielt / alsdan wirfft er jhn jetzt von ſich / bald treibt 
er jhn wider ansjegt wurfft er jhn in die Hoͤhe / bald 
widerumb nider. Der Keyſer Vale anus ward mit 
einem vberauß groſſen Jubel vnd Frolocken zu 
Rom empfangen vnd hoch erhebe / bald aber herr 
nacher fiel er ſchaͤndlich nder zu boden / vnd ward 
ein Gefangner vnd Fußſchemel deß Sapocis in 
Perſia. 

Belifarius vberwandt die Wenden / triumphir⸗ 
te vber die Partier / verthedigte vñ erhielt ſein Vat⸗ 
terlandt Italiam, ſein Nahm vnd ob word tu aller 
Welt außgebreit: Letztlichen aber wurden jhm die 
Augen außgeſtochen / vnd er muſte das Allmuſſen 
auff der Gaſſen erbetteln. Keyſer Valentinus er⸗ 
reichte den allerhöͤchſten Staffel deß Gluͤcks / aber 
nach ſeinem Tod ward er zu Conſtantinopel geheckt. 
Das menſchliche Leben iſt gleichſamb ein 
Wuͤrffelſpiel. Was aber das Leben Agato- 
clis, Dioniſij, Thelephanis, Primislai , Poly- 
cratis, Bayacetis, Perſei „Amiani, Marcellini, 
vñ vieler anderer / anderſt / als gleichſam ein Wuͤrf⸗ 
fel⸗ oder Kartenſpiel. Der Her ſpricht: Was iſt 
der mächtige Koͤnig Jechonias anders / als ein erde⸗ 
nes zerſchmettertes Geſchir / ein erdenes zerbroch⸗ 

E 3 nes 


102 Hirnſchleiffer. 


nes Bilde Was ſeynd die Könige vnd Potentaten 
der Erden anders / als eitele Bilder / weſch e viel re⸗ 
præ ſentiren vnd zeigen / aber im Werck ſcyndt fie 
nichts? Was iſt er anders / als ein Gott außwendig 
vnd ein wenig Aſchen inwendig? Was iſt er anderſt / 
als ein Erd / ein Fabel? Der Herr ſpricht durch den 


- 


Ofeam c. 10. Samarta hat gemacht / daß 


jhr König dahin iſt / wie ein Schaum auff 
dem Waſſer. O ſchoͤnes Hieroglyph cum! 
Der H Geiſt vergleichet die Koͤnige dem Schaum 
auff dem Waſſer. 

Ein ſchoͤnes Anſehen hat der Schaum auff dem 
Waͤſſer:biß weiln ſcheint er wie ein Berg oder Fel⸗ 
ſen / oder Port:bißweiln iſt er weiß / biß weiln roth / 
dann die Sonn bekleidet jhn als waͤre es an ſehr 
loͤſtliches Ding / aber wan man nahe hinzu kom pt / 
iſt er nur ein eitels Bild: wan der Wind darein 
wehet / ſo ver gehet er im Waſſer / als waͤre er nie⸗ 
maln geweſt / alſo vnd ebner Geſtalt ſeynd die Koͤ⸗ 
nige / jhr Geſtalt betreugt / wan man ſie von wei⸗ 
tem ſihet / ſo ſcheinen ſie dermaſſen ſtarcke vnd ſiche⸗ 
re Felſen zuſeyn / als wan ſie die gantze Welt nicht 
koͤndte zerſtoͤren. Biß weiln ſeynd ſie Porten / dahin 
ſich jhre Favoriten begeben / dieſelbigen vermeynen 
daſelbſt woͤllen fie ficher ſeyn / wider alles Gewitter 
deß Vngluͤcks / ſo bald aber der Wind des widerwer⸗ 
tigen Glücks ein wenig wehet / ſo zergehet vn deer⸗ 
ſchwindet diefi be M ajeſtat / Hochheit vn d. Hertlich 
keit in einem Augenblick: der Konig ſtirbt / vn id die 
Schiff / die ſich in ſeinen Port begeben haben / blei⸗ 


ben 


Hirnſchleiffer. 103 


ben mitten auff dem Merr / vnd werden vom Wind 
jhrer Neider vnd Miß goͤnner hin vnd wider getrie⸗ 
ben / vnd von den Wellen jhrer Feinde angefoch⸗ 
ten vnd zerſtoſſen. Daher ſagt Oſeas c. 10. 
Sie wergehen gehling wie die Morgen⸗ 
roth. 

O wie ſchoͤn / wie lieblich iſts anzuſehen wann 
die Sonn deß Morgens fruͤhe auffgehet? O was 
für ſchoͤnes Lob / Segen vnd Gluͤckwuͤnſchungen ger 
ben ihr die Poeten! Die Voͤglein gruͤſſen fie / die 
Schiff auff dem Meer breiten jhre Segel auß / vnd 
laſſen ihr Geſchuͤtzabgehen: Die müde Schildt⸗ 
waͤchter / die Krancken frewen ſich durch ihr an⸗ 
ſchawen: Die Kraͤuter / die Felder / die Baum v⸗ 
ber kommen newe Farben: der Auffgang oder O- 
rient lachet: der Nidergang wird geziert mit zar⸗ 
ten Woͤſcklein vnd Kureen:alles frewet ſich / aber 
in einem Augenblick vergehet dieſe Schoͤnhett vud 
laͤſt die Welt verbleiben in jhrer vorigen Jarb 
vnd Geſtalt: Eben ein ſolche Meinung hats mit der 
Könige schen. Im anfang feiner Regierung wuͤn⸗ 
ſchet jhm ein jeder Gluck / alle Staͤndt frewen ſich / 
halten Frewdenfeſt vnd vberkom̃en newe Hoffnun⸗ 
gen / aber ein ſolche Glory wehret nur ein Augen⸗ 
blick / dan wan die Nacht deß Todts vnverſehens 
kompt / als dan bringt er alles in einerley Farb: 
Den König macht er dem Vnderthanen gleich / die 
Fuͤrſten den Knechten / die Maͤchtigen den Bettlern / 
die Potentaten dem Officerer: alle vberkom⸗ 
men einerley Farb vnd kleitung / alle werden 
verlert in Erd / Staub vnnd Aſchen / fo wol die 


E 4 Kriegs⸗ 


104 Hirnſchleiffer. 


Kriegsleut mit ihren Fahnen / als die Paͤpſt mit 
jhren Cronen / vnd die Biſchoffe mit jhren Infeln / 
vnd die Richter mit jhren Staͤben haben alsdan 
jhr End. Alle Hoffart / Pomp / Pracht vnd Thor⸗ 
heit iſt alsdan auß. 

Hierauß erſcheinet nun eines Koͤnigs Armſelig⸗ 
keit: Aber gluͤckſelig / groß vnd herilich / ja Goͤtt⸗ 
lich iſt er / wan er mit den obbemelten Tugenden 
der Barmhertzigkeit vnd Gerechtigkeit verſehen iſt / 
die Barmhertzigkeit erhoͤhet das Gericht / aber doch 
mit dieſem Beding / daß die Barmhertzigkeit vber⸗ 
treffe die Gerechtigkeit. Wann er die Barmhertzig⸗ 
keit vnd Gerechtigkeit in die Waag legt / fol allzeit 
die Barmhertzigkeit welche in der einen Schal oder 
Schluͤſſel ligt) die Gerechtigkeit (welche in der ans 
dern ligt) vbertreffen vnd hinwoͤgen. Wann die 
Gerechtigkeit vnd Barmhertzigkeit gegen einander 
zu Feld ziehen / als dan ſoll die Barmhertzigleit vber 
die Gerechtigkeit triumphiren / die Barmhertzigkeit 
fol wider die Gerechtigkeit obſiegen / ſeytemal die 
Barmhertzigen Barmhertzigkeit erlangen wer⸗ 

den. 

Wie der Storchen ⸗Kopff oben auff dem Sce⸗ 
pter ſtehet / aber der Kopff deß Meer⸗Roſſes vnden 
haͤngt / alſo ſoll die Barmhertzigkeit vberſich gehen 
vnd die Gerechtigkeit vbertreffen. Der Prophet Za- 
charias redet von zweyen Ruͤthen c. 9. vnd ſpricht: 
Ich namb mir zween Staͤbe / den einen nen⸗ 
net ich die Schoͤne / vnd den andern nen⸗ 
net ich die Schnur. Durch dieſe zwo Ruthen 
oder Scepter werden verſtanden die zweenRoͤnige / 

Iere - 


Hirnſchleiffer. 105 
Jeroboam vnd Roboam, der ein nemblich Jero- 
boam, war fehr ſtreng vnd vnbarmhertzig / derowe⸗ 
gen verlohr er ſein Roͤnigreich:aber der ander / nem̃⸗ 
lich Roho am, war barmhertzig / guͤtig vnd mitlei⸗ 
dig / deßwegen ward er zu einem Koͤnig vber gantz 
Iſrael gemacht. Die zwo Ruthen oder Staͤb / als 
Barmhertzigkeit vnd Gerechtigkeit ſollen allzeit 
beyſammen ſeyn / ſo wird das Volck loͤblich vnd 
wol regiert / dann wer den Schepter fuͤhret / der 
muß von aller beyder wegen gelobt werden: er ſoll 
ſtraffen als ein Her: / aber lieben vnd begnaden 
als ein Vatter. 

Beſchließlichen hatt GOtt ein doppeltes Ange⸗ 
ſicht / nemblich / ein Angeſicht der Barmhertzigkeit / 
vnd ein Angeſicht der Gerechtigkeit. Von dem ei⸗ 
nem ſtehet gejchrieben: Wo wolte ich mich hin 
verbergen vor dem Zorn deines Ange⸗ 
ſichts Item Pfalm 23. Das An geſicht 
de Hr een ſtehet vber die / ſo boͤſes thun / 
daß er jhre Gedechtnuß außreutte vom 
Land. Aber das ander Angeſicht iſt guͤtig vnd 
voller Gnaden / Vnd von diefem ſtehet Apoc. c. 1. 
geſchrieben: Ez {ff wie die Sonn. Dann wie 
die Sonn alles erleuchtet / vnd ſich nie mand vor 
jhrer Hitz verbirgt / gehet auch vber die Frommen 
vnd boſen auff / alſo erſtreckt ſich G Ottes Barm⸗ 
hertzigfeit vber alle Menſſhen / gute / from̃e vnd boͤſe. 
Auff eben dieſen ſchlag ſoll auch ein Koͤn ig ein dop⸗ 
peltes Angeſicht der Gerechtigkeit vnd Barmh er⸗ 
tzigkeit haben: Mit dem einen ſoll er die Boͤſen er⸗ 
ſchrecken / aber mit dem andern die Frommen erge 
E 5 tzen / 


106 Hirnſchleiffer. 


tzen / vnd die jenigen / welche auß ee 
was verbrechen / begnaden Ja tas mehr iſt / von 
dem erzuͤrnten Angeſicht der Gerech agel ſoll 
man appelliren zum Angeſicht der Barmhertzig⸗ 
keit. 


Ein Richter mit einem Aug / der 
hat ein Seepter in de r Hand ⸗ 


auff dem ſalben iſtein A 


A 12 e 15 vmb 7 5 vnd Richters 
aͤmpter / w ennber mas vnd wie viel darzu 
gehoͤret. Nembli ch vnd erſtlich ein guͤtiges vnd mit⸗ 
leidiges Gemuͤth: Dan wie der aller hoͤchſt Richter 
Chriſtus 


Hirnſchleiffer 107 


Chriſtus die Statt Jeruſalem / die er vorhabẽs war 
zu ſtraffen / anfchawete / anfieng bitterlich zu wei⸗ 
nen: Alſo / wan die Richter vorhabens ſeynd fremb⸗ 
de Verbrechen zu ſtraffen / ſollen fie das mitleiden 
darbey erſcheinen laſſen / vnd die Gerechtigkeit mit 
der Barmhertzigkeit begleiten / dann ſonſten verlie⸗ 
ret die Gerechtigkeit ihren Namen / vnd wird ver⸗ 
kehrt in ein Tyranney. 

Billich iſt / daß man die kaſter andern zum Ex⸗ 
empel ernſtlich ſtraffe / aber doch ſoll man darneben 
ein mitleiden erzeigen vnd heimlich weinen. Als der 
Herꝛ das Verderben Jeruſalems vorſahe / erzeigte 
er mit dem einen Aug die Zaͤher / aber mit dem an⸗ 
dern den Zorn in der einen Hand zeigte er die Gnad / 
vnd in der andern die Straff: Mit der einen Hand 
verthediget er die Suͤnder / vnnd mit der andern 
ſchlaͤgt er: ob ſchon er mit der einen Hand zuͤrnet / 
fo beſchuͤtzet er doch feine Creaturen mit der andern 
Hand. Die Goͤttliche Barmhertzigkeit bedeckt di 
Sünder / damit fie nicht geſehen werden von der 
Schaͤrpffe der Gerechtigkeit: Wann auch ſie je 
auffgedeckt betretten / vnd zur Strafft verurcheilt 
ſeynd worden / alsdan weinet der guͤtige Gott auß 
lauter Barmhertzigkeit: Er weinel über Jeruſalem / 
vnd gab dadurch zuverſtehen vie vngern vnd wi 
der feinen Willen er ons ſtraffe / vnd wie fe 


1 
i: 


ne Feinde liebe: Er prediget vnnd lehret vns durch 
fein weinen vnd Zaͤher / wie vnd was Geſtalt wir 
beieinen vnnd ein mitleiden haben follen mit den 
blinden Verbrechern / dann es heiſt / über ein Tod 
ten pflegt man zu trawren / vmb def willen / daß er 
das hecht nicht mehr hat. Vber einen Narren 
E 6 0 


J 


108 Hirnſchleiffer. 
ſolt man trawren / weil ihm Verſtandt geöricht. 
Aber leider / viel rachirige Menſchen ſeynd dißfalß 
GOTT dem HErrn nicht gleich / dann fie frewen 
ſich / wann ſie ſich wider ihre Jeinde rechen / oder 
die Verbrecher ſtarck peinigen vnnd martern moͤ⸗ 
gen / alles ihr reden / kuſt vnd Verlangen iſt nur re⸗ 
cken / ſtrecken / hencken vnd koͤpffen. 

Das ander in dieſem Hierog ypk co iſt der ge⸗ 
rade Stab / den der Richter in der Handt hat / oben 
auff dieſem Stab iſt ein Aug / hierdurch wird bedeut / 
daß der Scepter eines Richters kein Stecken eines 
Blinden / ſondern wachtſamb vnd ſehendt / wie auch 
gerad vnd aufrecht ſeyn ſoll: dann wer wachet / der 
ſtehet auff recht vnd gerad uͤberſich / wann er aber 
ſchlaͤfft / To neigt er ſic zu allen Seiten. Der Sce⸗ 
pter oder Stab deß Richters foll wachend vnnd ge⸗ 
rad ſeyn / damit er ſich weder auß dieb vnd Gunſt / 
noch auß etwan einer Paſſion zu der einen oder an⸗ 
dern Seiten neige / dan in der Welt mangelts nicht 
an Sceptern vnd Staͤben / ſondern man findt ei⸗ 
nen groſſen hauffen / ſeynd aber nicht alle gerad / 
darauß erfolgen aber viel Irꝛthumb / die taͤglich in 
der Welt vnd bey Gericht fuͤrgehen. Dan ob ſchon 
der Scepter biß weilen gerad iſt / die Juſtici recht 
adminiſtriert / vnd das Vrtheil der Billichkeit ge⸗ 
meß außgeſprochen wird / ſo bieget ſich doch biß⸗ 
weiln der Stab hernacher / vnd es wil ſich vielmals 
die Execution vnd Vollziehung deß gefällten Vr⸗ 

heils ſpreitzen. Man hat gleichwol viel feine Re⸗ 

genten vnd Rach / die das Land regieren vnd ſchoͤne 
Geſetz vnd Ordnungen machen Man vrtheilet biß⸗ 
weiln wol / iſt aber kein Execution vnd —. 
ung 


Hirnſchleiffer. 109 
bung vorhanden / dann die Scepter vnd Staͤb der 
Richtern werden gebogen vnd getruͤmbt durch das 
Anfchen der Perſonen: die weltliche Re ſpecten 
tringen fuͤr. 

Das dritte in dem Hıeroglyphicoift / daß die 
Gerechtigkeit nur ein Aug oder ein ſchieliches Aug 
hat: Daun das Ampt der Juſtect vnd Gerechtigkeit 
iſt / daß ſie rrumme Ding gerad machet: wann dan 
einer an einem Ding etwas trummes mercket / vnd 
begehrt es gerad zu machen / ſo pflegt er das lincke 
Aug zuzuthun / inmaſſen der Schützen Gebrauch iſt: 
Dieſer Vrſachen halben verſperꝛt man der Juſtici 
das eine Aug / damit der Richter allein auff den Pro⸗ 
ceß ſehen / vnd die Billichteit / ohne alle widerwerti⸗ 
ge Verhinderung / erkennen / und vom ihm geſagt 
werden moͤge / was der H. David in ſeinem 10. 
Pſal ſagt: Der HErꝛiſt gerecht / vnd hat Ge⸗ 
rechtigkeit lieb / fein Angeſicht ſchawet auff 
das auffrichtig. Er ſagt nicht / der Her hab 
Geld oder die Freundſchafft / oder was dergleichen 
angeſehen / ſondern nur die Billichleit / dan das ge⸗ 
burt einem gerechten Richter. 

Etliche mahlen die Juſtici ohne Arınb / vnd das 
bedeut / daß der Richter teine Haud haben ſoll die 
Schanckungen vnd Gaben einzunemmen. Von ei⸗ 
nem ſolchen Richter / der ein verſperꝛtes Aug hat / 
damit er die Perſonen nicht ſehe / vnd einen Vnder⸗ 
ſcheid mache zwiſchen einer reichen vnd armen Par⸗ 
then / vnd der kein Hand hat Schanckungen einzu⸗ 
nemhen / kan geſagt werden: Er wird nicht nach Au⸗ 
genſchein richten noch ſtraffen / noch hören / ſagen / 


E 7 ſon⸗ 


110 Hirnſchleiffer. 


ſondern in der Gerechtigkeit wird er die Armen rich⸗ 
ten. Ein groſſer Vnd erſcheid aber iſt zroifchen der 
Juſtici / welche auffın Pappier oder an der Wand 
gemahlt ſtehet / vnd zwiſchen der / welche im Werck 
beſtehet: dann die an der Wand gemahlt Juſtict iſt 
blind vnd lahm gegen denen Dingen / welche die 
Billigteit vmbkehren koͤnnen / aber die Juſtici wel⸗ 
che im Werck beſtehet / hat offne Augen zum zeitli⸗ 
chen Gewinn / vnd ihr Hand iſt erfuͤllt mit Schan⸗ 
ckungen. In den Dingen Gottes vnd der Billigkeit 
haben ſie verſperꝛte Augen: vnd kan billig von ih⸗ 
nen geſagt werden: Das Liecht der Geregtig⸗ 
keit hat ung nicht geleuchtet / dann fie haben 
ihre Augen nicht zu ihm auffthun woͤllen. 

Beſchließ lichen / daß dieſer Richter das eine Aug 
vnderſich ſchlägt / das andere aber gen Himmel 
verwendet / bedeut / daß ein Richter das eine Aug 
allzeit abwertz auff den Hoͤlliſchen Galgen verwen⸗ 
den vnd gedencken ſoll / daß er moͤchte daran ge⸗ 
henckt werden / woferꝛn er vnrecht richtet. Das 

ander aber ſoll er auff die Himmliſche Cron 

verwenden vnd gedencken / er werde 
dieſelbige erlangen / wofern 
er recht handlet. 


, + 


Hirnſchleiffer. 
Ein mann mit dreyen An⸗ 
geſichtern. 


Vr Anzeigung der Fuͤrſigtigkeit pflegten die Al⸗ 
ten den Gott Janum zu mahlen / mit dreyen 
Haͤuptern / dern das eine hinder ſich / das ander fuͤr 
fich / vnd das dritte auf werts ſahe: Hierdurch ga⸗ 
ben ſie zuverſtehen / daß das Ampt der Fuͤrſichtig⸗ 
feit iſt / drey ding in Obacht zunemmen. Erfflich 
muß man zu ruͤck ſehen / vnnd an die vergangene 
Ding gedencken / damit man die gegenwertige deſto 
beffer verſtehen möge. Zum andern muͤſſen wir die 
gegenwertige Ding wiſſen anzuſchawẽ / zuerwoͤgen 
und 


112 Hlrnſchleiffer. 


vñ zu vnderſcheiden / nemblich das gerechte vom vn⸗ 
gerechten / das zimbliche vom vnzimblichen / das 
gute vom boͤſen / das meiſte vom minſten / das Lob 
von der Schand / die Ehr von der Vnehr / damiter 
in der Wahl nicht jrꝛe noch betrogen werde. Diit⸗ 
tens muß man auch auff die kuͤufftige Ding ſehen: 
Derowegen Seneca, iſt dein Hemuͤth weiß vnd fuͤr⸗ 
ſichtig / ſo muß es auff dreyerley Zeiten mercken / vnd 
an das vergangene gedencken / das gegenwerkige 
anordnen / vnd das zukuͤnfftige fuͤrſehen Nicht ohne 
iſte / daß wir de zukuafftige Ding per modum ſciẽC- 
tiæ lit wiſſen tonnen / dan allein Gott weiß alles / 
was zukuͤafftig iſt / aber ein Tugend iſts / wan einer 
ein Ding per nodum prudentiæ, oder vermittelſt 
der Erinnerung der vergangenen Sachen vnd ver⸗ 
mittelſt der Erwegung der gegenwertigen vorſthet. 
Wie der Helm deß Kriegßmãs Kopff vorm Streich 
verthetiget / alſo vertherigerdie Fuͤrſichtigleit / als 
ein Haupt der Seelen / den Verſtandt / damit er 
nicht verwundt werde von der Boßheit. Von dieſen 

reherley Geſtalten der Fuͤrſichtigkeit redet der Her: 
im Deut. c 32. Es iſt ein Volck da kein Rath 
iſt / vnd iſt kein Fuͤrſichtigkeit in ihnen / O 
daß ſie weiß waͤren / vnd vernehmen ſolches 
vnd faͤrſehen es. 

Dieſe Tugend der Fuͤrſigtigkeit wird fuͤnnemb⸗ 
lich vnd inſonderheit erfordert an den Regenten vnd 
Oberkeiten / die muͤſſen fuͤrſichtig / liſtig / llug vnd be⸗ 
ſcheiden ſeyn / vnd wie der Argus 100, Augen vor⸗ 
nen an der Stirn vnd 100. hinden auffın Ruͤcken 
haben: Derowegen wird Match. cap. so. zu ihnen 
geſagt. 


Hirnſchleiffer. 113 


geſagt: Sey d klug wie die Schlangen. Dann 
wie wolte der jenig andere Leut regieren / der ſich 
ſelbſt auß Vnfuͤrſigtigleit nicht weiß zu regieren? 
Wer ſeinem eignen Hauß nicht weiß vorzuſtehen / 
wie wolt er dann ein Statt / ein kdand⸗Gericht / ein 
Kirch regieren vnd vorſtehen? Die vnfuͤrſichtige 
vnd vnweiſe Regenten vergleichet Bernardus dem 
Affen / welcher auffm Tach vmblauffet / nit allein 
nichts vereintget / ſonder auch das jenig / was verei⸗ 
nigt iſt / zertrennet vnd auffloͤſet / derowegen iſt an 
jetzo vonnoͤten / daß man Affen vnd Pfawen von 
Tharſis herobringen laſſe / inmaſſen Salomon ge⸗ 
than / dann vnder den Regenten vnd Beampten 
find man bißweilen etliche vnfuͤrſichtige / welche 
den Affen gleich / vnd wie Pfawen mit Federn / ge⸗ 
zieret ſeyndt / vñ von deren Thorheit wegen die Kirch 
vnd das Land uͤbel ver ſehen vnd regiert wird. 


Ander Diſcurs von der Fuͤrſig⸗ 
tigkeit. 


Wie nun deß Menſchen gantze Wolfart in der 
Tugend der Fuͤrſichtigkeit beſtehet / alſo beſtehet ſein 
gantzes Bnheil vnd Verderben in der Vnfuͤrſich⸗ 
tigkeit / dieſelbe iſt ein ſehr böfe Mutter / vnd gebaͤret 
zwo Töchter / die eine heiſt Non putabam, das iſt / 
Ich habs nicht vermeynt. Die andere heiſt 
Pœnitet, Eg iſt mir leyd. Dann wann in einer 
Statt / oder in einem Kriegs her / durch den Pfleger 
Vogt oder Statthalter ein Schad geſchehen iſt / 
alsdann ſpricht derſelb / non putabam: ich habs 
nicht vermeynt / daß mein Leutenant / dem ich die 
Sach 


14 Hirnſchleiffer. 


Sach vertrawet / oder auff dem ich mich verlaſſen 
hab / fo gar vntrew vnd vnfleiſſig ſeyn werde. Der 
eutenant entſchuldiget ſich vnd ſagt: Ich hab nicht 
vermeynt / daß der Schultheiß fo nachlaͤſſig ſeyn 
wuͤrde: Der Schultheiß ſpricht: Ich hab nicht ver⸗ 
meynt / daß mein Vndergebner etwas verſaumbt 
haben wuͤrde. Der Vndergebner ſagt: ich hab nicht 
verweynt / daß ein Gefahr vorhanden ſey / daß der 
Feind ſo nahe herbey kommen / vnd daß auß einem 
ſolchen kleinen Irꝛthumb ein fo groſſer Schad ent⸗ 

ſpringen ſolte. 5 
Wann das gemeine Policey⸗Weſen vnd Ord⸗ 
nung vndergeht / wann die Beampten ſchlaffen / 
eigennuͤtzlich handlen / vnd die Vnderthanen ver⸗ 
derben / alsdann ſprechen die Potentaten: Non pu- 
tabam; Ich hab vermeynt / meine Officirer vnd 
Beampten werden gerecht / getrew vnd fleiſſig 
ſeyn: Wann ein Schiff an einen Felſen ſtoſſet 
vnd vndergehet / alsdann ſpricht der Kauffmann: 
Ich hab vermeynt / ich hab einen erfahrnen Schiff⸗ 
mann zuwegen gebracht / aber anjetzo erfahre 
11 mit meinem Schaden / daß er nichts werth 
At. 
Wann ein Jungfraw oder Eheweib durch die 
viel zu groſſe Freyheit in Weitlaͤuffigkeit / Schand 
vnd Spott gerathet / alsdann ſpricht der Vatter: 
Ich hab vermeynt / mein Tochter oder Fraw waͤre 
geſcheider geweſt / vnnd wuͤrde ſich nicht ſo leicht⸗ 
licht haben anſetzen laſſen Waneiner ein vnreine / 
murꝛiſche / freche / geſchwetzige / zaͤnckiſche / vn⸗ 
haͤußliche Fraw oder Metze erwiſcht hat / alsdann 
ſpricht er: Ich habs nicht vermeynt / daß auge 
wuͤrde 


Hirnſchleiffer. us 
wuͤrde beſchaffen ſeyn / ich Hätte einen Eid geſchwo⸗ 
ren / ſie ware rein / fromb vnd haͤußlich. Wann 
einer einen ſchmeichleriſchen / diebiſchen vnd vnge⸗ 
trewen Diener zuwegen gebracht hat / ſo ſpricht er: 
ich habs nicht vermeynt / ich haͤtte ihms auch nit zu⸗ 
getrawt. Wann einer einen hohen Thurn oder ein 
hohes Gebaͤw gefuͤhrt hat / vnnd aber es anfahet 
ſich zu zertlöben oder zum Fall zu neigen / alsdann 
ſpricht er: ich hab nicht vermeynt / daß das Fun⸗ 
dament viel zu ſchwach waͤre: Wann einer viel zu 
viel Gebaͤw anfahet / vnd dardurch erarmet / als⸗ 
dann ſpricht er: ich hab nicht vermeynt daß es ſo 
viel koſten wuͤrde. 

Wann emem fein Hauß vnverſehens verbrinnt / 
als dann ſpricht ein ſolcher: ich hab vermeynt / es 
ſeyen die Kimmich vnnd die diechter wol verſorgt / 
aber leider der Rueß im Kimmich / ein einiges 
Funcklein / ein einiger vnaußgeloͤſchter Butzen hat 
die Brunſt vervrſacht. Wann einer in der Nacht 
von den Dieben beraubt vnd entbloͤſt wird / alsdan 
ſpricht er: ich hab vermeynt / es ſey mein Hauß 
wol ver ſperꝛt vnnd alle Thuͤr vnd Thor wol verſe⸗ 
hen / aber der Vnfleiß meiner Diener vnnd meine 
Vnfuͤrſichtigkeit hat den Dieben Vrſach vnd Gele⸗ 
genhett gegeben. 

Wann einer von einem guten Freund zu gaſt ge⸗ 
laden / vollgeſoffen / kranck / vnd gefragt wird / war⸗ 
umb er nicht maͤſſiger geweſt ſey / alsdann ſpricht 
er : ich hab nicht vermeynt / daß der Wen ſo ſtarck 
vnd geſchwefelt waͤre / vnd daß mir die gute Spei⸗ 
ſen ſchaden wuͤrden. 

Wann 


16 Hirnſchleiffer. 


Wan einer anfangs feiner Frawen viel zu ſchoͤn 
thut / derſelben zaͤrtelt vnd tiebrofet / wann aber ſie 
ſich deſſen überninibe/ond ihn verachtet / ja beherꝛ⸗ 
ſchet / alsdann ſpricht er: ich haͤtte nicht vermeynt / 
daß die Weiber ſo tückiſch / her uſch vnd vndanckbar 
waͤren. 

Wann einer ſeinem guten Freund etwas in ver⸗ 
trawen zuſchreibet / vnd ihn in guter Meinung avi- 
ſiret vnd warnet / vnd aber ſolche Schreiben auff⸗ 
gefangen oder gefunden werden / als dann kratzt er 
ſich hinder den Ohren / vnd ſpricht / ich haͤtte es nit 
vermeynt. 

Wann einer jemand ein ſtarcke Summa Gelds 
leyhet / derſelb aber ihms hernacher lau net oder 
nur gute Wort dafür gibt / alsdann ſpricht er ich 
hätte es nicht vermeynt / daß dieſer Geſell ein ſol⸗ 
cher deutbetrieger waͤre. 

Wann einer einen böfen Rechts hand el anfahet / 
vnd vnendlich viel Gelds verꝛechtet hat / auch letztli⸗ 
chen verluſtig vnd verdorben iſt / alsdann ſpricht er: 
Ich haͤtte es nicht vermeynt / daß die Richter / Pro- 
duratores vnd Advocaten fo uͤbel vnnd vntrewlich 
mit mir vmgehen / mich bey der Naſen vmbziehen / 
vnd ſich durch meinen Gegentheil ſchmieren vnd 
einnemmen haͤtten laſſen ſollen. 

Wann einer jemand etwas geheimes vertrawet / 
derſelb aber es weiter bringet / alsdann ſpricht er: 
ich haͤtte nicht vermeynt / daß dieſer Geſell ein ſol⸗ 
cher Schwetzer vnnd ſchlimmer Verꝛaͤther waͤre. 
Wann einer viel Herꝛen zu gaſt ladet / in Hoffnung / 
ſie werden ihn zu etwa einem Dienſt oder Ampt be⸗ 


fürdern / vnd wan er aber nicht erlanget / alsdann 
ſpricht 


Hirnſckleiffer. 117 


ſpricht ersich haͤtte nicht vermeynt / daß ſie ſo vn⸗ 
danckbar waͤren vnd mich nur mit bloſſen Worten 
ſpeiſen / vnd das Ampt einem andern wuͤrden geben 
haben. 

Wann einer zu erlangung einer Prælatur oder 
ꝓfleg viel verſchencket on aber nichts erlanget / als 
dan ſpricht erzich haͤtte nicht vermeynt / daß verheiſ⸗ 
fen liegen ſey / ich hab mit einem guͤldenen Angel ges 
fiſcht / aber der Fiſch hat den Angel verſckluckt / ond 
mich betrogen: Mancher Lap lefflet vmd ein Fraw / 
vnd ſpendiret ſchier alles was er hat / von jhrentwe⸗ 
gen / in Meinung viel Gelds vnd Guts zuerjagen / 
aber letztlichen werden jhm nur Voͤrtel / Spitzel vnd 
Dockenwerck / vnd kaum der dritte Theil deß ver⸗ 
hofften Heura tguts eingeantwortet: derowegen 
ſpricht er / ich haͤtte es nicht vermeynt. Ein anderer 
vberkompt ein ſehr reiche Fraw / aber wann er her⸗ 
nacher ſihet / das fie jhn im Hauß nichts gelten laͤſt / 
ſondern für einen Narꝛen vmbzeucht / als dan ſagt 
er: ich haͤtte nicht vermeynt / daß ein ſolche groſſe 
Boͤßheit in den Weibern ſtecke. Mancher ſpendi⸗ 
ret viel / zuerlangen gute gr eunde / vnd hält einpan⸗ 
cket nach dem andern von jhrentwegen / aber im fall 
der Noth vnd Armut ſtehet vnd erfaͤhrt er / daß 
et die reichen vnd gluͤckſeligen viel Freunde ha 

en. 

Mancherſerluſtiget ſich mit der Welt vnd jhren⸗ 
Wolluͤſten / wan aber es jhme letzlichen vbel ergeht / 
alsdan ſpricht er: ich hatte verm eynt / gteich wie di e 
Figur der Welt rund iſt / alſo wuͤrde die Welt in alle 
len Dingen jhr ſelbſt gleich / rund / auffrecht vnd red⸗ 
lichſeyn / aber anjetzo ſihe ich / daß ſie gantz ein 


ich / 


Hirnchſleiffer. 
lich / falſch / betrieglich / vnbeſtendig vñ bitter iſt / dan 
ſte ſetzet mir an allen Orten zu. Mancher iſt nicht zu 
frieden mit ſeinem Standt vnd Ampt / derowegen 
trachtet er nach eine andern / vnd vermeynet er woͤll 
fiſchẽ / fo krebſt er kaum / an ſtatt deß Fleiſches fahet: 
er ſampt dem Hund Elopi den Schatten vñ ſpricht 
ich hatte es nicht vermeynt Mancher vermeynet es 
ſey alles Gold was glantzet / iſt aber kaum Queckſil⸗ 
ber. Mancher vermeynt er habe ein reine Jungfraw 
ertapt / iſt aber ein lautere Fectel. Mancher vermey⸗ 
net in ſeinem Todtbeth Buß zu thun / aber der gaͤhe 
Todt vb erfaͤlt jhn / vnd machet jhn vnverſehens den 
garauß: Er vermeynet die ewige Seligkeit zubeſi⸗ 
tzen im Himmel / wird aber in einem Augenblick hin⸗ 
ab zur Hoͤllen gezogen: ö putäram oder non pu- 
täram , wie ſchaͤdlich vnd fpötlich biſt du / deinem 
Authori ſelbſt vnder dem gantzen gemeinen Weſen? 
O wie viel Irthumb vnb Thorheiten werden durch 
die Vufuͤrſichtigkeit täglich in der welt begangen / 
vnd zwar von den allergroͤſten Hera vnd geſcheide⸗ 
ſten Mannern / in den allerwichtigſten Sachen vnd 
Falke! O Vnfuͤrſichtigkeit / du bringeſt vns das 
Leyd / die ſchwere Rew vnd das hertzliche ſeufftzen / 
welches die vnbeſonnene Seelen in der Höllen taͤg⸗ 
lich verrichten vnd ſprechen⸗Wie ſeynd wir ſo 
thorecht geweſen e wir haben gemeynt / jhr 
Leben ſ⸗ y ein Vnſinnigkit / darumb ſeyn 
wir von dem Weg der Warheit weit jrꝛ⸗ 
gangen / muͤd ſeynd wir worden im Weg 
der Boͤßhelt vnd der Verderbnuß. 


Drit⸗ 


Hirnfchleiffer. 119 
Dr tter Diſcurs. 


Vnder andern ſchoͤnen Sprüchen def fuͤrſichti⸗ 
gen vnd weiſen Manns Catonis war dieſer nicht der 
wenigſt / als er ſagte: Rem tuam cuſtodi Be- 
wahr dein Gut: Die gememe Außlegung die⸗ 
ſer dreyen Wort iſt / daß ein jeglicher / vnd ſonderlich 
die Jugend / ſein Subſtantz vnd zeitliches Gut be⸗ 
wahren / vnd nicht mißbrauchen ſoll wie jener ver⸗ 
lohrne Sohn gethan / vnd ſein gantze Subſtantz 
mit Huren vnd Buben / mit Spilleuten / Kuplern / 
Schmarotzern / Schalcksnarꝛen vnd dergleichen 
heilloſer deuten verthan / vnd dardurch in ein ſo 
groſſe Armut gerathen / daß er mit den Schweinen 
auß dem Trog eſſen / vnd alſo fernen Hunger ſtillen 
muſte Diefe Bewahrung der zeitlichen Guter a> 
ber muß geſchehen mit einer rechten Maß vnd Ord⸗ 
nung / aber nicht mit einer zu viel groſſen Sorgfaͤl⸗ 
tigkeit / Vugerechtigkeik / Eigennuͤtzigkeit vnd 
Sch inderey 

Es iſt nicht vnrecht / daß einer nach Geldt vnd 
Gut trachtet / wofern es mit gebuͤhren der Maß vnd 
ehrlichem Titul geſchicht / in Meinung feiner ſelbſt 
eignen vnd deß Naͤchſten Notturfft vnd D uͤrfftigleit 
dardurch zuerſetzen / vnd mit ſeiner Subſtantz auß 
Chriſtlicher Sieb feinem Naͤchſten zu dienen vnd zu 
helffen. Deß gleichen iſt auch die Freygebigkeit nicht 
verbotten / wofern kein vnnuͤtze Außgaben / Ver⸗ 
ſchwendung / vñ ein felbft eigner Mangel vñ Duͤrff⸗ 
tigkeit darauß wird: Derowegen ſpricht Seneca: 
Dabo egenti, ut ipſe non egeam, ſuecurram peri- 
turo , ut ipſe non peteam. Cicero ſpricht: Non 

ita 


120 Hrufhleifer. 


ita aperienda eſt res familiaris, ut omnibus 
pateat, nec ita claudenda, ut eam benignitas 
aperire non poſſit. Wer das Geſetz der Freyge⸗ 
bigkeit begehrt zu halten / der muß ſehen / weme / 
wan / wie viel vnd was Geſtalt er etwas außgeben 
oder verſchencken woͤlle / damit er wider die billige 
Schuldichkeit nicht handele: 

Beſchließlichen / wird den Eltern bey die ſem er⸗ 
ſten Puncten zuverſtehen geben / daß ſie jhre Sub⸗ 
ſtantz verwahren / vnd keins wegs auß jhrem Ge⸗ 
walt vnd Haͤnden geben ſollen / dan vbel vnd er⸗ 
baͤrmlich gehets bißweilen zu / wann die Eltern das 
Regiment jhren Kindern vdergeben / jhnen in die 
Hand ſehen / vnd jhrer Gnad leben muͤſſen. 

Der ander Verſtand der Wort: Bewahr dein 
Guüͤt / iſt / daß wir vnſern deib fleiſſigverwahren / vn⸗ 
ſere Geſundheit erhalten / vnd vns vor allem dem / 
was vns am deib ſchaͤdlich ſeyn mag / verhuͤten ſol⸗ 
len / nemblich fuͤr dem Fraß / vor der Geilheit vnd 
vor der Traͤgheit / Faulheit oder Müfliggang Dan 
auß dem Fraß / Voͤllerey vnd Vnkeuſchheit erfol⸗ 
gen allerley Kranckheiten vnd Abluͤrtzung deß Le⸗ 
bens Auß der Faulheit vnd Muͤſſiggang ebẽmaͤſſig 
alles Vbel / dan wie das Eiſen / wan es nicht geuͤbt 
vnd gebraucht wird / verr oſtet vnd verdirbt / alſo 
wan der Menſch faulentzend vmbgehet / vnd immer⸗ 
dar im Luder ligt / ſo wird er letztlichen ein Sclave 
der baſter / vnd ein keibeigner deß Teuffels. 

Zum dritten wird durchs rem tuam cuſtodi. 
oder / Bewahre dein Gut / bedeut / daß wic vnſer al⸗ 
lertoͤſtliches Gut / n blich die Seel / fleiſſig verwah⸗ 
ren ſollen / dan die Seel iſt ein Goͤttliches Ding / vñ 
begreiffe 


Hirnſchleiffer. 121 


begreiffet viel Seſtalten vnd Zierden in ihr / Dann 
in deme fie verſtehet / iſt ſie ein Gemuͤth in deme ſie 
vermoͤg der Bitligkeit vnderſcheidet / iſt ſie ein Ver⸗ 
nunfft z in deme fie die Glieder lebendig erhaͤlt / iſt ſie 
ein Seel: in deme fie wollebt / iſt ſte G Ottes Eben⸗ 
bild: in deme ſie wol iſt geziert / iſt fie z Ott vnd den 
Engeln lieb vnd angenemb: In deme fie mit Tu⸗ 
genden gezieret iſt / iſt ſie ein Stul oder Cantzel der 
Dreyfaltigkeit. Wie auch der deib ohne feine Not⸗ 
tuͤrfftigketten nicht leben noch beſtehen kan / dan er 
muß im Hunger die Speiß / im Durſt den Ge⸗ 
tranck 7 in der Arbeit die Ruhe / in der Muͤdigkeit 
den Schlaf / im Schmertzen einen Troſt / in der 
Forcht ein Zuflucht / in der Finſternuß ein Sieche / 
im Krieg den Frieden vnd dergleichen haben. Alſo 
fan die Seel ohn ihrer Nothwendigkeiten im Leib 
nicht wohnen oder verbleiben / dann ihr Speiß iſt 
das Goͤttlich Gebott / ihr Getranck iſt ein reines 
Gebett / ihr Baad iſt ein reines rechtmaͤſſiges Fa⸗ 
ſten / ihre Kleyder ſeynd das gerechte Allmuſen / 
ihr Ruhe iſt die vollfombne Armut / ihr Heyl iſt die 
Schwachheit deß deibs / ihre Zuflucht iſt die wahre 
Buß / ihr Fried iſt die voͤluge Sieb: Wer mit dieſen 
beyderleyen Subſtantzen de Leibs vnd der Seelen 
verſehen iſt / der folge Chriſto vnd den heiligen Vaͤt⸗ 
tern: Vom Heren Chriſto lerne er die Demuth / 
vom H. Petro die eyferige Andacht / vom Johanne 
die dieb / vom Abraham den Gehorſamb / vom Loth 
die Freygebigkeit / vom Iſaac die dangmuͤtigteit / 
vom Job vnd Jacob die Gedult / vom Joſeph die 
Keuſchheit / vom Moyſe die Sanfftmuͤtigfeit / vom 
Joſeph die Standthafftigkeit / vom Saimuel die 

5 Guͤlig⸗ 


122 Hirnſchleiffer. 


Guͤtigkeit / vom David die Barmhertzigheit / vom 
Daniel die Maͤſſigkeit / vom Tobia die Freygebig⸗ 
keit gegen den Armen / die Buß von der Maria 
Magdalena / die Beicht vom frommen Schecher / 
vom Stephano die Marter / ꝛc. Mit dieſen erzehl⸗ 
ten Tugenden vnd Waffen befeſtige vnd bewahre 
den föftlichen Schatz deiner Seelen / damit du uͤber⸗ 

winden mögeft den Teuffel vnd fein Kriegsheer. 
Ob aber ſchon dem allem alſo / vnd die Seel das 
allerkoͤſtlichſte Kleinot im Menſchen iſt / fo wird ſie 
doch vielmals über vnd ſpoͤttlich gehalten vnd ver⸗ 
wahrloſt: Dann wann wir vns in der Gefahr deß 
Schiffbruchs vnd Vngewitters befinden / ſo lauffen 
wir geſchwind zu Gott / betten vnd verloben ſonder⸗ 
bare Walfahrten: Wan vns ein Fieber / ein Wi⸗ 
derwertigkeit / Vngluͤck vnd Verluſt der zeitlich en 
Guter zuſtehet / ſo ſeufftzen / achetzen / heulen kla⸗ 
gen vnd weynen wir / wann ons nur die Fuß ſolen 
oder Kopff / oder der Bauch wehe thut / fo trawret 
die Seel / vnd hat ein mitleyden: man ſchicket ge⸗ 
ſchwind vmb den Medic um oder Artzten / der muß 
vns ſirupiren / purgiren vnd zur Ader laſſen. Wan 
vns ein Kind ſtirbt / ſo trawren vnd bekuͤmmern wir 
vns ſchier zu todt: Aber wann die Seel kranck wird / 
vnd durch ein Todſuͤnd ſtirbt / ſo thun wir gar 

nichts / oder aber ſehr langſamb vnd fchläffe> 

rig darzu / damit ihr geholffen 
werde. 


* * 
* 


Hirnſchleiffer. 
Konig wird verblend. 


Ihre ſuchet der Sathan an dem Menſchen fo 
ſehr / als eben die Blindheit deß Gemuͤths / fuͤr⸗ 
nemblich vnd inſonderheit aber an den Koͤnigen / 
Fuͤrſten vnd Potentaten / Dann wann dieſelben 
blindt ſeynd / ſo werden die Vnderthanen gleichfals 
blind. Was der Fuͤrſt glaubt / das muß der Vnder⸗ 
than auch glauben / es ſey ihm lieb oder leyd / recht 
oder vnrecht: zu dem kan dem Land nichts ſchaͤdli⸗ 
chers ſeyn / als wan der jenig / der die Juſtici admi⸗ 
niſtriren vnd die Waag deß Gerichts / der Elec⸗ 
tion vn Erwoͤhlung fuͤhrẽ ſoll / blind iſt / dan anſtatt 
daß er ergreiffẽ ſolte die Wag der Billigkeit on Ger 
5 2 rech⸗ 


124 Hirnſchleiffer. 
rechtigkeit / ſo erwoͤhlet er das Vngerechte fuͤrs Ge⸗ 
rechte / vnd das Boͤſe fürs Gute: An ſtatt / daß er in 
die Waag deß Verſtands vnd Billigkeit in die eine 
Schuͤſſel Gott de Herꝛn / in die ander aber die Nich⸗ 
tichkeit der Welt legen ſolte / ſo legt er nichts anders 
drein / als Reichthumb / Gold / Silber / Edelgeſtein / 
Schaͤtz der Erden / die Herꝛligkeit vnd Wolluſt der 
Welt / vnd den Gunſt der Menſchen: ſolches legt er 
in die Schuͤßl / vnd laͤſt Gott auß: Wofern er aber 
in die eine Schuͤßl Gott den Herꝛn laͤgte / ſo würde 
er ſehen / wie weit Gott daß ander vberwoͤgen vnd 
hinſtechen woͤrde: Inmaſſen Salomon gethan / der 
die Waag in der Hand gehalten vnd geſagt hat. Sap. 
1. Die gantze Welt iſt vor dir wie ein troͤpff⸗ 
lein Morgentaws / daß auff die Erd fält : 
Weil die Menſchen von wegen der weltlichen Eitel⸗ 
keit / von wegen det fleiſchlichen Woͤlluſt / vnd wegen 
der jrꝛdiſchen Reichthumb / Gott verlaſſen / ſo folgt / 
daß ſie vngerecht ſeynd in jhren Waagen oder Ad⸗ 
miniſtrirung der Juſtici vnd Gerechtigkeit: daran 
aber iſt nichts anders ſchuldig / als allein / daß die 
Augen deß Verſtands durch die Palſiones Affecten 
vnd Begierligkeiten in jhnen betruͤbt / verdunckelt 
vnd verblendt ſeynd. 


Ander Diſcurs. 


Durch den Mann / welcher den Koͤntg verblen⸗ 
det / wird verſtanden der Sathan / deſſen erſtes vnd 
fuͤrnembſtes Verlangen iſt / den Verſtand deß Men. 
ſchen zuverblenden / damit er vnſern Schatz deſto 
fuͤglicher ſtehlen. moͤge / dann wie die Dieb deſto 


ſiche⸗ 


Hirnſchleiffer. 127 


ſicherem ſtehlen in der Nacht vmbgehen / vnd das 
Liecht außloͤſchen / alſo / damit die Teuffel die Reiche 
thumb der Seelen oder die Gnad vnd Tugenden de⸗ 
ſto beſſer ſtehlen moͤgen / ſo befleiſſen fie ſich das jn⸗ 
nerliche diecht der Seelen zuvndertrucken / vnd die 
erkante Warheit auß der Seelen gaͤntzlich auß zu⸗ 
löfchen vnd zu vertreiben. So bald nun ſolches dicht 
außge loͤſcht iſt worden / als dan fallen die Teuffel ge⸗ 
ſchwind in alle andere Reichthumb deß Gemuͤts / 
vnd durch dieſes Mittel werden von den Welt⸗ 
Menſchen dermaſſen viel $after begangen / daß die 
Himmliſche Buͤrger eiander fragen vnd ſprechen? 
Seind die Menſchen gefcheid? brauchen fie emen 
Verſtandt? oder wiſſen ſie nit / das der Juͤngſte Tag 
vorhanden fey?wiflen fie dan nichts von der Hoͤllen 
Strafft haben ſie dan jhren Glauben gantz vnd gae 
verlohren?warumb ſuͤndigen fie dau fo liederlich? 
warumb fragen ſte dan ſo wenig nach der ewi⸗ 
gen Selig keit? Aber fuͤrwar / nichts anders iſt an 
ſolchem allem ſchuldig / als eben die Blindheit deß 
Gemuͤths vnd die Beraubung der Goͤttlichen 
Gnad: dieſelbe hat ſie in ein ſo groſſe Armſeligkeit 

geſetzt. 

Dieſe Blindheit deß Gemuͤchs iſt die allergroͤſte 
Armſeligkeit / vñ warumb aber Gott ſie verwilliget / 
iſt / weil der Menſch das Liecht / welches GOtt / jhm 
vom H immel herab verliehẽ / nit brauchen hat woͤl⸗ 
18. Derowegen O Meſch huͤte dich / daß du das Goͤtt⸗ 

liche Liecht nicht verachteſt / damit dich der HErꝛ 
ſolcher Geſtalt nicht ſtraffe / ſonder weil du das diecht 
haſt / ſo thu guts / wandere vnd folge dieſem Liecht / 
dan es fuhret dich zu der ewigen Seligkeit / allzeit 
F 3 ſprich 


126 Hirnſchleiffer. 


ſprich ſampt dem H. Davide Pal. 42. Sende dein 
Liecht vnd dein Warheit / daß ſie mich lei⸗ 
ten vnd bringen zu deinem H. Berg / vnd 
iu deiner heiligen Wohnung. 


Dritter Diſcurs. 


Schwerlich kompt einem Blinden die Blindheit 
fuͤr / dann er muß allzeit einen haben / der jhn auff 
den rechten Weg fuͤhre / vnd jhn fein langſamb be⸗ 
gleyte / damit er nicht falle oder anſtoſſe / aber noch 
viel vbler iſt der jenig dran / der blind an ſeiner See⸗ 
len iſt / dan derſelb erkennt vnd weiß ſeine Blindheit 
nicht / vñ ob er ſchon viel mahls faͤllt / ſo vermeint er 
doch / er ſtehe gar wol / vnd vbertreffe mit ſeinem 
hohen Verſtand / Gelehrtheit vnd guten Rath⸗ 
ſchlaͤgen alle andere. 

Ein ſolcher Blinder war erſtlich Adam / dan bald 
nach begangener Vbertrettung verbarg er fich fürn 
Herm hinder einen Baum: Er war ſehr weiß / ſpitz⸗ 
fuͤndig vnd mit einem hohen Verſtand verſehen / er 
hätte gar leichtlich gedenckẽ koͤnnen / daß er den Au⸗ 
gen GOttes (welcher aller Orthen gegenwaͤrtig iſt 
nicht entgehen koͤnte: Aber (leyder) durch die Fin⸗ 
ſternuß der Suͤnd ward er dermaffen im Gemuͤth 
verblendt / daß er ſolchs nicht erkannte. Der König 
Pharao war gleichfals ein ſolcher Blinder / dann 
er ſahe die groſſe vñ herꝛliche Wunderwerck / welche 
der Her zu Beſchuͤtzung der Hebraͤer vbte / nichts 
deſto weniger folgte er jhnen nach biß zumRothen⸗ 
Meer / vnd ſprach Exod. c. 1s Ich will ſie ver⸗ 


fol⸗ 


Hirnſchleiffer. 


folgen vnd ergreiffen. Von wegen feiner groß 
ſen Blindheit deß Gemuͤhts begab er ſich ins Meer / 
vnd erſoffe armſeliglich. 

Deßgleichen war die Blindheit deß Volcks ſehr 
groß / welehe ein Göͤtzen⸗ bild in der Wuͤſte machten / 
vnd ſagten: Diß ſeynd die Goͤtter / die dich 
auß Egyyten gefuͤhrt haben. Sie ſelbſt hatten 
dieſe Gögen mit jhren eignen Händen geſchmitzelt⸗ 
nicht deſto weniger ſagten ſie / daß ſie Götter waͤ⸗ 
ren / vnd ſie auß Egypten gefuͤrt haͤtten. 

Ferner ſahe auch Ezechiel c. 10. Gott den HErꝛn 
auß Jeruſalem gehen / vnd feine Herꝛligkeit mit ſich 
hinauß tragen / aber das Volck ſahe es nicht / vnd 
merckte es nicht / dan fie waren allerdings blind / a⸗ 
ber man findt anjetzo in der Welt viel groſſere Blin⸗ 
den / welche da ſehen / was geſtalt der HErꝛ / von we⸗ 
gen jhrer kaſter / auß ihren Gemuͤthern weichet / vnd 
fie erkennen die ſchwaͤre Straffen / die jhnẽ bevorſte⸗ 
hen / aber doch achten ſie es nicht / fragen auch nicht 
dar nach / ſondern beharren in jhrer Gottloſichkeit / 
vñ vnangeſehn fie Chriſtum bekennen / ſich fur Chri⸗ 
ſten außgeben / vnd die Chriſtliche Geſaͤtz wiſſen / fo 
fuhren ſie doch ein ſolch böß geben / als wären fie in 
der dicken inſternuß erzogen wordẽ. Dahero ſeynd 
ſie nicht allein für Blinde / ſon dern auch für Goͤtzen 
zu halten / von denen der Pſalmiſt Palm. 113. mel⸗ 
det: Der Heyden Goͤtzen ſeynd Silber vnnd 
Gold / Menſcken-haͤnde Werck: Dann 
ſie haben gleichwol Augen / die ſchaͤndliche Ding zu 
ſehen / vnd die ſchoͤnſte Ereaturen vnd Weiber von 

54 weitem 


128 Hirnſchleiffer. 


weitem in den Kirchen zu kennen / aber keine Augen 
haben ſie / jhrer Seelen Heyl in obacht zu nehmen / 
derowegen ſeynd ſie den Nacht⸗Eulen gleich / dan 
wie dieſelbigen nur in der Nacht / beym Tag aber 
nichts ſehen / alſo ſehen etliche deuth ſehr ſcharpff in 
die finftere fündige Ding vnd Werck / die Laſter zu⸗ 
begehen / aber herꝛliche vnd fürtreffliche Thaten zu 
begehen ſeynd ſie blind. Scharpffe Geſichter haben 
die Geitzhaͤlß den Wucher zu treiben / vnd viel 
Gelds zu ſamblẽ / aber fie ſehen wenig das vnrechte 
Gut wider zu geben / den Duͤrfftigen zu helffen: 
Die Hoffaͤrtige ſehen ſcharpff / vnd mercken fleiſſig 
vnd weiß lich auff / damit ſie zu den zeitlichen Digni⸗ 
taͤten gelangen / aber zu Erlangung der Himliſchen 
Dignitaͤten / vnd der Digmirärdie Ehr Gottes zu 
vermehren / ſennd ſie blind vnd hinlaͤſſig. Derowe⸗ 
gen ſagt Jeremias c. 4. Sie ſeynd thorechte 
Kinder vnd vnverſtaͤndig / vbel zu thun 
ſeynd ſie weiß / aber wol thun dawiſſen ſie 
nichts von. 

Dieſer geſtallt ſeynd ſie ſehend vnd weiß im boͤ⸗ 
ſẽ / aberim guten wiſſen fie nichts: Derowegen 
werden ſolche deuth / ob fie ſchon Könige waͤren / von 
Gott fuͤr Narren geſcholten vnd gehalten: Dan 
nur der jenig iſt fuͤr weiß zu halten / welcher das 
jenige weiß vnd erkennt was zu Erlangung 
der Seligkeit gehört. Dieſer Vrſachẽ halben iſt biß⸗ 
weiln ein Vngelehrter in Goͤttlichen Dingen viel 
weiſer / dann ein hochgelehrter Doctor. 


Vier⸗ 


Hirnſchleiffer. 129 
Vierdter Diſcurs. 


Nicht allein vervrſachet die Blindheit deß Ge⸗ 
muͤths die oberzehlte ſchwaͤre Vngelegenheitẽ / ſon⸗ 
dern das alleraͤrgſte iſt / daß fie macht / daß der Suͤn⸗ 
der in ſeinen Laſtern halßſtarrig verbleibt: So bald 
Samſon von den Philiſtern gefangen worden / ha⸗ 
ben ſie jhm geſchwind die Augen außgeſtochen / vnd 
am Muͤhl⸗ radt ziehen laſſen: Ja ſo gar muſt er / 
als ein Spiel⸗ vnd Gauckelmann vor jhnen ſpielen. 
Eben auff die ſem ſchlag gehet der boͤſe Feind mit den 
Gottloſen vmb / dan erſtlich ſticht er j hnen die Au⸗ 
gen auß / damit fie das himliſche Steht nicht ſehen / 
nachmals verſtoſſet er ſie in das Muͤhl⸗radt der 
Welt zum mahlen / dardurch werden die Weltli⸗ 
chendermaſſen mid vnd mit weltlichen Gefchäffe 
ten beladen / daß ſte kein einige Stund im Tag 
zum Dienſt GOttes verwenden / beharren alſo in 
jhrer Halßſtarrigkett. Wie Samſon nimmer ge⸗ 
dachte widerumb gen Jeruſalem zu kommen / dann 
wan einer blind iſt / vnd in einem frembden Land 
wohnet / ſo ſihet vnd keñet er keinen Weg widerumb 
heimb in ſein Vatterland zu kommen / derowegen 
bleibt er bey der Roßmühl / vnd treibt daß Radt 
vmb: Alſo wan eine Seel deß Liechts beraubt iſt / fo 
fragt fie dem Liecht der Seelen vnd der Goͤttlichen 
Gad vnd Freundſchafft nim mer nach / begehrt 
auch nicht zu wiſſen / durch was Mittel fie es wider 
erobern vnd zuwegen bringen moͤge: Dardurch er⸗ 
ſtarret ſie in jhren Irthumben / ja ſo gar erlu⸗ 
Kei vnd ſpielt ſte in ſolcher jhrer Dienſtbar⸗ 
eit. 

F 5 Aller⸗ 


130 Hirnſchleiffer. 


Allermaſſen wie der König Nabuchodonoſor v⸗ 
ber andere Könige triumphirte / vnd das Gauckel⸗ 
fpiel mit den Tyrannen treib / auch fie vor ſein? Wa⸗ 
gen her gefaͤnglich führen vnd verſpotten ließ / alſo 
werden die blinde Menſchen in deß Satans Dienſt⸗ 
barkeit anderſt nichts als veraͤchtliche Selaven vnd 
Lotters⸗buben gehalten / dan lauter ſcurtæ vnnd 
Lotters⸗bubẽ ſeynd all die jenige / ſo das jenig Geld / 
welches fuͤr die Armen gehoͤrt / in Pancketen vnd an⸗ 
dern Eytelkeiten verzehren. Wie auch Nabuchodo⸗ 
noſor den Konig Ezechiam gefaͤuglich einziehen / vñ 
jhm die Augen außſtechen ließ / in Meinung / als 
koͤnte er durch kein andere Strick vnd Banden beſ⸗ 
ſer enthalten werden Alſo pflegt der Sathan dem 
Menſchen vor allen Dingẽ die Augen deß Gemuͤths 
auß zuſtechen / damit ſie nachmahls nicht wiſſen / 
wie vnd wohin ſie fliehen vnd ſich verbergen ſollen. 

Ob ſchon auch ſie bißweiln zur Predig gehen / on 
bekennen ſie ſeyen auff dem vnrechten Weg / ſo be⸗ 
harren ſie doch in jhren Laſtern / vnd doͤrffens nicht 
verlaſſen: Aber Wehe jhnen / dan es wird an jhnen 
erfuͤllt werden / was der H. Paulus Rom. z. meldet: 
Es wird offenbart werden das gerechte 
Gericht Gottes / welcher geben wird ei- 
nem jeg ichen nach feinen Verdienſten. 
Vnd zwar dillich / dann wann einer auß Vnwiſſen⸗ 
heit ſundigt / vnd die Suͤnd erkennt / vnd nicht dar⸗ 
von abſteht / ſo iſt er je ſtraffmaͤſſig / vñ billich kompt 
der Zorn vnd die Straff Gottes vber jhn: Etliche 

Nenſchen ſuͤndigen / ſtehen / aber wider auff / andere 
aber ſuͤndigen vnd beharren dabey / gerathen 
auch 


Hirnfhkiffer. 131 
auch je länger je tieffer hinein / vnd erſtarren darin 
gantz vnd gar / derowegen verachten ſie die Suͤnd / 
verwerffen alle Straff / fliehen alles Liecht / ver⸗ 
ſtopffen ihre Ohren fuͤr der Warheit / vnd verkeh⸗ 
ren dieſel be in eine Vngerechtigkeit. Dannenhero 
fallen ſie in Spott vnd Schand Dan wie von den 
Frommen Plal 31. geſagt wird: Selig ſeynd die / 
deren Suͤnd vergeben ſeynd / vnnd deren 
Sind bedeckt ſeynd. Alſo wird den Gottloſen 
die Straff / Schand / Spott vnd Schmach vorbe⸗ 
halten. Dergleichen Art der Blindheit vnd Fin⸗ 
ſternuß iſt ein Zeichen der Verdambnuß: Daher 
ſagt der Her: zu ihnen Laſſet ſie gehen / dann 
ſie ſeynd blind vnd Führer der Blinden. Als 
wolte der Her: ſagen Bemuͤhet euch nicht / fie zu 
bekehren / laſſet fie gehen / dann fie ſeynd vnbekehr⸗ 
lich O ihr Menſchen / huͤtet euch / daß ihr nicht 
ſolcher geſtallt von Gott verlaſſen werdet / vnnd 
laſſet euch vom Sathan nicht fo leichtlich verblen⸗ 
den / ſondern ſehet auffs himmliſche Liecht / vnd fol⸗ 
get Gott / derſelb wird euch das Liecht vnd die Huͤlff 
bieten / damit ihr die Gnad / Glory vnd ewige Se⸗ 
ligkeit erlangen moͤget. 


Noch ein andere Außlegung 
Sonſten wird auch durch dieſe Figur Chriſtus 
der Her: verſtanden / derſelb iſt ein König / ver: 
mög der Wort: Er iſt der / an deſſen Stirn 
geſchrieben ſteht: Ein Koͤnig der Koͤntgen / 
vnnd HErꝛ der Herꝛſchenden. Dieſes Könige 
56 Knechte 


132 Hirnſchdeiffer. 


Knechte ſeynd wir / dan wir ſeynd nach ſeinem Eben⸗ 
bild erſchaffen / vnd mit feinem koͤſtlichen Bluͤt er⸗ 
loͤſt worden: Weil dan wir ſeine Knechten ſeynd / ſo 
wird er Re chenſchafft mit feinen Knechter halten / 
wan nemblich er zum abſonderlichen vnd allgemei⸗ 
nen Gericht kommẽ vnd Rechenſchafft von ons for⸗ 
dern wird von allen boͤſen Gedaͤncken / boͤſen vn⸗ 
nuͤtzen Worten / begangenen böfen vnd vnderlaſſe⸗ 
nen guten Wercken / vnd von der verlornen Zeit der 
Gnaden. 

Ob ſchon auch dieſer Koͤnig bewilligt vnd zuge⸗ 
laſſen hat / daß jhm die Augen durch die Juden ver⸗ 
bunden worden / vnd ob er ſchon ſich anjetzo ſtellt / 
als ſchlaͤff er / ſo wird er doch alsdan den Schleyer 
ader Fuͤrhang von den Augen hinweg thun / vnd vn⸗ 
verſehns erwachen. 

tan ſchreibt vom Hercule, daß / als er den An- 
tæum vberwunden / ſey er vnder einem Baum ent⸗ 
ſchlaffen / haben jhn etliche Zwergen vberfallen / in 
Meinung den Ant æum jhren Bruder zu rächen / 
vnd den Hlerculem vmbzubringẽ / etliche griffen jhn 
beym Kopff an / andere zuͤndten jhm ſeine Haar an / 
andere ſtachen ihn in die Augen / andere ven ſtopfflen 
jhm den Mund / biß er letzl ichen erwachte / lachet vnd 
erwiſcht fie allefampt / verſperꝛt fie alle in ein Ochſẽ⸗ 
haut / vnd wirfft fie in den Bach Euryfienem . E⸗ 
bẽ alſo wird Chriſtus / der anjetzo gleichſam ſchlafft / 
mit ſeinen Verſpottern vmbgehen / vnd wird ſie 
in die Wag der Gerechtigkeit legen / vnd mit dem 
Schwerd deß Zorns vnd der Rach ſtraffen. Dieſe 
Wag wird nicht wie der Kraͤmer Wag beſchaffen 
ſeyn. Von dieſer Wag ſchreibt Oſeas sup. 12. 
Cha⸗ 


Hirnſchleiffer. 133 


Chan aan hat ein falſche Wag in der Hand. 
Durch Chanaan wird die Welt bedeut / die hat ein 
falſche Wag Von dieſer Wag redet der H. David 
Plal. 61. Die Menſchen⸗kinder ſeind falſch 
auff den Wagen. Wie nun in der Menſchen⸗ 
Wagen lauter Betrug vnd Fal ſchheit iſt /alſo iſt in 
der Wagen Gottes lauter Billigkeit vnd Gerech⸗ 
tigkeit. Seine Wag iſt gantz gerecht / vnd kein einigs 
Haͤrlein ligt zuviel oder zuwenig drin / ſondern eine 
jeden wird ſein gerechte Maß vnd Gewicht gegeben 
werden. 

In die Schuͤſſel dieſer Wag follen gelegt werden 
alle vnd jede Menſchen / groſſe vnd kleine / Reiche 
vnd Arme / Weiſe vnd Vnweiſe / Herrẽ vnd Knecht / 
Papſt vnd Meßner / Koͤnige vnd Bauren. In dieſe 
Wag ſollen am Juͤngſten Tag gelegt werden die 
Purpur⸗ leider / guͤldine vnd ſilberne Stuͤck / vnd 
zwilchine Kittel / deßgleichen die Kronen / Scepter 
vnd ꝙfluͤge der Bauren. Von dieſer Wag redet auch 
Eſaias e. 40 Er hat die Berge vnd Buͤhel auff 
einer Wag mit Gewicht abgewogen / das iſt / 
die hoͤhe / groſſe vnd kleine Hanſen. In dieſer 
Wag iſt gewegen worden der Babyloniſche Tyrann 
Balthafſar / dieſes deutet Damiel c San / da er ſagt: 
Man hat dich in einer Wag⸗ſchuͤſſel 
gewogen / vnnd zu leicht erfunden. O 
wie viel dergleichen Koͤnige vnnd andere werden 
in dieſe Wag gelegt werden? Nicht allein wird fie 
das aͤhrine vnd bleyene Blech / welche die Schüffel 
der Wag nidertrucken / ſondern auch das leichte 


57 vnd 


134 Hirnſchleiffer. 


vnd geringe Stroh / das iſt / die Suͤnd / welche wir 
nur für kleine laͤßliche Suͤnd halten / erwoͤgen vnd 
abwoͤgen. Ja / was mehr iſt / dieſe Wag Gottes 
iſt dermaſſen ſubtil vnd gerecht / daß viel Suͤnd / die 
wir vermeinen gar gering ſeyn / werden dan ſehr 
ſchwaͤr feyn. 

O wie groß wird als dan ſeyn der Zorn Gottes? 
O wie ein groſſer Vnderſcheid iſt zwiſchen ſeiner vñ 
vnſerer Wag! Die Affter⸗reden / die Schimpff⸗ wort / 
die liederliche Gedancken / mit denen wir vnſere 
Gemuͤther ſpeiſẽ / die vberfluͤſſige Speiſen vnd Ge⸗ 
traͤnck / die wir anjetzo nichts ſchaͤtzen / werden als dã 
in die Goͤttliche Waag gelegt / vnd ſehr ſchwaͤr er⸗ 
funden werden. Diß alles betrachtete der H. Job / 
als er c. 13. ſagte: Du haft meinen Fuß in 
Stock gelegt / vnd haſt acht auff all meine 
Pfaͤde / vnnd ſiheſt auff die Fu ſtapffen 
meiner Fuͤß. Als wolt er ſagen: O Herr / wie 
wunderbarlich iſt die Schaͤrpffe deiner gerechtig⸗ 
leit? Du biſt nicht zufrieden mit dem / daß du mit der 
Feder all meine Suͤnd vnd Verbrechen in deinem 
Buch auffgeſchrieben haſt / damit du ſie zu gelegner 
Zeit ſtraffeſt / ſondern du merckeſt auch eigentlich 
vnd fleiſſig auff meine Fußſtapffen / vnd wohin ich 
gehe / da doch ich nur ein ſchwacher ſterblicher 
Menſch bin / der gar bald verfault / vnd wie ein 
Kleid von den Wuͤrmen verzehrt ſoll werden: Zu⸗ 
gleicher weiſe wie ein Wund⸗Artzt / wan er einen 
todtẽ Menſchen anatomirn oder auffſchneiden will / 
pflegt er jhn auff ſeine Fuͤß zu ſtellen / ſchneidet alles 
Fleiſch von den Beinen / nimbt das Ingeweyd here 
auß / 


Hirnfcleiffer. 135 


auß / reinigt es / vnd laͤſt nichts anders / als die bloſſe 
Gebein vnd Nerven dran / damit er alſo die Adern 
vnd die gantze jnnerliche Geſtalt vnd Beſchaffenheit 
deß Menſchen erforſchen möge Alſo fpinnet vnnd 
drehet Gott ſehr ſubtile aͤden / er ſihet vnd betrach⸗ 
tet uns in der Naͤhe / er anatomirt uns gleichſamb / 
merckt auff all vnſere Fußſtapffen / vnd ſchreibt alle 
vnd jede Wort / Werck vnd Gedancken auff / damit 
er ſie hernacher in die Wag legen / examiniren / vnd 
mit ſeinen erſchroͤcklichen Richters⸗Schwerd ver⸗ 
vrtheiln vnd ſtraffen möge. O wie groſſe Vrſach 
haben wir derowegen / ſampt dem H. David. 142. 
zu flehen / zu bitten / vnd zu ſprechen HErꝛ / gehe 
nichts ins Gericht mit deinem Knecht / 
dann vor dir wird kein Lebendiger rechtfer⸗ 
tig ſeyn. 

Beſchließlichẽ / was das Schwerd dieſes Koͤnigs 
oder Richters belangt / wird dardurch verſtanden / 
erſtlich das erſchroͤcklige Schwerd deß Zorns Got⸗ 
tes / welches am Juͤngſten Tag ergehen wird auß 
dem Mund des allerhoͤchſten Richters / wan nemb⸗ 
lich er zu den Suͤndern ſprechen wird: Gehet hin 
ihr Verfluchten. Der Kriegs-fürft David war 
ein ſehr. dapfferer / vnerſchrockener vnd frewdiger 
Held / dan als er noch ein Knab war / foͤrchtete er 
ſich nicht für deß Goliaths Schwerd / noch fuͤr allen 
Philiſtern / ſo gar fiele er ſelbſt mittẽ in de Schwer⸗ 
der ſeiner Feinde / aber ſo bald er das Schwerd deß 
Schlagen dẽ Engels ſahe / erſchrack er vber alle maſ⸗ 
en / vnd zwar ſo ſehr / daß ſeine Glieder zitterten / 
vnd 


136 Hirnſchleiffer. 
vnd er keine Ruhe in ſeinen Gebeinen hatte / deßwe⸗ 
gen ſchreye er Pal. 35. Es iſt nichts geſundes 
an meinem Leib für deinem Zorn / vnnd iſt 
kein Fried in meinem Gebeinen. Kein Wun⸗ 
der aber iſts / daß David fo ſehr erſchrack / vnd ſich 
foͤrchtete / ſintemahl es kein Schwerd eines Men⸗ 
ſchen / ſondern Gottes war. Vnnd von dieſem 
Schwerd redet auch der Herꝛ beym Match. c. 10. 
vnd ſpricht: Foͤrchte euch nicht für denen / 
welche nur den eib toͤdten / aber die Seel 
nicht toͤdten koͤnnen / ſondern foͤrchtet euch 
für dem / der Leib vnd Seel in die Hoͤl werf⸗ 
fen kan. Nur das jenige Schwerd ift zu förchten/ 
welches die vnſterbliche Seel tödten kan / vnd wel⸗ 
ches die vnſterbliche Seel tödten kan / vnd welches 
dermaſſen erſchroͤcklich iſt / daß / als es der H. Jo⸗ 
hannes in feiner Offenbarung c.. ſahe / iſt er als⸗ 
bald wie ein todter vor ſeinen Fuͤſſen nider gefallen. 
So dann dieſer deß Herm geliebter Juͤnger nur 
vorm Schatten dieſes Schwerds fo ſehr erſchrocken 
iſt / was wird dann nicht beſchehen / wan man nicht 
nur den Schatten / ſondern das Schwerd ſelbſt ſe⸗ 
hen vnd empfinden wird? O wie werden die Suͤn⸗ 

der erſchrecken vnd erzittern / wann zur Zeit de 
Juͤngſten Gerichts / auß dem Mund deß Sohns 
Gottes gehen wird der grauſame Sententz vnd 
das erſchreckliche Schwerd: Gehet ihr Verfluch⸗ 
te in das ewige Fewr. Dermaſſen wirds den 
Suͤndern erſchrecklich ſeyn / daß ſie zu den Bergen 
vnd den Felſen fprechen werden: Fallet auff vns / 
vnd 


Hirnſchleiffer. 137 


vnd verberget vns vor dem Angeficht deß / 
der auff dem Stul figer / vnd vor dem Zorn 
deß Lambs. O groſſer Zorn / O grauſames 
Schwerd / wer wolt nicht erſchrecken vor deinem 
Angeficht? 

Beſchließlichen hat dieſes Schwerd def Zorns 
vnd Rach Gottes viel Eigenſchafften Erſtlich wei⸗ 
chet es nicht / vnd niemand kan ihm einen Wi⸗ 
derſtand thun: Dan Nahum cap. 1 ſteht geſchrie⸗ 
ben : Vor ihm erbeben die Berg / vnd die 
Buͤhel zerfahren / das Erdreich zittert vor 
ihm. Item / Pfal.89. Wer kennet die Macht 
ſeines Zorns? Vnd wer kan vor deiner 
Forcht deinen Zorn erzehlen? 

Zũ andern wird es durch kein Alter geſchwaͤcht / 
wie zuſehen iſt an dem Zorn vnd Rach / welche Gott 
der HErt wider die Juden ergehen hat laſſen: Dan 
ſeythero die Statt Jeruſalem iſt zerſtoͤrt wordẽ / hat 
der Juden Plag biß auff den heutigen Tag nicht 
nachgelaſſen: Wie das Schwerd deß Goͤttli⸗ 
chen Zorns vnd Rach langſam / kompt alfo weret 
es deſto laͤnger / vnd wird je länger je ſchwaͤrer. 

Eins mals hat ſichs in Engelland begeben / daß 
das Getraͤld trefflich wor auff dem Feld ſtunde /aber 
zur Ernnzeit kamen viel Mucken / die verzehrten al⸗ 
les Getraͤid Ihre Fluͤgel waren gleichſam gemahlt / 
vnd auff etlichen ſtund das Wort ira oder Zorn / 
vnd auff andern Dei oder Gottes. Hierauß erſchie⸗ 
ne klar / daß es ein Straff GOttes war von wegen 
ihrer Suͤnd / vermog der Wort Jerem cap. 12 
Weytzen 


138 Hirnſchleiffer. 


Weitzen haben ſie geſaͤhet / vnd Diſteln ha⸗ 
ben fie geerndet. Wann derowegen wir zu dieſen 
vnſern Zeiten mit dergleichen Straff vnd Thew⸗ 
rungen def liebſeligen Getraͤlds geſtrafft werden / 
ſollen wir anders nicht gedencken / als daß es lauter 
Zorn Gottes ſey / vmb daß wir der Armen vergeſ⸗ 
ſen / oder ſonſt die Goͤttliche Gaben mißbrauchen. 
Die dritte Eigenſchafft deß Göttlichen Schwerds 
oder Zorus iſt / daß es von eines einigen Menſchens 
Verbrechen wegen uͤber viel andere ergehet / vnd 
daß Gott von eines einigen Menſchens Boßheit 
wegen / ein gantz fand oder Statt ſtrafft / wie zuſe⸗ 
hen iſt an dem Koͤnig Pharao / dan von wegen ſei⸗ 
ner Suͤnd ward gantz Egypten geplagt. 
Beſchließlichen hat das Schwerd Gottes dieſe 
Eigenſchafft / daß es nicht gelindert noch verſonht 
wird / es ſey dan durch Demut vnd rechtſchaffene 
Buß. Dan es ſteht geſchrieben 2. Paralip cap. 12. 
Sie haben ſich gedemuͤtiget / darumb wil ich 


ſie nicht verderben. So laſſet uns derwegen de⸗ 
muͤtig ſeyn / vñ vns vor dieſem Goͤttlichen Schwerd 
demuͤtigen / vnd ihn mit vnſern Suͤnden nimmer er⸗ 
zuͤrnen / dan ob er ſchon ſich anj etzo ſtellt / als ſchlaffe 
vnd laſſe er ihm ſeine Augen verbinden vnnd ſich 
blenden / fo wird er doch einmahl vnverſehns er⸗ 
wachen / vnnd das erſchreckliche Schwerd der 
Gerechtigkeit vnnd Rad) über die Sünder 
ſchwingen. 


* * 
* 


Hirnſchleiffer 139 
Ein Juͤngling vnd eine Jung⸗ 


A Ls einsmahls der H. Auguſtinus gefragt ward / 
Wober nicht Luſt haͤtte ein Weib zu nehmen / die 
ſehr ſchoͤn / keuſch / rein / geſchaͤmig / weiß / gelehrt 
vnd guter Sitten waͤre / vnd die ihm am ſtudieren 
nicht verhinderte? Antwortet er / vnd ſprach: Mahle 
mir eine ſo fchön du immer wilſt / vnd ziere fie mit 
allen vnd jeden Tugenden / ſo hab ich doch feinen Luſt 
zum heuraten / dan ich ſihe / daß deß Manns Muth 
vnd Kunſt ehen der vnd beſſer nicht kan vndertruckt 
werden / als eben durch der Weiber Geſell⸗ 
ſchafft. 

Thee- 


140 Hirnſchleiffer. 


Theophraſtus ſagte: Biſt du geſund vnd reich / 
ſo nimb ein Weib / welche huͤpſch / von guten Sit⸗ 
ten / von erbarn Eltern geboren vnd fruchtbar iſt: 
Wofern fie aber dieſe Eigenſchafften: nicht an ihr 
hat / ſo nimb kein Weib: Dann iſt ſie ſchoͤn vnd 
reich / ſo will ſie dich beherꝛſchen / iſt ſie heßlich vnd 
arm / ſo iſt ſie vnangenehm vnd ſchwaͤrl ich zu er⸗ 
nehren. Vnd ob ſchon fie arm iſt / fo iſt ſie doch nicht 
darumb deſto ſauffmuͤtiger / frommer vnd demuͤti⸗ 
ger: Ein ſanfftmuͤtige / guͤuge Fraw iſt auff Erden 
ein ſeltzamer Vogel. 

Als Ariſtoteles gefragt ward / was einer / der ein 
Weib nehmen will / thun muͤſſe? antwortet er: 
Sechs Ding muß er in obacht nehmen: Erſtlich / 
das Geſchlecht / dann die Vngleichheit deß Ge⸗ 
ſchlechts im Eheſtand vervrſacht viel Vnwillens 
vnd Zanckens. Zum andern das Alter / dan nicht 
wol reimbt vnnd ſchickt es ſich / wan das eine jung 
vnd das ander alt iſt. Drittens ein ehrlichs Heurat⸗ 
gut / damit man den Laſt vnnd die Buͤrd deß Ehe⸗ 
ſtands deſto beſſer vnnd leichter ertragen moͤge. 
Vierdtens die Schoͤnheit vnd Holdſeligkeit / damit 
man nicht Vrſach habe ſich an andere Weiber zu 
hencken. Zum fuͤnfftẽ die Tugend / dan man ſoll nicht 
ſo ſehr ſehn auff die Schoͤnheit noch auff die Reich⸗ 
thumb / als auff die Weißheit vnd gute Sitten. 

Beſchließlichen fol er ein groſſe Fuͤrſichtigkeit 
brauchen / dann die Laſter vnd Gebrechen / die eine 
an ihr hat / ſihet vnd erfahrt man erſt nach der Hoch⸗ 
zeit: Die Roß / Ochſen / Kuͤh vnd all andere Ding 
werden probirt / ehe mans kaufft / allein die Maͤngel 
deß Weibs werden verborgen / damit ſie nicht falt 
alle / 


Hirnſchleiffer. 147 


falle / ehe man ſie genommen hat. Wie derowegen 
man fie erwoͤhlt vnd genommen hat / al ſo muß man 
fie behalten: Iſt ſie gaͤhzornig / zaͤnckiſch / heßlich / 
mangelhafft / hoffaͤrtig / ſtuͤtzig / eigenſinnig / 
frech oder weinſichtig / ſo erfarhrt mans erſt nach 
der Hochzeit. 

Der meiſte Theil der Heurats⸗leuthen vergreif⸗ 
fen ſich fuͤrnemblich in zweyen Dingen / erſtlich in 
dem ſie auff die aͤuſſerliche ſchoͤne Geſtalt ſehen. 
Zweyerley Herzen fügen die Eheleuth zuſammen / 
nemblich Gott vnd der Teuffel. Aber es iſt zubeſor⸗ 
gen / daß nicht GOtt / ſondern der Teuffel die meiſte 
Leut zuſammen fupple / daß ſeynd nun die jenigen / 
welche der Teuffel uͤberredet / die ein Weib von ihrer 
Schonheit wegen nehmen / damit ſie ihre ſchaͤndli⸗ 
che Wolluͤſt deſto beſſer vñ begierlicher erfüllen moͤ⸗ 
gen. Derowegen gere ichen ihnen dergleichen ſchoͤne 
Weiber zu einem Strick der Verdamnuß. 

Dan ander / darin man ſich beym heuraten ver⸗ 
greifft vnd verhackt / iſt / daß man fuͤrnemblich auff 
Geld vnd Gut / aber im wenigſten auff Ehr / Tu⸗ 
gend vnd Fromkeit ſihet: Gar viel Maͤnner ſuchen 
vnd erwoͤhlen die Reicht humb / aber keine Sitten 
oder Tugenden / wie derowegen der Anfang ihrer 
Ehe beſchaffen geweſt iſt / alſo werden die auß ſol⸗ 
cher Ehe erzeugte Kinder beſchaffen / ſeynd kein nutz / 
vnd gerathen uͤbel / dan Gott hat kein Gefallen an 
ſolcher Frucht. Weil auch die Jungfrawẽ oder Wei⸗ 
ber ſehen / daß die Maͤnner mehr auffs Geld vnd 
auff die Schönheit / weder auff die Tugend vnd gu⸗ 
te Sitten ſehen / ſo befleiſſẽ fie ſich nicht ſehr fre m̃ vnd 
tugendſam zu ſeyn / ſondern richten all ihre Fo 
au 


142 Hiruſchleiffer. 


auff den Reuterſchlag / ſeynd in Geberden frech vnd 
vnverſchampt. 

Die Sacedemonier hatten ein Geſaͤtz / das befalch / 
daß kein Vatter ſeiner Tochter ein Heurat⸗gut ge⸗ 
ben dorffte / ſon dern die Tugend war ihr Heurat⸗ 
gut: Damit ſie aber deſto ehender vnd beſſer heu⸗ 
rathen moͤchten / ſo befliſſen ſie ſich aller Ehr vnd 
Tugenden: Die Chriſten aber thun das Wider⸗ 
ſpiel / vnd haben kein gröffere Sorg / als daß fie 
ihre Toͤchter ſchoͤn machen / zierlich auffmutzen / 
vnd herfuͤrſtreichen / damit ſie den Maͤnnern ge⸗ 
fallen mögen / auff die Frombkeit vnd Tugenden a⸗ 
ber fihet man wenig. 

Die obſtehende Figur aber zeigt vnd lehrt vns / 
wie wir heurathen follen. Dann erſtlich wird durch 
den Juͤngling mit verdeckten Augen bedeut / daß 
man nicht nach Luſt der Augen heurathen / noch auch 
ſich geſchwind in die ſchoͤne vnd huͤpſche Geſtalten 
verlieben vnd vernarren ſolle / ſondern man ſoll heu⸗ 
rathen mit den Ohren / damit man nicht betrogen 
werde: Man ſoll zuvor hören / vnd ſich verkuͤndigen / 
was fie für ein Geſchrey vnd deumut habe / dan der 
Schoͤnheit traͤgts nichts vor / wofern kein gutes 
Lob / Ehr vnnd Tugend vorhanden iſt. Zum ans 
andern ſeynd deß Juͤnglings Haͤnd gebunden / zum 
Zeichen / daß er nicht fuͤrnemblich nach Geld vnd 
Gut greiffen ſolle / dann alles Geld iſt eitel / vnd 
wo es an der Ehr mangelt / da mangelt es alles, dan 
Geld vnd Gut vergeht / aber die Ehr vnd Tugend 
bleibt ewig. Das Widerſpiel wird taͤglich in der 
Welt practiſirt / dann man fihet weder auffs Ge⸗ 
ſchlecht / noch auff den Stammen / noch auff die El⸗ 
tern / 


Hirnſchleiffer. 143 
tern / noch auff Ehr / Tugend vnd Redlichkeit / ſon⸗ 
dern auffs Geld vnd Gut / vnangeſehn daſſelbe 
durch Wucher / ſchinden vnd ſchaben / rauben vnd 
ſtehlen gewunnen vnd erobert iſt worden Es heiſt: 
Haſt du Geld / ſo biſt du mir lieb / ob ſchon dein 
Mutter iſt ein Hur vnd dein Vatter ein Dieb. 

Die Weiber vnd Jungfrawen ſollen ebenfalls 
mit verdeckten Augen on offenen Ohren heurathen / 
vnd ſollen nicht ſo ſehr nach dem Geſicht vnnd der 
ſchönen Geſtallt der jungen Geſellen / als auff ihren 
guten Nahmen / Stammen vnd Herkommen ſe⸗ 
hen / dann mancher iſt ſchoͤn von Angeſicht vnnd 
wol geſtaltet / aber das Angeſicht hat offt gelogen 
vnd viel Jungfrawen betrogen. O Jungfraw trawe 
nicht einem jeden / dann den du ſiheſt mit deinen Au⸗ 
gen / der kompt villeicht von Schlampampen / auß 
ferꝛen Landen / auß Oſten vnd Welten / vnd wann 
du vermeinſt / er werde hauſen / ſo zeucht er dar⸗ 
von / laͤſt Weib vnd Kind ſitzen. 

Wan ein Jungfraw ein lange Reyß vor ihr hat / 
fo bewirbt fie ſich zuvor vmb redliche vnd trewe Ge⸗ 
ſellſchafft / dan es iſt nicht einem jeden zutrawen: 
Der Eheſtand iſt ein lange gefaͤhrliche Reyß / dero⸗ 
wegen muß vnd ſoll die Jungfraw ſich / ehe vnd be⸗ 
vor ſich heurathen will / vmb einen ſolchenGeſellen 
vnd Ehewirth bewerben / dem zu trawen iſt / vnd mit 
em ſie verſehen iſt / dann ſie kan niemaln von ihm 
ſcheiden. Aber (leyder ) Cupido verführe dermaſſen 
die Jungfrawen / daß ſie kaum das weiſſe vorm 
ſchwartzen kennen: Cupido beraubt deß Menſchen 
Hertz vnd Sinn; viel ehender erwoͤhlt vnd greifft 
as Weib nach einem der da ſchon vnd edel / vnd 


doch 


144 Hirnſchleiffer. 


doch beynebens entweder ein Fantaſt oder Muͤſſig⸗ 
gaͤnger / ein Hurer / em Schlemmer / Demmer vnd 
hoffaͤrtiger Narꝛ oder Ketzer iſt / vnd der ihr herna⸗ 
cher vmb den Kopff tantzt / vnd der ein Vrſach ihres 
zeitlichen vnd ewigen Verderbens iſt / weder einen 
tugentſamen / frommen / heußlichen vnd demuͤtigen 
Geſellen / von dem ſie ſchoͤn / lieb vnd werth gehal⸗ 
ten vnd ſelig werden koͤnte. 

Beſchließlichen / wird durch den Prieſter / der 
zwiſchen der Jungfrawen vnd dem jungen Geſellen 
ſtehet / bedeut erſtlich / daß man im heuraten dem 
Math der weiſen Leuth vnd ſonderlich der Eltern 
brauchen vnd folgen ſoll / damit man deſto weniger 
uͤbel anfahre. Zum andern wird Chriſtus dardurch 
bedeut / derſelb ſoll der allererſt Heuratsman ſeyn / 
damit der Heurat deſto gluͤckſeliger gerathe. Als⸗ 
dann aber befindt ſich Chriſtus beym Heurath ge⸗ 
genwertig / wan man ihn vor allen Dingen vnderm 
Heurath ſucht vnnd erwoͤhlt / vnd wann das fuͤr⸗ 
nembſt Intent deß jungen Ehevolcks iſt / das iſt / 
wan man ſich verheuratet / damit man im Eheſtand 
Gott dem Hærꝛn deſto beſſer dienen / deſto weniger 
ſuͤndigen / vnd deſto leichtlicher ſelig werden möge: 
Aber (leyder) der Geitz vnnd das Geld / vnd der 
Wolluſt ſeynd das erſte / die man anjetzo zum Heu⸗ 
rath vnd zur Hochzeit berufft / derowegen iſt kein 
Wunder / daß ſoviel Heurath uͤbel gerathen. 

Gluͤckſelig iſt der Heurath / der da angefangen 
wird durch Chriſtum Jeſum / aber vnſelig vnd one 
gluͤckſelig iſt der Heurath / wann der erſt / der da ge⸗ 
laden wird / der Teuffel iſt / vnd wan man nur nach 
der Schoͤnheit / auß fleiſchlicher Begierd vnd auß 

Geitz 


Hirnfchleiffer. 145 
Geitz nach geld vnd Gut heuratet: Inmaſſen die 
Heyden vnd Tuͤrcken thun. DieChriſten ſollen nicht 
auff ſolche weiß heuraten: Dann wir ſeynd 
( fagte der junge Tobias zu feiner Braut cap. 8. ) 

Kinder der Heiligen / vnd es gezimbt vns 
nicht zuſamen zu gehen / als die Heyden 
thun. Als wolte er ſagen: Mein hertzallerliebſte 
Braut / du weiſt / das wir von einem heiligen Ge— 

ſchlecht ſeynd herkom̃en / vnd daß vnſere Eltern vnd 

Vorfahren heilige deuth geweſt / derowegẽ will ſichs 

nicht gebuͤren / daß wir vns in einem vnkeuſchen 

Beth zuſamen legen / wie bie Heyden vnd Vnglau⸗ 

bigen / welche Gott den Herꝛn nicht kennen / vnd 

nichts anders vor Augen haben / als die ſinnliche vñ 

ſchnoͤde Begirligkeit Folgends knyete dieſer Gotts⸗ 

förchtige Bräutigam nider / bettete zuvor zu Gott / 

vnd ſprach. Du / OHErꝛ / weiſt / daß mich Vn⸗ 

keuſchheit deß Fleiſches nicht treibt / dieſe mei⸗ 

ne Schweſter zunehmen / ſondern allein die 

Lieb der Kinder / in welchen werde dein 

Nahm in Ewigkeit gelobt. 

Beſchließlichen wird Ehriſtus als dan zum Heu⸗ 
rat beruffen / vnd iſt der Heurat gluͤcklich / wan man 
darbey auff nichts anders ſihet / als auff die Tugend 
ſowol deß Manne / als deß Weibs / vnd nicht auff 
Güter / Schoͤnheit vnd Reichthumb. Als Eleezar 
deß Abrahams Haußmeiſter den Heurat zwiſchen 
Iſaac vnd der Rebeccæ Freunden tractirte / ſprach 
er zu jhnen: Der HErthat mein Herzn reich- 

G lich 


146 Hirnſchleiffer. 
lich geſegnet / vnd iſt groß worden / vnd hat 
ihm Schaf vnd Ochſen / Silber vnd Golt ge⸗ 
ben. Vielmehr lobt er feinen Hern / von wegen ſei⸗ 
ner Frombkeit / Herꝛligkeit / Gunſt vnd Gnad / die er 
bey Gott hatte / weder von wegen feiner Reich⸗ 
thumb. Derowegen handlen etliche Eltern gar vbel / 
welche das ſchoͤnſte Viehe zuwegen bringen zum 
ziegeln / verkuppeln / aber hingegen jhre Töchter mit 
bofen vnd laſterhafftigen Maͤnnern / deß gleichen 
jhre Soͤhn mit heyloſen Weibern / nur vons ſchno⸗ 
den Gelds vnd Guts wegen. Etliche ſehen auch 
vielmehr auff das Geſchlecht / Adel vnd Reich⸗ 
thumb / weder auff der Kinder Heyl vnd Wolfahrt. 
Auß ſolchen gezwungenen Heurathen aber erfolgt 
als dan kein auffrechte Keb / iſt auch weder Fried 
noch Segen darben / dan wo Vneinigkeit regiret / 
da iſt die deb kranck 
Drittens wird durch dẽ Prieſter / der in der mit⸗ 
ten ſteht / bedeut / daß der Eheſtand ohn das Prieſter⸗ 
lich beyſeyn vnd Segen / keins wegs ſoll celebrirt o⸗ 
der angefangen werden / dan die ſolches verachten / 
die ſeynd fur keine Eheleuth / ſondern fuͤr Huter / 
vnd jhre Kinder fuͤr Banckertẽ zuhalten. Dieſer Se- 
gen beſchicht erſtlich darumb / damit der Eheſtand 
geheiligt / vnd die fleiſchliche Begierden vnd deß 
Teufels diſt gedaͤmpfft werden. Die Gnadaber ſol⸗ 
cher Heiligkeit vnd geiſtlicher Reinigkeit kan ehen⸗ 
der vnd kraͤfftiger nicht erlangt werden / als eben 
durch das gemeine Gebett der Kirchen / damit zum 
Teuffel geſagt werde: Verſchuͤtte es nicht / dann 
es iſt 


Hirnſchleiffer. 147 


es iſt der Segen deß HErꝛn: Dann weil wirſdle 
tägliche Speiſen ſegnen / damit ſie ung nicht, ſcha⸗ 
den / warumb wolte man dan nicht auch Mann vnd 
Weib ſegnen wider deß Teuffels kiſt? 

Zum andern hilfft der Segen deß Prieſters / zu 
Erhaltung deß Friedens vnd Einigkeit / ohn welche 
der Eheſtand nicht lang beſtehen kan / auch die Guͤ⸗ 
ter nicht koͤnnen vermehrt werden. Dan der Weiſs⸗ 
Mann ſagt Cap. 10 Der Segen Gottes 
machet reich Wo aber kein Goͤttlicher Segen 
iſt / da regiert der Teuffel / vnd man findt in einem 
ſolchen Hauß nichts anders / als Zanck / Hader / 
Hertzen⸗leyd vnd Verderben. Weil aber ſolcher 
Segen der Kirchen von vielen keuthen veracht oder 
nicht recht empfangen wird / vnd wan man ſich in 
heimlichen Windeln verheuratet / oder wan man 
ſich deß Rirchgangs ſchaͤmet / vnd ſich anheims oder 
in einem Wirths⸗hauß einſegnen laͤſt / fo iſts kein 
Wunder / daß folcher Heurath vnd die drauß gebor⸗ 
ne Frucht vbel gerathet / vnd daß der Eheſtand ves 
kehrt wird in ein Weheſtand. 


Vom Jungfraͤwlichen Kraͤntzle. 
, 2 


Endlich wird auch die Braut mit einem Kraͤntzle 
auffm Haupt gemahlt / zur Anzeig jhrer Jungfraw⸗ 
ſchafft / Keuſchheit vnd Reinigkeit. Dieſes Kränte 
le aber ſoll gemacht ſeyn von fiebenerley Blumen 
der Tugenden: Die erſte Blumen ſeynd Lilgen / 
welche ein Zeichen der Jungfrawſchafft vnd Reinig⸗ 
keit ſeynd / welche biß zum Sacrament vnbefleckt ſoll 
erhalten werden: Dann man findt zweyerley Jung⸗ 

S fraw- 


148 Hirnſchleiffer. 


frawſchafften / die eine wird allein Got dem Herm 
reſervirt vnd vorbehalten / vnd ein ſi olche Jungfraw⸗ 
ſchafft iſt die allerſchoͤnſte: Die ander wird nicht 
Gott / ſondern dem Mann von Gottes wegen erhal⸗ 
ten / damit nemblich der Mann ſeine Braut eine 
Jungfraw finde / vnd diß iſt der Braut allerſchoͤnſte 
Eigenſchafft / dan zugleicher weiß wie einer / der in 
ein frembdes Land ziehen / vnd dafelbft wohnen will / 
derfelb pflegt zuvor die fitten vnd Gebraͤuch deſſel⸗ 
ben Lands zuerkuͤndigen vnd zulernen: Alſo wann 
ein Jungfraw vermittelſt deß Eheſtands begert ins 
himmliſche Vatterland zu verreiſen / muß fie zuvor 
die Sitten vnd Gebraͤuch deſſelben Lands lernen: 
Nun ſeynd aber die Sitten im ſelben dand / daß man 
rein vnd keuſch ſen / dan nichts befleckts kompt hin⸗ 
ein Vnb eben dieſer Vrſachen halben ſagte Sara: 
Ich hab meine Seel in der Reinigkeit ver⸗ 
wahrt. Soll derowegen die Braut ein reine Jung⸗ 
fraw ſeyn / ſo muß ſie ſich nicht berühren laſſen von 
den jungen Geſellen / dan wie die algen / ob fie ſchon 
huͤpſch vnd ſchön ſeynd / ſo verwelcken vnd verderbẽ 
ſie doch alsbald / wan man ſie mit den Haͤnden an⸗ 
rürt/alfo wan die Jungfrawen ſich fuͤrwitziger weiß 
berüren laſſen / ſo wird jhr Ehr gar bald geſchmaͤ⸗ 
lert / oder zu etwa anderm angereitzt. 

Das ander Bluͤmlein fol ſeyn eine Viol / dann 
wie die Viol den Kopff vnder ſich laͤſt hangen / alſo 
fol ein jungfraͤwl iche Braut geſchaͤmig ſeyn / vnd 
nicht mit auffgerecktem Halß vnd Kopff wie ein 
Storch / ſondern fein zuͤchtig mit nidergeſchlagenen 
Augẽ herein gehen / dan der Weiſe⸗Man c 26 ſagt: 


Die 


Hirnſchleiffer. 149 


Die Vnverſchamptheit eines Weibs 
iſt ein Zeichen jhrer Vnkeuſchheit. Vnd 
felten wird die Keuſchheit erhalten / wo Frechheit 
vnd Vnverſchamptheit das Faͤndel tragt. Wie au 
ein nider⸗hangende Viol vlel ſchoͤner ſcheinet / als 
welche ober fich ſteht / alſo iſt die Geſchaͤmigkeit 
ein ſonderbare Zier an den Jungfrawen / vermoͤg der 
Wort Eccleſc. 7. Die Schamheit iſt ber al⸗ 
les Gold. 

Die dritte Blum ſoll ſeyn ein Sonnen⸗ blum deß 
Fleiſſes / das iſt / die Jungfraw⸗ Braut fol haͤuß⸗ 
lick / fleiſſig / embſig vnd arbeitſam ſeyn / damit von 
jhr geſagt werde / was der Weiſe⸗Mann in ſeinen 
Spruchen am letzten Cap. ſagt: Sie hat ihr 
Brot nicht in Muͤſſig⸗gang geſſen. 

Die vierdte heiſt Ameria der Zucht / in Sit⸗ 
ten vnd Geberden / dan wie dieſe Blum in Hauß 
vnd zu Winter s⸗zeiten waͤchſt / alſo ſoll ein Jung⸗ 
fraw gern inheimiſch vnd nicht außheimiſch oder 
ein Gaſſenfahrerin ſeyn / dan die Jungfrawſchafft 
iſt ein Schatz / der in Acker deß Leibs gelegt wird / 
vnd muß fleiſſig verborgen vnd verwahrt werden 
wider die liſtige vnd verſchlagene Dieb / die jhm 
nachſtellen. 

Die fuͤnffte Blum deß jungfraͤwlichenKraͤntzels 
iſt die Groffel der Demut / dan wie dieſe Blum ge⸗ 

en dem Himmel offen / aber gegen der Erden ver⸗ 
ſchloſſen iſt / alſo ſteht die Demut allzeit gegẽ GOtt 
offen / aber den jrꝛdiſchen Dingẽ fragt ſie nicht nach / 
vnd verachtet alle Ehr. Wie aber ein Kleinoth oder 


S 3 Edel⸗ 


so Hirnſchleiff er. 


Edelgeſtein ſehr ſchoͤn ſcheinet im Gold / alſo 
ſcheinet die Demut ſehr ſchoͤn im jungfraͤwlichen 
Hertzen: Das Fewr der heiligen dieb wird nirgends 
beſſer verwahrt / als in Aſchen der Demut. Dieſer 
Vrſachen halben ſollen die jungfraͤvliche Braut 
nicht ruhmſichtig ſeyn / noch ſich ihrer Reicht humb 
vnd Schoͤnheit beruͤhmen / dan die fromme Heſter 
gelangte von wegen ihrer Demut zum Koͤniglichen 
Eheſtand / die ſtoltze Vaſti aber ward von wegen 
ihrer Hoffart verworffen. 

Die ſechſte Blum ſoll ſeyn ein weiſſe Roſe der 
Zucht / welche die Seel in der Reinigkeit erhaͤlt / 
dann wie die Roſen mitten vnder den Doͤrnen 
wachſen / alſo ſoll ein Jungfraw der Zucht vnnd 
Straff ergeden vnnd gewohnt ſeyn / keins wegs 
aber ſtuͤtzig / eigenſinnig / vnwillig vnnd wider⸗ 
ſetzig ſeyn / dann darauß wird ein boͤſe vnd vngluͤck⸗ 
ſelege Ehe 

Die ſiebende vnnd letzte Blum im jungfraͤwli⸗ 
chen Krantz ſoll ſeynd die rothe Roß der Gottsforcht 
vnd Andacht / dann wie die Altaͤr mit rothen Roſen 
geziert werden / alſo werden der Jungfrawen Her⸗ 
tzen geziert mit der Gottsforcht / vnd wie jene fuͤnff 
weiſe Jungfrawen gelobt wurden / weil ihre Am⸗ 
peln angefüllt waren mit dem Oel der Andacht vnd 
Fewr der lieb / hingegen wurden die andern fuͤnff 
naͤrriſche veracht / weil ihre Ampeln mit keinem der⸗ 
gleichen Oel verſehen waren: Vngluͤckſelig ſeynd 
auch die jenige / welche an ihrem Jungfraw⸗kraͤntzle 
ſchwaͤr tragen / oder es verzetten / derwegen gebaͤ⸗ 
ren ſie bißweiln bald nach der Hochzeit / vnd nicht 
deſto⸗ 


Hirnſchleiffer. 151 
de ſtoweniger dörffen ſte frecher vnd vnverſchaͤmp⸗ 
ter weiß / baartopffet zur Kirchen gehn / vnd mit 
dem Jungfraw⸗krantz prangen ob ſchon aber fie 
der zeitlichen Straff entgehn / ſo entgehn ſie doch 
nicht der ewigen / dann der Teuffel erhitzt ſie in 
den Flammen der ſchnöden Lieb allhie zeit⸗ 
lich / damit er ſie hernacher in der hoͤl⸗ 
luſchen Flammen deſto hitzi⸗ 
ger peinigen moͤge ewig⸗ 
lich. 


() de 


152 Hirnſchleiffer. 


Ein Wed reitet auff einem 
Mann, 


Nchte tan vnbillicher vnd vngereim bier ſeyn / 
weder wann der Mann ſich vom Weib regiern 
vnd beheriſchen / tumlen vnd ſtumpfteren laͤſt. Dan 
es ſteht geſchrieben: Laß dem Weib nicht Ge⸗ 
walt vber dich / daß fie nicht dein Her: wer⸗ 
de / vnd dich zuſchanden mache. Die jenigen 
aber laſſen den Weibern Gewalt uͤber ſich / vnnd 
werden zuſchanden gemacht / welche ihren Weibern 
anfangs den Zügel zu lang laſſen / ihnen das Geld 
vnder die Haͤnd geben / vnd alles geſtatten / was ſie 
thun / 


Vu 


Hirnſchleiffer. 153 


thun / beger en / ſchaffen / anordnen vnd haben woͤl⸗ 
len / deſſen übernehmen fie fich dermaſſen / daß fie 
alsdann den Mann verachten / fuͤr ein Sclaven / 
ja für einen Narren vnd Fuß⸗hader halten. Vnd 
diß zwar vmb ſo viel deſto mehr / wan ſie dem Man 
viel Geld hat zugebracht: Dann alsdan heiſts / 
Das Geld hab ich genommen / hingegen die Herꝛ⸗ 
ſchafft verfaufft. Gleichwol iſts bißweiln nicht vn⸗ 
recht / daß das Weib den Mann regiere / zumaln 
wann derſelb ein Narꝛ iſt / wie Nabal war / deßwe⸗ 
gen muſte er leiden / daß ſein Weib Abigail ihn re⸗ 
gierte Viel dergleichen Narꝛen find man noch heu⸗ 
tigs Tag in der Welt. 

Eins mals war ein Fraw ihrem Man ſehr feind / 
vñ lebte übel mit ihm / damit fie aber ſeiner loß wer⸗ 
den moͤchte / ſo gab ſie ihm einen ſonderbaren Trunck 
ein / von dem er nicht allein truncken / ſondern auch 
vnſinnig ward / daß er nicht mehr reden konte / fol⸗ 
gens ließ fie Geiſtlichen holen / vnd ſagte / ihr Man 
waͤre todttranck worden / vnd loͤnte nimmer reden / 
aber doch haͤtte er zuvor nichts anders begert / als 
daß er ein Münch möchte werden / derowegen begert 
fie an feinem Heyl vnd Seligkeit nicht zuverhin⸗ 
dern / ſondern waͤre Vorhabens die Keuſchheit zu⸗ 
verloben ſo lang er lebe vnangeſehn Gott ihm ſeine 
Geſundheit widerumb verleyhen wuͤrde. Vmb die⸗ 
fer Vrſachen halben / begerte fie an die Geiſtlichen / 
ſie wolten ihm doch geſchwind die Kutten anlegen. 
Die Münch lieſſen fich uͤberreden / ſcherten dem vol⸗ 
len Man eine K ron auff den Ropff / vnd legten ihm 
eine Kutten an ſeinem keib: Als er nun deß mor⸗ 
gens fruͤhe wider auß dem Schlaff erwachte / vnd 

83 ſich 


154 Hirnſchleiffer 


ſich in einer Nuͤnchs⸗Kutten alſo vnwiſſend veraͤn⸗ 
dert befandt / verwunderte er ſich zum hoͤchſten / 
fragte deßwegen fein Weib, was doch das bedeutete! 
Sie aber antwortet mit weinenden Augen / vnnd 
ſprach: Mein hertzallerliebſter Schatz / weiſtu dich 
dann nit zuerinnern / das du in dieſer Nacht ein 
Muͤnch worden biſt ? dann in deinem groſſen 
Schmertzen begehrteſtu nichts anders / vnd ich hab 
von deinentwegen die Reuſchheit verlobt / vnd muß 
derowegen ein verlaſſene Wittib verbleiben. Ob 
ſchon er aber ſich gegen ihr vernemmen ließ / er be⸗ 
gehre kein Muͤnch zuverbleiben / ſondern wolte mit 
ihr noch laͤnger hauſen / ſo ſagte ſie doch nein / das 
kan nicht ſeyn: ſondern was ich verlobt habe / das 
will ich halten: Einmal biſt du ein Muͤnch / vnd 
verbiete mirs mein GOtt / daß mir ein Münch an 
meiner Seite lige. Schaͤme dich du heilloſer Tropff / 
daß du widerumb in die Welt gehen / vnd dich vor 
allermaͤnniglich en fuͤr ein meineidigen Muͤnch hal⸗ 
ten laſſen wolteſt In ſumma / ſie ſchwetzte ihm der⸗ 
maſſen ſo viel vor / daß er ein Muͤnch blieb / vnd 
begab ſich ins Cloſter / vnd vermachte ihr ale feine 
Haab vnd guter. 

Ein andere Maͤnniſche Fraw hatte einen weibi⸗ 
ſchen Man / den ſelben ſchlug fie / vmb daß er in ih⸗ 
rem Abweſen / den Geyer ein junges Hun hatte 
ſtehlen laſſen: Nun begabs ſichs / daß das Weib 
widerumb verꝛeiſte / damit derowegen er die noch 
uͤbrige verhandene junge Düne beſſer verſich⸗ 
ern möchte / fo band ei fie alleſambt an ein Schnur 
zuſammen / in Hoffnung / der Raubvoge wuͤrde 
ihnen nichts thun konnen 5 aber derſelb uͤber iel fie 

vuver⸗ 


0 


Hirnſchleiffer. 175 


vnverſehens / ergriff ſie mit den Klawen / vnd fuͤhrte 
fie alleſampt auff einmal hinweg. 

Weil er ſich dann erinnerte / daß von wegen ei⸗ 
nes einigen jungen Huns ſo uͤbel waͤr tractirt vnd 
geſchlagen worden / fo beforgt er ſich einer noch viel 
groſſern Tractation / derowegen wuͤnſchte er ihm 
viel lieber zu ſterben / dan feines Weibs Zorn aber⸗ 
mal zuemp finden. Nun hatte fie in einem Geſchirꝛ 
etliche Feigen in Honig vnd Zucker eingemacht / 
vnd dem Mann (deſſen Fraß vnnd Sleckerey ihr 
taͤgliches Brod war) verbotten / er ſolte nichts dar⸗ 
von ſchlecken oder lecken / dan es waͤre gifft darunder 
verborgen. Weil dann der Mann nichts anders 
ſuchte vnd begehrte / als den Todt / ſo fraß er die 
Feigen alleſambt hinweg. Als nun das Weib wi⸗ 
derumb heim kam / vnd hoͤrte / daß der Geyer alle 
Huͤner hinweg geführt hatte / fo war ſie entſchlof⸗ 
ſen / den vnfleiſſigen Man mit Bruͤgeln zuſalden / 
vnd zu ſolchem Endt nam ſie den Bruͤgel in die 
Hand / der Mann aber ſchreye vnd ſprach: O mein 
Weib / ſchlag mich nicht / dann ich muß gleich ſter⸗ 
ben / vnnd hab alles Gifft / welches im Geſchtr: 
war / auß geſſen / damit ich alſo meinen begangenen 
Vnfleiß mit dem Tod buͤſſen moͤchte. Als das 
Weib ſolches hoͤrte / lachte ſie daruͤber / verzyhe 
es alles dieſem ihrem naͤruſchen Mann. Dann es 
iſt vnmuͤglich / daß Narren vnnd Vnweiſen durch 
Schlaͤg oder durch Wort können geſcheid gemacht 
werden. 

Der Weiber Herrfchung über die Maͤnner iſt 
ein groſſe Schand: Nicht deſtoweniger aber thun 
viel Männer eben das jenig / deſſen ſich jener be⸗ 

G 6 klagte 


156 Hirnſchleiffer. 


klagte vnd bekennte: Ich hab das Geld genom men / 
vnd von wegen deß groſſen Heuratguts / die Heri⸗ 
ſchung vnd Oberhand / verkaufft / derowegen muß 
ich meines Weibs Narꝛ ſeyn / vnd wie der Schat⸗ 
ten im Hauß vmbgehen. 

Ander Diſcurs. 

Ferner bedeutet dieſe Figur die ſchnöde dieb / oder 
die naͤrriſche blinde Weibiſche Maͤnner / die ſich der 
Dienſtbarkeit der ſchnoͤden Lieb allerdings ergeben. 
Es iſt nicht ohn / daß man den Weibern nicht feynd 
ſeyn / ſondern ſie lieben vnd verehren ſoll / dann fie 
ſeynd die jenige / die vns gebaͤren / auff die Welt 
bringen / ernaͤhren vnd die meiſte Muͤhe vnd Sorg 
mit vns haben muͤſſen / aber doch ſoll man ſie nur 
im Herim lieben / vnnd ſich die ſchnöͤde dieb nicht 
übergehen laſſen / dan ſie iſt ein grauſamer Tyrann: 
Deßwegen hat Horatius die jenigen / welche der 
böfen dieb ſtatt geben vnd ihr gehorſamen / ler vum 
pecus, oder einen viehiſchen Knecht genennet / 
dann was kan dienſtlicher vnnd viehiſcher ſeyn / 
als wann einer wie ein Vieh / den ſchaͤndlichen 
Wolluͤſten nachjaget / vnd eines vnreinen Weibs 
Herꝛſchung mit Gedult leydet? O wie thewr 
erkauffen ſolche Geſellen ein kurtzwehrende Wol⸗ 
luſt! 

Groß iſt die Tyranney der ſchnoͤden Lieb / herge⸗ 
gen iſt der Widerſtand / der ihr geſchicht / dermaſſen 
klein vnd ſchwach / daß die jenigen welche das Volck 
beherꝛſchen vnnd regieren / ſich nicht ſchaͤmen den 
ſchaͤndlichen Willen vnd ſchnoͤden Begierden zu die⸗ 
nen / vnd ſich ihr dermaſſen zuergeben / daß ſie nie⸗ 
maln 


Hirnſckleiffer. 157 


maln drauß erledigt koͤnnen werden: Nichts anders 
iſt derowegen die ſchnoͤde dieb / als ein heimliches 
verborgenes Fewr / ein angenehme Wunde / ein 
liebliches Gifft / ein ſuͤſſe Bitterkeit / ein angenehme 
Kranckheit / ein liebliche Straff / ein ſanffter Todt. 
Das hat nun vnder andern auch jener Roͤmiſche 
Fuͤrſt Antonius erfahren / als er ſich von der vnkeu⸗ 
ſchen Koͤmginn Cleopatra dermaſſen einnehmen 
vnd regieren ließ / daß es die Hiſtori-Schreiber 
nicht gnugſamb beſchreiben fönnen/danfi ſie bewegte 
vnd brachte ihn dahin / daß er ihre Schweſter Ar- 
finoen im Tempel Dianæ erbaͤrmlich vmbringen 
ließ. Alle die Schaͤtz / die er im Kriegsweſen erob⸗ 
erte / muſte er ihr geben / zu Erlangung deß Koͤ⸗ 
nigreichs Siriæ, brachte er den L yſaniam deß 5 Ptolo- 
mzı Sohn vmbs beben / vnd eignete es feiner Cleo- 
patrz zu: Nit weniger begehrte auch ſie / er ſolte 
ihr das Judiſche vnnd Arabiſche Koͤnigreich uͤber⸗ 
antworten / inmaſſen zum Theil auch geſchehen / 
vnd er ſehr viel Provintzen vnd Statt davon zu⸗ 
wegen gebracht. geliehen aber gab fie ihme den 
Danck / vnd verließ ihn in wehrender Actiachiſchen 
Sale: cht / die er mit dem Augufto gehalten. 

Billig ſoll man derowegen ſi ſich vor ſolchen Vet⸗ 
Al: Huren hüten / dann fie ſeynd der Männer 
Verderben / ein imn terwehre nde vnerſaͤttliche Be⸗ 
gierligkeit / ein täglicher Schad / ein erſeigerung 
deß Seckels vnd deß deibs / ein Verhinderung der 
Studenten / ein Vnehr der Prieſter / ein Schand 
der Religioſen / ein Offenbarung der Geheimnuſ⸗ 
ſen / ein ſchwere vnd vnleidliche Buͤrd / ein Werck⸗ 
zeug der Boßheit / ein Betrug der Menſchen / ein 

G 7 Geſchirꝛ 


158 Hirnſchleiffer. 


Geſchirr def Teuffels / ein ſtinckende Roſe / ein 
ſuͤſſes Gifft / ein Anfang vnd End alles boͤſen. 


Dritter Diſcurs. 


Vnbillig vnd Vnrecht iſts / wan einer ſeinen leib 

r feinen Herꝛn erwoͤhlet vnd ihm dinet vnd gehor⸗ 
ſamet / dan der $eib oder das Fleiſch ſoll gleichſamb 
ein Weib deß Geiſtes / der Billigkeit vnd Beſchei⸗ 
denheit ſeyn. Wie das Weib ſchuldig iſt dem Mann 
zugehorſamen / alſo iſt das Fleiſch dem Geiſt ſchul⸗ 
dig zu dienen: Selig iſt derowegen der ein verſtaͤn⸗ 
dige Sram hat / vnd mit einem ſittſamen ſtillen wol⸗ 
geordneten Fleiſch hauſet. 

Ferner / wie das Weib ſchuldig iſt dem Mann 
zu dienen / vnd niemaln muͤſſig / ſondern allzeit fleiſ⸗ 
fig / arbeitſamb vnd haͤußlich zu ſeyn / alſo ſoll das 
Fleiſch dem Geiſt dienen vnnd memaln faullentzen. 
Drittens / wie das Weib fruchtbar ſeyn vnd Kinder 
gebaͤren ſoll / alſo ſoll das Fleiſch fruchtbar ſeyn in 
guten Werden. Vierdtens / wie das Weib einer 
guten vnd lieblichen Converſation ſeyn ſoll / alſo ſoll 
das Fleiſch ſich dem Geiſt niemaln widerſetzen / noch 
mit ihm greinen noch zancken: Aber leider dieſes 
Weiß iſt dermaſſen greineriſch vnd zaͤnckiſch / nemb⸗ 
lich das Fleiſch / daß der Apoſtel Paulus 2. Cor, 7, 
ſagt: Mein Fleiſch hat kein Ruhe. Item der 
Pſalmiſt im 7. Pſalm. Den gantzen Tag ge⸗ 
he ich trawrig her / dann meine Lenden ſeynd 
erfüͤllet mit Spott / vnd iſt nichts geſundes 
an meinem Leib. 
Zu 


Hirnſchleiffer. 155 

Zu vberwindung vnd vbertragung deßzanckens / 
hader ns vnd Vngeſtuͤmmigkeit dieſes Weibs / wird 
deß Herculis / ja Gottes Staͤrck erfordert / dan ob 
wol Hercules vieler Menſchen vnd wilden Thier 
Vngeſtuͤmmigkeit vberwunden vnd a außgeſtanden / 
ſo hat er doch das leiſchn nicht vberwinden koͤnnen / 
dan wie Livius ſpricht: Den herzlichen vnd fürs 
trefflichen Männern mangelts viel ehender an der 
Kunſt das Fleiſch zu regiren / weder die Feinde zu⸗ 
vber winden / dan jmmerdar greinet das vnruhige 
Fleiſch wider den Geiſt / vnd ſpricht: Was bemu⸗ 
heſt du dich viel; warumb wacheſtu jmmerdar? war⸗ 
umb arbeitteſtu dich ſo gar ab? warumb folgeſtu der 
flihenden Weißheit ſo en ibſig vnd eyfferig nach? 
warumb leydeſtu von ihre entwegen fo viel Hung er / 
Durſt / Hitz vnd Kaͤlte / Nicht alſo / ſondern iſt / 
trinck / ſchlaffe / Ruhe ondlaſſe dir wol ſeyn. Abel 
der Geiſt ſoll dergleichen Verſuchungen deß 
Fleiſches verachten / dan fo gar die Philofophi has 
den den Epicurum( e d. er Wo luͤſt de ß Fleiſch⸗ 
es der Billigkeit vorzohe als einen Ketzer der Welt⸗ 
weiſen Geſellſchafft vertrieben. 

Beſchließ lichen ſeynd drey Vrſachẽ vorhanden / 
warumb der Geiſtdem Leib nicht dien noch ge ehor⸗ 
ſamen ſoll: Die erſte iſt! wueil der Leib ein boͤ r 
vnd beſchwerlicher ez exactor vnd Treiber iſt / dan die 
Erd deß leibs wird nie emaln vom Waſſer deß Wolz 
luſts erſaͤttiget / ſonder ſchreyet allzeit: Alter, af- 
fer, 8 ai nehr 71 bring mehr. Zum andern 
iſt er grai famb / vnang eſehen er ſchmeichlet 
bnd lch et / im wenigſten foͤrchtet ſich das 
Fleiſch 


160 Hirnſchleiffer. 


Fleiſch etwas zuthun / welches den Geiſt zum todt 
gereichet. Drittens iſt er vngetrew / dann wie 
Dalila den Samſon ihren Buler ſeinen Feinden 
übergab / alfo übergibt das Fleiſch den Teuffeln 
die Seel. 


Vierdter Difcurs, 


Ferner tan durch das Weib / welehes auff dem 
Mann ſitzet vnd reitet / die Suͤnd / durch den Mann 
aber eines Suͤnders Seel verſtanden werden. Die 
Suͤnd hat in H. Schrifft vnderſchieoliche Na- 
men / vnd vnder andern nennet fie der H. Job ei⸗ 
nen Koͤnig. Der Tod wird in ſich tretten 
wie ein Koͤnig. O wie ein tyranniſcher Koͤnig 
iſt die Suͤnd wider die Seel / ſolches deutet der 
H. Joan. c. 8. an / da er ſacht: Wer Suͤnd 
thut / der iſt ein Knecht der Suͤnden. Wer 
von dieſem Tyrannen regiret wird / der iſt ſehr 
uͤbel dran / dann wer einem weltlichen Tyrannen 
vndergeben iſt / der leydet nur vnder einem Herꝛn / 
aber uͤber den Suͤnder herſchen eben ſo viel Herꝛen / 
als viel Suͤnd er auff ihm ligen hat: Wer der 
menſchlichen Tyranney vnderworffen iſt / der kan 
ſich mit Geld oder Borgſchafft oder durch Fuͤrbitt 
der Edelleuten / oder durch Huͤlff der Engeln ledig 
machen / aber wer mit der Suͤnd behaffcift / der 
kan weder durch Gold noch Silber / noch durch 

nenſchliche noch Engliſche Fuͤrbitt vnd Gunſt ent⸗ 
lediget werden: dan der Evangeliſt Lucas fagt: c.. 
Wer kan find ver geben / dann allein Gott. 
Vnd 


Hirnſchleiffer. 161 


Bnd ob ſchon der Prieſter im ſie in der Beicht nach⸗ 
laͤſt / ſo geſchicht doch ſolches an ſtatt vnd durch 
krafft Gottes / deſſen Diener er iſt. Wer auch ei⸗ 
wen menſchlichen Tyrannen vnderworffen iſt / kan 
nur am Leib gemartet werden / aber die ty⸗ 
ranniſche Suͤnd martert vnd peinigt 
nit allein den Leib / ſonder 
auch die Sul. 


T d 


Hirnſchleiffer. 
Diogenes mit der Latern. 


AN Menſchen iſt der meiſte mangel in der Welt / 
das deutet Jeremias an / da er ſpricht: Aſpexi 
terram, & ecce, erat vacua, & non erat homo. 
Der Weltweiſe Diogenes gieng einsmals beym 
hellen leichten Tag mit einer brennenden Latern 
auff der Gaſſen / vnd ſchreye : Ihr Menſchen ge⸗ 
het her. Als ihrer nun viel zu ihm kamen / ſchlug er 
fie mit einem Stecken von ſich / vnd ſagte: Ich hab 
Menſchen / aber keinen Kehrkoth gerufft. 
Etliche Menſchen (ſagt jener) ſeynd nicht Men⸗ 


en. 
Als beſagter Diogenes eins mals auß der Bad⸗ 
ſtuben 


Hirnſchleiffer. 163 
ſtuben gieng / vnd gefragt ward / ob viel Menſthen 
drinnen waͤren? Antwortet er nein. Darauff ward 
er abermals gefragt / ob viel Volcks drinn waͤre? 
antwortet er ja: Dieſer Diogenes hielt die jenigen 
nicht fuͤr Menſchen / die ſich nicht als Menſchen er⸗ 
zeigen vnd verhalten / derowegen ſuchte er Men⸗ 
ſchen mit der brennenden Latern beym hellen liech⸗ 
ten Tag. Wofern Diogenes anjetzo leben vnd mit 
der Latern Menſchen ſuchen ſolte / ſo wuͤrde er bes 
ſorglich wenig rechtſchaffne Chriſten finden. Dann 
ob ſchon viel Menſchen den Namen Chriſti fuͤhren / 
ſo folgen ſie doch ſeinem Leben nicht nach / ſonder 
führen gleichſam ein Viehiſches leben / derowegen 
ſeynd fie für keine Chriſten zu halten / dan ein guter 
Chriſt befennet vnnd erfennet Chriſtum für feinen 
HeErꝛn / er folget vnd dienet auch ihm / vnd welcher 
ſolches nicht thut / iſt kein Diener / ſonder ein Ven 
fpötter Chriſti / wirb auch doppelt geſtrafft werden / 
erſtlich als ein Spoͤtter / nachmals als ein Gottlo⸗ 
fer Sünder. Zu den rechten vnd wahren Menſchen 
aber ſagt der HErꝛ: Ihr meine Schaf werdet durch 
meine Goͤttliche Wort geweidet vnd geſpeißt / vnd 
ihr erkennnet mich fuͤr einen Hirten / ihr folget mir / 
vnd ihr gehorſamet meiner Stimm / derowegen 
thut ihr als Menſchen vnd wie Menſchen gebuͤhrt / 
dann die jenigen / ſo ſolches nicht thun / ſoll man 
nicht fuͤr Menſchen / ſondern fuͤr vnvernuͤnfftige 

Thier halten 
Vielleicht aber hat Diogenes nit gemeine Men⸗ 
ſchen / ſondern gute Regenten vnd nuͤtzliche Vorſte⸗ 
her der Menſchen geſucht / Dann (wie Plato ſagt) 
die Anzahl deren / welche tauglich ſeynd den Fuͤrſten 
a 


164 Hirnſchleiffer. 


zu rathen / vnd das fand zu regieren / iſt klein: ob 
derowegẽ ſchon jhres viel vmb ein Rathsſtell / Gu⸗ 
bernament / Pfleg oder Ampt anhalten / vnd ſtattli⸗ 
che intercefliones vnd Fuͤrbitt mitbringen / ſo ſeynd 
ſie doch nicht allzeit tauglich / ſonder man wird zu 
zeiten mit jhnen betrogen. 


Ander Diſcurs. 


Andere verſtehen durch dieſen Diogenem einem 
Inquifitorem oder Viſitatorem: Viererley Viſi— 
tationes find ich: Die erſte iſt / wan man die Ar: 
men viſitiret vnd jhnen hilfft: Von derſelben redet 
der heilige Jacob in ſeiner erſten Epiſtel vnd ſpricht: 
Ein reiner vnnd vnbefleckter Chriſtlicher 
Gottesdienſt vor GOtt dem Vatter iſt 
der / Weiſen vnd Witwen in jhrer Truͤb⸗ 
ſal beſuchen. Ein ſolcher Viſttator war Chriſtus 
im Anfang deß Advents. 

Die ander iſt / wan ein Freund vnd befandter 
den andern in guter Meinung heimſuchet / vnd jhm 
begehrt zurathen vnd zuhelffen. Ein ſolcher Viſita- 
tor war Chriſtus gleichfals / derowegen ſagt der H. 
Job von jhm Cap. 10. Dein Heimſuchung be⸗ 
wahret meinen Geiſt. 

Die dritte iſt / wan die Geiſt⸗ vnd Weltliche ho⸗ 
he Obrigkeiten jhre Wnderthanen durch ſonderbare 
abgeordnefeCommiflarios viſitiren / vnd folgendts 
die bey den Regimenten / vnd in Stifft: vnd Cloͤſte⸗ 
ren verſpuͤrte Mängel corrigiren / verbeſſern vnd 
abſtellen laſſen Solche Commiffarii aber 55 
en / 


Hirnſchleiffer. 167 


fen / wie Diogenes / der Latern oder deß Liechts beym 
hellen Tag vnd klaͤrer Spiegeln / damit fie aller Or⸗ 
ten den Sachen eigentlich auff den Boden ſehen / 
vnd nichts vberſehen. | 
Die vierdte Viſitation iſt / welche Chriſtus am 
Juͤngſten Gericht verzichten wird: Von dieſer Vifi- 
tation redet Eſaras Cap. as Auff dieſelbe Zeit 
wird der HErꝛ mit ſeinem harten / groſſen 
vnd ſtarcken Schwerd heimſuchen / vnd die 
Meer ⸗Drachen erwuͤrgen / ꝛc. Item , So- 
phon, c. I. Ich will Jeruſalem mit Later⸗ 
nen durchſuchen / vnd will heimſuchen die 
Leut / die noch auff ihrer Hefen ligen / ꝛc. 
Diefer Vifitator wird (wie der Diogenes gethan) 
durch klare ſcharpffe Brille vnd nicht durch die Fin⸗ 
ger ſehen / das iſt / er wird nicht leiß damit hindurch 
gehen / ſondern wird dẽ Sachen eigentlich vnd fleiſ⸗ 
ſig auff den Boden ſehen: So gar wird er Laternen 
brauchen / damit er die verborgene Ding wiſſen / vñ 
die ſchwerẽ leichtlich ponderiren vnd abwoͤgen moͤ⸗ 
ge. Er wird auch nit nur die Arme Tropffen / Schlu⸗ 
cker / ſchlechte Officirer / Muͤnch vnd Pfaͤff viſitiren 
vnd hernemmẽ / ſondern wird auch die jenigen wel⸗ 
che das Kind der alten Gewonheit deß ſuͤndigens 
tragen / biß an die Ohren in den Suͤnden ſtecken / vnd 
einen ſehr böſen Geſtanck der Ergernuß von ſich ges 
ben / Inmaſſen David von jhnen redet im 39 Pfal. 
Vnd führer mich auß der Gruben deß E⸗ 
lendts vnd auß dem Koth deß Vnflats. 
Das 


166 Hirnſchleiffer. 
Das iſt:die 70. Dolmetſcher ſetzen dieſe Wort al⸗ 


ſo: Et ulcifcar ſuper viros, qui contemnunt cu- 
ſtodias ſuas: als wolte David ſagen: Ich will 
mich rechen ober die jenigen / welche jhrefuͤnff Sin⸗ 
nen nicht bewahren / ſondern allelaſter durch ſie hin⸗ 
ein gehen laſſen / vnd welche offentlich ohn allen 
ſcheuch wuchern / huren / ehebrechen / vnd nach jh⸗ 
rer. Cuftodias jhrer vorgefergen Obrigkeit wenig 
fragen. 

Nicht allein dieſe / ſondern auch die Viſtatores 
ſelbſt wird er v iſttiren / welehe Viſitationes auff kein 
2 Intent / zu Beförderung der Juſtici oder der 

hr vnd Dienſt Got tes / ſondern vielmehr auß Ehr⸗ 
geitz / oder auß einem Luſt vnd Verlangen jemandt 
zuvexiren vnd zuſtuͤrtzen / verꝛicht haben. Item wel⸗ 
che die Stifft vnd Kloͤſt er viſitiren (aller maſſen wie 
der Fuchs die Doͤrffer von wegen der Haͤnnen. J⸗ 
tem / welche in jhren Viſitirungen nicht fuͤrnem⸗ 
blich auff die Ketzereyen geſehen / ſonder alles mie 
dem Fuchsſchwantz vberſtrichen Selig werden als⸗ 
dann ſeyn die Viſitatores welche ein gute Intention 
gehabt / es trewlich vnd gut gemeynt / vnd ſich mit 
Nutz vnd Heyl haben brauchen laſſen. Gluͤckſelig 
iſt das land / welches mit guten / weiſen / fuͤrſichti⸗ 
gen / beſcheidenen vnd gerechten Viſicatoribus ver⸗ 
ſehen iſt. Selig feind die Vnderthanen / weiche fol- 
cher Geſtalt viſitirt werden / ſich ob der Juſteci nicht 
betruͤben ſonder ſich vielmehr drob frewen / vnd ei⸗ 
nen Troſt vnd Frieden darin finden. 

Beſchließlichen wird der allerhoͤchſte Richter alle 
vnd jede Voͤlcker / arme vñ reiche / Edle vnd vnedle / 
Gelehrte vnd vngelehrte viſitiren: Als detowegen 
der 


Hirnſchleiffer. 167 


der Heri die Iſraeliter lehren vnd vnderweiſen wol⸗ 
te / wie erſchroͤcklich feine Gericht ſeyn wuͤrden / ließ 
er jhnen durch den Ezechiel nachfolgenden Text o⸗ 
der Work fuͤrhalten: Nimb dir ein ſcharpffes 
Meſſer / auch Wagſchuͤß ln zu dir vnd 
theile die Haar. 

Wol zu mercken iſts / daß die Haar deß Haupts 
in dieſe Waagſchuͤſſel deß Herm gelegt / abgewo⸗ 
gen vnd examiniret werden / da doch man in dẽ welt⸗ 
lichen Waagſchuͤſſeln nur Silber / Goldt vnd koͤſt⸗ 
liche Edelgeſtein darinn abzuwegen pflegt: Aber es 
wird / hierdurch bedeut die groſſe vnd ſcharpffe Ge⸗ 
rechtigkeit / mit dern der HErꝛ an jenem Tag der all⸗ 
gemeinen Viſitation, die Werck deß Volcks vnd 
ſonderlich der Obrigkeiten abwegen vnd examiniren 
wird / allermaſſen jenem Babyloniſchen Tyrannen 
Balthaſar geſchehen / vnd von jhm geſchrieben ſte⸗ 
het: Appenſus es in ſtatera, & inv entus es mi- 
nus habens, derowegen wirſtu verworffen werden. 

Beſchließlichen wie vom Diogene geſagt wird / 
daß er beym hellen liechten Tag viſitirt vnd Men⸗ 
ſchen geſucht habe / alſo wird die Viſitat ion vnd Zus 
kunfft deß allerhoͤchſten Richters nicht heimlich vnd 
verborgen / ſonder offe vnd aller Welt bekandt ſeyn / 
vnd zu ſolchem End wird man alle Glocken deß 
Himmels leuten / vnd den Klang der Poſaunen al⸗ 
ker Orten hoͤren / vermog der Wort: Vnſer GOtt 


wird offentlich kommen / vnd vn⸗ 
ſer GOtt wird nicht 
ſchweigen. 
Ein 


168 Hirnſchleiffer. 


Ein Jungfraw ſtehet auff einer Be⸗ 
graͤbnuß / vnd reiſt ihr die 


Vor Zeiten hat man Philo ſophos vnnd Welt⸗ 
weiſen gefunden / die haben die Tugenden faſt 
geliebt / darmit ſie dardurch ein Ehr vnd Lob erlan⸗ 
gen moͤchten: Dieſer Vrſachen halben mahlte eins⸗ 
mals ein kunſtreicher Mahler auff ein Taffel die ei⸗ 
tele Ehr in der Geſtalt einer ſchoͤnen Jungfrawen / 
vnder deren Fuͤß lagen alle ihre Tugenden der eitelen 
Ehr vnd Glory / als Sclaven vnd deibeigene. Der 
ſinnreiche Alciacus aber mahlt die Tugend in der 
Geſtalt 


Hirnſchleiffer. 169 
Geſtalt einer weinenden Frawen / welche jhr Haar 
auß dem Haupt reiſſet / vñ ſich betruͤbet / vmb das ll. 
lyſſes den Schild / Helm vnd Pantzer von deß dapf⸗ 
feru Helden Ajacis Grab entfrembdt vnd hinweg 
genommen hatte. Durch dẽ Schild vnd Helm / wer⸗ 
den verſtanden die Göttliche Tugenden / mit denſel⸗ 
bigen verthetiget / rechtfertiget vnd erhaͤlt er vns / 
durch die Sram wird Gott der Herr bedeut / derſelb 
klaget vnd iſt obel zufrieden mit dem Ulylle, das iſt / 
mit einem Hoffertigen / der ſich vnderſtehet ihm ſei⸗ 
ne Waffen / das iſt / ſein Ehr vnd Glory zunemmen / 
vnd ſie jhm ſelbſt zuzuſchreiben / vnd damit zu⸗ 
ſtoltziren vnd zubraviren. 

Andere Speculanten erklaͤren dieſes anderſt vnd 
ſagen / es werde durch dieſe weinende raw die heili- 
ge Kirch / vnd durch den Ulyſſem der Teuffel verſtã⸗ 
den / dieſe Sram die Kirch weinet vnd trauwret / weil 
Ulyfles oder der Teuffel ſie jhrer meiſten Tugenden 
beraubt hat: O wie herrlich glantzete die H Kirch 
in jhrem erſtẽ Anfang in aller Heiligkeitꝰdan ſie war 
verſehen mit wunderbarlichen Tugenden / ſie war 
gezieret mit der brennenden lieb / aber leider / allge⸗ 
mach hat ſie von ſolchem Glantz der Tugenden vnd 
der Herꝛligkeitviel verlohren⸗ derowegen weint vnd 
beklagt ſie ſich beim Pſalmiſtẽ / Pſal. 3. vnd fprichte 
Sie ſeynd alle verderbt vnd grewlich 
worden in jhrem thun / da iſt keiner der 
guts thue. Dan wo iſt anjetzo die Standthaff⸗ 
tigkeit der Martyrer / vnd die Hitz der lieb / mit deren 
fie wie zu einem pancket / zu der Marter vnd vergteſ⸗ 
fung jhres Bluts giengen? Wo iſt anjego die Are 
H mut 


170 Hirnſchleiffer. 
mut der Apoſteln / vnd die Verachtung der Welt / in 
dem ſie alle Reichthumb vnd jrꝛdiſche Ding als ein 
Koth ſchaͤtzten Chriſtum zugewinnen? Wo iſt die 
groſſe Beſtendigkeit der Confeflorum vnd Beken⸗ 
ner / mit deren ſie auff dem Weeg deß Hern wan⸗ 
derten? Wo ſeynd anfetzo die alte Einſidler / welche 
die falſche Welt verlieſſen / vnd ſich in die aͤuſſerſte 
Wildnuß vnd Einoͤden begaben? Wo ſeynd die 
herzliche Hilariones, Antoni, Pauli, Pac homii, 
Macharil, welche die Wuͤſte ZEgypti , die Eindd 
Thebaidis , vnd den Berg Seratem bewohnten? 
Wo iſt die Glory / Tugendt vnd Verachtung der 
Welt? Wo iſt die freywillige Armut vnd Verlaug⸗ 
nung aller Dingen? Leider wenig ſolche Tugenden 
werden zu diefen vnſern Zeiten bey denChriſten ges 
funden: Wenig ſeynd dern / welche Gott den HErzn 
von gantzem Gemuͤth lieben / vnd jhm die ſchuldige 
Dienſt leiſten:ein jeder ſuchet des ſeinige / vnd nicht 
was Jeſu Chriſti iſt. Wir beruͤhmen vns gleichwol 
deß Chriſtlichen Nahmens / ſeynd aber ſehr weit von 
den Chriſtlichen Tugenden Wir fuhren auch das 
Ebendild Gottes / ſeytemal wir nach demſelben ek⸗ 
ſchaffen ſeynd / aber wir ſchaͤndẽs mit vnſern kaſtern. 
Thren. 4. O wie iſt das Gold ſo gar ver— 
dun ckelt / vnd die beſte Farb ſo ganß ver⸗ 
aͤndert? Der alte Glantz der Heiligkeit der Kir⸗ 
chen iſt meiſtentheils verdunckelt vnd veraͤndert / es 
iſt kaũ ein leiner Fußſtapffen mehr davon vorhan⸗ 
' den. Eſaias ſpricht cap. 12. Am ſelben Tag wird 
Jacob ein ſchmale Ehr haben / vnd fein feiſter 
Leib 


Hirnſchleiffer. 171 


Leib wird mager werden: er wird gleich / 
als ſo einer in der Ernd das vbergeblie— 
bene Getreid einfambler : vnd mit fer 
nem Arm die aͤher auffliſet / vnd gleich 
einem / der aͤher auffklaubt im Thal 
Rephaim. 

Dieſe Wort koͤnnen gar wol auch auff die Ehr 
der Catholiſchen Kirchen / welche viel von jhrem 
alten Glantz der Heiligkeit vnd von der alten Hitz 
der Lieb verlohren hat / verſtanden werden: Dan 
nunmehr iſt der Herꝛ gleichſamb wie einer / der das 
vber bliebene Getreid auff dem Feld einſamblet / vñ 
der die aͤher auffklaubt im Thal Rephaim, Wer auff 
einem angebawten Acker meht / der pflegt viel Buͤ⸗ 
ſchel Getreids zuſamblen / wer aber nach gehaltener 
Erndte das vberbliebene aufftlaubt / der bringt we⸗ 
nig zuwegen. Deſſen beklagt ſich der Herr / daß nem̃⸗ 
lich wenig Menſchen in der Welt vorhanden ſeyen / 
fo ihm zutheil werden: Hergegen ſeynd deren vnend⸗ 
lich viel die dem Teuffel in die Hand fallen vnd die er 
aufftlaubt / die Vrſach deſſs iſt / weil wir nicht fleiſſig 
auff dem Weg ſeiner Gebotten wandern / als wie 
mans anfangs in der Kirchen gethan. Wir ant⸗ 
worten Gott dem HErꝛn nur. mit dem bloſſen Glau⸗ 
ben / vnd nicht mit den Wercken: Ein ſolche Antwort 
aber iſt nicht gnugſamb / Gott hat kein Gnuͤgen an 
der Antwort deren / welche wan er jhnen ruffet / eig 
Gottloſes geben fuhren / vnd welche nach dem ſte 
den Goͤttlichen Samen in der verſtaͤndlichen Erd 
angenommen haben / nichts anders herfuͤrbringen / 


H 2 als 


2 Hirnſchleiffer. 


als Diſtel vnd Doͤrner der Boͤßheit / ſonder hat an 
deren Antwort ein Gefallen / welche ſich wol zu den 
Tugenden ſchicken / hm von wegen ſeiner Beruffüg 
dancken / vnd jhm in der Vnſchuld deß hertzens hun⸗ 
dertfaͤltige oder ſechtzigfaͤltige oder dreiſſige Frucht 
bringen. 

Dieſes war vor Zeiten der Iſraeliter Verder⸗ 
ben / vnd iſt deßwegen das Reich von jhnen genom⸗ 
men / vñ dem Volck / welches ‚hm angenehme sruͤch— 
te brachte / gegeb en worden / dan fie antworten jhm 
nur mit Ceremonien vnd aͤuſſerlichen Opffern / aber 
nicht in der Heiligkeit vnd Gerechtigkeit / daher be⸗ 
klagte er ſich vber den Iſraelitiſchen Weingarten / 
den er mit feinen Hände gemacht hatte / vnd ſprach: 
Er wartet daß er Trauben braͤchte / aber 
er brachte wilde Trauben. Dan jhr Wein⸗ 
garten war voller Vnzifer vnd Doͤrner lohne eini⸗ 
ge Frucht der Gerechtigkeit: Auß wendig hatte er 
ein ſchoͤnes Anſehen / aber inwendig war er laͤer an 

Tugenden / herrlich vnd vberfluͤlſig war er an Cere⸗ 
monien / aber od an Heiligkeit / vnd dieſer Vrſachen 
halben iſt er geſtort vnd außgeriſſen worden. 


Groſſe Vrſach hatte derowegen dieſes Weib / 
das iſt / die Kirch / zu weinen: aber leider / ſie hat 
noch viel mehr vnd andere Vrſacheẽ / die ich nicht ale 
le weiß zubeſchreibẽ / die fuͤrnembſte aber ſeynd die⸗ 
ſe / vnd zwar erſtlich jhre Verfolgung / dan zur Zeit 
der Apoſteln befanden ſich etliche heilloſe Leut / die 
ſuchten vnderm Schein der Andacht alle Mittel vnd 
Weeg / wie ſie dieſelbige allerdings vertilgen moͤch⸗ 
ten: 


Hirnfihteiffer. 173 


ten: ihre Krafft verlaͤugneten fie/die Haͤuſer durch⸗ 
ſtreifften fie / die Weiber entführten vnd verführten 
ſie / Chriſtum ſchaͤndeten ſie / vnd gaben jhn nur für 
einen bloſſen Menſchen auß. 

Weil dan der Teuffel ſahe / daß viel leut durch 
ſie vonChriſto vnd ſeinem Glauben abfielen / ſo ſetzt 
er allgemach noch andere falſche Lehrer ein / nemb⸗ 
lich Sımonem Magum ‚Menandrum , Sarurni- 
num, Valentinum, Marcionem, Ceidonem, 
Gnoſticum, Patricianum, Severianum, Mani- 
chæum, ‚Seleucum. 5 

Dieſe heilloſe deut erdichteten vnd brachten al⸗ 
lerley falſche vnd Gottloſe Lehren auff die Bahn / 
dardurch ward GO T TTdem HERR R ſem Ehr 
vnd Macht vnder den Menſchen mercklich entzogen. 
Nach ihnen brachte der Teufel noch andere viel heil⸗ 
loſere Buben zuwegen / nemblich den Atrium, Sa⸗ 
bellicum, Apollinarem, Photinum, Pelagium, 
Neftorium,Eutychem, dieſelben entzogen vnd be⸗ 
ſtritten Chriflo dem HErꝛn feine Ehr vnd Macht / 
vnd beſtritten den Glauben der Catholiſchen Kir⸗ 
chen auffs hefftigſt Sampt dieſem Vnzifer durch⸗ 
ſtreiffte der Sathan die Welt / fuͤhrte ſehr viel Ge⸗ 
fangene mit ſich hinweg / brachte zũ dritten auch die 
Donatiſten zuwegen / vnd beſtritte viel Jahr lang 
die Kirch in Africa. 

Was ſoll ich aber ſagen von dieſen vnſeren Zei⸗ 
ten vnd Rirchen⸗Feinden / die er wider dieſe H Mut⸗ 
ter die Kirch erweckt / vnd ſo viel zuwegẽ bracht hat / 
daß die allerältefte vnd ſchaͤndlichſte Ketzereyen auß 
der Hollen wider herfuͤr kom̃en / vnd dermaſſen vber⸗ 
hand nehmen / daß ſchier nichts gantz an der Chriſt⸗ 
H 3 lichen 


174 Hirnſchleiffer. 


lichen Religion mehr vorhanden iſt / dan jhr Fun⸗ 
dament wird zeruſſen / vnd die aller gewiſſeſte vnd 
vnzweiflichſte Ding werde entweder in Zweiffel ge 
zogen / oder für falſch vnd Fabelwerck gehalten. Deß 
freyen Willens werden wir durch ſie beraubt / Gott 
wird ſeiner Providentz entſetzt / als nehme er dem 
Menſchen den freyen Willen. Der Creaturen La⸗ 
ſter werde auff den Erſchaffer gelegt / dem aller höch⸗ 
ſten Gut werden die allerſchlimſte Ding zugemeſ⸗ 
ſen / die Bücher der Heiligen werden verfaͤlſcht oder 
für vntuͤchtig gehalten: Das faſten (durch welche 
die Niniviter wider mit Gott verſoͤhnt wurden) das 
Alltuuſen (welche die Suͤnd hinweg nehmen) gelten 
nichts mehr: Vielweniger vermag das Gebett et⸗ 
was: Die gute Werck vermoͤgen nicht die Recht⸗ 
fertigung zu erlangen / Allein der bloſſe Glaub ma⸗ 
eher fie ſelig: Ja freylich / hinder ſich / wie die Baw⸗ 
ren die Spieß tragen. Vnd zwar ein newer vnerhoͤr⸗ 
ter Glaub / der ohn Sacrament rechtfertiget / der 
ohn Opffer verſoͤhnet / vnd der ohn Werck ſelig 
machet. 

Hierdurch wird nun der Poenitentz vnd Buß 
aller Paß vnd Zutritt verlegt / die Gedaͤchtnuß vnd 
Erinnerung der allerſchwereſten daſter wird hinweg 
genommen / die Wunden der Sterbende werden da⸗ 
durch bedeckt. Ferner / nehmen ſie das Fegfewr hin. 
weg / vnd behalten jhne ſelbſt nur die Hoͤll / dan der 
Him̃el nimbt nichts vnreins an. Der Geilheit laſ⸗ 
fen fie den Zaum ſchieſſẽ / vnd die natuͤrliche Hitz deß 
Fleiſches heiſſen fie gut. Das Opffer der Meß wird 
auffgehebt / damit nur Gott nicht geehrt / ſonder 
dem Teuffel deſto freyer geopffert vnd gedienet wer⸗ 

de. Die 


Hirnſchleiffer. 175 


de. Die heiligen Sacramenten / die von Chriſto 
eingeſe tzt worden / werden theils mit Fuͤſſen getret⸗ 
ten / theils auch für vntuͤchtig gehalten / veracht vnd 
gantz verworffen. Die Kirch wird dermaſſen mit 
Finſternuß verwickelt / das man fie fehrer nicht ſe⸗ 
hen noch zu jhr kommen kan / noch auch weiß wo fie 
zu finden ſey: O gefaͤhrliche vnd armſelige Zeit / e⸗ 
ben fo viel Glauben find man in der Welt / als viel 
Koͤpff vnd Willen gefunden werden: Dermaſſen 
viel Glauben ſeynd aufftommen / daß ſchier keiner 
mehr zu finden iſt. 

Wofern der H. Paulus anjetzo den Stand ſei⸗ 
ner fundierten Kirchen ſehen ſolte / ſo wuͤrde er fie ges 
wißlich nicht tennen / viel weniger Joannes ſeine la 
ſtatiſchen / noch Marcus feine Alexandriner / noch 
auch Cyprianus feine Africaner / ſie wuͤrden fagen / 
jhre gehabte Muͤhe vnd Arbeit waͤre alle vmbſonſt 
vnd vergeblich geweſt: Die Apoſteln wuͤrden gleich⸗ 
fals weinen / vnd die Martyrer wuͤrden ſagen / daß 
die Brleff / die ſie mit jhrem Blut verſigelt / all vmb⸗ 
föft wären Nunmehr hat der Teuffel feine Sitz / die 
jhm waren genommen worden / widerumb erobert / 
die Cantzeln / auff denen die allergelehrteſte vnd hei⸗ 
ligſte Patriarchen jhr Lehr predigten / hat er in⸗ 
nen: Dan was kan vnreiners vnd aberglaubigers 
ſeyn / als eben deß Machomets Sect? dieſelbe hat 
vnendlich viel Menſchen von dem Fahnen Chriſti 
abgezogen / viel herꝛliche Koͤnigreich vnd Provintzen 
vnderſich gebracht Das alleraͤrgſte aber bey dieſem 
Fall iſt / daß eben die jenigen / welche ſich deß Chriſt⸗ 
lichen Namens ruͤhmen / ihm darzu helffen / vnd 
doͤrffen außdruͤcklich ſagen: Lieber Tuͤrckiſch dann 
Baͤpſtiſch. Die 


176 Hirnſchleiffer. 


Die andere Vrſach def weinens der Kirchen bes 
ſtehet in dem / daß der Teuffel jhrePriefter vnd Die⸗ 
ner verfolgt / vnd ſie entweder verblendet / oder auß 
Forcht zerſtrewet / oder ins Clẽd treibt / vnd benimbt 
dardurch dem Volck den Weeg deß Heils / vnd iſt 
niemand der die Woͤlff auß den Schafſtaͤllen trie⸗ 
be / der die Sacramenta miniſtriret / der für fie opf⸗ 
feret vnd bettet / vnd ſie mit Gott verſoͤhnet: Oder 
aber er machet daß die Prieſter ein vnexeplariſches 
aͤrgerliches teben fuͤhren / dardurch aber werden die 
Vnderthanen vom rechten Glauben abgeſchreckt. 
Es iſt zuerbarmen / daß / wan ein ſchlechter Bawr 
oder ein Idiot den geraden vnd rechten Weeg gen 
Himmel wandert / jhm ein Prieſter oder GOtt dem 
HeErmn geheiligter Religioß / der jhm die huͤlffliche 
Hand billig bieten ſolte / an feinem guten Gottſeligẽ 
Vorhaben verhindert / jhn aͤrgert / vnd verurſachet 
daß er wider zurück gehet / vom guten abſt ehet / vnd 
gantz vnd gar verlohren wird. 

Drittens beweinet die Kirch den Verluſt jhrer 
heiligen Kirchen / Altaͤr vnd Bilder / welchen der 
Teuffel durch die Ketzer verurſachet. Deſſen beklag⸗ 
te ſich vor Zeiten Optatus gegen dem Parmenione 
vnd ſprach: Was hat euch gethan das Ort Was 
die Wend? Warumb haben ſie es entgelten muͤſſen? 
Villeicht aber habt jhrs darumb gethan / weil Chri— 
ſtus daſelbſt geehrt worden / oder weil der H. Geiſt 
alldort iſt angeruffen worden / oder weil in ewrem 
Abweſen daſelbſt die Propheten vnd heilige Ewan⸗ 
gelia verkuͤndt ſeynd worten? Was kan aberſchaͤnd⸗ 
licher ſeyn / als daß die jenigen eben die Kirchen 
Gottes / in denen fie vielleicht ſelbſt ſeynd getauft 
wor⸗ 


Hirnſchleiffer. 177 
worden / zerbrechen / zerſtoͤren vnd niderreiffen? 

Feruer vnd zum vierdten beweinet die Kirch der 
Ketzer Tyranney. Ich will nichts ſagen von der Ty⸗ 
ranney / welche die Arnaniſche / Gothiſche / die Wè⸗ 
diſche / Longo bardiſche Arꝛianer wider die Kirch ges 
uͤbt / noch was die Donatiſten in Africa begangen / 
noch was die Eutychianer, die Acephalı, die Mo- 
nocheliter , dielconolaftz in Griechenland / die 
Machometiſten in Vngern vnd anderſtwo / die Pe⸗ 
trobruſianer, Henricianer oder Albigienſer in 
Franckreich / die Huſiten in Boͤhmen fuͤr erſchroͤck⸗ 
liche Tyranney getrieben / viel weniger will ich mich 
mit denen Grauſamkeiten auffhaltẽ / o da erſchroͤck⸗ 
licher Weiß in Engelland / Franckreich / Niderlandt 
vnd anderſtwo ſeynd getrieben worden durch vnder⸗ 
ſchiedliche Koͤnige vnd Fuͤrſten / ſeytemal ſie ohne 
das bekandt / vnd dem $efer einen Grauſen vnd Vn⸗ 
luſt zu leſen ſyn wuͤrden. 

Beſchließlichen beweinet die Kirch die falſche 
Aufflagen / welche jhr von den Ketzern angethan 
werden / dan wan ſie ſich nicht rechen koͤnnen mit 
Gewalt vnd im Werck' / ſo thun fie es mit Worten 
vnd Schrifften / Wie dan ſolches der Pſalmiſt im 
139. Pool beſtettigt: Sie ſchaͤrpffen Ihre Zung 
wie Schlangen / Ottern Gifft iſt vnder 
ihren Lefftzen. Einen ſonderbaren Fleiß brau⸗ 
chet der Teuffel / die Knechte Gottes mit kuͤgen zu 
ruiniren / vnd jhren guten Nahmẽ durch falſche Zu⸗ 
legungen vnd Meinungen zubeflecken. Die Calum- 
nia ift kein ſchlechtes Ding noch ein geringe Ver⸗ 
ſuchung / dan nicht allein componiret ſie falſche 
Ding / ſondern verachtet auch was da Gottſeliglich 
8 5 gemeynt 


178 Hirnſchleiffer. 


gemeynt vnd gehandelt iſt worden: Dieſer Vrſa⸗ 
chen halben bate David GOtt den Henn vnd 
ſprach im 118. Pfalm: Erloͤſe mich von der 
Menſchen gewaltigem Vnrecht / ſo will 
ich halten deine Gekott. Dan wer von der Ca. 
lumnia vndertruckt wird / der kan Gottes Gebott 
ſchwerlich halten / dan gemeiniglich geſchichts / daß 
er der Forcht vnd Trawrigkeit ſtatt gibt. Heber was 
ſihet un höͤret man anjego anders / als erſchröck iche 
vnerfindliche kuůͤgen⸗Schrifften vnd Reden / welche 
hin vnd wider von den Feinden der Kirchen geſchrie⸗ 
ben / getruckt vnd außgeſprengt werden / ſo gar wi⸗ 
der die aller vnſchuldigſte vnd vmb die Chriſtenheit 
am beſten verdiente Perſonenꝛalles in meinung / ſie 
bey der gantzen Welt verhaſt zu machen / vnd in 
Schand vnd Spott zu bringen. a 
Nicht allein die Ketzer ſonder auch die böfe Ca⸗ 
tholiſchẽ ſelbſt / vnd zwar die hoffertige Gottloſe aͤr⸗ 
gerliche Geſellen thuns dan wan ſie ſehen / daß man 
andaͤchtig / eyfrig / keuſch vnd maͤſſig lebe / werden fie 
verfolgt / ſtumpfirt / kalmeuſt / geſchaͤnd vnd ge⸗ 
ſchmaͤcht Deſſen beklagen ſich die Gerechten / be⸗ 
veinen die Armſeligkeit ihrer Wanderſchafft / vnd 
ſprechen ſampt de gerechten Davidpfal . uno Wehe 
mir! daß ſich mein hiebleiben vnd Walfahrt 
verlängert hat / ich muß wohnen vnder det 
Bürgern Cedar / mit denen / die den Frieden 
haſſen hielt ich Fried / aber wan ich mit jhnen 
redet / o fingen fie wider mich Streit an ver⸗ 
geblich 


Hirnſchleiffer. 179 


geblich. Durch die von Cedar verſtehet er die Got 
loſen vnd fleiſchliche Menſchen / vor denẽ die From⸗ 
men keinen Frieden haben / ſondern werden jmmer⸗ 
dar von jhne ſtumpfftret / geſchmaͤcht vñ geſchaͤndt: 
der Vrſachen halben foll man Gott allzeit bitten / vñ 
mit dem David Pſal 14 l. ſprechen: Errette mich 
von meinen Verfolgern / dann ſie ſeindt 
mir vberlegen / fuͤhre mein Seel auß dem 
Kercker / daß ich lobe deinen Nahmen. 


Die Kirch redet ſelbſt vnd ſpricht 

jhre Noth auß. 

Nicht allein weynet die Kirch auß obverſtandene 
Vr ſachen / ſonder wofern ſie reden koͤnte / wuͤrde mã 
fie auff folgende weiß reden vnd klagen hören: O du 
vndanckbares Meſchliches Geſchlecht / du haſt jeder 
zeit das jenig geſucht was deinem Heil zuͤwider iſt / a⸗ 
ber ich bin allzeit die jenige geweſt / die du jederzeit 
auffs hefftegſt verfolget haſt / vnangeſehẽ man durch 
meine Gutt hatẽ vnd Huͤlff gerecht vnd ſeliglich lebt / 
vnd niemand kan ohn mich auff den rechten Weeg 
deß Heils kommen / wofern ich jhm die Fackel deß 
Liechts nicht vortraͤge / dan ich zeige dir jederzeit den 
Weeg den du gehen ſolleſt / dan ohne mein giecht 
muͤſteſtu wandern in der Nacht der Finſternuß / die⸗ 
ſelbe aber erleuchte ich mit meinen Stralen / vnd ers 
rette dich auß allem Irthumb / vnd ſo gar fuͤhre ich 
dich hinauffzu Gott. 

Ein liebliches Joch præ ſentire ich dir allhie auff 
Erden / vnd zeige dir den Weeg zur Warheit: Weil 
auch dieſes geben gefaͤhrlich vnd mancherley Mühe: 

24 ſelig⸗ 


0 Hirnſchleiffer. 


ſeligkeiten vnderworffen iſt / fo zeige vnd offenbare 
ich dir allen jhren Liſt vnd Falſchheit / vnd geeb euch 
die Waffen in die Hand / ſie zu vberwinden: Dann 
ich beruͤhme mich deſſen / daß Gott ohn mein zuthun 
keinen einigen wahren Diener jemals auff Erdẽ ge⸗ 
habt habe / noch auch haben kan: Dann gehe ich vn⸗ 
der / ſo iſts mit der deb auß / die Hoffnung wird nie⸗ 
mandt mehr troͤſtlich ſeyn / vnd wan der Fried ver⸗ 

trieben iſt / ſo ſtehet ein Menſch wider den andern 
auff: Wer auch ſich vnderſtehet das Schloß der Ge⸗ 
rechtigkeit ohn mich auffzubawen / der wird verge- 
blich vnd vmbſonſt arbeiten: Das Fundament muß 
durch mein Hand gelegt werden / folgendts verzichte 
vnd vrtheite ich die andere Stuͤck deß Baws / nem⸗ 
blich die Tugend / Wiſſenſchafft / Maͤſſigkeit / Ge⸗ 
dult / Andacht / tHReb. Damit auch niemand in ſolchẽ 
nothwendigen Werck auß vermeſſenheit falle / ſo be⸗ 
fehl ich denen / ſo auß menſchlicher Schwachheit 
fallen / daß ſie jhre Zuflucht bey der Huͤlff deß Erloͤ⸗ 
ſers Chriſti ſuchen ſollen: Ich zeig jhnen auch Chris 
ſti Hoffgeſind / in derſelben Gemeinſchafft iſt das 
Heyl zu finden. 

Durch meine Wolthatift vorzeiten das Iſraell⸗ 
tiſche Volck auß einem fehr klein? Anfang groß wor⸗ 
den / hat Be Huͤlff vnvberwindliche Staͤtt 
erobert / die aller ſtaͤrckſte vnd maͤchtigſte Voͤlcker v⸗ 
berwunden oder gantz vnd gar vertrieben: nachdem 
fie auch von wegen jhres Verbrechen vmbkommen 
vnd verderbt warẽ worden / hab ich ein newes Volck 
vnd Hoffgeſind in meines HErꝛn Chrtſti Schutz 
vnd Schirm auffgenommen: Wofern auch dieſel⸗ 
bigen nicht durch meinen Samen waͤren fruchtbar 

gemacht 


Hirnſchleiffer. 181 


gemacht worden / ſo wuͤrden ſie in einer ſo kurtzen 
Zeit der Erdtreiß nicht erfülle haben: Ohn mein 
Huͤlff wuͤrden fie auch die Vngeſtuͤmmigkeiten fo 
vieler Feinden nicht uͤberwunden haben: Wofern ich 
auch ſie in meinen Kuͤnſten nicht vnderwieſen haͤtte / 
ſo wuͤrden ſie die ſpitzfuͤndige Philoſophos nicht 
überwunden / noch auch die hoffertige Könige vnd 
Fuͤrſten der Erden zur Demuth gebracht haben: 
Aber leider / ob ich ſchon dem menſchlichen Ges 
ſchlecht die Gerechtigkeit / den Frieden / die Freyheit / 
das Leben / daß Heil / die Vnſterbligkeit widerbracht / 
ſo werde ich doch für ſolches alles veracht / verworf⸗ 
fen / verfolgt vnd widerſprochen / vnd man laͤßt ſich 
nichts mehrers angelegen ſeyn / als das Hoffgeſind 
Chriſti / welches ich jederzeit von meiner Milch ge⸗ 
ſeugt: Item die Chriſtliche Religion / die ich mit 
meiner hitzigen dieb ernehrt hab / vertilgt vnd auß 
aller Welt vertrieben werde. 
Die Kirch wird in ihrem Leyd 
getroͤſt. 

Weyne vnd klage aber nicht fo ſehr / O Kirch / 
ſondern maͤſſige dein Trauren / vnd laß dir die Vn⸗ 
danckbarkeit vnd Verfolgung der deinigen nicht ſo 
faſt zu Hertzen gehn: Kuͤmmere dich nicht / daß bey 
etlichen zu dieſen letzten Zeiten der Glaub / oder die 
Gottsforcht vnnd friedliche Einigkeit ſchwancket 
vnd abnimbt / dan es iſt ſchon vorlaͤngſt verkuͤndet 
vnd geweiſſagt worden / daß es am End der Welt 
alſo ergehen wuͤrde / ja ſo gar der HERR vnd die 
Apoſteln ſelbſt habens vorgeſagt: Aber doch hat 
noch zur Zeit der Evangeliſche Eyffer / noch auch die 
H 7 Krafft 


182 Hirnſchleiffer. 


Krafft der Tugend vnnd deß Glaubens nicht aller⸗ 
dings abgenommen / daß nicht noch ein gute An⸗ 
zahl gelehrter Prieſter vorhandẽ waͤren / welche ſich 
nicht ergebẽ / ſondern mit groſſer Standhafftigkeit / 
den grauſamẽ Woͤlffen Widerſtand thun / die theils 
abgenommene prieſterliche Dignitaͤt vnd Hochheit 
repariren vnnd die Chriſtliche Religion erhalten 
helffen. Ob wol die Anzahl der Vbertretter vnd 
Verfolger / die ſich in der Kirchen vnd wider die Kir⸗ 
chen auffleynen / vnd den Glauben vnd die Warheit 
zuſchwaͤchen begeren / groß iſt / ſo verbleibt doch bey 
gar vielen das auffrechte Gemuͤth vnd die Religion 
gantz vnd vollkommen / vnnd wird der Chriſtliche 
Glaub nicht allein nicht gar vndertruckt vnnd ver⸗ 
tilgt / ſondern vielmehr mit hoͤchſter ihrer Glory er⸗ 
weckt vnd erhoͤhet. Ob ſchon viel auß den Glaubigen 
gefallen ſeynd / ſo hat doch ihr Vnglaub nicht ſchwaͤ⸗ 
chen koͤnnen den rechten Glauben / dann Gott iſt 
warhafft / aber alle Menſchen ſeynd kuͤgner Ob 
ſchon etliche verſtockte hoffaͤrtige Chriſten weichen / 
ſo weichet doch die Chriſtliche Kirch nicht / ſondern 
haͤlt ſich ſteiff an ihren Hirten Chriſto: Dann ſie iſt 
die Statt vnd das veſte Hauß / welche gebawt iſt 
auff ein ſtarcken Felſen / wider welche keine Waſſer⸗ 
wellen noch vngeſtuͤmme Wind etwas vermoͤgen / 
vnd kan weder von den hoͤlliſchen Fuͤrſten noch von 
den holliſchen Pforten uͤberwunden werden. 

Sie iſt gleichſam ein Inſel / welche mit den wuͤti⸗ 
gen vnd vngeſtuͤmmen Waſſern dieſer Welt allent⸗ 
halben vmbgeben iſt / vñ kan doch nicht bewegt wer⸗ 
den / ob ſchon die Kirch auch in den Hoͤllen / im Ge⸗ 

birg / in den Waͤlden vnd Gefaͤngnuſſen gefunden 

wor⸗ 


7 


Hirnfhliffer. 183 


worden / ſo hat fie doch ſehr herꝛlich in ihren Tugen⸗ 
den / Standhafftigkeit vnd Wunderwerckenjeder⸗ 
zeit geglantzt: ob ſchon jener dicke Rauch / welcher 
auß dem Abgrund herfuͤr gieng / vnd die Sonn be⸗ 
deckte / nicht gantz vnd gar verfinſtern moͤgen / vnd 
ob ſchon die Sonn / daß iſt / die Kirch Chriſti / von 
dem ſchwaͤrtzen Rauch der fal ſchen Lehrer verdun⸗ 
ckelt vnd verſtellt worden / ſo iſt ſie doch jederzeit in 
ihrem efle vnd Weſen vnbeweglich verblieben. 

Es laͤſt ſich bißweiln anſehn / als nehme die Kirch - 
(wie der Mond / ab / aber doch nimbt ſie nicht gantz 
vnd gar ab / vnd kan gleichwol verduncklet / aber 
nicht gantz vertilgt werden / fie wird freylich biß⸗ 
weiln durch die Verfolgungen geſchmaͤlert / aber 
durch der Martyrer Bekantnuſſen wird fie wider 
geſtaͤrckt / vnd durch das Blut Chriſti wird ihr Vi⸗ 
ctory vnd Sieg aller Welt bekandt. Es muß gleich⸗ 
wol der Sathan ein kleine zeitlang außgelaſſen wer⸗ 
den / vnd es muͤſſen die Vier im Euphrate oder zu 
Babel gebundene Engel / daß iſt / die vnendliche An⸗ 
zahl der Gottloſen / die an die Laſter angebunden 
ſeynd / außgelaſſen werden / dan ſolches hat der H. 
Johannes Apocal. cap. 7. alſo geweiſſagt aber doch 
wird er die Kirch nicht gar auffloͤſen / verfuͤhren vnd 
verblenden koͤnnen. 

Niemahln wird die jenige verfuͤhrt oder vertilgt 
werden / welche vor der Welt Anfang iſt eingeſetzt 
worden / vnd von dern gemeldt wird / Novit Domi- 
nus, qui ſunt ejus: keins wegs hat auch der jenig 
liegen koͤnnen / welcher geſagt hat Matth. cap. ult. 
Sihe / ich bin bey eu h alle Tag biß ans Ende 


der 


184 Hirnſchleiffer. 

der Welt. Die Hirten vnd Lehrer ſeynd nicht ver⸗ 
geblich in die Kirchen geſetzt worden / ſondern (wie 
der Apoſtel ſpricht) biß zu der Erfüllung der Heili⸗ 
gen vnd zu dem Werck deß Dienſts / zu Erbawung 
deß Leibs Chriſti / biß daß wir alle einander begeg⸗ 
nen in der Einigkeit deß Glaubens vnd Erkaͤntnuß 
deß Sohns Gottes Ob ſchon derowegen der Sa⸗ 
than letzlichen wird außgelaſſen werden / ſo wird 
ihm doch nicht bewilligt / fein gantze Macht vnnd 
Gewalt zu uͤben / ſondern nur mit aller feiner vnd 
der ſeinigen Macht zutoben / zuwuͤten / vnd viel we⸗ 
niger wird dieſer Feind die Kirch / die allzeit von 
Gott inſonderheit beſchuͤtzt vnd erhalten worden / 
überwinden / es wird auch alsdann eben fo wenig / 
als anjetzo ermanglen an dapffern vnnd ſtarcken 
Maͤnnern vnd Soldaten / welche ihm allen Vor⸗ 
tel abſehn / vnd fich feiner Vngeſtümmigkeit / Liſt 
vnd Verſchlagenheit weißlich widerſetzen / vnd ge⸗ 
dultiglich auß ſtehn werden. 

So ſey derowegen getroͤſt / O heilige Mutter / vnd 
ſeyt getroͤſt / O ihr Kinder derſelben / dan ob ſchon 
ihr anjetzo von den Gottloſen veracht / verfolgt / 
betrangt / beaͤngſtiget vñ gemartert werdet / ſo wird 
euch doch Chriſtus ewer Ober⸗her: vnd Beſchirmer 
als dan einen ſichern vnd beftändigen Frieden ſchaf⸗ 
fen / vnd was in dieſem Leben vermiſcht geweſen / 
einen Vnderſcheid machen / den guten Getraͤid in 
die himmliſche Scheuren ſamblen / das Stroh aber 
vnd das Vnkraut ins vnaußloͤſchliche Fewr werffen / 
die einfaͤltige Schaff zur Rechten⸗Hand ſtellen / mit 
einer ſehr lieblichen Stimm erfrewen / die Böck aber 
wird er zur ewigen Finſternuß verweiſen. Alsdann 

wird 


Hirnſchleiffer. 185 


wird der Gottloſe Ketzer die Gerechte nimmer pei⸗ 
nigen: noch der liſtige Schwetzer die einfaͤltige gu⸗ 
te Chr iſten verführen / noch die vergiffte Natter⸗ 
zungen das Leben der Frommen beleydigen / ſondern 
die Catholiſche Warheit / Lehr vnd Glauben wird 
herꝛlich dominiren vnd triumphiren. 

Allhie wird fie von den diebhabern der Welt ver⸗ 
achtet / vnd muß anhoͤren die Wort: Wo iſt ewer 
Gott? Was verehret / glaubt vnnd arbeitet 
ihr? Wo iſt ewer Hoffnung / von derentwegen ihr 
ſo viel Allmuſen geben? Allhie wird der Gerechten 
Einfalt von den Welt⸗weiſen verſpottet / vnd die 
Tugend von den Hoffaͤrtigen vndertruckt / aber 
die Gerechtigkeit wird alsdann herfuͤr dringen / 
vnd die Gerechten werden an jenem Tag in groſſer 
Standhafftigkeit wider die jenigen / von denen ſie 
allhie betrangt vnd beaͤngſtigt worden / ſtehen / 
vnd ſich von ihnen nicht mehr trucken laſſen / dan es 
ſteht geſchrieben: Dominabuntur eorum juſti, & 
auxilium eorum vetetaſcet in inferno a gloria 
corum. Die todte Aaß deren / welche der Mar⸗ 
tyrer Leiber gepeinigt / das Schwerd wider ſie 
gefuͤhrt / vnd die Gerechten betrangt haben / wer⸗ 
den alsdann darnider ligen / wie geſchrieben ſteht: 
Die Gottloſen ziehen das Schwerd auß / 
vnd ſpannen ihren Bogen / daß fie den Ars 
men vnd Elenden faͤllen / vnnd vmbringen 
die / ſo eines auffrichtigen Hertzens ſeynd / 
aber ihr Schwerd wird in ihr Hertz gehen / 
vnd 


186 Hirnſchleiffer 


vnd ihr Bogen wird zerbrechen In dem dero⸗ 
wegen ſie allhie der Heiligen Leiber verwunden / fo 
geht das Schwerd in ihr Hertz. Andere verwunden 
ſte nur ſchlechtlich / aber fich ſelbſt verwunden fie 
toͤdtlich. Der Tyrannen Leiber (ſage ich) werden 
ligen / aber die Leiber der Erdſchlagenen werden in 
der Krafft der Vnſterbligkeit auffſtehen Qb dero— 
wegen ſchon die Gottloſen einander allhie zu gaſt 

eladen / einander ſchencken / verehren / vnd uͤber die 
Pas uche frolocken / hergegen aber die Gerech⸗ 
ten ſich leiden muͤſſen vnd niemand vorhanden iſt / 
der an ſie gedenckt / ſo wird ſich doch an jenem Tag 
ein ſehr wunderbarliche Veraͤnderung begeben / dan 
die Gerechten werden auff ihren Fuͤſſen ſtehen / vnd 
werden in die Hoͤhe verzuckt werden / vnnd Chriſto 
entgegen gehen. Als dan wird die ſchaͤdliche Sicher⸗ 
heit vnd das pancketirn vnd frolocken der Gottloſen 
verkehrt werden in ein erſchroͤckliche Forcht / herge⸗ 
gen die Verachtung der Frommen in ein heriliche 
Glory : Alsdan wird Gott alle Zaͤher von ihren 
Augen abwiſchen / kein weynen noch klagen / kein 
ſchreyen noch heulen wird man alsdan mehr hoͤren / 

dan kein vnſichtbarer Feind wird ſie mehr be⸗ 
triegen / noch kein ſichtbarer wird ſie 
erſchrecken koͤnnen. 


“x 
* 


Hirnſchleiffer. 187 
Ein Loͤw vnd ein Lamb weyden 


Wann die alte Eg yypttſche Prieſter die groffe 

Grimmigkeit vnd Wuͤtigkeit eines Menſchen 
anzeigen wolten / ſo mahlten fie einen koͤwen / vnd 
vor deſſen Augen ein brinnende Fackel. Vor Chri⸗ 
ſti Zukunfft war den Koͤnigen Grimmigkeit vnd Ty⸗ 
ranney ſehr groß / vnnd waren gleichſam wie die 
grimmige Loͤwen / dieſelbige lieffen in der Finſtern 
Nacht auß jren Höfen / bruͤllten vnnd jagten dem 
Raub nach / aber deß morgens fruͤhe / nach dem 
die Sonn auffgangen war / wurden ſie zahm vnd 


gütig 


188 Hirnſchleiffer. 


guͤtig / fie verſchonten deß Menſchen⸗Bluts / vnd 
wurden auß grimmigen doͤwen in ſanfftmuͤtige 
Laͤmmer verkehrt. 

Groſſe vnd grauſame Tyrannen waren etliche 
Roͤmiſche Kaͤyſer / vnd vergoſſen viel vnſchuldiges 
Chriſtliches Blut / aber doch ſeynd etliche / nem⸗ 
blich Conſtantinus Magnus, Veſpaſianus, Titus 
vnd andere ſehr guͤtig vnnd ſanfftmuͤtig worden. 
So bald die Heydniſche Fuͤrſten vnd Tyrannen 
zu den Laͤmmern in den Schaffſtall der Kirchenka⸗ 
men / verluren ſie alsbald ihre alte Grauſamkeit / 
nahmen die Sanfftmuͤtigkeit deß Lambs Chrifti an 
ſich / vnd verehrten den Namen deß HErꝛn / der⸗ 
moͤg der Wort: Die Heyden werden deinen 
Nahmen foͤrchten / vnd alle Könige auff Er⸗ 
den deine Ehr. 

Es vermeinen gleichwol etliche / es werde durch 
die obſtehende Figur eines Loͤwens vnd eines Lambs / 
welche mit einander auff die Weid gehen / nichts 
anders bedeut / als die groſſe Gefahr / welche vor⸗ 
handen iſt mit groſſen Herꝛen zuhandlen vnnd zu 
wandlen / vnnd ihnen zudienen dan wan es ihnen 
gefaͤllt / koͤnnen vnd mögen ſie vns den Gar⸗ auß 
machen Dieſer Vrſachen halben ſagt Ovidus recht 
vnd wol? 

Hibus edocto fi quidquam eredis amico, 

Vive tibi, & longè nomina magna fuge: 
Vive tibi, quantumque potes, praluſtria Vita: 

Sæ vum praluſtri fulmen ab arce venit: 

Nam quanquam ſoli poſſunt prodeſſe potentes; 

Non profunt, potius plur mum obeſſe folent. 
Effu- 


Hirnſchleiffer. 189 


Effugit hybernas demiſſa antenna procellas, 
Lataque plus par vis vela timoris habent. 

Afpicis ut ſumma corteæ levis innatet unda, 
Cum grave nexa ſimul retia mergat onus. 

Die taͤgliche Erfahrung ſelbſt lehrt vns der Maͤch⸗ 
tigen Gemeinſchafft zu meiden. Man faͤhrt viel ſi⸗ 
cherer mit klleinen / dan mit groſſen Seglen. Viel ſi⸗ 
cherer ſchwimbt man ohn ein Buͤrd / die groſſe vnd 
mächtige Herzen halten die vn-edle vnd ſchlechte 
Leuth gleich ſam fuͤr Ballen / die man hin vnd wider / 
auff vnd nider wirfft. Ein Armſeligkeit iſts / wann 
man von ſolchen Leuthen beleydigt wird / die man 
nicht ſicherlich verklagen darff: Die Gnad / mit dern 
die groſſe Herren die gute erzeigte Dienſt ergetzen / 
iſt viel leichter vnd geringer / dan ein Feder / aber 
die Verbrechen werden geſtrafft Centner weiß. 


Anderer Difcurs. 

Andere verſtehen durch das damb Chriſtum vm 
fern Her / vnnd durch den Loͤwen die Fuͤrſten / 
welche fich fuͤr dem damb Chriſto foͤrchten / vnd vor 
feiner Majeſtaͤt entſetzen: Dann weil ſie ſonſt nie⸗ 
mand auff Erden foͤrchten / vnd wofern derowegen 
fie auch GY TT im Himmel nicht foͤrchten / ſo wärs 
den ſie in der Zahl deren ſeyn / von denen Job fagre 
Heb dich von vns / wir wollen deiner We⸗ 
ge nicht willen haben / wer iſt der Allmaͤch⸗ 
tig / daß wir ihm dienen ſolten / oder was 
nutzet es vns / daß wir ihn bitten? Damit de⸗ 
rowegen die Potentaten der Welt ſich nicht in der 
Hoffart erheben / noch auch ſich W 

ſo 


190 SKrnfchleiffer. 
ſo hat GOtt der Her: ihnen das Lamb Chriſtum 
an die Seiten geſetzt / damit daſſelbe ihnen ein 
Forcht einjage / vnd ſpricht: So laſſet euch nun 
handlen vnd weiſen ihr Koͤnige / vnnd laſſet 
euch zuͤchtigen ihr Richter im Land: Er⸗ 
greiffet die Zuͤchtigung / daß etwan der Herꝛ 
nicht zuͤrne / vnd ihr vom rechten Weg ver 
derbet. 

Gar fein wird Chriſtus ein Lamb genennt / vnd 
dardurch feine Guͤtigkeit vnd Sanfftmuͤtigkeit be⸗ 
deut + die Koͤnige vnd Fuͤrſten der Welt führen in 
ihren Wappen nur zoͤwen / Adler / Trachen / Leopar⸗ 
den / Beeren vnd dergleichen Thier / dardurch geben 
ſie ihre Macht vnd Staͤrck zuverſtehen / vnd jagen 
dardurch den Vnderthanen ein Forcht ein / aber vn⸗ 
ſers himmliſchen Koͤnigs Chriſti Wappen / iſt ein 
Lamb / dardurch aber wird bedeut / daß wir vns von 
wegen ſeiner Sanfftmuͤtigkeit / in ihn verlieben / vnd 
ihm in dieſer Tugend nachfolgen ſollen / dan die De⸗ 
mut iſt Gott dem Herꝛn ſehr angenehm / vnd macht 
die Seel vollkommen. 

Der König David war der jenig / der dieſes 
Lamb in ſeinem Wappen fuͤhrte / als er ſagte 
Pſalm. 130. HErꝛ / mein Hertz iſt nicht ſtoltz / 
vnnd meine Augen ſeynd nicht hoch / vnnd 
hab nicht gewandert in groſſen wunder, 
barlichen Dingen / die uͤber mich ſeynd. 

Wofern die Regenten vnd Reichen ſolches betrach⸗ 
teten vnd zu Gemuͤth fuͤhrten / ſo würden fi: villeicht 


1 nicht 


Hirnſchleiffer. 191 


nicht fo vermeſſentlich regiren vnd leben / fie wuͤr⸗ 
den die Armen nicht ſo hart trucken / noch die Vn⸗ 
derthanen beſchwaͤren / erſeigern / vnd viel Vnge⸗ 
rechtigkeiten ohn alle Forcht Gottes / begehen / als 
waͤre ihnen der Adel vnd Herꝛen-Stand nur dar⸗ 
umb verliehen / daß ihnen frey ſtehe / das Goͤt tliche 
Geſaͤtz zuuͤbertretten / vnnd das Ziel der Tugenden 
in allen Dingen zuvberſchreiten Dieſer Vrſachen 
halben bedoͤrffen die Fuͤrſten vnd Herren der Gotts⸗ 
forcht mehr als andere / als eines Zaums / inmaſ⸗ 
fen Efatas Chriſt um einen Herꝛſcher nennet / vnd 
ſpricht: Schicke / OHErꝛ das Lamb / den 
herꝛſchenden Fuͤrſten der Erden. Als wolt er ſa⸗ 
gen: Schicke vns / O Herz / das herꝛſchende 
Lamb / deinen eingebornen Sohn / den wahren 
Geſaͤtz geber / vnnd ſetze hn neben die doͤwen oder 
Potentaten dieſer Welt / damit ſie zugleich herꝛ⸗ 
ſchen vnd gehorſamen / vnnd dieſe beyde Aempter 
volltommenlich exequiren vnnd vollziehen moͤgen: 
Gib / O Her / den Potentaten dieſer Welt die 
Gnad / daß ſie das Laͤmblein Chriſtum foͤrchten 
vnd verehren / vnd Gott gehorſamen / allerma ſſen 
fie wöllen / daß man fie foͤrchte / verehre / vnd ihnen 
gehorfame, 


Dritter Difcurs. 


Wie ferner Chriſtus erſtlich als ein guͤtiges vnd 
ſanfftmuͤtiges Lamb in dieſe Welt kam / vnd mit den 
koͤwen oder groffen Herzen / als ein damb conver⸗ 
firte vnd vmbgieng / alſo wird er zur Zeit deß Jung⸗ 
ſten Gerichts erſcheinen / als ein grimmiger 
dow / 


192 Hirnſchleiffer. 


inmaſſen von ihm geſchrieben ſtehet / Oſe. cap. 13. 
Ich will ihnen werden wie ein Loͤwin / vnd 
auff ſie lugen wie ein Panther⸗thier: Ich will 
ſie anfallen wie ein Beer / der ſeiner Jun⸗ 
gen beraubt iſt. 

Anjetzo vnd in dieſem Leben laͤſt dieſes ſanfftmuͤ⸗ 
tige Lamb die $öwen / das iſt / die grauſame tyran⸗ 
niſehe Menſchen vnd Leuth⸗peiniger / gleichwol 
neben ihm auff der Weyd in dieſer Welt paſſiren / 
er geduldet ſie / vnnd ſihet ihnen zu / aber am 
Juͤngſten⸗Tag wird dieſes vnſchuldige damb das 
Schwerd ſeiner Gerechtigkeit außziehen: alsdann 
werden alle Berge vor ihm zittern / die Rönıge der 
Erden / die Fuͤrſten / die Reichen / die Maͤchtigen 
werden ſich in die Speluncken vnnd Hoͤlen verber⸗ 
gen / vnd zu den Felſen ſagen: Faller auff vns / 
vnd verberget vns vor dem Angeſicht deſſen / 
der auffm Thron ſitzet / vnd vorm Zorn deß 
Lambs. O Zorn uͤber allen Zorn / O erſchreck⸗ 
liches Schwerd / O heiliger HE dig Chriſte / an⸗ 
jetzo geheſt du mit vns vmb wie ein Lamb / aber am 
Juͤngſten⸗Tag wird dein Zorn vnd Raach vmb ſo 
viel deſto gröffer vnd grimmiger ſeyn / vmb wievil 
gröffer anjetzo geweſt iſt dein Güte vnd Sanfftmuͤ⸗ 
tigkeit. 

99 Menſch / wann du in dieſer Figur das damb 
vnd den Ldoͤwen beyſammen auff der Weyd gehen 
ſtheſt / ſo gedenck / du ſeyeſt der dow vnd Suͤnder / 
vnd Chriſtus ſey das guͤtige vnd geduͤltige damb / 

huͤte dich aber vor feiner Gedult vnd Sanffmuͤtig⸗ 
keit / 


Sirnfchleiffer. 193 


3 
keit / dann er kan viel erdulden / leiden / vnnd lang 
warten / aber ob er ſchon anjetzo viel von ſeinen 
Feinden leidet / ſo wird er doch eins mahls erhoͤhet 

werden / vnd ſich an ihnen raͤchen. Er wird ſteigen 

oben auff den Thron / vnd wird wider ſeine Feinde 

außſprechen den erſchrecklichen Sententz: Gehet 

hin / ihr Verfluchten / ins ewige Fewr. 


Vierdter Diſcuts. 


Chriſtus iſt oer dͤw / vnnd der Gerechte iſt das 
Lamb / dieſe beyde ſeynd fein eins mit einander / 
vnnd der Gerechte vergleichet ſich allerdings mit 
dem Willen Chriſti / vnd zwar billich / dann Chri- 
ſtus ſelbſt hat ſich allerdings ſeines Vatters Wil⸗ 
len ergeben / da er ſagt Johan. c. 6. Ich bin 
nicht kommen zu thun meinen Willen / 
ſondern den Willen meines Vatters / der 
mich geſandt hat. Item: Nicht mein / ſondern 
dein Will geſchehe: Als wolte er ſagen: O Vat⸗ 
ter / ob ſchon das Fleiſch ſich vorm Todt foͤrch⸗ 
tet / ſo ſoll doch nicht beſchehen / was ich will / 
ſondem was du wilſt. So dann der Sohn Gottes 
ſich dem Goͤtttichen Willen ſeines Vatters aller⸗ 
dings vnderworffen hat / warumb wolte ſich dann 
nicht auch der Menſch demuͤtigen / vnnd vor ſeines 
HeErꝛn Fuͤſſen niderfallen / vnnd ſprechen: Her, 
nicht mein Will / ſondern dein Will ge⸗ 
ſchehe. 

J Die 


174 Hirnſchleiffer. 


Die Vrſach / warumb jene Thier Ezechielis ge⸗ 
ſchw ind gen Himmel flohen / vnangeſehn fir ſchwaͤr 
von $eib waren / iſt dieſe: Weil nemblich der Geiſt 
deß Lebens in den Radern war: durch den Geiſt deß 
Lebens wird bedeut der Will / derſelb war in den 
Raͤdern / vnd trieb den Wagen fort. Begerſt dero⸗ 
wegen du / OChriſt / eben den ſeben Weg gen Himel 
geſchwind zufahren / ſo nimb an dich den Willen 
Chriſti / vnd preſſe denſelben in dein Hertz. Treib 
vnd verwirff auß deinem Hertzen deinen eignen 
Willen / vnd ergib dich dem Goͤrlichen Willen. 

Es vermeinte Pythagoras, es biſtehe deß Men⸗ 

ſchen Seligkeit in der Betrachtung der Zahlen. 
Anaxagoras ſagte / fie beftünde in der Betrachtung 
deß Lebens: Henllus in der Wiſſenſchafft: Au- 
liſtenes in den: Wolluſt: Timon in der Ruhe Si- 
monides in der Heiligkeit / Schoͤnheit vnd Reich⸗ 
thumb: Epi curus in den keibs Wolluͤſen: Aber 
fie jrren alle / vnd tappen wie die Blinden an den 
Wenden vmb / dan die Seligkeit dieſer Welt wel⸗ 
che vns den geraden Weg zum Himmel fuͤhrt) bes 
ſteht in der Verlaugnung oder Ablegung deß eige⸗ 
nen Willens / vnd in Vollziehung deß Göttlichen 
Willens vnd Befelchs O wie fein vnd wol gehet 
es zu / wan der Religioß ſich mit ſeines Preelaten 
vnd Vorſtehers Willen vergleicht / vnangeſehn ders 
ſelb ein noch fo grinmmiger dow vnd Beer iſt. 

Gott probiert die Gerechte auff vnderſchiedliche 
weiß / den H. Job probierte er durch den Sathan / 
aber Job war gedultig wie ein Lara / gab ſe⸗ 1e Wil⸗ 
len darein: Den David probierte vnd bewerte der 
Herꝛ gleichfals auff vielerley weg / vnd ſchickte * 

Lie 


Hirnſchleiffer. 195 


viel Creutz vnd Verfolgungen zu / aber David war 
vnd blieb allzeit ein gedultiges vnd gehorſames 
Lamb / vnd vnderwarff ſich jederzeit dem Goͤttlichen 
Willen: Derowegen ward er wuͤrdig / daß der Her 
ſelbſt von jhm ſagt: Inveni David virum fecun« 
dum cor meum, als wolte er ſagen : Ich hab ge⸗ 
ſucht einen Mann / der nach meinem Willen waͤre / 
vnd der fich ſelbſt vnd all ſeine Sachen vnd ſeinkebẽ 
nach meinem Willen richtete / letztlichẽ aber hab ich 
einen gefunden / vnd derſelb war mein Knecht Da⸗ 
vid / derſelb thut vnd vollziehet allen meinen Wil 
len. O Religiofe, begerſt du / daß Gott dich gleich⸗ 
fals finde / ſo ſey ein gedultiger Job / ein gehorſa⸗ 
mer David / ein demuͤtiges damb / vnderwerffe dei⸗ 
nen Willen deinem Prærlaten / laſſe dich vor jhm 
niderwerffen / ſcheren / ja ſchlachten / vnd ſprich: Pla- 
cet, ſicut tu vis, ſic volo & ego, Wie du wilſt / ſo 
will ich auch. O Chriſt / wirſt du verfolgt / gefan⸗ 
gen / geſtreckt / gepeinigt vnd gemartert / ja geſchun⸗ 
den / geſchlachtet / vnd letztlichen gar getodtet / ſo 
fen doch ein gedultiges Lamb / vnd opffere deinen 
Wille dem Willen Gottes auff. 
Fuͤnffter Diſcurs. 

Andere verſtehen durch das beym Loͤwen vmb⸗ 
gehendes Lamb einen Gerechten / der ſich mitten 
in der gefahrnicht forchtet: Dan er ſpricht ſampt 
dem David Pal 90. Wer vnder der Hand 
deß Alerhoͤchſten wohnet / vnd vnder dem 
Schirm deß Allmaͤchtigen / der ſpricht 


3 zum 


196 Hirnſchleiffe 


zum HErm / Dubiſt mein Zuverſicht. 
Der jenig aber wohnet vnder dem Schutz deß Al⸗ 
lerhöchſten / welcher feine Hoffnung nur auff Gott 
ſetzt. Nichts iſt vnder dem Hummel / welches jhm 
ſchaden koͤnne / wofern ihn Gott beſchuͤtzt vnd be 
ſchirmet: Weder die boͤſe Geiſter / die im Lufft 
vmbfliegen / noch die boͤſe elt / noch das wider—⸗ 
ſpaͤnnige Fleiſch kan jhm ſchaden. Wer mit einer 
fteiffen Hoffnung vnd Vertrawen vnder dem 
Schirm deß Allerhoͤchſten wohnet / der forchtet 
nicht / vnangeſehn er von den grimmigen Loͤ⸗ 
wen vnd ungeheuren Thieren der Verſuchungen 
allenthalben vmbgeben / vnd von den Teuff⸗ 
liſchen Schlangen verſucht vnnd angefochten 
wird. 

Wie der Klang oder das Gethoͤn deß Schreckens 
allzeit in deß Suͤnders Ohren ſauſet / vnd vnange⸗ 
ſehn ſchon Fried vorhanden it / fo beſorgt er ſich 
doch allzeit eines Hinderhalts vnd Gefahr / dann 
fein eignes Gewiſſen verklagt vnd erſchreckt jhn / 
alſo / ob ſchon ein Gerechter mitten in den Gefah⸗ 
ren ſteckt / ſo iſt er doch allzeit ſicher / frölich vnd 
friedlich. Inmaſſen David ſagte: Meine Seel 
iſt erloͤſt von den grümmi zen Loͤben / vnd 
bin entſchlaffen in Aengſten. Was fur ein 
Sicherhett kan groͤſſer ſeyn / weder wan einer 
mitten vnder den grimmigen Loͤwen wohnet / 
vnnd dannoch ſchlaffet? Ein ſolche Sicherheit 
empfinden alle Gerechten im Geift 7 welche nut⸗ 
ten in den Anfechtungen vnd Begterligketten 
im Frieden ſchlaffen vnd ruhen. Das beſchreibt der 

Eccle- 


Hirnſchleiffer. 197 
Eccleſi aſticus c. 34. ſehr ſchoͤn / vnd ſpricht: 
Wer den HErkn forchtet / der entſetzt ſich 
nicht / vnnd erſchrickt nicht / dann der 
HEr: iſt ſein Hoffnung vnd Troſt. Selig 
iſt die Seel deß Gottsförchtigen Aufl 
wen verlaͤſt er ſich? Wer ift fein Stuͤtzen? 
Die Augen deß HErꝛn haben ein Auff— 
ſehn auff die / die jhn lieb haben. Er iſt 
jhr gewaltiger Schutz / jhr Staͤrck vnd 
gewaltiger Vnderſtutz / ein Schirm fuͤr 
die Hitz / vnd ein Huͤtten fuͤr die Mittaͤgige 
Hitz / ein Huͤtten für den Fall vnd ein Huͤlff 
fuͤr die Letzung. Er erhoͤhet die Seel und 
erleuchtet die Augen. Er gibt Geſundheit 
vnd Leben / vnd berathet reichlich: Das iſt / 
Was kan lieblichers / troͤſtlichers vnd koͤſtlichers 
feyn? Selig ſeynd die vnder einem ſolchen Be⸗ 
ſchuͤtzer vnd Schirm⸗Herꝛn wohnen. Von dieſem 
Schirm-Herm redet der H. David Pſal. 129. 
vnd ſagt: So hoffe derowegen O Seel / 
auff den Hr / von der Morgen-wacht 
biß zu der Nacht: Dann Barmhertzigkeit 
iſt beym HErꝛn / vnd ſehr viel Erloͤſung 
bey jhm. 


Sech⸗ 


Hirnſchleiffer. 
S Sechſter D 1 iſcuts. 


Das ferner das arme ſchwache Laͤmblein beym 
Sömwen ſicher wohnt vnd vmgeht / bedeut / daß / vmb 
wieviel groſſer vñ mächtiger die Herzen ſeynd / vmb 
ſoviel deſto beffer vnd ſich erer iſt mit ihnen vmbzu⸗ 
gehn / zumaln / wann ſie darneben ſtud irt haben: 
dann alodan wiſſen vnd erkennen ſie / daß fin: nem⸗ 
blich ihnen die Guͤtigkeit vnd Varinhertz'gleit ges 
buͤrt vnd wol anſteht. Ein ſolcher Low oder Fuͤrſt 
war Kaͤyſer Auguftus , der ward ein Vatter deß 
Vatterlands genennt / keiner andern Vrſachen 
halben / als weil er die Injurien / die ihm zugefuͤgt 
waren / im wenigſten andtete / ſondern nur darzu 
lachte / vnd alles verachtete. Nur der edle dw thut 
niemand nichts [der ihm nichts thut / vnd wan er 
wütet / fo wuͤtet er viel ehender wider die Maͤnner / 
dann wider die Weiber / ſelten auch wider die 
junge Kurder außgeuginenen bvann er groſſen 
Hunger hat: Aber die vnedle wilde Thier / als da 
ſeynd die Woͤlff / Beeren / vnd Tiegerthier verſcho⸗ 
nen keinem / ſondern zerꝛeiſſen vnd erwuͤrgen alles 
was ſie ertappen / vnd laſſen nicht weiſen / erbitten 

noch erweichen. 


S iebender Dilcurs. 


Es wird auch ı 1H. Schrifft de Ay euffel ein Low 
ge zennt / al erdoc ter fehr ſchwa ͤwann man 
ihm rechte 1 d thut / vi Id erübe erwindet 
nur Aten ch lig hengen ie zuſehen iſt an 
dieſem Lamb / welches ſich vor dem Loͤwen nicht 
forchtet / ſondern ihn gleich ſam uͤberwindet. Der 


hoͤlliſch 


Hirnſchleiffer. 199 


hoͤlliſch doͤw überwinder mit ſechßerley Waffen die 
Seelen: Erſtlich mit der Eingebung / mit der Er⸗ 
luͤſtigung / mit der Einwilligung / mit dem Werck / 
mit der Gewonheit / vnd mit der Noth: Aber wan 
die Seel ſich wehret / ſo uͤberwindet ſie ihm mit 
ſecheßerley Gegenwehren / nemblich durchs Ge⸗ 
bett / durchs Faſten / durch den Glauben / durch die 
Beicht / durchs Allmuſen / vnd durch die Demut / 
welche ein Schwerd iſt / mit dem der hoffaͤrtige höl- 
liſche Loͤb gedemuͤtigt vnnd verwund iſt worden. 
Weil David demuͤtig war / ſo hat er uͤberwunden 
den Loͤwen / das iſt / den Rieſen Goliath. 


Achter Diſcurs. 


Nicht weniger wird durch das beymkoͤwen gehen⸗ 
de Schaff bedeut / daß ein Koͤnig oder Fuͤrſt allzeit ei⸗ 
nen Geiſtlichen / gerechten vnd frommen Man bey 
ſich haben / vnd feine Gewiſſens⸗Sachen nach ihm 
reguliren ſoll Artlich wird ein Geiſtlicher durch das 
Schaff bedeut: das Schaff iſt ein ſehr forchſames 
Thier / vnd erſchrickt gar leichtlich / alſo ſoll ein 
Geiſtlicher Man ſehr gewiſſenhafft vnd forchtſam 
gegen Gott ſeyn. Das Schaff iſt ein vnſchuldiges 
Thier / vnnd iſt niemands ſchaͤdlich: Ein Geiſtli⸗ 
cher ſoll gleichfals vnſchuͤldig ſeyn / vñ nichts thun / 
welches jemand zum Schaden gereichete. Das 
Schaff iſt ſehr geduͤltig / vnd ſchreyet nicht / wan es 

getödtet wird: Die wahre Geiſtlichen ſeynd gleich⸗ 
fals in allen Dingen geduͤltig / ſchelten vnd murꝛen 
nicht / ſondern ſprechen: Vmb deinent willen 
werden wir täglich getoͤdt / vnnd ſeynd 

J 4 geach⸗ 


Hirnſchleiffer. 


geachtet wie Schlacht⸗Schaff. Das Schaff 
iſt fruchtbar in Jungen / in der Milch vnd in der 
Woll: Ein Geiſtlicher ſoll gleichfals fruchtbar 
ſeyn in Verdienſten / in der Lehr / vnd guten Exem⸗ 
peln. Beſchließlichen iſt das Schaff im Eſſen maf 
fig / jſſet nur kurtzes Graß oder Kraͤuter: Ein 
wahrer Geiſtlicher if gleichfals maͤſſig / jſſet vnnd 
trincket nur die Nothdurfft / ja kaum die Nothdurfft 
deß Leibs / damit er nicht gumpe vnnd geyl werde / 
wie die Ochſen / Kuͤhe vnd Kaͤlber / welche das lan⸗ 
ge Graß auff den feyſten Weyden freſſen / dar⸗ 
durch ſie geyl vnd mutwillig werden. Selig ſeynd 
die Fuͤrſten / welche verſehen ſeynd mit ſolchen 
guten Laͤmmern oder Geiſtli⸗ 
chen Vaͤttern. 


9 I 
2 
7 


Thurn 


Hirnſchleiffer. 201 
Thurn / deſſen Spitz vmbfaͤllt. 


7 


Atlich iſt Plautus , da er ſagt : Dii nos quaſi 
pilas homines habent: Das iſt / die Goͤtter 
halten vnd brauchen vns Menſchen gleichſam als 
Ballen. Der Menſchen Gluͤckſeligkeit iſt bißweiln 
ſehr groß / vnd der Menſchen favor vnd Gunſt er⸗ 
hebt fie biß zum hoͤchſten Staffel der Ehren / ſie wer⸗ 
den auch geſtaͤrckt vnnd befeſtigt durch ihre Reich⸗ 
thumb vnd Macht / ihr Geſchlecht bleibt beſtaͤndig / 
vnd ſehn ihre Kinds⸗ kinder in hohen Wuͤrden: ihre 
Haͤuſer ſeynd ſicher / fi iedlich / vnd fuͤr aller Wider⸗ 
wertigkeit befreyt: Das Vngluͤck thut keinen eini⸗ 
gen boͤſen Streich auff ſie kein Ruth Gottes iſt wi⸗ 

3:3 der 


202 Hirnſchleiffer. 


der ſie vorhanden: die gantze Zeit ihres Lebens ver⸗ 
zehren ſie friedlich in allen Frewden vnd Wollͤſten / 
fie ſeglen allzeit mit gutem Wind / vnd leben ſo lang 
wie die Rabben / fie ver meinen es ſey kein todt / der 
ſie to dten koͤnne / aber in einem Augenblick fahren 
ſie hinvnder zur Hoͤllen: Buverſehns fallt ihre 
Gluͤckſeligteit in den Roth / vnd gereicht ihnen zum 
ewigen Todt. Höre aber was der Pfalmift David 
von dieſer Gluͤck ſeligkeit haͤlt in ſeinem 36. 1 
Erzuͤrn dich nicht uͤber die boͤſen / fen nicht 
neydiſch über die Vbelthaͤter / dann wie 
das Graß werden fie bald duͤrꝛ werden. 
Eyffere derwegen nicht mit der Gottloſen Wolſtand 
vnnd Hochhert. / dann ſie verdorꝛen geſchwind wie 
das Graß. Das wird ons nur klaͤrlich fuͤrgebildet 
dafl den obgeſetzten Than deſſen Spitz hervn⸗ 
der fallt. 


Andere Außlezung 


Der Teuffel pflegt die Men chen zu erhoͤhen / da⸗ 
mit er fie deſto tieffer ſtuͤrtzen möge 8 wie viel Men⸗ 
ſchen ſteigen auff die Zinnen der Geiſtlichen Hoch⸗ 
heit / von einem Staffel zum andern / als vom 
Prieſterthumb zum Canonicat / vom Ganonicat 
zum Biſchthumb / vnnd vom Münchsftend zur 
Pralatur / weil aber ſolchs durch etwa einsimo- 
niam oder Teuffliſches Mittel beſchehen i / fo 
wirfft ſie der Teuffel vnverſehns wider heronder / 
allermaſſen wie der Hencker einen Dieb allgemach 
auff die deyter ſteigen laͤſt / damit er ihn deſio 15 

ex 


Hirnſchleiffer. 203 


cker hinab werffen vnd ſtuͤrtzen möge. Sie ſeynd ein 
kleine Zeit erhaben / vnnd beſtehen nicht / ſondern 
werden vndertruckt / vnnd wie die Haͤupter an den 
Aehern werden ſie abgeſchlagen. Die allerhoͤchſte 
Aeher ſeynd der meiſten Gefahr vnderworffen / vnd 
werden vom Schaur geſchlagen / mit der Sichel 
abgehawen / vnd von den Dreſchern zerknirſcht: Alſo 
werden die Sünder bißweiln erhebt / geehrt vnd zu 
den hohen Aemptern befuͤrdert / aber vnverſehns 
werden ſie deſſen allen entſetz / vnd wider hinab ge⸗ 
worffen. Das verſtund Abraham gar wol / als er 
Geneſ. cap. 18. ſagte: Soll ich dann mit dem 
Herꝛn reden / da ich doch nur Staub vnnd 
Aſchen bin? Damit der Gerechte auß Kleinmuͤ⸗ 
tigkeit nicht verzage / in dem er ſich für nichts haͤlt / 
fo laufft im Gott entgegen / vnd erquickt ſeine Seel 
mit Gnaden vnd ſonderbaren Gunſten / vnder de⸗ 
nen dan dieſe nicht die geringſte iſt / daß nemblich 
vmb wieviel er in Goͤttlichen Gnaden erhoͤhet wird / 
vmb ſoviel deſto mehr ſo er ſich demuͤtigen vnd ernt⸗ 
drigen / weil er ſihet vnd erkennet / daß ihm alles 
guts von der Hand Gottes herkompt. Das Wr 
derſpiel thun die Hoffaͤrtigen / dan ſie ubernehmen 
ſich ihres hohen Stands / vnnd iſt kein gewiſſers 
Zeichen / daß ein Hoffaͤrtiger falle / als wan er uͤber 
die maſſen hoch erhebt wird. Daher ſagt Abdias 
Cap. 1. Ob du dich ſchon erhoͤheſt wie ein 
Adler / vnnd dein Neſt vnder den Stier 
nen ſetzeſt / fo will ich dich dannoch (ſpricht 
der HCR R) daſelbſt herab ſturtzen. 

J 6 Das 


204 Hirnſchleiffer. 
das iſt / Ob du ſchon mitten vnder den Sternen deß 

umels ſampt dem Lucifer deine Wohnung ma— 
che ſt / ſo w lich dich doch von dannen hinweg reiſſẽ / 
vnd bewill igẽ / daß du in Schand vnd Spott falleſt. 
Dieſes widerfahrt nun den Gottloſen / welche von 
der Welt erhoͤhet werden. 

Dritte Außlegung. 
ſucht allein die Gottloſen / die von der Welt erhoͤhet 

werden / fallen ſehr ſcheutzlich vnd armſeliglich / ſon⸗ 
dern es ſeynd auch fo gar die Frommen vnd Gerech⸗ 
ten nacht ſicher vorm fallen Es ſey einer ſo heilig vñ 
gerecht als er woͤlle / vnd er lebe in feinem erlangten 
hohen Stand ſorüͤhiglich vnd ſicher wie er immer 
woͤlle / ſo kan er doch fallen vnd abnehmen / vnd fo 
lang der K rteg nicht ve ollendet iſt / ſo iſt niemand deß 
Siegs verſichert. So lang wir allhie auff Erden 
leben / haben wir wider vnſere Feinde zu kriegen / de— 
rowegen vbernehme ſich niemand feines hohen 
Stands / Heiligkeit / Staͤrck vnd verdienſt / ſondern 
bleibe in der Forcht vnd Hoffnung / vnd trawe allein 
Gott dem Herm 

Das verſtund der H. David gleichfals / als er 
Pfal 43-fagte: Ich will mich nicht verlaſſen 
auff meinen Bogen / vnd mein Schwerd 
wird mir nicht heiffen. Hierdurch gab er zuver— 
ſtehen / daß ſich niemand auff fein eigne Staͤcck ver⸗ 
laſſen ſolle / fintemal wir in ons ſelbſt keine Staͤrck 
haben. Ohn zweiffel hat ſolches der H David / als 
ein erfahrner / gerede dan als er ſich einsmals mit 
geiſtlichen Gaben vnd Gnaden vberfluͤſſig verſehen 
befandt ſagte er Pfalm. 27. gantz vermeſſent— 
lich: 


Hirnſchleiffer 205 


lich: Ego dixi in abundantia mea: Non move- 
bor in æternum: Das iſt / als ich im Vertrawen / 
vnd im Vberfluͤß der Goͤttlichen Gaben vnd 
Gnaden ſaß / hab ichs geredt: dan es war ein ſehr 
groſſes Vertrawen oder Vermeſſenheit / als er 
ſolche Wort redete: Was iſt aber drauff erfolgt? 
Avertiſti faciem tuam, & factus ſum contur- 
batus: Das iſt / von meer Vermeſſenheit wegen 
haſt du mich / OHErꝛ / mit deiner Huͤlff verlaſſen / 
vnd dein Angeſicht von mir abgewendt / derowegen 
bin ich alsbald betruͤbt vnd jrrig worden / vnd in 
Suͤnd gefallen. 

Groß war der H. Petrus / vnd auff dieſen Felſen 
war die Kirch gebawt worden / aber er ward zer- 
ſchmettert vnd vmgeworffen durch ein Sturmwind 
vnd Stim̃ eines Maͤgdleins / dan er ſagte mit einer 
groſſen Vermeſſenheit zum Henn; Ob ſchon dieſe 
allſampt ſich an dir aͤrgern / ſo wil ich mich 
doch an dir nicht ärgern. Aber noch in derſel⸗ 
ben Nacht verlaugnete er ihn dreymahl. Vns allen 
zur Lehr vnd Warnung / daß der Menſch / ſo lang er 
in dieſem Leben iſt / kan er auß dem Stand der Gna⸗ 
den fallen / vnd verkehrt werden in einen Suͤnder: 
vnd follen allzeit die Wort in vnſerer Gedaͤchtnuß 
haben: Vnſer Leben allhie iſt ein ſtettes vnnd 
jmmerwerendes Kriegs weſen. Wer ſtehet / 
der ſchaw daß er nicht falle. 

Beſchließlichen / muͤſſen die Hoffleuth viel muͤhe⸗ 
ſelige deytern vnd Stiegenſteigen / biß fie den höch⸗ 
ſten Staffel der hoͤchſten Gefahr erꝛeichen / weil fie 

7 


J aber 


206° Hirnſchleiffer. 


aber jhr Hoffnung nicht auff den rechten vnd wah⸗ 
ren Grundſtein Chriſtum geſetzt / noch alles mit 
Gott angefangen / ſondern auff menſchliche Fa⸗ 
vor / Gunſt der Fuͤrſten vnd Herꝛen gebawt / vnd 
ſich verlaſſen haben / fo fallen fie vnverſehns wider 
hinab. Ob ſie ſchon vermeinen / ſie ſeyen die groſſe 
Favortten vnd die allerliebſten vnd angenembſten 
beym Fuͤrſten / ſo erhebt ſich doch vnverſeh ns ein 
Sturmwind / der wehet vnd wirfft ſie auß ihrem 
Stand der Hochheit. Ob ſchon der Menſch noch ſo 
ſehr / ja biß an Himmel erhebt wird / ſo iſt er doch 
nur ein kleines Woͤlcklein / welches bald zer gehet: 
Selig aber iſt / der fein demuͤtig bey der Erden 
bleibt / vnd den Hochheiten nicht nachfraget / nach 
dem Exempel Chriſti / derſetb hat die allerhoͤchſte 
Königliche Hochheit geflohen / vnnd iſt freywillig 
zum Galgen deß Creutzes gangen: Selig iſt der 
fein Ziel vnnd Hoffnung auff den Harn fetzt: In⸗ 
maſſen David gethan / vnd in ſeinem 24, vndzo. 
Pſalm geſagt hat: HEr? / in dich hab ich mein 
Hoffen / laß mich nimmer zuſchanden wer⸗ 
den. Wer jederzeit ſein Hoffnung alſo auff den 
Herin fert / vnd ob er ſchon füllt / ſo wird er doch 
nicht zuſchanden / ſondern Gott erhoͤrt ihn in ſei⸗ 
nen Noͤthen vnd Gebett: Wer aber ſein Hoffnung 
nicht auff Gott / ſondern auff Menſchen / oder auff 
ſich ſelbs geſetzt hat / der wird in feinem Fall vnd 
Widerwertigkeit verlaſſen / der Menſchen Hoff⸗ 
nung iſt vngetrew / eytel vnd betrieglich / aber die 
Goetliche iſt getrew / gewiß / bewert vnnd vn⸗ 


ztoeyfflich. f 
Vierdte 


Hirnſchleiffer. 207 
Vierdte Außlegung. 


Durch diefe Figur wird auch die Vnbeſtaͤndig⸗ 
keit / Bawfaͤlligkeit vnd Nichtigkeit deß Weltlichen 
Prachts / vnd ſonderlich die Hochheit vnnd Macht 
der all ergroͤſten / herꝛlichſten vnd machtigſten Staͤtt 
oder Herſchafften bedeutet: Was war herꝛli⸗ 
cher als eben die zwo gegen einander ober ligen⸗ 
de Staͤtt Agına oder Mgara, vnnd Corin- 
then ? Ligen fie nicht anjetzo öd vnnd in Aſchen? 
War Megalopolis in Arcadia nicht auch ein 
herzliches Weſen? Aber anjetzo ligt ſie zerſtoͤ⸗ 
ret. Die gewaltige Statt Macena ward durch 
den Ninum gantz vnnd gar verderbt : Die herr 
liche Statt Theba in Griechenland hat ſchier 
den Namen verlohren : Das ander Thebain E⸗ 
gypten iſt gleichsfals hin: Cbenmaͤſſig die Statt 
Delos in Griechenland / vnnd Babel in Chaldæa. 
Die Stätt ſterben vnnd verderben eben ſowol 
als die Menſchen / vnnd gewißlich wird es eins⸗ 
mals darzu kommen / daß man fragen wird / wo 
doch die fuͤrnembſte Staͤtt / welche anjetzo ſo ſehr 
ſtoltzteen vnnd braviren / hin ſeyen kommen: Dan 
alles was von Menfchen: Händen gemacht iſt wor⸗ 
den / muß ſterben vnd vergehen Ja ſo gar muͤſſen 
auch die allerherꝛlichſte Tempel vnd Kirchen dran / 
wie zuſehen iſt an der koͤſtlichen Kirchen S. So- 
phiæ zu Conſtantinopel: Man ſagt / es haben 
vorzeiten die Amazoniſche Weiber die Statt Ex he⸗ 
fun. vnd den Tempel Dian daſelb gebawt der⸗ 
gleichen iſt niemaln auff Erden geſehen / worden 
gautz A ſia hat 220. Jahr lang dran gebawt / es wuͤr⸗ 
den 


208 Hirnſchleiffer. 


den 125 Seuln darein geſetzt / deren war ein jede 
60. Schuh hoch : Der Tempel war 315. Schuh 
lang vnd 220. breit: Auß aller Welt / vnd auß allen 
Staͤtten wurden ſtattliche Schanckungen vnnd 
Reichthumb dorthin gebracht / vnd ob wol Xerxes 
alle Kirchen in Aſia verbrennen ließ / ſo verſchonte 
er doch deß Tempels Dianæ, aber Heroſtratus ver- 
brennet ihn / keiner andern Vrſachen halben / als 
damit er ihm ein ewige Gedaͤchtnuß machen möchte 
auff Erden: Dieſer Tempel ward fuͤr eins vnder 
den ſieben Wunderwercken der Welt gehalten. 
Viel billicher aber hätte der Tempel Salomonis 
darfuͤr gehalten ſollen werden: Aber ſie 
ſeynd allhie hin / dann nichts 
iſt auff Erden be⸗ 
ſtaͤndig. 


93 (0) 90» 
5 
7 


Hirnſchleiffer. 

Ein Hand haͤlt ein Laͤeren 
r 
— 


—— 


& Br ; 
Das die Wort Eecleſiaſt. am 5. Eapittel: 
Der Geitzig wird Gelds nimmer ſat / 
war ſeyen / wird ſolches durch die obgeſetzte Figur 
vnd ſieben nachfolgende Rationes bewieſen: Erfts 
lich / weil das Geld endlich / vnd der Beutel oder 
Sack vnendlich iſt / je mehr derowegen Gelds in 
einem vnendlichen Sack geworffen wird / ze weni⸗ 
ger erklecket vnd ergibt es: Alſo / ob ſchon ein Geitz⸗ 
hals noch fo viel Gelds in die Truhe wirfft / ſo ergibt 
vnd erkleckt es doch nicht / ſeytemal ſein Begierd 
vnd Geitz unendlich vnd vnerſaͤttlich iſt. Zum an⸗ 
dern / 


210 Hirnſchſeiffer. 


dern / weil das Geldt ein Eitelkeit iſt / welche nichts 
erfuͤlet / die Reichthumb erfüllen den Menſchen 
nicht / ſondern blaſen jhn nur auff: Wie es ein Zei⸗ 
chen der Thorheit waͤre / wan ein hungeriger Menſch 
mit auffgeſperꝛtem Rachen vnd geſchwollnen Ba⸗ 
cken den Lufft fangen thaͤte / in meinung / den Hun⸗ 
ger dardurch zuſtillen / alſo iſts je ein groſſe 
Thorheit wan einer vermeynen thaͤte / er wolte ſich 
mit dem Geld erſaͤttigen vnd erfuͤllen / welches nur 
ein purlautere Eitelkeit iſt: Dan wer die Welt vnd 
ihre Reichthüb vnd Herꝛligkeit eigentlich beſchaw⸗ 
et / der wird nichts anders ſehen / als den Rauch der 
Hoffart vnd Eitelkeit / vnd das Fewr der Begier⸗ 
ligkeit auß ihrem Ofen entſpringen. 

Drittens werden die Geitzhaͤlß darumb mit dem 
Geld nit erfuͤlt/ allweil der meiſte Theil deß Geldts 
in deß Geitzhalſes Bauch faͤlt: Die Staͤdl / die 
Scheuren / Keller / Staͤll / Haͤuſer vnd Truhẽ ſeynd 
der Reichen Baͤuch / je mehr nun ihr Geld waͤchſt / 
je mehr wachſen vnd werden groͤſſer jhre Truhen / 
Kaͤſten ond Keller. WIR etliche? Pflaſter die Wun⸗ 
de je länger je gröffer Rachen / Aſo / je mehr der 
Reiche hat / je mehr wil er haben / derowegen wird 
fein Beutel nemaln voll 

Vierdteus / weil der Geitz ein Feur / vnd da Geld 
ein Holtziſt / je mehr dero wegen das Geld weͤchſt / je 
gröfler wird der Geitz / vnd kan der Geltzhals eben fo 
wenig erfättigt werdẽ / als wenig das Feur eraͤttigt 
kan werden mit Hols: Eins mals zuͤndete en Narı 
fein Hauß mit Stroh an / vnd warff Holtz dirauff / 
in meinung es damit zu loͤſchen / aber er ſellſt ver⸗ 
brann ſampt dem Hauß: Alſo vnd ebner 1 5 
ehen 


Hirnſchleiffer. 211 
ſehen wir / daß etliche begierliche Minſchen die 
zeitliche Guͤter ins Feur deß Geitzes werffen / an 
ſtatt daß fie es loͤſchen ſolten mit dem Waſſer deß 
Mitleidens / ſo werffen ſie das brennende Stroh / 
nemblich das Geld in gemeltes Fewer deß Geitzes / 
in dieſem Fall aber ſeynd ſie dem Pelican gleich / 
dan wie derſelb das Holtz ſamblet / darinn er ver⸗ 
brennt ſoll werden / alſo ſamblen die Geitzhaͤls 
die Mat ery der zukuͤnfftigen Brunſt. 

Zum fuͤnfften / weil die groſſe eroberte Reich⸗ 
thumb jhre groſſe Außgaben haben / dan Eccleſiaſt: 
ſagt c. z. Wo viel Guts iſt / da ſeynd viel 
die es eſſen. Wer einen groffen Hofhat / der 
muß viel Geſinds halten / welche die Güter, ver⸗ 
zehren: Iſt ein; Edelman oder Cloſter reich vnd 
vermuͤglich / ſo haben ſie jmmerdar Gaſt / die ſie 
außfreſſen: Jederman lauffet zu / als ſolte man ei⸗ 
nen See auß ſchoͤpffen: Zu gleicher weitz wie / wo 
viel todter Aaß oder keiber vorhanden ſeyn / da ſam⸗ 
blen ſich viel Voͤgel / Rappen vnd Hund / aber we⸗ 
nig Dauben laſſen ſich darbey ſehen / alſo haben 
die reiche Cloͤſter vnd Hoͤf nur zu viel hegierige 
Rappen vnd Hund / die ſie auffreſſen / aber we⸗ 
nig Dauben / dan was man an dem Haußgeſind 
erkarget vnd erſpart / das gehet alles mi den vn⸗ 
erſaͤttlichen Rappen / Schmarotzeen und Fremb⸗ 
den auff / derowegen kan der Beutel niemaln voll 
werden. 

Sechſtens / weil kein Leib zugleich zwey vnder⸗ 
ſchiedliche Ort erfüllen kan: Nun ſeyndt das Hertz 
deß Geitzhalſes vnd ſein Beutel dee 

rt: 


212 Hirnſchleiffer. 


ſich nimmer ſatt. Daher ware gar gut / daß die 
Geitzhaͤlß keine Augen haͤtten / oder daß ſie / wie 
die begierige Falcken / mit Nebelkappen uͤberzogen 
wuͤrden. Dann was ſeynd die Geitzigen anders / 
als deß Teuffels Falcken / die er auff der Hand ge⸗ 
bunden vmbtraͤgt / GOttes vnſchuͤldige Voͤgel zu⸗ 
fangen. O wie geſchwind vnd vnbeſcheidenlich flie- 
gen vnd fallen fie auff den Raub / auff das licnum 
vnd illicitum, auff das proprium vnd alie num, das 
iſt: auff das zimbliche vnd vnzimbliche / auff das 
eigne vnd frembde! 

Beſchließ lichen wird der reichen Geitzhaͤlß Beu⸗ 
tel darumb nicht voll / weil die zeitliche Reichthumb 
gleichſamb ein geſaltzenes Waſſer ſeynd / vnnd den 
Durſt nicht allein nicht loͤſchen / ſonder erſt recht 
vermehren / wie der Eſſig einen Luſt zum eſſen ma⸗ 
chet / alſo reitzet der Geitz den Durſt deß habens: 
Aiemaln contentiren vnnd begnügen die Reiche 
thumb ihren Beſitzer / fonder wie die Wafferfüch- 
tigen ſich niemals erſaͤttigen koͤnnen / alſo vmb wie 
viel reicher die Geitzhaͤlß ſeynd / vmb ſo viel deſto 
mehr begehren ſie. Dan der Gottloſen Bauch 
(ſagt der weiſe Man am iz. Capittel) iſt vnerfaͤtt⸗ 
lich. Wie die Waſſerſucht ſich fein langſamb vnd 
allgemach ins Menſchen deib ſamblet / alſo waͤchſt 
die Begierd deß Gelds allgemach / dann das Geld 


wird 


Hirnſchleiffer. 213 


wird ſchwerlich gewunnen / aber bald verloren. 
Das deuteten die Alten weißlich an / als ſie den 
Plutonem einen Gott der Reichthumben mit lang⸗ 
ſamen vnd krummen Fuͤſſen / vnnd mit geſchwin⸗ 
den Flügeln mahlten: Dann die Reichthumb kom⸗ 
men fein langſamb / allgemach / vnd mit ſchwerer 
Muͤhe vnd Arbeit / vergehen aber geſchwinder / 
daß kein Vogel geſchwinder fliegen koͤnte. Laſſet 
vns derowegen nicht gar zu ſorgfaͤltig vnd begierig 
ſeyn auffs Geld / dann die Reichen ſeynd nicht 
content vnd zu frieden mit dem was ſie haben / ſon⸗ 
der die jenigen welche ſich begnuͤgen laͤſſen / ſeynd 
die allerreicheſten. 

Als Democritus gefragt ward / durch was Mit⸗ 


du arm an Begierden biſt: Dann wer das hat / der 
iſt zu frieden / vnnd wer zu frieden iſt / der iſt reich. 
Ferner iſt nur der jenig reich / welcher reich in 
Gott iſt: welcher viel reicher in der Barmhertzig⸗ 
feit / dan in Reichthumben iſt: welcher ſeine Reich⸗ 
thumb vnnd Guͤter mit den Armen theilet: wel— 
cher gedencket / daß ihm die Reichthumb nur dar⸗ 
umb verliehen ſeynd worden / daß er die Armen in 
Chriſto ſpeiſe vnnd Heide : welcher ſeine Reich⸗ 
thum / Guͤter vnd Schaͤtz voran gen Himmel ſchi⸗ 
cket / vnd mit den Witlwen vnd Weiſen ein mitlei⸗ 
den hat / wer ſich dieſer Geſtalt befleiſſet reich zu 

cken / der wird ſampt den Irꝛ⸗ 


e 


1 


werden in guten Wercke 
diſchen auch die Geiſtliche vnnd ewige Reichthumb 


erlangen. 

Beſchließlichen / wer begehrt reich zu werden / 
der muß ſich nicht befleiſſen feine Reichthumb zu⸗ 
ver⸗ 


114 Hirnſchleiffer. 


vermehren / ſondern ſeinen Geitz vnnd Begierd 
mehr zu haben / zu ringern. Dann wer ſeiner 
Begierligkeit kein Ziel noch Maß ſetzet / der iſt 
allzeit arm vnd hat einen laͤren vnnd zerlöcherten 
Beutel. 


Ander Diſcurs. 


Durch die obſtehende Figur deß vmbgekerten 
laͤren Beutels wird auch der Betrug der Alchimi⸗ 
ſterey oder deß Goldmachens bedeut / dann die Al- 
chimiſten verheiſſen viel / erzeigen aber wenig im 
Werck / vnd machen volle Beutel lär. Einsmals 
kam zum Bapſt Leo dem Zehenden ein Alchimiſt / 
vnd verehrte ihm ein Buch / welches er geſchrieben 
hatte / wie man ſchier auß einer jeden Matery Gold 
machen koͤndte: An ſtatt aber einer Recompens vnd 
Ergetzligkeit ließ ihm der Bapſt nur ein laͤren Beu⸗ 
tel ſchencken / vnd darneben ſagen / weil fein Pro⸗ 
feſſton ſey Gold machen / fo fen es gnug / daß er ihm 
etwas gebe / dar ein er ſein Gold / welches er mache / 
legen konne. Von der Al chimiſten Betrug vnd Er⸗ 
getzligkeit haben vnderſchiedliche Authores viel ge⸗ 
ſchrieben / vnd die taͤgliche Erfahrung gibt Zeug⸗ 
nuß darvon: Vnder andern aber redetC afliodorus 
ardlich von dem Gold ſuchen / vnd ſpricht: Aurum 
per bella quæreie nefas eſt : per maria pericu- 
lum, per falſitates opprob um : in ſua verò 
natura juſtitia, Das iſt: Gold durch Krieg ſu⸗ 
chen iſt vnrecht: es im Meer ſuchen iſt geſahrlich / 
es durch falſchen Liſt zuwegen bringe n iſt ſpottlich / 


es 


Hirnſchleiffer. 215 


es aber infeiner eignen Natur zuwegen bringen / iſt 
ein Gerechtigkeit. N 


Dritte Außlegung. 


Beſchließlichen / wie in dieſer Figuß der Beutel 
lar vnd vmbgekehrt iſt / alſo tragen etliche Kauff⸗ 
leut groffe aber laͤre Taſchen vnd Beutel: Dann ob 
fie ſchon ein zeitlang mit ihrem Geld vnd Gut pran⸗ 
gen / einen groſſen Herꝛn⸗Standt fuͤhren / fo hats 
doch in die laͤnge keinen Beſtandt / ſondern es wird 

lare fare, dann ſie falliren letzlich / vnnd 
verderben viel andere gute 
Leut ſampt th⸗ 
nen. 


0 (0) d 


Hirnſchleiffer. 

Ein Mann ſchlaͤfft in einem Schiff / 
welches ohn ein Maſt⸗ 

baum iſt. 


— I 


De H. Gregotius betrachtet den gefehtwinden 

Lauff vnd die Schwachheiten deß menſchlichen 
gebens / vnd ſagt: es ſey gleich einem / der auffdem 
Meer in einem Schiff faͤhrt. Dan ob ſchon ein ſol⸗ 
cher ſtehet / oder ſitzet / oder ligt / oder fchläffet / fo 
faͤhrt er doch fort / vnnd gelanget letztlichen zum 
Port: Alſo / ob mir ſchon wachen / oder ſchlaffen / 
oder ligen / oder wandern / ſo gelangen wir doch 
wider oder mit vnſerm Willen zum End deß Lebens / 
ſolches deutet der weiſe Mann in feinem 2. Cap. an: 


Die 


Hirnſchleiffer. 217 


Die Zeit vnſers Sehens iſt kurtz vnd mit Ver⸗ 
druß. Hugo de S. Victoreredet von dem gefährli- 
chen Standt der Welt / vergleichet jhn dem Meer 
vnd ſagt / der Verſtandt hab die Seel gefragt / was 
fie fehezdie S rel antwortet: ich ſehe ein groffes ſtil⸗ 
les vnd ruhiges Meer vnd etliche Schiff / welche mit 
gutem Wind ſeglen / ſich mit dem Klang der Trom- 
meten / Trommel / Schalmeyen / Lauten vnd andern 
muſicaliſchen Inſtrumenten erluͤſtigen vnd ein gu⸗ 
ten Muth haben: Vber ein kleine Weil hernach frag⸗ 
te der Verſtandt die Seel / was fie an jetzo fehe?die 
Seel antwortettich ſihe / daß der Himmel ſchwartz 
wird / daß die Winde die Wellen deß Meers hin vnd 
wider treiben / vnd biß an die Wolcken erheben / aber 
bald weder hinab biß in den Abgrund fallen laſſen: 
da ſprach der Verſtandt ferner: O jhr armſelige 
Seelen / was habt jhr mit dem Meer zuſchaffen ? 
warumb glaubt jhr ſo leich tlich den betrieglichẽ Si⸗ 
res. en? Wie koͤnnet jhr in ſolcher Vnſicherheit vnd 
Gefahr ſo ruhiglich ſchlaffen? Warumb reiſet jhr 
nicht ſicherlich auffın Land? O jhr armſelige / wie 
iſt ewer Frewd ſo geſchwind verkehrt worden in ein 
Leyd: Die Fiſch / welche bey den Schiffen ſpielten 
vnd euch ein Kurtzweil machten / werden euch nach 
erlittenem Schiffbruch aufffangen vnd verſchlingẽ: 
Recht vnd wol ſagt derowegen der H. Job / Cap 21. 
Varumb leben die Gottloſen / werden 
gro / vnnd nehmen zu mit Guͤtern? jhr 
Samen bleibt vmb ſie her / vnd jhr Nach⸗ 
koͤmling vnd Nefen ſeynd bey jhnen. Ihre 


K Haͤu⸗ 


218 Hirnſchleiffer. 


Häuſer haben Frieden / vnd ſeynd ſicher / 
vnd Gottes Ruthe iſt nicht vber jhnen. 
Ihren Ochſen laſt man zu / vnd miß redet 
jhm nicht: Ihre Ruh kelhet vnd iſt nicht 
vnfruchtbar Sie nehmen Trummen vnd 
Harpffen ꝛc. In einem Augenblick fah⸗ 
ren ſie zum Grab hjnunder Sencea redet hier⸗ 
auff vnd ſpricht: Trawet dem ſtillen Wetter nicht / 
dan an eben den Tag / an welchem die Schiff ſpiel⸗ 
ten vnd ſich erluſtigten / ſeynd die zerſchmettert / zer⸗ 
brochen vnd von den Meerwellen verſchlungen wor⸗ 
den / vnd dannoch halten wir vns fuͤr ſo gar ſicher / 
daß wir im Schiff / vnnd mitten in ſolchem Vnge⸗ 
witter ruhiglich ſchlaffen / als gienge es vns nicht 
an / vnd waͤre durchauß kein Gefahr vorhanden. 


Ander Diſcurs. 


Zweyerley Schlaf find ich / nemblich einen natuͤr⸗ 
lichen vnd vnnatuͤrlichen Der natürliche Schlaf iſt 
eins vnder den allerſuͤſſeſten vnd troͤſtlichſten Din⸗ 
gen deß menſchlichẽ Geſchlechts / vnd den Menſchen 
zur Ruhe gegeben vnd verliehen worden wofern er 
maͤſſiglich gebraucht wird: Aber der vnnckuͤrliche 
Schlaf iſt ſehr ſchaͤdlich / vnd beſtehet erſtlih in der 
Erluͤſtigung in Todtſuͤnden / vor denſelben bate der 
H. David Gott den Ern / als er fagte: Erlruch⸗ 
te meine Augen / daß ich niem ali errſchlaf⸗ 
fe im Todt Zum andern beſteht der vnncüͤrliche 
Schlaf in der glücklichen Genieſſung der zu lichen 

Guͤter 


219 
Güter vnnd Wolluſt / von dem geſchrieben ſteht: 
Sie haben ihren Schlaf geſchlaffen / vnnd 
jſt nichts gefunden in ihren Händen Drit- 
tens im Vufleiß / Faulheit vnnd Muͤſſiggang von 
denſelben ſagt der weiſe Man: Vie lag ſchlaͤffſtu 
Fauler. Von wegen dieſes vnnacuͤrlichen Schlaffs 
periclitiret das Schiff der Religion / vnd ſtehet biß⸗ 
weilen in groſſer Gefahr / ſibenerley Vrſachen hal⸗ 
ben / dan erſtlich wie ein materialiſches Schiff ver⸗ 
dirbt vnd vndergehet / wan es nicht fleiſſig verſorgt 
vnd verpoͤcht iſt / vnd Spalten / Klumſen oder $ö- 
cher hat / alſo verdirbt der innerliche Menſch / vnd 
gehet zu grund / wan die Locher oder Klumſen der 
aͤuſſerlichen Sinnen uͤbel verwahrt werden. Dero⸗ 
wegen ſagt der H. Geiſt: Der Todt iſt durchs 
Fenſter geſtiegen. Zum andern gehet ein Schiff 
zugrund / wan es viel zu leicht geladẽ iſt / dan alsdan 
wehets ein ſchlechter Wind vmb: Alſo vnnd ebner 
Geſtalt wird das Schiff der Religion leichtlich vm⸗ 
gewehet vnd verſenckt / wan der Geiſtlichen Sitten 
liederlich ſeynd. Drittens ſtehet das Schiff in Ge⸗ 
fahr / wan es uͤberladen wird: Alſo geths uͤbel zu / 
wan die Geiſtlichen vñ Religioſen ſich mit der Buͤrd 
der Weltlichen Geſchaͤfft vnd Sorgen zu viel bela⸗ 
den. Gregonus redet von ſolchen Geiſtlichen vnnd 
ſagt: Etliche legen das Geiſtliche Kleid an / thun 
Profeß vnd werden Prieſter / aber das Ampt der 
Religti verkehren ſie in ein Irꝛdiſ che Handthierung 
vnd Kauffmannfchaffe : fie vertiefen ſich in irꝛdi⸗ 
ſchen Begierligfeitẽ / vnd befleiſſen ſich die Mauren 


K zuer⸗ 


220 Hirnſchleiffer. 


zuerbawen / aber die Sitten laſſen ſie zerfallen. 
Vierdtens periclitiret das Schiff / wan es an einen 
Felſen anſtoſſet: Durch den Felſen wird bedeut die 
Ergernuß / welche bißhero viel Menſchen auffm 
Weeg deß Heils verhindert / vnd abwendig gemacht 
hat. Von dieſem Felſen ſagt Eſatas: Ich lege einen 
Stein de Anſtoſſens vnd ein Felß der Er⸗ 

gernuß den zweyen Haͤuſern Iſraels. Aber 
wehe den Menſchen / durch welchen Erger⸗ 
nuß geſchicht. 

Zum fuͤnfften ſtehet das Schiff in hoͤchſter Ge⸗ 
fahr / wann die Schiffleut nicht fleiſſig rudern. / vnd 
die vngeſtuͤmme Wellen vberwinden / das Schiff der 
Religion gehet alsdan zu grund / wan die Geiſtli⸗ 
chen vnd Religioſen nichts fruchtbarliches arbeite / 
ſondern vermeynen ſie koͤnnen durch dẽ Muͤſſiggang 
vnd durchs Wolleben ſelig werden: Zum ſechſten / 
wie das Schiff Gefahr außſtehet / wan es nit vom 
guten Wind fortgetrieben wird: Alſo ſtehet das 
Schiff der Religion in Gefahr / wan es nit vnauff⸗ 
hörlich von dem guten Wind deß H Geiſtes fortge⸗ 
trieben wird. Beſchließ lichen / wie als dan die Ge⸗ 
fahr eines Schiffs noch gröffer iſt / wan der Pilot 
oder Meiſter deß Schiffs ſchlaffet: Alſo muß die 
Religion oder ein Convent nothwendig verderben / 
wan der Pra lat ligt vnd ſchlaͤffet / vnd hinlaͤſſigiſt / 
dan als dan ſaͤet der Teuffel feinen Samen der 
Irꝛthumben in die Kirchen: Dan wan der Abt die 
Würffel aufflegt / fo fpielen die Muͤnch / iſt der 
Prælat liederlich / fo fragen die Münch nichts nach 


ihm / 


Hirnſchleiffer. 221 


jhm / vnd werden gleichfals liderlich. Als der Apoſtel 
Petrus in Chriſti höchſter Noth vñ Gefahr ſchlieff / 
ſprach der Her: zum jhm: Simon dormis ? als wol⸗ 
te er ſagen: vnwuͤrdig iſt der Præ lat ſeines Titels / 
welcher zur Zeit der Betruͤbnuß vn vieler Ergernuſ⸗ 
fen ſchlaͤffet: Du weiſt / daß die Feind vorhanden 
ſeynd / vnd daß der Sathan euch begehret wie das 
Korn durch ein Sib zu reitern / vnd der Wolff iſt 
außgelaſſen / vnd laufft in den Feldern vmb / vñ daß 
der Judas mir dem Hirten vnd meiner Heerd den 
Todt trohet / vnd das die gantze Heerd ſoll zerſtrewet 
werdẽ / vnd nicht deſtoweniger ſchlaͤfſtu / vnd mach⸗ 
eſt dich ſelbſt vnwuͤrdig den Namen Petri oder eines 
Praæ laten zu fuͤhren. Zu dergleichen Prælaten vnd 
Vorſtehern ſagt der weiſe Mann im 2s Capittel: 
Du wirſt ſeyn wie einer der mitten im 
Schiff ſchlaͤffet. Artlich wird ein Prelat einem 
Schiffmann oder Piloten vergliechen: Dann erſt⸗ 
lich wie der Pilot das Ruder deß Schiffs regieren 
vnd führen muß / alſo muß der Prælat das Volck 
zum Gehorſamb bringen durch das Wort vnd gute 
$ehr. Zum andern / wie der Pilot zur Zeit deß Vn⸗ 
witters vnd Sturmwindts ſein Kunſt ſehen laͤſt / 
alſo erſcheinet eines Prælaten Fuͤrſichtigkeit zur 
Zeit der Truͤbſeligkeiten. Dan der Ecclefiaft. ſagt 
c. 34 Was weiß der welcher niemaln verſucht 
iſt worden ? Drittens wird eines Piloten 
Kunſt probirt / wan er in der finſtern Nacht die 
vnderſchiedliche Wirckungen der Sternen erkennen 
tan / zumaln gegẽ Auffgang vñ Nidergang fuͤrnem⸗ 


blich den Morgenſtern oder Meerſtern! Alſo 
K 3 erfor⸗ 


222 Hirnſchleiffer. 


erfordert die Weißheit vnnd Fuͤrſichtigkeit / 
daß ein Pra lat zur Zeit der Widerwertigkeit die 
Heiligen vnd ihre Tugenden vnd Krafft betrachte / 
fuͤrnemblich aber die allerheiligſte Jungfraw Ma⸗ 
riam / welche der alleredleſte Stern am Firma⸗ 
mend der Kirchen iſt / vnnd ein Meerſtern genennt 
wird. Vierdtens / wan im Vngewitter andere ſich 
forchten / alsdann ſoll der Pilot oder Schiff Her 
behertzt ſeyn / vnd fie troͤſten / wie auch das Ancker 
auß werffen / vnnd alſo das Schiff befeſtigen: Alſo 
ſoll der Præ lat / wan andere zittern vnd ſich foͤrch⸗ 
ten / mauhafft vnd vnverzagt / gleichſam wie ein 
vnforchtſamer vnd vnerſchrockner koͤw ſeyn: dann 
dem Prælaten gebuͤhrt das Ancker der Hoffnung 
wider die Wellen der Verſuchungen außzuwerffen. 
Zum fuͤnfften / wirfft der Schiff⸗Herꝛ zur Zeit der 
Gefahr die koͤſtlichſte Wahren hinauß ins Meer / 
nur damit die Menſchen erhalten werden / ſo gar 
verſchoͤnet nit deſſen / der ein Vrſach deß Vngewit⸗ 
ters iſt / Inmaſſen dem Propheten Jona wider⸗ 
fahren iſt: Alſo ſoll auch der Prælat nicht vnder⸗ 
laſſen die zeitlichen Guͤler zuverlteren / damit nur 
die Seelen erhalten werden: Er ſoll ſampt jenem 
Philotopho ſprechen: Ihr ſchaͤndliche Reichthumb / 
ich wil euch verſencken / damit ich nicht von euch 
verſenckt werde. Aber leider ſolches alles bleibet da⸗ 
hinden vnd geſchicht nicht: Dan wan der Preælat 
im Schiff der Religion ſchlaffet / faullenzet / pan⸗ 
cketiret / oder einen guten Polıticum vnd Hoffmann 
gibt / vnd das Geiſtliche verſchlaͤffet / alsdan gehet 
alles über vnd über. 

An⸗ 


Hirnſchleiffer. 
Ander Diſcurs. 


Ein erſchroͤcklicher vnd armſeliger Handel iſt es / 
wan der Menſch ein böß Gewiſſen hat: Dann der 
Gottloſe fliehet / da ihn doch niemãd verfolget: Wer 
ihm ſelbſt ſoͤrchtet / der iſt nirgends ſicher: Ein boͤſes 
Gewiſſen iſt ein ſchwere daſt / vnd bringet manchen 
in Verzweiflung: Aber viel ar mſeliger iſt der jenig 
der gar kein Gewiſſen hat / vnnd ob er ſchon alles 
BVbels thut / es doch im Gewiſſen nicht empfindet / 
vnd dem feine begangene after vnd Vnthaten im 
wenigſten nichts zuſchaffen geben / ſondern ohn alle 
Sorg noch hinderdencken / iſſet / trincket vnd ſchlaͤf⸗ 
fet / dan weil er die Goͤttliche Gnad verlohren hat / 
ſo kan er das Ruder deß Schiffs ſeiner Seelen nicht 
führen wohin er will / ſonder muß es gleichwol hin 
vnd wider ſchwimmen laſſen / biß es letzlichen vn⸗ 
dergehet / oder ſich an dem Steinfelſen der Hollen 
zerſtoſſet: Ein ſolcher Menſch ſchlaͤffet nicht allein / 
ſonder iſt allbereit Geiſtlicher weiß todt: Dan wie 
der eib das deben von der Seelen hat / alſo iſt die 
Gnad Gottes ein Leben der Seelen. Wan derowe⸗ 
gen die Seel die Gnad Gottes verlohren hat / ſo iſt 
fie todt / vnd kan wol zu einem ſolchen Menſchen ge⸗ 
fagt werden: Du biſt verglichen denen / die in 
die Hoͤll hinabfahren. Zuverwundern iſt es / wan 
etliche ſinnloſe deut biß über die Ohren in Schul⸗ 
den ſtecken / vnd dannoch froͤlich bnd guter Ding 
ſeynd / als waͤren fie keinen Heller ſchuldig / aber 
noch em viel gröffers Wunder iſts / daß wan etli⸗ 
che Menſchen mit vnendlichen Sünden vnd Laſtern 

K 4 behafft 


224 Hirnſchleiffer. 


behafft ſeynd / vnd ſich doch im wenigſten nicht be 
kuͤmmern / ſonder ſeynd dermaſſen froͤlich vnd gu: 
ter Ding / als waͤre das jenig / was man von det 
Hoͤll predigt / nur ein lauter Fabelwerck. Aber die 
Suͤnd iſt ein tieffer Schlaff / der auß Trunckenheit 
enſtehet / dan wie eines vollen Menſchen Sinn der⸗ 
maſſen gebunden werden / daß er nichts empfinden 
kan / alſo wird der Verſtandt deß Suͤnders durch 
das vielfaͤltige fündigen dermaſſen gebunden / daß 
fie die bevorſtehende Gefahr nit ſehen koͤnnen Wan 
wir ſehen / daß einer auff der Erden ligt / vnd mit 
vielen vergifften Schlangen vmbgeben iſt / vnd ſich 
vor ihnen nicht forchtet noch ſich woͤhret / halten 
wir ihne fuͤr einen ſchlaffenden / alſo / wann wir ſe⸗ 
hen / daß der Menſch mit Schlangen der Laſtern 
vmbgeben iſt / vnd ſich nicht begehrt zubekehren / fo 
wird er billig fuͤr einen ſchlaffenden gehalten / deß⸗ 
wegen ſagt Joel am 1. Capit zu ſolchen Schlaͤffern: 
O ihr Truncknen / waͤchet auff / vnd weinet 
vnd heulet ihr alle / die mit Luſt Wein ſauf⸗ 
fer / dann er iſt euch vorm Maul verdorben. 
Dan die Wolluͤſt ſeynd ſehr kurtz / vnd werden ein 
End nemmen in ewrem Todt. 


Dritte Außlegung. 


Wann die Kauffmansfch.ff in die Porten der 
frembden Lander fahren / vnnd mit ihnen handlen 
woͤllen / alsdan pflegt man ihnen ihre Segel zunem⸗ 
men damit ſie ihres gefallens nicht widerumb hin- 
weg fahren ſollen: Alſo daß jenige Schiff / welche 
zuvor mit vollem Wind vnd Segeln auffm en 
Meer 


Hirnſchleiffer. 


Meer flogen vnd bravierten / hernacher wie ein 
Block am Vfer ligen / vnd ſich weder zur einen noch 
zur andern Seiten bewegen koͤnnen: Eben dieſes 
begegnet auch den vnkeuſchen / wann nemlich das 
Schiff deß Willens eines Bulers zum Port ſeiner 
Allerliebſten kompt / damit nemblich er die ewige 
Guͤter gegen einem kleinen Wolluſt verhandlen 
vnd vertauſchen moͤge / dann alsdann benimbt fie 
ihm ſeinen Verſtandt vnd die Segel der Vernunfft. 
An ſtatt daß er zuvor flohe / kan er ſich alsdann nit 
mehr bewegen: wer zuvor in der Tieffe deß Meers 
der Goͤttlichen Geheimnuſſen mit dem Wind ſei⸗ 
ner Gnaden ſchiffete / der ligt alsdan wie ein Stock 
vnd Block / an der Seiten feiner Concubin / er kan 
vnd darff ſich nicht ruͤhren / ſonder muß ihrer Gna⸗ 
den leben / dann ſie regiert ihn nach allem ihrem 
Willen vnd Gefallen. Alles was die Concubin will 
vnd ſchaffet / das thut er / dann er hat die Segel 
ſeines Verſtandts / den Maſtbaum ſeines ehrlichen 
Wandels / vnd das Ruder ſeiner Weißheit verloh⸗ 
ren: Sie iſt Herꝛ vnd Fraw / er aber iſt Knecht vnd 
Narꝛ: Begehrt ſie / das er ſich / wie der beruͤmbte 
Hercules neben ihre Dienſtmaͤgd niderſetze / ſpinne 
vnd naͤhe / ſo thut ers: Begehret ſie / daß er wie ein 
ſtarcker Samſon in ihrem Schoß entſchlaffe / vnd 
ſich wie ein Aff ſcheren laſſe / ſo thut ers: Begehrt fie 
ein Opffer auß ihm zumachen / ohn einiges replici⸗ 
ren noch appelliren folget vnd gehet er wie ein Ochs 
mit ihr zur Schlachtbanck es hilfft kein weigern 
noch flehen / dann fie hat die Segel deß Schiffs in 
ihren Haͤnden. 


K 5 Der⸗ 


226 Hirnſchleiffer. 


Dermaſſen lieb hatte ein Koͤnig in Syria ſeine 
Fraw Sen iramis / daß / als fie von ihm begehrte / 
er wolte ſie nur etlich wenig Tag regiren laſſen / 
ſetzte er ſie alsbald auff den Koͤniglichen Thron / vnd 
vbergab ihr den Scepter vnd die Cron: Bald aber 
darauff befahl ſie / man ſolte ihn toͤdten / alſo / daß 
er nit doͤrffte leben / weil ſie ihms nicht bewilligte: 
das Leben war ihm auch nicht lieb / weil er ſahe / 
daß er ihr nicht lieb war. Was fan aber närzifcher 
ſeyn / als daß einer von wegen einer ſo gar kurtzen 
Wolluſt / ſein Hertz hingibt ſeinem Feind? was 
kan ſpoͤttlicher fein / als daß einer von wegen einer 
fo gar kurtzen Wolluſt / fein Hertz hengibt feinem 
Feind? Was kan ſpoͤttlicher ſeyn / als daß einer ſei⸗ 
nen mannlichen Verſtand / Prieſterliche Ehr / 
Wuͤrde vnd Hochheit verlieret / vnd die Segel der 
Vernunfft / einer ſchandloſen Fettel uͤberantwor⸗ 
tet / ihr fein Hertz gibt / vnnd biß zur Hoͤlliſchen 
Fleiſchbanck nachfolget. 

Vierdter Difcurs. 

Alle die jenigen / welche ein boͤſes Gewiſſen ha⸗ 
ben / forchten fich allzeit / vnnd haben nirgends kein 
Sicherheit / ihr Freud iſt beſchaffen wie eines Men⸗ 
ſchen Freud der einen heimlich vmbracht hat / dann 
ob ſchon kein Zeug vorhanden / vnd memand der es 
geſehen / fo foͤrchtet er ſich doch vor feinem eignen 
Gewiſſen / daſſelbe klaget ihn viel mehr an / weder 
tauſendt Zeugen: So bald er einen Gerichts-Die⸗ 
ner ſihet / foͤrchtet er ſich / verkehrt fein Farb vnnd 
zittert mit allen feinen Gliedern / letzlichen flsehet 
er / vnangeſehen er von memand verfolget wird. 

. Her⸗ 


Hirnſchleiffer. 2270 


Hergegen ſeynd die Frommen ſehr froͤlich bey den 
Mahlzeiten / vnnd nichts betruͤbt ſie: Ein reines 
Gewiſſen iſt ſicher / beſitzet den Frieden / Frewd vnd 
Ruhe / nichts kan ihr Frewd zerſtoͤren / deßwegen 
giengen die Apoſtel mit Frewden in die Gefaͤngnuß 
vnd vor Gericht / weder der Tyrannen Grauſam⸗ 
feit / noch der Hencker Wuͤdigkeit / noch die gegen⸗ 
wertige Marter erſchreckt fie. 

Der Heilige Petrus lag in einer Nacht zwiſchen 
zweyen Soldaten / war mit Ketten angeſchmiedet / 
die Thür ward von den Waͤchtern verwacht / vnd 
nicht deſto weniger ſchlieff er ſtarck vnnd ohn alle 
Sorgen / weder das vnverſehene Geruͤmpel deß 
Engels / der zuiinm in die Gefängnuß kam / noch 
deß Engels glantzendes Angeſicht wecket ihn auff / 
derentwegen muſte ihn der Engel in die Seiten 
ſtoſſen vnd auffmuntern / vnd auß der Gefaͤngnuß 
gehen / vnd ihm nachfolgen. Petrus war nunmehr 
zum Todt vervrtheilt / der Sententz war gefällt / 
deß andern Tags ſolt er hingericht werden vnnd 
nichts deſto weniger ſchlieff er ohn alle Sorgen / 
dan der Gerechte vertrawt allzeit Gott⸗ vnnd in 
demſelben wird ihm verheiſſen alle Sicherheit / 
Schutz vnd Schirm. 

Der H David ſpricht in ſeinem 67. Pſalm: 
Wo ihr nun ſchlaffen werdet! zwiſchen 
zweyen Loſen / ſo werden die Fluͤgel der 
Tauben verſilbert vnnd ihr Ruͤck uͤberguͤlt 

ſcheinen. Als wolt er ſagen / ob ihr ſchon in ein ſo 
groſſe Gefahr geriethet / daß das doß deß Todts uͤber 
K 6 euch 


223 Hirnſchleiffer. 


euch geworffen wäre worden / ſo foͤrchtet euch doch 
nicht / dan mitten in ewren Muͤhſeligkeiten werden 
euch geſchwinde Taubenfedern wachſen / mit denen 
hr auß der Gefahr entfliehen koͤnnet: Vnange⸗ 
ehen nun der Gerechte ſich in groͤſter Todts⸗-Gefahr 
befindet / ſo ſchlaͤffet er dannoch ruhiglich / vnd 
ob er ſchon in einem Schiffohne Ruder noch Se: 
gel auff dem Meer vmbfaͤhrt / fo geſchicht ihm 
doch kein Leyd / dan ſein Hoffnung vnd Ver⸗ 
trawen ſetzt er auff Gott / vnd hat ein gutes Ge⸗ 
wiſſenn 

dieber / was kan fuͤr ein groͤſſere Sicherheit ſeyn / 
weder welche den Gerechten durch den Propheten 
Cſaiam am 33. Capit. verheiſſen wird / da er ſpricht: 
Den in der Gerechtigkeiten wandelt vnd 
die Warheit redet: Der ſich der Finan— 
ken vnd deß Vnrechts im geitz entſchlaͤgt: 
Der ſeine Haͤndt von allem Geſchaͤnck ent 
ſchuͤttet; der wird in der Hoͤhe wohnen / 
vnd die Veſte der Felſen werden feine Hoͤ— 
he vnd Schutz ſeyn. 

Dieſes iſt nun die ſichere Zuflucht vnd der Troſt / 
welchen die Gerechten in jhren Widerwertigkeiten 
vnd Gefaͤhrligkeiten haben ſollen / dan wan der 
Gerechte in Gerechtigkeit wandert / die Warheit 
redet / ꝛc. ſo iſt er ſicher auff dem Land vnd auff dem 


deer. 
Fuͤnffter Diſc urs. 
Die obſtehende Figur kan auch verſtanden wer⸗ 
den von der vnbußfertigen verſtorbenen Seel ver⸗ 
moͤg 


Hirnſchleiffer. 229 


mög der Poetiſchen Fabel) die ins Charontis Schiff 
geſetzt / vnd ober das vngeſtuͤmme Meer des Todts 
in das armſelige Reich deß hoͤlliſchen Gottes Plu- 
tonis geführt wird: Dan Charon wartet auff fie / 
vnd ſo bald ſie auß dem Leib geſcheiden ſeyndt / ſo 
nimbt er ſie geſchwind an / ohn einiges anſehen der 
Perſonen / er verſchonet auch dißfals feiner einis 
gen / die fen gleich eines Keyſers oder Bawrens. O 
armſelige Fahrt: 

Non homuſculi 

Salillum anima: qui cum extemplo amiſim us 
quo mendic us, atq; ille opulentiſſimus 

Cenſetur cenſis ad Acherontem mortuuis; 

* zu illuc tec um divitias feras, 


Wi mcuus ſis, ita ſis ut nomen eluet. 


O elendes Weſen / weder Gold / noch Kleider / noch 
Edelgeſtein / noch was ons in dieſem debẽ erfrewet / 
ſondern allein die gute oder boͤſe Werck / die ein jeg⸗ 
licher begangen / folgen den Sterbende nach / damit 
ſie vom Richter Chriſto entweder das Heyl oder die 
Verdamnuß erlange:welches der Koͤniglicheppro⸗ 
phet David im 48. Pſalm andeutet / da er ſpricht: 
Foͤrchte dich nit ob einer reich wird / wann 
die Herꝛligkeit ſeines Hauſes groß wird / 
dann er wird keins in ſeinem ſterben mit 
nemmen / vnd feine Herꝛligkeit wird jhm 
nicht nachfahren Nicht die Reichthumb vnd Guͤ⸗ 
ter / ſonder die Tugenden ſeynd die wahre Reich⸗ 
thumb / wofern nun das Gewiſſen deß Sterbenden 
XK 7 die⸗ 


230 Hirnſchleiffer. 
dieſelbigen mit ich fuͤhret / fo wird er reich ſeyn 


ewiglich. 

Sechſter Difcurs. 
Als Gott den erſten Menſchen erſchaffen / vnd 
ins Schiff der Vnſchuͤld geſetzt hatte / hat der Meſch 
daſſelbe Schiff muthwilliglich zerbrochen / darauff 
ordnete ihm Gott ein anders Schiff / nemblich die 
Buß / damit alle die jenigen / die ſich darein bege⸗ 
ben / zum Port der ewigen Seligkeit gelangen 
moͤchten: wer ſich aber in dieſem Sch ff nicht bes 
findet / den ertrencken die höͤlliſche Waſſerwellen. 
Wie nun der Meuſch / weſcher in einem Schiff 
fährt / immerdar / ſchlaffendt vnd ruhendt / fort⸗ 
kompt / alſo fährt ein wahrer Bußfertiger ſchlaf⸗ 
fendt vnd ohn alle Muͤhe / gen Himmel Dan der 
Gerechten Schlaf iſt nicht ohn Verdienſt / vnd kei⸗ 
ner andern Vrſachen halben eſſen / ſchlaffen vnnd 
ruhen ſie / als damu fie hernacher deſto ſtaͤrcker zum 
Lob vnd Dienſt Gottes widerumb auffſtehen / vnd 
etwas guts wircken moͤgen / vermög der Wort: Si- 
ve manducatis, (ve hibitis, omnia in gloriam Dei 
facite. Ader leider / im Schiff der Vnbußfertigkeit 
faͤhrt der jenig zur Hollen / welcher in ſeinem Leben 
nichts anders thut / als im Muͤſſiggang vmbzie⸗ 
hen / wolluſtiglich leben / vnd ſein Zeit mit freſſen / 
fauffen / pielen / jagen / dantzen / ſpringen / vnd an⸗ 

dern boͤſen Laſtern zubringt 
Wie es nun ſehr lieblich anzuſehen iſt / wan ein 
Kauffmans Schiff mit koͤſtlichen Waaren beladen 
auß dem Meer / vnd mit außgeſpanten vollen Se⸗ 
geln onnd gefunden Perſonen geziert hinein in den 
Port faͤhrt / alſo iſt es ſehr lieblich anzuſehen / vñ 55 
groſſe 


11 


Hirnſchleiffer. 231 


groſſe Frewd / wan ein Seel mit dem ſchoͤnen Kleid 
der Tugenden der Reinigkeit vnnd Verdienſten ge⸗ 
ziert auß dem Meer dieſer Welt in denport der ewi⸗ 
gen Seligkeit fahrt / dann alsdann frolocken vnnd 
freien ſich alle Engel im Himmel: Aber eider / ein 
ſehr trawriges vnd tägliches Spectacul iſts / wann 
der Menſch in der Vnbußfertigkeit vnd Todifjinden 
von hinnen ſcheidet / vñ zum port der Hollen kompt / 
dann alsdann iſt das Ruder der Gottsforcht / der 
Standhafftigkeit / das Ancker der Hoffnung vnd die 
Segel der Tugen dẽ vnd Verdienſten verloren. Der» 
gleichen Menſchen / die ſeyen gleich Bapſt / Koͤnig 
oder Keyſer / fahren auß dieſem armſeligen Leben al⸗ 
lein / vnd ohn einige Goͤttliche Huͤlff noch Gnad: ob 
ſchon ihre Diener / Freunde vñ Verwandten den Leib 
helffen zur Erden beſtattẽ / vnd einen groſſen Pomp 
vnd Pracht darbey anſtellen / ſo muß doch die arme 
Seel allein vñ ohn einigen Gefehrtẽ davon fahren? 
Owas fuͤr ein Schroͤcken / Angſt vñ Noth wird ſeyn / 
wan die jenigen / welche allhie auff Erden mit groſ⸗ 

ſem Pomp vnd Pracht pflegten herein zugehen vnd 
auffzuziehen / ſich nach ihrem Todt alleinig vñ in ei⸗ 

ner erſchroͤcklichen Gegendt befinden werden? ihre 

Reichthumb vnd Güter die fie auff Erden erworbẽ / 

werden ihnen nichts helffen ſondern die Teuffel wer⸗ 
den wider ſie auffſtehen / vnd werdens zu ſich in den 

Abgrund reiffen. Leider dieſes alles hoͤren on wiſſen 
wir / vnd dannoch ſchlaffen wir gantz ſicherlich vnnd 

ohne alle Forcht / als gieng es vns nichts an / vñ waͤ⸗ 
re alles ein Fabel / vnd wuͤrde derſelb Tag memaln 
kommen: Dan es iſt gewiß / daß Himmel vnd Erden 
vergehẽ / aber GOttes Wort nicht vergehen ie 
ero⸗ 


Hirnſchleiffer. 
Derowegen ermahnt vns recht vnnd wol der H. 
Paulus zum Roͤmern cap. 13. Liebe Bruͤder / 
nunmehr iſt die Zeit / daß wir auß dem 
Schlaff auffſtehen. 


Ein Jungfraw ſchlaͤgt auff 
der Lauten. . 


Mhoerſchiedliche Jungfrawen werden geſun⸗ 
den / die erſten ſeynd Jungfrawen am deib vnd 
im Gemuͤth / welche dermaſſen behutſam in Ge⸗ 
berden ſeyn / daß ſie der Maͤnner Seelen nicht an 
ſich ziehen noch auch ihrer begehren / vnnd derglei⸗ 
chen 


Hirnſchleiffer. 233 


gleichen Jungfrawen werden billig vor andern ge⸗ 
ehrt: Die ander Art der Jungfrawen ſeyndt Jung⸗ 
frawen im Gemuͤth vnd nicht im deib / welche wider 
ihren Willen corrumpiert vnd genothzwaͤngt wer⸗ 
den / ob ſie ſchon vor den Menſchen fuͤr keine Jung⸗ 
frawen paſſieren / ſo ſeynd fie vor Gott nicht ver⸗ 
derbt / dann das Fleiſch kan nicht corrumpiert wer⸗ 
den / wofern das Gemuͤth nicht zuvor corrumpiert 
iſt. Die dritte Art der Jungfrawen / ſeynd Jung⸗ 
frawen / im Fleiſch / aber nicht im Gemuͤth / vnd 
das ſeynd die jenige / welche ſich nicht begehren zu⸗ 
verheuraten / vnnd ſolche Jungfrawen ſeynd nicht 
zuverachten / wofern fie der rechten Zeit mit Gedult 
erwarten / vnd ihr Jungfrawſchafft auſſer deß Ehe⸗ 
beths nit begehren zubeflecken. 

Es werden aber noch andere Jungfrawen ge⸗ 
funden dieſelbigen tragen ſehr ſchwer an dem Jung⸗ 
fraw⸗Kraͤntzlein / vnnd ſeynd wider ihren Willen 
Jungfrawen: Solche Jungfrawen ſeynd gleichwol 
vor den Menſchen Jungfrawen / aber nit vor Gott / 
dann die Reignigkeit deß Leibs hilfft wenig / wofern 
das Gemuͤth vnrein vnd befleckt iſt: Noch andere 
ſeynd vermeinte Jungfrawen / welche ſich darfuͤr 
außgeben / vnd etwas ohn alle Scham wagen: Der⸗ 
gleichen Jungfrawen läßt man vielmals paſſieren / 
vnangeſehen es man von ihnen weiß: vnd dieſe bey⸗ 
derley letzte Art der Jungfrawen / ſeynd die jenige 
naͤrꝛiſche Jungfrawen / welche kein Oel der Keuſch⸗ 
heit vnd Reinigkeit in ihren Geſchirꝛen haben / de⸗ 
rowegen / wann der Her kommen wird / werden 
ſie auß ſeinem Reich außgeſchloſſen werden: Sie 
ſeynd auch die jenigen von welchen der Her: ſagt 5 
da 


234 Hirnſchleiffer. 


daß ſie gleich ſeyen den ge weißten Gräbern / dann 
außwendig am Leib glantzten ſie vor den Leuten / in⸗ 
wendig aber ſtecken ſie voller Vnreinigkeit: Sie 
ſeynd auch die Sirenen / welche ein Jungfraͤwli⸗ 
ches Angeſicht erzeigen / aber mit ihrem lieblichen 
Geſang vnd Geſchwetz betriegen vnd ertraͤncken ſie 
die Maͤnner im Meer dieſer Welt. 

Durch enderfchiedliche Mittel aber gerathen die 
junge Maͤgdelein in allerley Weitlaͤuffigkeit / Vn⸗ 
gluͤck vnd Vnheil def Leibs vnnd der Seelen. Das 
erſte iſt die Schoͤnheit deß deibs: Dan felten wer⸗ 
den die jenigen fuͤr keuſch gehalten / welche ſchoͤn von 
Perſon ſeynd:einen jmmerwehrenden Krieg hat die 
Keuſchheit wider die Schönheit / erhaͤlt aber ſelten 
den Sieg. 

Die Schoͤnheit hat ein ſonderbare Krafft die 
Menſchen in der Leb zu ſich zuziehen: Dan erſtlich 
iſt die aͤuſſerliche Schönheit eines Menſchen gleich⸗ 
ſamb ein Zeichen oder Zeugnuß der innerlichen 
Schoͤnheit der Seelen / dan Gott hat dermaſſen 
alle Ding vollkommen erſchaffen vnd geordnet / daß 
er gemeinl ich die Schönheit vnnd Frombkeit oder 
Guͤtigkeit zuſammen gefuͤgt hat: wie gemeinlich 
ein gute Vereinigung zwiſchen den Leib vnnd der 
Se len iſt / alſo iſt die leibliche ſchoͤnheit gleichſamb 
ein Ebenbild der Schoͤnheit der Seelen / welche 
vom innerlichen etwas Guts verheiſſet. Deſes be⸗ 
gibt ſich gleichwol nicht allzeit / ſonder es faͤhlet 
vielmals / vnd geſchicht das Wider ſſpiel: dann ges 
meinlich ſeynd die allerſchoͤnſte / vnd in den natuͤr⸗ 
lichen Gaben vnd vollkombneſte Maͤnner / die aller⸗ 
liederlichſten vnd laſterhafftigſt en. Vnd vnd er den 
gemei⸗ 


Hirnſchleiffer. 235 
gemeinen Weibern find man mehr ſchoͤne dan heß⸗ 
liche / oder auffs wenigs befinden ſie ſich in groſſer 
Gefahr ihr Keuſchheit zubewahren / dan allzeit ver⸗ 
haͤlt ſich ein Streit zwiſchen der Keuſchheit vnnd 
Schoͤnheit / vnd ſolcher Streit iſt vmb ſo viel deſto 
groͤſſer vñ hefftiger / vmb wie viel groͤſſer die Schoͤn⸗ 
heit iſt. Dieſelb iſt auch bißweilen dermaſſen ſtarck 
vnd hefftig / daß etliche vnbeſonnene Lefler vnd Bu⸗ 
ler dahin gerathen / daß ſie von wegen der Schoͤn⸗ 
heit ihrer tiebhaberin ſterben: Andere werden gar 
naͤrꝛiſch vnd kommen von Smnen / ja ſo gar ſterben 
etliche auß lauter Lieb / die ſie zu einer ſchoͤnen Per⸗ 
ſon tragen: Zu dem iſt die leibliche Schoͤnheit ſehr 

gefahrl ich / dan gemeinlich geduͤncken ſich die ſchoͤne 

eut beſſer fein als andere / daher fallen fie in viel La⸗ 
ſter: Der Baum der Schoͤnheit traͤgt viel Fruͤchte / 
nemblich Hoffart / Vermeſſenheit / Muth willig⸗ 
keit / Frevel / Vnſchambarkeit / Neid / Vnkeuſch⸗ 
heit vnd Faulheit dann die ſchoͤne Weiber mögen 
nicht arbeiten / ſeynd viel zu zart / ſitzen gern auff 
weichen Polſtern / gehen ſpatzieren / vnd eſſen ge⸗ 
meinlich gern gute Bißlein / damit ſie ſchoͤn bleiben 
vnd dem Mann gefallen moͤgen. 


Folgetein andere Vrſach / warumb die 

Jungfrawen bald fallen / nemblich 

die Freyheit. 

Jeandere Vrſach deß Vnfals der Jungfrawen 

iſt die groſſe Freyheit: O was thut nit ein ſchoͤ⸗ 
nes reiches Weib / welche die Freyheit hat? Der 
H. Jobredet von der Fuͤrſehung Gottes vnd ſagt: 
O Herz 


236 Hirnſchleiffer 


O Erꝛ / es iſt ein groſſe Notturfft / daß du 
deine Augen auff mich werffeſt / vnnd mir 
beyſteheſt / ſeytemal mein Leben eben fo vn⸗ 
beſtendig iſt als der Wind. So dann das te- 
ben eines ſolchen heiligen Manns vnbeſtendig war / 
wie der Wind / wie wird dan das Leben der Liederli⸗ 
chen Jungen⸗Geſellen vnnd Weibern beſchaffen 
ſeyn / welche das Queckſilber vnder den Fuͤſſen ha⸗ 
ben / alle Gaſſen auff vnd ablauffen / allen Hoch⸗ 
zeiten / Taͤntzen Schawſpielen vnd Comebdien bey 
wohnen / ſich mit den Jungen⸗Geſellen fein ver⸗ 
traͤwlich vnd gemein machen / vnnd mit ihnen hin 
vnd wider ſpacieren gehen? Dieſes ſeynd die Wind 
denen die Eltern ihren Kindern benemmen ſollen / 
vnd ſollen ihnen das Ziel deß Gehorſambs vnd Vn⸗ 
derthaͤnigkeit anlegen / dan weil GOTT den Win⸗ 
den ein Ziel geſteckt vnd ihre Vngeſtuͤmmigkeit bes 
zwinget / damit ſie mit ihrem ſtarcken blaſen vnnd 
wehen / die gantze Welt nicht vmbkehren / ſo bedoͤrf⸗ 
fen die vngeſtuͤmme wuͤtige vnd liederliche Junge⸗ 
Geſellen vnd Weiber deß Gewichts viel mehr. Die 
erfahrne Schiffleuth pflegen zur Zeit deß Vngewit⸗ 
ters ihre Segel einzuziehen vnnd zuſamen zu legen. 
Die Zeit der Jugend iſt ein ſehr groſſes vnd gefaͤhr⸗ 
liches Vngewitter / wer derowegen begert daß fein 
Kind nicht ins Verderben gerathe / oder daß das 
Schiff ihrer Keuſchheit nicht vndergehe / ſondern 
ſicher fey / fo muß er ihnen die Freyheit benehmen / 
den Zuͤgel nicht zulang laſſen / vnd ihnen das auß⸗ 
rennen / gaſſenfahren vnd ſpaciren gehen verweh⸗ 
ren / dann auß dergleichen Freyheit entſpringt ein 

vn⸗ 


Hirnſchleiffer. 237 


vnverſchampte Dienſtbarkeit. Wie die Spinn die 
vnbehutſam vmbflꝛegende freye Mucken in ihr Ge⸗ 
wepp fahet / vnd außſauget / alſo pflegen die Jun⸗ 
ge⸗Geſellen die vmblauffende vnbeſunnene Maͤgd⸗ 
lein zufahen vnd zufaͤllen. Dan durch die uͤbermaſſi⸗ 
ge Freyheit vberkompt der Menſch Gelegenheit zu 
allem Boͤſen / vnnd ſuͤndiget der Menſch ohn alle 
Scham / wie Jerem. am 2. Cap. ſagt: Du haft 


ein Huren⸗ſtirn. 


Dritte Vrſach / nemblich die 
Mufie. 


Die dritte Vrſach deß Falls vnnd Verderbens 
der Jungfrawen / wie auch der Jungen⸗Geſellen / 
iſt / wann die Eltern ihnen ſampt der Freyheit auch 
die Mufic verſtatten / dann vnder hundert Lauten⸗ 
ſchlaͤgerm vnd Tantzerin findt man kein einige Hau⸗ 
ſerin / vnd Wehe dem Mann / der ein ſolche ertap⸗ 
pet / den Eltern gefaͤllts bißweiln wol / vnd haltens 
gleichſam für ein Ehr / wan ihre Toͤchterlein lieblich 
auff der lauten ſchlagen / drein fingen vnd zierlich 
tangen koͤnnen. Deßgleichen gefallts der Jungen⸗ 
Burſch auch wol / vnnd ſie loben vnd lieben ſolche 
Maͤgdelein / aber die Verſtaͤndige lobens nicht / 

ſondernlachens heimlich auß. 

Einsmals kam ein Roͤmiſche Edle-Fraw / Na⸗ 
mens Campana zu der Cornelia, welche ein Mutter 
der Gräcchorum war dieſelbe zeigte der Campanæ 
all ihren ſchoͤnen vnd koͤſtlichen Haußrath vnd Klei⸗ 
nodien / ond hielt ſie mit Worten ſo lang auff / biß 
ihre 


238 Hirnſchleiffer. 


ihre Soͤhn vnnd Toͤchter auß der Schul heim ka⸗ 
men / dieſelben zeigte ſte ihr / vnnd ſprach: Mein 
Campana, ich hab dir viel ſchoͤne Sachen gezeigt / 
aber da ſiheſt du meinen allerliebſten Schatz vnnd 
koſtlichſte Zierd: Hierdurch gab ſie ihr zuverſtehn / 
daß die Eltern keinen groͤſſern Schatz / Kleinod 
noch Zierd im Hauß haben koͤnnen / weder wann 
ſie wolgezogene fromme Kinder haben. Zu wuͤn⸗ 
ſchen waͤre es / daß viel dergleichen Corneliæ noch 
in der Welt gefunden wuͤrden / ſo wuͤrden nicht ſo⸗ 
viel Muͤſſig⸗gangerin / Gaſſen⸗faͤhrerin / Hain⸗ 
gaͤrterin / vnnd Lautenſchlaͤgerin vmblauffen / die 
Eltern würden auch nicht ſoviel ſeufftzen / vnd fich 

zubekuͤmmern haben. Die Seel / die S eel iſts / wel⸗ 
che die Eltern an ihren Kindern mit viel Tugenden 

zieren vnd abrichten ſolten / dan dieſelbe iſt bey wer» 

tem viel mehr werth / van die gantze Welt. Sie iſt 

erſchaffen nach Gottes Ebenbild / aber ſolche El⸗ 

tern verkehren vnd veraͤndern fie in deß Teuffels 

Ebenbild: Vnnd wie vnder allen Creaturen nichts 

fchöner vnd koͤſtlicher iſt / als eben die Seel / die in 

Gnaden iſt / alſo machen die böfe vnfuͤrſichtige El⸗ 

tern ihrer Kinder Seelen heßlich vnnd ſchaͤndlich 

durch die Suͤnd / zu denen ſie gezogen vnd gewehnt 
werden. 


Vierdte Vrſach / nemblich die ſchoͤne 
Kleider. 

Die vierdte Vrſach deß Falls der Junzfrawen 

ſeynd die koͤſtliche Kleider. Bald nach dem der 


Menſch im Paradeyß ſein erſtes Kleid der Vnſchuld 
vnd 


Hirnſchleiffer. 239 


vnd Erb⸗Gerechtigkeit verlohren hatte / bedeckte er 
ſich mit einem Kleyd / vnnd zwar auß tringender 
Noth / darinn er ſich durch die Suͤnd geſetz hatte: 
Bals aber hernach fieng er an einen Luſt vnd eytele 
Ehr in den Kleidern zuſuchen / vnnd an ſtatt der 
Geißhaͤuten / deinwaten vnnd Wuͤllen⸗Tuͤcher zu⸗ 
tragen. Nach ſolchem tamen die Seiden⸗ vnd Sam⸗ 
mete Kleider auff / vnd letztlich die guͤldene vnd ſil⸗ 
berne Stuͤck / Edelgeſtein vnd Kleinodien. 

Die Heyden pflegten ehre hoͤchſte Gluͤckſeligkeit 
in die koͤſtliche Kleider zuſetzen / derowegen wird 
von ihnen im 143. Pſalm. geſagt: Ihre Töchter 
ſeynd geziert vnnd rund vmbher wie ein 
Tempel. Daß ſich nun die Heyden der Zierd ihrer 
Leiber beruͤmbten / das iſt kein Wunder / weil ſie deß 
$iechts deß Glaubens beraubt ſeynd / ein Wunder 
aber iſts / daß die / welche Chriſt en ſeyn wollen / in 
dergleichen Eitelkeiten ſtoltziren / vnd ihren deib mit 
Silber / Gold vnd Rieinotern zieren / vnnd es für 
ein Schoͤnheit vnd Ehr haltene Nichts erweckt die 
Geylheit vnd Vnkeuſchheit geſchwinder / als eben 
die koͤſtliche Kleider. Derowegen ſagte Kaͤyſer 
Auguſtus: Die uͤberfluͤſſige vnnd koͤſtliche Rleider 
ſeynd ein Faͤhnlẽ der Hoffart vnd ein Neſt der Geyl⸗ 
heit. Wann ein Jungfraw / Fraw / oder Junger⸗ 
Geſell koͤſtliche Kleider hat / ſo wolle fie geſehẽ ſeyn / 
vnd lauffen auß auff alle Gaſſen / vnd en alle Hochzei 
ten / in Meinung / daß fie in ſolchen Kleidern andern 
vorgezogen / geliebt oder gelobt ſollen werden / aber 
das Widerſpiel begegnet ihnen / dan nichts anders 
gewinnen fie dardurch als Spore vnd boͤſe Nach red. 


Ich 


240 Hirnſchleiffer. 


Ich will gleichwol die Kleider⸗zierd nicht verach— 
ten / dann die politiſche Erbarkeit erfordert / daß 
ein jeglicher nach Beſchaffenheit ſeines Stands 
auffziehe / aber der hiervnder kuͤrgehende viel zu 
groſſe Mißbrauch vnd Vnordnung iſt billich zutad⸗ 
len / denſelben ſtrafft Cyprianus ſonderlich an den 
Jungfrawen / vnd ſpricht: Wan du dich ſehr ſtatt⸗ 
lich kleideſt vnd ziereſt / ſo enzuͤndeſt du die Begier⸗ 
den in den Jungen⸗Geſellen: Wie die Mennig vnd 
Farb der Federn ein Vrſach ſeynd / daß der Pfaw 
ſtoltziret / alſo ſeynd die vnderſchiedliche Kleyder ein 
Vrſach / daß die Weiber ſich ſelbſt wie die Pfawen 
beſchawẽ / ſtoltzirn / vnd vermeinen es fen ihnen nie= 
mand gemaͤß oder gleich: Wie aber der Pfaw / wan 
er feine onflätige Fuß anſchawet / alsbald feine Fe⸗ 
dern ſincken vnd fallen läft / vnd uͤberlaut ſchreyet / 
alſo / wofern ſolche koſtliche gekleidte Perſonen die 
Fuß ihrer Veraͤchtlichkeit vnd inwendige Heßlich⸗ 
keit beſchaweten vnd betrachteten / ſo wuͤrden ſie 
zweiffels ohn die Fluͤgel ihrer Hoffart auch ſincken 
vnd fallen laſſen: Je mehr der Pfaw mit ſeinen Fe⸗ 
dern pranget / vnd ſich ſpreitzet / je mehr ſihet man 
ſeine Heßligligkeit: Je mehr ein Weib mit ihren 
Kleidern pranget / je mehr wird fie von andern 
veracht. 


Fuͤnffte Vrſach deß Falls der 


Jungfrawen. 


Ferner vnd zum fuͤnfften iſt der Keuſchheit nichts 
ſchaͤdlicher / als eben der Muͤſſig⸗gang dann wie 
das Poda ra oder Zipperle nicht leichtlich in der 
ſchlech⸗ 


Hirnſchleiffer 241 


ſchlechten vnd vnflaͤtge Bawren⸗ vnd Handwercks⸗ 
Haͤuſern einkehrt / ſondern gemeinlich nur in der 
Reichen Haͤuſer einloſirt. Alſo tan geſagt werden / 
daß Sram Venus oder die Vnkeuſchheit ihr Auffene: 
haltung vnd Regiment gemeinlich bey den reichen 
wolluͤſtigen vnd muͤſſigen Seuchen ſuchet: Sobald 
derowegen fie in ein ſolches Hauß eingangen iſt / 
ſpricht fie mit Fröficher Stimm: Allhie iſt mein 
Hauß / mein Vatterland: Weil ſie auch ſahe / daß 
die Arbeit vnd Sorgfaͤltigkeit vmbs Hauß herumb 
giengen / vnd ſich anmeldeten / ließ fie dieſelbige 
ſampt ihren Geferten / nemblich die Nuͤchterkeit 
vnd Maͤſſigkeit / von dannen hinweg treiben Nicht 
zur Zeit deß Kriegens vnd Arbeitens ſondern deß 
Friedens vnnd Muͤſſi g⸗gangs dienen die Menſchen 
der Sram Venus oder ſchnoͤden Reb / wie zuſehen iſt 
an den Sodomttern / welche zur Zeit deß Muͤſſig⸗ 
gangs die grewliche Suͤnd wider die Natur be⸗ 
giengen. a 

Als David in feinem Pallaſt fpasierte/ond muͤſ⸗ 
ſig vmbgieng / vnd Joab dem Kriegsweſen abwar⸗ 
tete / begieug er den Ehebruch: So lang die Roͤmer 
wider die Carthaginenſer kriegten haben ſte ſich 
aller Tugenden befliſſen / aber nach Eroberung vnd 
Zerſtoͤrung der Statt Carthago / begaben ſie ſich 
zum Muͤſſiggang / zum Fraß vnd Geyl heit. Deſſen 
zum Zeichen ward der Monat Martius dem Gott 
deß Kriegs conſecrirt / dan in dieſem Monat pfle⸗ 
gen die Könige in den Krieg zuziehen: Bald aber 
daraufffolgt der Aprill Monat / welcher der Veneri 
dedꝛcert iſt / zum Zeichen / daß nach Vollendung 
deß Kriegs vnd Vbung der guten Werck / zur Zelt 

L 


deß 


242 Hirnſchleiffer. 


deß Muͤſſiggangs vnd Friedens / die Vnkeuſchheit 
heriſche / vermoͤg der Verß: 

Otia dant vitia, effugiant ergo procul illa. 

Item: 

Otia fi tolles, periere Cupidinis arcus. 

Der Vrſprung aller Anfechtungen / eytler vnd 
böfer Gedancken / iſt der Muͤſſiggang / vnnd auß 
ſolchen böfen Gedancken vnd Einbildungen erfolgt 
die Begierd vnd das Verlangen / auß dem Verlan⸗ 
gen erfolgt die Vollz ehung vnnd CErluͤſtigung. 
Wollen derowegen die Eltern / daß ihre Tochter 
rein vnd keuſch verbleiben / ſo ſollen fie dieſelbigen 
ohn Vnderlaß zu der Arbeit gewehnen / vnnd nie 
maln muͤſſig vmbgehn laſſen: Dann 

Otia ſi tollas, periere Cupidinis arc us, 

Contemptaque jacent, & fine luce faces. 

Das iſt: Nimbſt du den Muͤſſig⸗gang hinweg ſo 
können dir die vnkeuſche Pfeil vnd der Stack el Ve- 
neris nichts ſchaden Wie die Mücken nicht ſo gern 
auff einen ſiedenden Haffen / als auff einen lawen 
oder nicht ſiedenden Haffen ſitzen / alſo ruhen vnd 
ſetzen ſich die Teufel nicht ſo gern in ein ſolche / die in 
der Görtfichen dieb brinnet / vnnd mit Arbeit bela⸗ 
den iſt / als in ein lawe vnnd m uͤſſige. Beſchließlich 
gibt Seneca den ſchoͤnen Leuthen ein ſchöne Lehr / 
vnd ſagt / ſie ſollen ſich offtermals im Spiegel be⸗ 
ſchawen / damit die jenige / die ſchoͤn ſeyn / ein deſto 
gröffere Forcht empfahen / ihre Schoͤnheit durch 
Laſter zubeflecken: Herg gen / daß die jentge / ſo 
heß lich ſeyn / fich befleiffen mögen / ſich ſchoͤn zu 
machen durch Tugenden. 

An⸗ 


Hirnſchleiffer. 243 
Anderer Difcurs. 


Erſtlich wird durch dieſe Figur bedeut ein ſuͤn⸗ 
dige Seel / von deren Eſaias cap. 23. alſo redet: 
Nimb ein Harpffen / ſpatzire vzub die Statt 
herumb / du vergeſſene Hur / fig gut Ding / 
vñ fing ſtets / auff daß man doch dein gedenck. 
Dieſe Seel hat ihren wahren Braͤutigam / das 
iſt / Gott verloren / derſelb hatte ſich ihr im Waf: 
fer deß Tauffs vermaͤhlet / vnnd ihr den Ring de 
Glaubens gegeben / vermoͤg der Wort Oſeæ cap. 2. 
Ich will mich dir im Glauben vermaͤhlen. 
Aber ſie hat mit der Welt / mit dem Fleiſch / vnnd 
mit dem Teuffel Hurerey getrieben / ihren Willen 
vollbracht / vnnd den Willen Gottes verworfen. 
Derowegen beklagt er ſich deſſen / vnnd ſpricht bey 
dem Jeremiac 3 Du haſt mit vielen Bulern 
gehuret. 

Nicht allein nennet der Prophet ſie eine Fettel / 
ſondern ſagt auch / ihr Ram vnnd Gedaͤchtnuß ſey 
vergangen / vnd ſey auß dem Buch deß Lebens 
vertilgt worden / weil fie ihres loͤſtlichen Braͤuti⸗ 
gams vergeſſen / vnd ſeine groſſe Gnaden vnnd 
Guttathen / die er ihr erwieſen / ſo ſchaͤndlich in 
Wind geſchlagen / ihre gantze Lieb in die vnemp⸗ 
findliche Creaturen geſetzt / vnnd ihrer Erſchaffer 
veracht hat. 

Aber doch / damit Gott fie zu ihrer ſelbſt eignen 
Erkantnuß bringen möchte / fo begeret er an ſte / fie 
folle die Zurer oder Harpffen in die Hand nehmen / 

22 vnd 


Hirnſchleiffer. 


244 
vnd ſagt: Greiffe zu der Harpffen der heiligen Buß’ 


Dann wie die Zitter ein Inſtrument iſt / welches 
mit einer Feder muß geſchlagen werden / alſo muß 
die Buß mit einem Schmertzen geſchlagen oder 
verricht werden: Wie die Zitter viel Seyten hat / 
alſo hat die Buß ſechs fuͤrnehme Seyten / nemblich 
die Rew / die Beicht / die Gnugthuung / das Faſten / 
Allmuſen / vnd Gebett: Wie die Zitter den Zuhoͤ⸗ 
rer erfrewet / alſo gibt die Buß einen ſehr lieblichen 
Klang von ſich / vnnd erfrewet die Engel im Him⸗ 
mel. O Goͤttliche Zitter / ſelig biſt du / O Suͤnder 
wann du ſie ergreiffſt / deine Suͤnd bitterlich bere⸗ 
weſt / vnd einen ſteiffen Fuͤrſatz haſt / die Suͤnden 
nimmermehr zubegehn. 

Nach dem nun die ſuͤndige Seel die Zitter ergrif⸗ 
fen hat / vnd geſchickt iſt Buß zuthun / ſoll ſie nicht 
ſtillſtehn / ſondern ſoll auff der Zitter der Buß ſchla⸗ 
gen / vnd vmb die Statt herumb gehn / daß iſt / ſie 
muß ſich ſelbſt / all ihre Glieder / Sinn vnd Kraͤff⸗ 
ten betrachten / vnd eigentlich ſehn was ſie geſuͤn⸗ 
digt vnd Buͤſes begangen haben / damit ſie uͤber ih⸗ 
re Suͤnden ein wahre Rew haben koͤnne. 

Derowegen / O meine Seel / gehe vmb dieſe 
Statt herumb / beſchawe vnd betrachte dich fleiſſig / 
ob nicht in deinem Kopff eine Hoffart / in den Au⸗ 
gen eine Fuͤrwitzigkeit / in den Ohren eine Luſt die 
vnzuchtige Wort zuhören / in der Naſen einen ſinn⸗ 
licher eytler Geruch / im Mund eins Gottslaͤſte⸗ 
rung / Murꝛen / Affterred / vnnuͤtze Wort vnd eitele 

Reden / im Half ein vnmaͤſſige Wolluſt der Spei⸗ 
ſen / in den Haͤnden die Raubercyen / Diebſtal vnd 
Todtſchlaͤg / im Bauch der Fraß vnd die Truncken⸗ 

heit / 


Hirnſchleiffer 1245 


heit / in den Fuͤſſen die Faulheit zum wol wircken / 
vnd die Geſchwindigkeit zum Boͤſen / vorhanden 
geweſt ſey. 

Nach ſolchem gehe noch weiter / beſchawe dich 
inwendig / vnd betrachte ob dein Verſtand ſich ſeiner 
Gaben vnd Gnaden vbernommen habe / ob er den 
Weg Gottes vnd ſeine Geſaͤtz vnd Gebott gewuſt 
vnd ertennt habe / ob er die himmliſche Ding be⸗ 
trachtet / die H Paſſion Chriſti erwogen / vnd die 
Straff vnd Marter der Hoͤllen vnd das Fegfewr zu 
Gemuͤth gefuͤhrt habe. 

Ferner / ob dein Will GOtt den Hermüber al⸗ 
les / vnnd den Naͤchſten als dich ſelbſt geliebt / vnd 
verbottene Ding begert habe. Item / ob du deine 
Gedaͤchtnuß deren von GOtt empfangen leiblichen 
vnd geiſtlichen Gutthaten vergeſſen / vnd die zuge⸗ 
fügte Injurien auß dem Sinn geſchlagen habeſt. 
Item / ob du dich der Billigkeit widerſetzt / vnnd 
der Sinnigkeit gehorſambt / die gute Eingebungen 
verworfen / vnd die boͤſen verwahrt / vnd den heili⸗ 
gen Tugenden widerſtrebt habeſt. Diefer geſtalt 
muß die fündige Seel vmb die Statt herumb ge⸗ 
hen / auff der Zitter vnd Lauten ſchlagen / all ihre 
Mängel vnd Laſter erkennen / vnd ſie berewen vnd 
buͤſſen / inmaſſen König Ezechias gethan / der hat 
feine begangene Suͤnd eigentlich vnd fleiſſig erwo⸗ 

gen / vnd e. 38. geſagt: Ich will dir all mei⸗ 

ne Jahr gedencken in der Bitter⸗ 
keit meiner Seelen. 


4 3 Die 


246 Hirnſchleiffer. 
Die Juſtici wird verblendt⸗ 


— 
D 


— = 
—ͤ —— 


DV rch dieſe Koͤmgin wird bedeut die Gerechtig⸗ 
feit / die führe ein Cron auff dem Haupt / vnd 
zwar bill ich / dan erſtlich begreifft ſie alle andere Tu⸗ 
genden vnd tugendſame Werck: Zum andern ver⸗ 
bietet vnnd zerſtoͤrt fie alles Boͤſes Drittens iſt fie 
das allernutzlichſte vud nothwendigſte auff Erden / 
dan durch ſie wird die Vnſchuld beſchuͤtzt / die Boß⸗ 
heit geſtrafft / die Vermeſſenheit bezwungen / vnd 
der Fried erhalten. Damit aber die Juſtici recht ges 
buͤrlich vnd wol adminiſtrit werde / fo gehören vier 
Perſonen darzu / der erſt iſt der Richter / der zu Ge⸗ 
richt ſitzt / derſelb aber muß erſtlich den Rechten vnd 


Satzun⸗ 


Hirnſchleiffer. 247 


Satzungen kuͤndig vnd wol erfahren ſeyn / dan ſon⸗ 
ſten kan er das Recht nicht erkennen vnnd außſpre⸗ 
chen / wan ers nicht weiß noch verſteht: Zum andern 
ſoll er fleiſſig vnd embſig ſeyn / vnd alle Sachen fleiſ⸗ 
ſig vnd eigentlich erwegen / inmaſſen Job gethan / 
vnd c 29 geſagt: Welche Sach ich nicht wu⸗ 
ſte / die erfragt ich mit Fleiß. Drittens muß er 
nicht leichtlich alles was er hoͤrt / glauben / noch 
auch auß bloſſen Verdacht vnnd ſchlechten Anzei⸗ 
gungen vrtheilen / dann dardurch wird die Gerech⸗ 
tigkeit verkehrt / vnd mancher verkuͤrtzt. Vierdtens / 
ſoll er keine vngleiche Meinungen haben / vnd weder 
auß Keb noch auß Feindſchafft vrtheile Zumfuͤnff⸗ 
ten / ſoll er nicht zoͤrnmuͤtig ſeyn / dan der H. Jaco⸗ 
bus ſagt cap. 1. Deß Manns Zorn wircket 
nicht die Gerechtigkeit Gottes. Zum ſechſten / 
ſoll er nicht geitzig ſeyn / vnd ſich durch Schanckun⸗ 
gen corzumpiren / vnnd bewegen laſſen / noch ein 
Kauffmanſchafft mit der Juſtici zutreiben. Dann 
von den Richtern vnd Gerichten / fo da feyl ſeynd / 
vnd ſich mit Geld erhandlen laſſen / redet jener / 
vnd ſpricht: 


Quid freinnt leges, ubi ſola pecunia regnat; 
Ac ubi paupertas vincere nulla poteſt, 


Beſchließlichen / ſoll der Richter Gottsfoͤrchtig 
ſeyn / Gott inmerdar vor Augen haben / den Vn⸗ 
derthanen ein guts Exempel geben / vnd allzeit ge⸗ 
dencken an ſeinen Richter / der oben im Himmel 
fit / vnd achtung auff ihn gibt / vnd der ihre Vnge⸗ 
rechtigteiten zeitlich vnd ewiglichen ſtraffen wird. 

84 Die 


248 Hirnſchleiffer. 


Die andere Perſon iſt der Klaͤger derſelb ſoll ſich 
huͤten / daß er vor Gericht nichts anders beg re / 
weder was ihm von Rechts⸗vnnd Billigkeit wegen 
geburt vnd zuſtehet: vnnd ſoll keins wegs frembde 
Guͤter ſuchen / noch fälfchlich procediren vnnd ver- 
fahren / noch dem Advocaten ein vngerechte Sach 
befehlen noch ihn viel weniger auch den Richter mit 
Geld bewegen / noch auch den Armen vndertrucken / 
dan wofern er ſeinen Gegentheil ſolcher geſtallt 
vberwindet / ſo wird er den Gewinn im Beutel / den 
Schaden aber im Gewiſſen haben / bißweiln wer⸗ 
den fie entweder von GOtt in dieſem geben mit dem 
jaͤhen Todt augenſcheinlich geſtrafft / wie zuſehen 
iſt an dem Konig Achab / welcher durch falſche Zeug⸗ 
nuß vnd Brtheil dem Naboth feinen Weingarten 
oberhielte / derowegen ward zu ihm geſagt / im 
dritten Buch der Koͤnigen am 21. Cap. Du haſt 
todtgeſchlagen / darzu auch eingenommen. 
Oder aber ſonſt durch andere Mittel / wie zuſehen 
iſt an dem Amon / welcher die Juden begerte zuvn⸗ 
dertrucken vnd zuvervrtheilen / aber auß gerechtem 
Vrtheil Gottes ward er ſelbſt vervrtheilt / vnd an 
Galgen gehenckt. 

Die dritte Perſon iſt der Zeug / derſeb ſoll die 
Warheit außſagen / vnnd nichts auß Leb oder 
Freundſchafft oder Feindſchafft thun. 

Die vierdte Perſon iſt der Beklagte / derſelb ſoll / 
wofern er ſich ſchuldig weiß / demuͤtigen / ich nicht 
fal ſchlich verthaͤtigen / ſondern ſich der Streff gedul⸗ 
tiglich ergeben: So gar auch / ob er ſchononſchuͤl⸗ 
dig iſt / ſoll er dach feine Vnſchuld ohn Fulſchheit 


vnd 


Hirnſchleiffer. ZU» 


vnd Vnbeſcheidenheit darthun / vnnd was ihm im 
falſchen Gericht faͤlſchlich aufferlegt wird / mit Ge⸗ 
dult außſtehn / inmaſſem Joſeph vnnd Suſanna. 
Item Chriſtus vnſer Her: / welcher wie ein vn⸗ 
ſchuldiges Lamb zur Schlacht⸗banck gefuhrt wor⸗ 
den / deßgleichen Stephanus. Dergleichen vn⸗ 
ſchuldige Partheyen verthaͤtiget Gott bißweiln 
wunderbarlich allhie auff Erden / vnnd ob er ſchon 
verwilligt / daß fie etwas leiden on geftrafft werden / 
fo beſchichts doch zu ihrem deſto groͤſſern Verdienſt 
Sonſten vnd uͤber diß werden bey den groͤſſern. 
Hoffgerichten noch andere vter Perſonen erfordert. 
Ecſtlich die Alleſſores oder Beyſitzer / deren Ampt 
iſt / dem Richter in allem beſtaͤndig zuſeyn / die Sa⸗ 
chen gantz getrewlich referiren vnd ihm rathen helf⸗ 
fen: Zum andern die Notari welche alles was von 
beyden Theilen fuͤr vnd anbracht wird / fleiſſig vnd 
trewlich protocolliren / vnd die decreta, Vrtheil vnd 
Beſcheid ſchrifftlich verfaſſen / vnnd außfertigen. 
Die dritten ſeynd die Gerichts⸗Diener / durch wel⸗ 
che die executienes oder Vollziehung beſchehen. 
Die vierdten vnd ſchier fuͤrnembſten ſeynd die Pro- 
euratores vnd Advocati, deren Ampt iſt / daß fie: 
die Warheit vnd Gerechtigkeit verthaͤtigen vnnd 
hand haben / die Vnſchuldigen vnd Gerechten nicht 
vndertrucken / noch vngerechte / falſche Haͤndel wiſ⸗ 
ſentlich annehmen / den ſelbẽ tein vnerkentliche Farb 
anſt reichen / viel weniger den Böfen vnnd Gottlo⸗ 
fen mit vngerechten vnnd falſchen rarıonibus oder 
Scheins⸗gruͤnden patrociniren vnd beyſtehn. Der 
Procuratorn vnd Advocaten Ambt iſt der Wir⸗ 
ckung der Sternen gleich / dan wie dieſelben mit ih⸗ 
8 5 rem 


250 Hirnfchleiffer: 


rem fiecht vnd Glantz die Menſchen leyten vnd fuͤh⸗ 
ren / alſo ſollen die Advocaten die ſchlechte / vnver⸗ 
ftandige / einfaͤltige Partheyen mit ihrer Geſchick⸗ 
ligkeiterleuchten / dirigiren / informiren / vnderwei⸗ 
ſen / vnd zum rechten Weg der Warheit leyten vnd 
fuͤhren / damit ſie die jenige ſeyen / von denen Da⸗ 
nielc. 12. ſagt: Die viele zur Gerechtigkeit ge— 
lehrt vnd gewieſen haben / werden wie die 
Sterne ſcheinen. 

Aber (leyder) man find böfe Advocaten / welche 
die Juſtici mit Fleiß verblenden vnd vndertrucken / 
derowegen ſeynd ſie jrrige Sterne / welche die 
Streit⸗vnd Vneinigkeiten erwecken / die Par⸗ 
theyen an einander hetzen / wider ihr eignen Wiſ⸗ 
ſen vnd Gewiſſen rathen / reden vnnd ſchruben / 
die Feder ſpitzen / die Sachen von der einen Zeit 
zu der andern verlaͤngern / verwirren / die Richter 
verfuͤhren / bißweiln beyden Partheyen dienen / 
heimlich Geld von ihnen nehmen / die gute Sa⸗ 
chen böß / vnnd die böfen gut machen / durch alle 
Brieff ein doch reden / die allerkraͤfftigſte obliga- 
tiones vmbſtoſſen / ja laſſen ſich vernehmen / es ſey 
kein Kunſt ein gute Sach zuerhalten / ſondern ein. 
böfe zu gewinnen. Wo derowegen ſolche Abvoca⸗ 
ten floriren / da kan geſagt werden: Sie verblenden 
die Juſtiei / vnd vervrſachen (wie Eſaias c. ge. ſagt) 
Sie haben ſich abgewendet ein jeglicher ſei⸗ 
nem Geitz nach / vom groͤſten bif zum 
kleinſten. 

Die. 


KHirnfchfeiffer 


Dieander Erklärung. 

Viel andere Vrſachen ſeynd vorhanden / in dem 
die Menſchen die Gerechtigkeit verblenden / als erſt⸗ 
lich der Zorn GOttes / von dem Cyprianus fpricht: 
ein Zeichen deß Goͤttlichen Zorns iſts / wann einer 
ſein eigne Verbrechen nicht ſihet noch erkent / damit 
alſo die Buß außbleibe: vermoͤg der Wort: Dedit 
ilıs Deus ſpituum compunctionis, oculos ut 
non videant, & aures ut non audiaat: Wider dieſe 
Blindheit aber vnnd Zorn bate David GOtt den 
Heærꝛn / vnd ſpricht: Obſecro igitur te Domine, 
ne in hoe furore arguas me, neque in tali ira eor- 
T1pias Ne: 

Zum andern wird diefe Blindheit vervrſacht / 
wann einer von keiner einigen. Sachen nichts zu 
diſcuriren weiß / dann darauß folgt / daß der 
Menſch / wie ein Narꝛ vnd Vnſinniger / nichts 
thut was ihm nuͤtzlich iſt. Mit dieſer Blindheit wa⸗ 
ren vorzeiten die Heyden befangen / dann weil fie 
das Liecht der Warheit nicht anſchawten / fo ver⸗ 
ehrten ſie das Holtz / die Stein vnnd die ſelbſt er⸗ 
dichte Götter / als wahre Goͤtter Vnd mit dieſer 
Blindheit ſeynd noch heutiges Tags viel Menſchen 
vnd Regenten geſchlagen / welche auß lauter fuͤr⸗ 
ſatzlicher Ignorantz das Heyl ihrer Seelen in 
Wind ſchiagen / vnnd das wahre Liecht deß Glau⸗ 
bens verwerfen / nicht anſehn / noch darvon reden 
horen moͤgen / ſondern bleiben / viel lieber in ihrer 
Fiuſterauß vnd Irꝛthum ben ligen. Von ſolchen vn⸗ 
wißſenden Geſellen redet der H. David SPfahn 35. 
Er hat nicht wollen verſtehn guts zuthun. 

L 6 Wie 


252 Hirnſchleiffer. 
Wie auch die jenigen / welche Thür vnnd Fenſter 
verſperren / vnd ſprechen beym Ezechiel c. S. Der 
HEr: ſihet vns nicht. Alſo vermeinen etliche 
zeuth / Gott werde fie von ihrer Werck wegen 
nicht verdammen / welche ſie in der Finſternuß vnd 
Vnwiſſenheit begangen haben. Damit aber ſie wiſ⸗— 
fen mögen / in was für einem Irzthumb vnd Be⸗ 
inig ſie dißfalls ſtecken / fo hoͤre was der Pſalmiſt 
Pfalm. 138. ſagt: Ich ſagte / villeicht Finſter⸗ 
nuß mögen dich decken: Aber es wird die 
Nacht auch mein Liecht ſeyn zu meinen Lu⸗ 
ſtenn: Dann auch Finſternuß wird vor dir 
nicht dunckel vnd die Nacht wird erleucht 
werden wie der Tag / wie der Nacht 
Finſternuß / ſo iſt auch deß Tags Liecht. 
Als wolte er ſagen: Wann ich auß Luſt vnnd Be⸗ 
gierd zu meiner Geylheit ſagen werde / Villeicht hat 
mich die Jinſternuß bedeckt / ſo bin ich ſchon gefan⸗ 
gen / dan O Herr / die Nacht iſt in deinen Augen 
wie ein brinnende Fackel / welche dir meine Suͤnd 
zeiget / vnd mich verrathet / dan die Fin ſternuſſen 
ſeynd vor dir nicht dunckel / die Nacht iſt bey dir ſo 
Bici als der Tag / derwegen wird euch dieſe Ent⸗ 
ſchuldigung nichts fuͤrtragen / noch auch ewre 
Schuld hinnehmen / ſondern wird dieſelb vielmehr 
vermehren / ſiatemal ihr das gute nicht habt ver⸗ 
ſtehen wollen / ihr ſelbſt habt ewer Gemuͤth mit der. 
181 Oran ia affe ctata verblendt / daher entſchuͤldigt 
euch die Suͤnd nicht allein nicht / ſondern verklagt 
vnd vermehrt ſiemehr. 

Die 


Hirnſchleiffer. 253 


Die dritte Vrſach der innerlichen Blinheit iſt. 
die Kranckheit deß Gemuͤths / dan die Bewegnuß 
deß Appetits verblendt es. Dann wie dicke Feuch⸗ 
tigkeiten / welche auß der Erden auffwerts gen Him⸗ 
mel ſteigen / pflegen den Himmel mit Wolcken vnd 
Finſternuß zuvberziehen / alſo pflegen die Beweg⸗ 
nuſſen vnd die Affecten / welche auß dem irꝛdiſchen 
ſinnlichen Appetit auffwerts in den obern Theil deß 
Verſtands ſteigen / das Gemuͤth mit Finſternuß 
vnd Rebel zubedecken vnd zuverfinſtern. O mit was 
für einem dicken Nebel war deß Salomons Gemuͤth 
ver finſtert? Dan ob er ſchon der allerweiſeſt war / 
vnd Gott dem Heri einen herzlichen vnd koͤſtlichen 
Tempel gebawet hatt / nichts deſto weniger bawte 
er auch den Goͤtzen Altaͤr / vnd erzeigte ihnen Goͤtt⸗ 
liche Ehr. In eben dieſer Blindheit ſteckte auch Her 
rodes / als er den vnſchuldigen Johannem / einer 
vnverſchampten Fettel zugefallen enthaupten ließ. 
Deßgleichen jene zween alte Richter / welche die 
fromme Fraw Suſannam faͤlſchlich verklagten 
vnd vervrtheilten. Dero wegen ſagte Daniel zu dem 
einen im 13. Cap. Dich hat ihr ſchoͤne Geſtallt 
betrogen / vnnd die böfe Begird hat dir dein 
Hertz verkehrt. 

Die vierdte Brfach / wird die geiſtliche Blind⸗ 
heit vervrſacht durch Haß vnnd Feindſchafft / wie 
zuſehen iſt am König Saul / der da 8s. Prieſter 
vmbbringen vnd die Statt Nobe mit der S chaͤrpffe 
deß Schwerds beyde Man vnd Weiber / Kinder vnd 
Saͤuling / Ochſen vnnd Eſel vnd S chaff ſchlagen 
ließ / wie 1. Reg 6.22. weirläuffig zuſehn / keiner 
andern 


254 Hirnſchleiffer. 


andern Vrſachen halben / als weil auß dieſen Prie⸗ 
ſtern einer den David (dem er feind war beher⸗ 
bergt hatte: Nicht allein thuts der Haß vnd Neyd / 
ſondern wir ſehn auch vielmahls daß ein Geitzhalß 
vermeint / es ſeyen ihm alle vnnd jede Commercia 
zutreiben erlaubt / vnangeſehn ſie den Goͤttlichen 
vnd Weltlichen Rechten ſtracks widerlauffen: Off 
termals vermeint ein Zornmuͤtiger / er hab Vrſach 
vnd Recht / ſich wider feinen Feind zuraͤchen. 

Die zarte wolluſtige Menſchen indulgiren vnd 
erlauben ihnen ſelbſt viel Ding / verwerffen das Su: 
ſten vnd die $eibg-cafteyungen/ in Memung/als er⸗ 
fordere es die Geſundheit ihres deibs : O groſſe 
Blindheit / ſie betrachten wenig / daß fie G Ott dem 
Heim einsmahls? zechenſchafft werden darumb 
geben muͤſſen / vnnd daß derſelb keins wegs koͤnne 
verblendt oder betrogen werden So folge derowe⸗ 
gen niemand feinen ſchnoͤden Begirligkeiten vnnd 
duſten / ſondern ſchawet auffs giecht / welches GOtt 
vns gegeben / ſo werdet ihr nicht deß wegs verfeh⸗ 
len / noch jr: werden. 

Beſchließlichem erfolgt dieſe Blindheit auß einer 
lauter laͤppiſchen Weiber⸗lieb. Der allererſt war 

dam vnd Eva / dan die Begird / die fir zum erſehe⸗ 
nen Apffel ſetzte / war fo groß / daß fie der Schlangen 
Wort mehrers glaubte dan Gott / der es ihr bey 
Verlierug deß Lebens verbottẽ hatte / noch dannoch 
aß ſie darbon / wie ſie nun auß lauter Begied dar⸗ 
von geſſen hatte / alſo ließ ſich Adam auß lauter dieb / 
die er zu der Soa trag / gleichfals vberꝛeden / vnd aß 
darvon / Daher ſagt Auguſtinus: Es aß Adam vom 
verbotenen Baum / damit er ſein liebe Evam ucht 
bellůͤ⸗ 


Hirnſchleiffer. 255 
betruͤben moͤchte / dieſer geſtallt aß er nicht auß Be⸗ 
gird / ſondern auß freundlicher dieb vnd Neigung / 
keine Macht / keine Weißheit kan widerſtreben der 
Keb: Wer war weiſer / als eben Salomon / wer hat 
aber naͤrꝛiſcher gehandelt / vnd ſich der ſchnöden dieb 
vnd Geylheit mehr ergeben / als eben er? Daher 
ſagt die Schrifft vom ihm 3. Reg. c. 11. Er liebet 
viel frembde Weiber / ꝛc. Gar wol wuſte er / daß 
in dem Dienſt der Goͤtzen kein Nutz war / weil ihn 
aber die ſchnöde dieb der Weiber fo ſtarck darzu zohe / 
fo kondt er ihr keinen Widerſtand thun / ſondern tha⸗ 
te das jenig / was er nicht haͤtte thun ſollen / keiner 
andern Vrſachen halben / als damit er ſeme tödliche 
Liebhaber innen nicht betruͤben möchte. Wer war 
fuͤrſichtiger als eben fein Vatter David / dan von 
ihm ſelbſt ſagt er Pfalm. 118. Super omnes inimi- 
cos meos. Deßgleichen war er gantz heilig / daß 
Gott ſelbſt betennet / er hab am David gefunden ei⸗ 
nen Mann nach ſeinem Hertzen: Aber doch ließ er 
fich die ſchnöde hieb dermaſſen übergehen vnnd ver⸗ 
blenden / daß er dẽ Ehebruch ſampt dem Todtſchlag 
begieng: Derowegen / O Menſch / wan du dieſes 
lieſeſt / ſo huͤte dich vor dieſer Blindheit / vñ gedenck / 
daß du nicht ſtaͤrcker biſt dan Samſon / noch weiſer 
dan Salomon / noch heiliger dann David / welche 
alleſampt durch die Weiber ſeynd verblendt wor⸗ 
den / huͤte dich auch vorm Zorn Gottes / vor der 
groben vnd mutwilligen Ignorantz / vor der Kranck⸗ 
heit deß Gemuͤths / vor dem Haß vnd Feindſchafft / 
vor der naͤrriſchen dieb / vnd bezwing die turbario- 
nes deß Grmuͤths / zaͤhme die Geylheit / daͤmpffe 
die vnmaͤſſige Begirligkeiten. / vnnd maͤſſige die 
g Schwach⸗ 


256 Hirnſchleiffer. 


Schwachheiten deß Gemuͤths / ſo wirſt nicht leicht⸗ 
lich erblinden / ſondern mit ruͤhigem Gemuͤth vnd 
ohn alle Muͤhe / der Billigkeit folgen / vnd das Geiſt⸗ 
liche Leben deß Gemuͤths vnnd die Himmliſche 
Glory erlangen. 


Die Circe verwandelt deß Ulyſlis 
Geſellen in mancherley 
Thier. 


&S dichten die Poeten / es ſey UlyfTes auffm 
Meer vmbgefahren / vnnd hab von veitem 
ein Inſel erſehn / welche geziert war mit einm ſehr 
herzlichen vnnd loͤſtlichen Pallaſt / dar inn vohnte 

die 


Hirnſchleiffer. 257 
die Koͤigin Circe, dieſelb war ein Tochter der Son: 
nen / vnnd dermaſſen kunſtreich / daß ſie die 
Menſchen in allerhand Formen vnd Geſtalten ver⸗ 
kehren konte. Als nun Ulyſſes nahe zu der Inſel 
kam / ſchickte er ſeiner Geſellen etliche zu dieſer Koͤ⸗ 
nigin Cuce, vnd ließ fie vmb Victualien oder Pro⸗ 
viant erſuchen. Circe empfieng fie gantz freundlich / 
ließ fie zu Tiſch ſetzen / vnd gabihnen Wein zutrin⸗ 
cken. So bald fie aber den Wein gekoſtet hatten / 
kam ſie alleſampt ein Grauſen an / vnd wurden als⸗ 
bald in onvernünfftige Thier verkehrt / vnd ſampt 
andern Schweinen in den Stall getrieben. Als 
nun Ulyſſes ſahe / daß feine Mitgeſellen außblie⸗ 
ben / ſtieg er auß dem Schiff / verfügte ſich zu der 
Koͤnigin Circe, vnd begerte ſeine Geſellen wider⸗ 
umd: Die Königin empfieng ihn gleichofalls gantz 
freundlich / vnnd ſetzt ihm auch einen Trunck fuͤr / 
aber er wolte nicht trincken / vnd weil er ſehr liſtig / 
klug / weiß / fuͤrſichtig vnd wolberedt war / ſo bracht 
er ſoviel zuwegen / daß Circe ihn fuͤr ihren Mann / 
vnd feine Mitgeſellen widerumb in ihren vorigen. 
Standt ſetzte. Nach dem auch er ein gantzes Jahr 
lang bey ihr beharxet war / verließ er ſie / vnd zohe 
widerumb heim. 

Viel Ding werden durch die obbemelte zauberi⸗ 
ſche Circem verſtanden: vnd zwar erſtlich die Bes 
gird deß Golds / Silber vnnd Reichthumb / nach 
denen die Menſchen mit hoͤchſter Gefahr ihres 
geibs vnd Lebens / vnd mit groſſer Vngelegenheit / 
trachten. Von der Reichthumben wegen verſucht 
man die allervnmuͤglichſte Ding Es laͤſt ſich an⸗ 
ſehn / als hab die weiſe vnd fuͤrſichtige Natur mit 
vns 


258 Hirnſchleiffer. 


vus gehandlet wie ein getrewe Mutter mit ihrem 
vngerathenem Sohn handlet / dan / damit er nicht 
über das ihm geſchenckte Geld könne / vnnd es ver⸗ 
thue / ſo wickelt ſie es in ein Pappier oder Beutel / 
vnnd verwarets fleiſſig: Alſo vnnd ebener geſtallt 
kennet die Natur vnſere menſchliche Boßheit vnnd 
vnerſaͤttlichen Durſt nach dem Gold / derowegen 
thut ſie / als wäre es ein Gifft / vnd verbirgt es vnder 
die Erden / aber deß Menſchen Geitz ſt ſo weit ge⸗ 
langt / daß zugleicher weiß / wie der Tyrann Nero 
den Leib feiner Mutter auffſchnitte / alſo ſchneidẽ fie 
den Bauch der Erden auff / vnd graben dem Gold 
nach Ferner wie deß Roͤnigs Salomons Schiffleuth 
alle Jahr zu der Inſel Jophir ſchifften / vnnd allda 
viel Golds abholten / weil auch daſſelbe Land vol⸗ 
ler Loͤwen / Bären vnd Tigerthier war / fo war die 
Gefahr / Mühe vnd Arbeit deſto groͤſſer / vnnd mu⸗ 
ſten derowegen deſto ſtaͤrcker hinkommen: folgends 
erfuͤllten ſie ihre Schiff mit Gold. Wann einer ver: 
meint / es lige an einem Orth ein Schatz vergraben / 
fo iſt es nicht außzufprechen was man zu Erdebung 
deſſelben fuͤr ein groſſe Muͤhe vnd Arbeit brauche / 
eben fo wenig iſt zuerzehlen die groſſe Muͤhe / Arbeit 
vnd lange gefaͤhrliche Reyſen / welche die Kauff⸗ 
leuth von wegen deß Gelds anſtellen. Der Gold» 
hunger ergreift fie dermaſſen / daß ihr Gemüt im⸗ 
mer dar in der Bewegnuß ſteht / der Geiſt vegiert / 
durchſtreiffet gantz Niderland / Franckreich vnnd 
Indien / aber gen Himmel kuͤnnen ſie ihn nicht di⸗ 
rigtren / noch erheben: Wir ſuchen gleichnol alle- 
ſampt GOtt den Herm / aber mit einem kalten vnd 
lawen Gemuͤth: wir moͤgen kaum von feine: wegen 
gen 


Hirnſchleiffer. 279 


gen Kirchen gehn / ſondern muͤſſen in Gutſchen fah⸗ 
ren / vnangeſehn der Weg dahin nicht weit iſt. 
Was begegnet aber letztlich ſolchen begirlichen 
Geitzhaͤlſen vnd Goldwuͤrmen? Was: Sie werden 
gleichſam in vnvernuͤnfftige Thier verkehrt / wer⸗ 
den grimmig / grob vnd vnbarmhertzig wie die wil⸗ 
de Baͤren / doͤwen / Woͤlff vnd Schwein. 


Ander Diſcurs. 


Die andere Außlegung dieſer Figur / ſeynd die 
leibliche Wolluͤſt / illuſiones, Spott / Betrug vnd 
Bezauberungen / von denen der Pſalmiſt ſagt: 
Meine Landen ſeynd erfullt mit Spott. 
Dann die fle ſchuiche Wolluͤſt ſeynd kein wahre Er⸗ 
luͤſtigung / ſondern nur ein vnzauberter / betrog⸗ 
ner vnnd ſpoͤttlicher Luſt. O wie viel Menchſen 
ziehen dieſer ſchnoͤden Wolluſt weit vnd breit nach / 
in Meinung / als ſtecke in den Laſtern deß Fleiſches 
die wahre Wolluſtbarkeit / vnd nach dem ſie ein gu⸗ 
tes gnuͤgen darvon getruncken vnd verfucht haben / 
ſo finden ſie nichts anders / als vngehewre Thier 
deß Leyds / der Trawrigkeit vnd Bitterkeit. Das 
verſtund der weiſe Sengca gar wol / deßwegen 
ſagt er: Die Wolluͤſt vmbfahen vns wie Moͤrder / 
danitt ſie vns deſto beſſer ſtrangultren vnnd toͤdten 
möchten, Als der Kriegsfuͤrſt Silara in der 
Schlacht war muͤd worden / begegnete ihm die 
ſchoͤne Jahel / mit derfelben gieng er in ihr Kaͤm⸗ 
mer / ward auch holdſeliglich vnnd freundlich 
von ihr empfangen / deß wegen ſprach ſie zu ihm: 
Gehe hierein mein Herꝛ / foͤrchte dich nicht: 
Fol⸗ 


260 Hirnſchleiffer. 


Folgends begerte er eine Trunck Waſſer von ihr / ſie 
aber gab ihm Milch zutrincken / bedeckt ihn mit ei⸗ 
nem Mantel oder Haͤuten oder villeicht mitt einem 
foͤſtlichen Marder; futter: Sobald er aber entſchlaf⸗ 
fen war / hefftet ſie ihm ſein Haupt mit einem Na⸗ 
gel an die Erden / dardurch verlohr er den Schlaff / 
geſellte ſich zum Todt / vnd ſtarb. Durch die betrieg⸗ 
liche Jahel wird bedeut vnſer mut williges Ileiſch / 
vnd durch den dapffern Hauptmann Sifaram wir 
verſtanden vnſer Geiſt : Das Fleiſch gibt dem 
duͤrſtigen Geiſt einen Trunck Milch / das iſt / die 
Laſter vnnd fleiſchliche Wolluſt / welche gleichwol 
bitter vnd vergifft ſeynd / aber doch geduͤnckt es die 
duͤrſtige Seel ſehr ſüß ſeyn Es bedeckts auch fein 
fleiſſig mit Haͤuten oder Fellen / dan es bittet vns 
allzeit ſanffte / linde vnd liebliche Ding an / meidet 
aber die arbeitſame muͤhſame vnnd beſchwaͤrlich⸗ 
Sachen / durch dieſe Laſter vnd Wolluſt wird der 
Verſtand verkehrt / vnnd das Gemuͤth dermaſſen 
conſopiert / daß es den bevorſtehenden Todt nicht 
ſihet / derowegen kompt es armſeliglich vmb / vnd 
verdirbt ewiglich. 

Dieſes wird vns artlich zuverſtehn gegeben 
durch die Wort deß Weiſen⸗ Manns am 23. Cap. 
Sihe nicht den Wein an / wann er gelb⸗ 
lich iſt / vnnd ſeine Farb im Stop ſcheinct. 
Als wolte er ſagen: O Menſch / fo ofſt das Fieiſch 
dir ſchmeichlet / vnd dir den Wein deß Wolluſts præ 
ſentirt / vnd es dir vom Wolluſt eins bringt oder zu⸗ 
trinckt / ſo ſchawe ſolchen Wein mit deinen leiblichen 
Augen nicht an / ſondern wende dein Gemuͤth dar⸗ 


von 


Hirnſchleiffer. 261 


von ab / dan ob ſie ſchon lieblich vnd ſuͤß hinein gehn / 
fo haben fie doch einen bittern Außgang vnd boͤſen 
Nachgeſchmeck / derowegen ſoll man wie Ariſto- 
teles ſpricht ) nicht die kommende / ſondern die verge— 
hende Wolluſt anſchawen. Dann zuletzt beiſt er 
wie eine Schlang / vnnd geuſt fein Gifft 
auß wie ein Natter. Die Wollͤͤſt beiſſen letztlich / 
vnd ſonderlich am Juͤngſten⸗Tag oder deß Todts / 
als dan empfindt der Suͤnder das beiſſen vnnd na⸗ 
gen deß ihn anklagenden Gewiſſens. 

Ferner haben die Wolluͤſt die Eigenſchafft / daß 
ſie gleichwol eine Erſattigung verheiſſen / laſſen 
aber keine / ſondern erwecken einen groſſen Hunger / 
außwendig haben fie einen ſchoͤnen Schein / inwen⸗ 
dig ſteckt ein lauter Grewel / das deutet Eſaias 
Cap. 29. an So einem Hungerigen traͤumet / 
er eſſe / vnnd wann er erwachet / ſo iſt ihm 
feine Seel laͤer: vnnd ſo einem Duͤrſtigen 
traͤumet / er trincke / vnnd ſo er erwachet / 
iſt er noch dürftig / vnnd feine Seel laͤer. 
Bißweiln traumet einem / als ſitz er bey einem kla⸗ 
ren flieſſenden Bach / vnder luͤſtig⸗gruͤnen Baͤu⸗ 
men / alda die Waldvoͤgletn lieblich muſiciren vnd 
ſingen / werde mit den beſten Speiſen erſaͤttigt / vnd 
mit koͤſtlichem Getraͤnck gelabt / wann er aber auß 
dem Schlaff erwacht / als dan erkent die Seel den 
Betrug / vnd ſihet daß es kein wahre / ſondern fal⸗ 
ſche fantaſtiſche Wolluͤſt geweſt ſeyn / dan ſie emp⸗ 
findt noch immerdar den vorigen Hunger vnnd 
Durſt. Wie der Verlorne⸗Sohn emen groffen 
Hunger 


262 Hirnſchleiffer. 


Hunger litte / daß er ſo gar Saͤw⸗kleihen zueffen 
begerte / aber ntemand war vorhanden ders ihm 
gab / alſo iſt die Trunckenheit / die Geylheit 
vnnd Hurerey ein Speiß der Teuffeln / aber die 
Wolluͤſtigen werden nicht ſatt darvon / dann die 
Wolluſt har allzeit f wem ſui: derowegen ſpricht 
Efaras c. ss. zu den Wolluͤſtigen: Warumb gebt 
ihr ewer Geld auß / vnnd nicht vmb Brod / 
vnd ewer Arbeit vmb das / davon ihr nit ſatt 
werdet? Das iſt Warumb verwendet ihr ewere 
Muͤhe vnd Arbeit auff die zeitliche vnd zergaͤngliche 
Guͤter / auff die Wolluͤſt / die ewere Seelen nicht 
erfärtigen / ſondern welche viel mehr einen Hunger 
vnd Durſt erwecken / vnd viel mehr für illufiones, 
Betrug vnd Spott / dan fuͤr wahre Wolluͤſt zuhal⸗ 
ten ſeynd. 

Beſchließlichen werden die Wolluͤſt darumb 
illuſiones genent / weil fie ſehr kurtz ſeynd / vnd nicht 
lang bey vns bleiben koͤnnen: dem aber vnangeſehn 
laſſen wir vns dannoch vom Teuffel dermaſſen be⸗ 
thören vnd narꝛen / daß wir das Himmelreich fuͤr 
die Wolluͤſt vertauſchen / vnd das ewige Leben ver⸗ 
achten vnd in Wind ſchlagen. 

Zu gleicher weiß wie Cyrus Koͤnig in Perſien 
zu gaͤutzlicher Vberwindung der Lidiſchen Voͤlcker 
ihnen allerley Spectacul / Schawſpiel vnd Wol⸗ 
luſtbarketten hal en ließ / vnd dardurch vervrſachte / 
daß fie ſich dermaſſen in die Wolluͤſt verliebten / 
vnd deß Kriegsweſens allerdings vergaſſen / vnnd 
derowegen letztlichen gar leichtlich vnder deß Cyri 
Joch gerieten : Alſo praſentirt vns die Welt 
g vnd 


Hirnſchleiffer. 263 


vnd der Teuffel nichts anders / als Wolluſt vnnd 
fleiſchliche erluͤſtigungen / damit wir alſo in Suͤn⸗ 
den vnderligen. Was aber vns fuͤrnemblich darvon 
billich abhalten ſolte / iſt die Betrachtung der Kurtz⸗ 
werenheit ſolcher Wolluͤſt / dann kuͤrtz iſt was vns 
frewet / aber ewig was vns peinigt. O vnſelige 
Geylheit / vnnd O vn luͤckſelige vnnd verfluchte 
Begirligkeit / durch ein zergaͤngliche kurtzwerende 
Suffigfet bereitet ihr vns die ewige Verdambnuß. 
Die Kuͤrtze der fleiſchlichen Wolluͤſt beſchreibet 
der H Job am o. Cap. gantz artlich / vnd pricht: 
Das weiß ich / daß der Ruhm der Gottlo⸗ 
ſen ſteht nicht lang / vnnd die Frewd deß 
Heuchlers weret ein Augenblick Als wolt er 
ſa gen: Ich hab von Anfang vnd biß dato befunden / 
daß der Gottloſen Frewd ſehr kurtz iſt: dermaſſen 
kurtz iſt ſie / daß er c. i ſagt: Sie nehmen Trum⸗ 
mel vnd Harpffen / vnnd ſeynd froͤlich mit 
Pfeiffen vnnd in einem Augenblick fahren 
ſie zum Grab Nur einen einigen Punct oder 
Augenblick weret ihre Frewd / ihr Geigen / Pfeif⸗ 
fen vnd Trommeten / vnd ihr wolluͤſtiges trium⸗ 
phiren vnd dommiren / dann ſampt ihren Laſtern 
wei Wolluͤſten fahren fie vnverſehns im Augen⸗ 
warb nue e öllen. Sie erſcheinen nur ei⸗ 
nen Augenblick / verſchwinden aber ewig⸗ 
lich. Dis deutet auch der H. Johannes an in ſei⸗ 
ner Offenbarung c.i8 vnd ſpricht Das Obs der 
Luͤſt deiner Seelen ſeynd von dir gewi— 
chen / 


464 Hirnſchleiffer. 


chen / vnnd werden jetzt nicht mehr gefunden 
werden. Durch das Obs werden die Wolluͤſt be⸗ 
deut / welche der vngluͤckſelige Menſch mit groſſer 
Muͤh vnd Sorgen von den Daumen in dieſer Welt 
abbricht: ſolche A pffel aber ſeynd gleich den Aepf⸗ 
feln / ſo beym todten Meer wachſen / vnd äuſſerich 
ſehr ſchoͤn / inwendig aber faul vnnd wurm ſti chig 
feynd : Alſo vnd ebner Geſtalt / ob ſchon die welt- 
liche Wolluͤſt ſcheinen ſehr annemblich zu ſeyn / ſo 
ſeynd ſie doch inwendig ein lauter Staub vnnd 
Aſchen / der die Seelen toͤdtet. Wan auch der Welt: 
Menſch / ſolche Aepffel mit groffer Muͤhe zuwegen 
gebracht hat / vnd fie erſt anfahet zugenteſſen / als⸗ 
dan nimbt ihms der gewaltige vnd ſtarcke Todt auß 
den Haͤnden. 

Zugleicher weiß wie ein Knab mit groffer Muͤhe 
vnd Gefahr in einem Garten kompt / von den Doͤr⸗ 
nern vnnd Stauden hart geſtochen vnnd verwund 
wird / vnd fernen Hut / Hofen vnd Ermel mit Aepff⸗ 
len erfuͤllet / wan er aber wider wil auß dem Garten 
gehen / ſo ſtehet der Gaͤrtner vor dem Thor / wartet 
auff ihn / nunbt ihm nicht allein die Acpffel / ſon⸗ 
dern auch den Hut vnd den Mantel / ſchmieret ihn 
noch darzu ab / vnnd verkehrt ihn ſein Freud in ein 
Trawrigkeit: eben alſo ergehts auch den vngluͤckſe⸗ 
ligen wolluſtigen Menſchen / welche mit groſſer 
Muͤhe / Arbeit vnnd Gefahr ſich vnderſtanden die 
Aepffel ihrer Verlangen vnd fleiſchltichen Wolluͤſt 
auß dem Garten der Welt zuſtelen: vund wan fie 
di eſelbige mit groſſer Augſthaffcigkeit vnnd Blut⸗ 
vergieſſen erlangen / ſo wird ihnen doch nicht erlaubt 

ſie lang zubeſitzen / dan der Todt ſtehet in der Thuͤr 
dieſes 


Hirnſchleiffer. 265 


dieſes debeus / nimbt ihnen alles mit Gewalt auß 
den Handen / vnd laͤßt ihnen nichts paſſiren / die 
Frewden vnd Wolluſtbarkeiten bleiben dahinden: 
derowegen ſoll ein jeder Wolluſtiger mit dem Pfal⸗ 
miſten / Pfalm. 73 fagen: Meine Lenden ſeynd 
erfullt mit Spott / vnd iſt nichts geſundes an 
meinem Leib. 


Dritter Diſcurs. 


Ferner werden durch die Circem verſtanden die 
Warſagerinnen / Vnholden vnd Hexen / vnd durch 
deß Ulyifis Geſellen die fuͤrwitzige vnd aberglaubi⸗ 
ge Nenſchen / welche ihnen entweder den Planeten 
leſen vnd warſagen laſſen / was nemblich ſie fuͤr 


Gluͤck oder Vngluͤck haben werden / oder welche ein 
Huͤlff / Rath vnd That bey ihnen ſuchen / vnd von 
ihnen begehren vnderwieſen zu werden / wie ſie hie 
vnd dort Schaͤtz graben vnd erheben / oder dieſe 
vnd jene ſchoͤne Sram zu der dieb bewegen / oder et 
wa ein Kunſt lernen vnſichtbar vmbzugehen / oder 
nicht verwundt werden / oder ſich in kurtzer Zeit in 
frembden Landen befinden / viel ſeltzame Ding ſe⸗ 
hen / vnd allerhand vergangene oder gegenwertige 
oder zukuͤnffrige verborgene Sachen erfahren moͤ⸗ 
gen / dardurch aber gerathen fie letztlichen gar in die 
ſchwartze Kunſt / verbinden vnnd verſprechen ſich 

dem Teuffel / vad werden ſeine ewige Sclaven. 
Hierzu aber laͤſt ſich fuͤrnemblich das fuͤrwitzige 
vnd geile Weiber⸗Geſchlecht bewegen vad einnem⸗ 
men / daß nemblich fie ſich nicht allein imagına- 
M tive, 


266 Hirnſchleiffer. 
tive, das iſt / durch die Einbildungen / ſonder auch 


villeicht realiter vñerſoͤnlich ſich von den Teuffeln 
in Geſtalt der Katzen / Hund / Geiß / Boͤck vnnd 
dergleichen Thier / hin vnd wider tragen oder fuͤh⸗ 
ren laſſen / vnnd ſampt der Heydniſchen Goͤttin 
Diana oder mit der Her odiade, oder andern vielen 
Weibern / bey der Nacht herumb reiten / tantzen 
vnd einen guten Muth haben. So gar bewegen ſie 
bißweilen durch Huͤlff vnd zuthun deß Teuffels die 
Elementen / machen groſſe Vngewitter / Hagel 
vnd Schawrſchaden / verwirꝛen vnd betruͤben deß 
Menſchen Verſtand / vnnd benemmen ihnen viel⸗ 
mals das Leben durch ihr bloſſes ver gifftes anſcha⸗ 
wen oder zauberiſche Wort / beſchaͤdigen auch Vieh 
vnd Menſchen / ja welches ſchroͤcklich zuſagen / ver⸗ 
ehren den Teuffel als einen Gott / vnnd veruchten 
dermaſſen erſchroͤckliche Ding / daß dem jenigen 
der es nur erzehlen hoͤret / die Haar gen Berg ſte⸗ 
hen moͤchten. 

Dergleichen deut aber / welche folche zauber vnd 
Teuffeliſche Huͤlff / Rath vnd That brauchen / fal- 
len nicht allein in viel groſſe vnnd ſchwaͤre Vngele⸗ 
genheiten / ſonder in groſſe vnnd ſchwaͤre Todtſuͤn⸗ 
den / dann erſtlich verlaugnen ſie den Catholiſchen 
Glauben / in dem ſie den Teuffel zum Gchuͤlffen 
gebrauchen / ſo bekennen ſie auch heimlich / er ſey 
viel mächtiger weder Gott / dardurch geben ſie zu⸗ 
erkennen / daß Gott nicht Allmaͤchtig / ſondern der 
Teuffel viel maͤchtiger ſey ihnen zu helffen: da doch 
gewiß vnd vnzweifflich iſt / daß Gott nur ale in der 
wahre vnd einige Helffer iſt / derowegen feynd An- 
tonius on die heilige Einſidler nicht zu de Tuffeln / 

ſonder 


Hirnſchleiffer. 267 


ſonder zu Gott gelauffen Wer hat den Noe auß dẽ 
Suͤnd fluß erꝛettet / dẽ ſoſuæ, Conſtantino Mag- 
no, Theodoſio Migno Carolo Magno dẽ Sieg be⸗ 
ſchert! Wer hat zur Zeit Chriſti fo viel krancke vnd 
breſthaffte Menſchen geſund gemacht / als eben 
Gott? derſelb hilfft noch allen denen / die ihm traw⸗ 
en vnd auff ihn hoffen / derowegen ſpricht der Wei⸗ 
ſe⸗ Mann im 12. Capittel. O ihr Soͤhn / ſehet 
auff die vorigen Geſchlecht / vnnd wiſſet daß 
nie keiner iſt zuſchanden worden der auff den 
HeErꝛn gehofft hat / dann wer iſt je in feinen 
Gebotten blieben / vnd iſt von ihm verlaſſen 
worden? oder wer hat ihn angeruffen mit 
trawen / den er veracht habe? Derowegen 
werden ſolche deut von Gott verlaſſen / leben als: 
dann vnder deß Teuffels Schutz vd Schirm / 
ſie werden auch ſehr armſelig / dann ſie dienen ei⸗ 
nem ſolchen Herꝛn / welcher der allerarmſeligſt 
iſt / daher iſts je wunderlich / daß die Menſchen 
zu wider erlangung der verlohrnen Sachen / oder 
der verborgenen Schätzen / oder der $eibg « Ge- 
ſundheit zu ihm lauffen / vnnd ſeinen Rath brau⸗ 
chen vnd folgen / dann wofern fie etwas finden / 
vnnd zuwegen bringen Föndten/ fo würden ſie ſehr 
reich ſeyn / da doch fie ſehr arm / verächtlich 
vnnd erſchröcklich anzuſehen ſeynd / dann weil der 
Teuffel ihnen nur in ſ haͤndlichen als Rappen / Ka⸗ 
tzen / Bocks⸗vnnd Nacht⸗Eulen Geſtalten erſchei⸗ 
net / vnnd weil fie dieſen Rampes etwa in einem 
Glaß / oder Ring / oder runden Zirckel ſehen / ſo 


Mi ver: 


268 Hirnſchleiffer. 


verlieren ſie dardurch die natuͤrliche Farb / vnd ge⸗ 
hen vmb / als verzagte / er ſchrockne vnnd verzweiff⸗ 
lete deut. Darbeneben werden ſie je uͤbel betrogen / 
dann der Teuffel ſpielet mit ihnen wie ein falſcher 
Spieler / vnnd wie ein Katz mit der Mauß. Zo- 
roaſtes der erſte Zauberer ward ſchaͤndlich vmb⸗ 
bracht vom Koͤnig Nino: Pharao ward durch die 
Schwartztuͤnſtler verführt / vnnd verlohr letztlich 
fein deben ſampt dem Reich: Von wegen der Aber⸗ 
glauben wurden die ſieben fuͤrnembſten Staͤmm 
Iſraels verhindert / ins verheiſſene Land zugehen: 
Weil Koͤnig Achab ſich an die Warſager henckte / 
fo ward er in der Schlacht toͤdlich verwund. Keyſer 
Julianus ſuchte Huͤlff beym Teuffel / vnd vberkam 
ein zweiflige Antwort / aber in eben demſelben 
Zug ward er ſchaͤndlich vmbbracht. Koͤnig Saul 
berathſchlachte ſich mit einer Warſagerin / die 
verhieß ihm den Sieg / aber an einem einigen Tag 
verlohr er den Sieg / das Leben / Koͤmgreich vnnd 
Sohn. Ja ſo gar zu vnſern Zeiten ſehen wir / daß 
ſelten ein Koͤnig oder anderer / der mit dergleichen 
Schwartzen⸗Kuͤnſten vmbgehet / vnd dem Teuffel 
mehr als GOtt trawet / ein gutes Endt nunbt: 

Dann wie einer der fein Hertz zu Gott geſetzt hat / 
von ihm regiret vnd erhalten wird / alſo wer ſein 

Hertz vnd Vertrawen zum Teuffel ſetzet / der wird 

von ihm regiret / derowegen ſagt der Pſalmiſt: 

Wirff deine gedancken auff Gott / ſo wird 

er dich ernaͤhren / wirffſtu aber deine Gedan⸗ 

cken auff den Teuffel / ſo wird er dich vmb⸗ 

bringen. 

Ber 


Hirnſchleiffer. 269 


Beſchließ lichen ſagt man von etlichen Heydni⸗ 
ſchen Voͤlckern / die man die Neurier nennet / vnd 
die beym Fluß Boriſtene wohnen / die werden biß⸗ 
weilen zu ſonderbaren Zeiten im Jahr / in Woͤlff 
verkehrt / als haͤtten ſie einen Trunck von der Circe 
getruncken. Dergleichen Neurier moͤchten villeicht 
auch anderſtwo zufinden ſeyn / welche ſich anfangs 
gantz demuͤtig vnd ſanfftmuͤtig ſtellen / aber ſo bald 

fie das Regiment in den Haͤnden haben / ſo 

werden ſie guß Hirten in hungerig 
reiſſende Wolff ver⸗ 
lehrt. 


(O) 


270 Hirnſchleiffer. 


Ein Koͤnig traͤgt ein Schluͤſſel. 
auff der Schulder. 


M)oer andern ſchoͤnen Sprüchen / welche der 

Ageſilaus Koͤnig zu Lace demonia geredt / war 
auch dieſer einer: Einem Fuͤrſten gebuͤrt / daß er den 
gemeinen Man vbertreffe / nicht zwar in Muͤſſig⸗ 
gang / Wolluſt vnd Zartheit / ſonder in der Maͤſſig⸗ 
keit vnd Staͤrck. Laertius erzehlet / es habe def Chi- 
lonis von Lacedemonia Bruder ſich beflagt / daß 
ihm fein Bruder Chilo im Fuͤrſtenthumb fuͤrgezo⸗ 
gen / vnd zu einem Fuͤrſten erwoͤhlet wär worden / 
aber Chilo gab ihm zur Antwort: Ego injuriam 
ferre 


Hirnſchleiffer 271 
ferre novi: als wolt er fagen : Mein Bruder ver⸗ 
wunder dich nicht / daß man mich dir vorgezogen / 
dan man hat vnder andern Tugenden eine an mir 
geſehen vnd wargenommen / wel che einem Fuͤrſten 
inſond erheit nothwendig iſt / nemblich die Gedult / 
die aber du nicht haft. Alphonfus König in Arago- 
nis ſagte einsmals / daß der jenig / welcher ſich on- 
derſtehet andere zu regirẽ / dieſelbigen in den Tugen⸗ 
den vbertreffen muͤſſe / weil er Höher vnd mehr in der 
Dignitaͤt vnd Hochheit iſt. Wie die Tugend vnd da⸗ 
fer / die Heiligkeit vnnd Wolluͤſt ſich miteinander 
nicht vergleichen oder vbereinſtimmen / alſo koͤnnen 
die Buͤrd vnd Laſt der Dignitaͤten vnd Prælaturen 
ſich gar nit vergleichen mit der Ruhe vnd Zartheit / 
dan was ſeynd die Prælaten / Könige vñ Regenten / 
als Waͤgen vnd Fuhrleut / inmaſſen Eltas war / 
als Eliſæus zu ihm ſagte: 4 Reg 2. Mein Vat⸗ 
ter / mein Vatter / der Wagen Iſraels vnd 
fein Fuhrmann. Dann den Eliſrum gedunckte⸗ 
Elias ſaͤß in einem fewrigen Wagen vnd regierte 

die Roß wie ein Fuhrmann. Der Wagen erträgt 

den gantzen Laſt / derſelb iſt bißweilen dermaſſen 

ſchwaͤr / daß er ihn kaum ertragen kan; Aber Elias 

trug den gantzen Saft Iſraels / er fuͤhrte ſie auff 

den rechten vnd ebnen Weg / dann er wendet fie 

ab von der Verehrung der falſchen Götter / vnnd 

wieſe ſie zum wahren Dienſt deß ewigen Gotttes. 

Eben ein ſolcher Wagen vnnd Fuhrmann deß 

Volcks ſoll ein rechtſchaffner Pr⸗ lat ſeyn: Em 

Fuhrmann zwar / damit er das Volck regiere vnd 

auff die Himmels⸗ Straß führe : Ein Wagen 
aber damit er ihre Schwachheiten trage / vnd ſie 
M 4 we 


272 Hirnſchleiffer. 


wo vonnoͤthen / vor allen ihren Feinden beſchuͤtze 

vnd verthedige. Wann nun dieſes alles zuſammen 

gezogen vnd auff deß Pra laten Achſel gelegt wird / 

ſo iſts in der Warheit je ein ſchwaͤrer daſt vnd Buͤrd 

welche dem Atlanti ſeine Schultern nidertrucken 
noͤchten. 

Das alles deutet Eſatas Cap. 22. an / da er ſagt / 
es ſey dem Hellachim ein Schluͤſſelzum Haufe deß 
HeErxin gegeben worden / welcher dermaſſen ſchwaͤr 
war / daß er ihn auff ſeine Achſel legen vnnd tragen 
muſte: Ich will auch den Schluͤſſel deß 
Hauſes Davids auff fein Schulter legen. 
Ich will dem Hohenprieſter ſeine Biſchoffliche Klei⸗ 
der vnd Zierd abziehen / vnnd meinen Knecht Elia⸗ 
lim darmit bekleiden / vnd er ſoll mein Hoherprieſter 
ſeyn. So gar will ich den Schluͤſſel deß Hauſes 
Davids welcher mein Tempel iſt oder den Koͤnig⸗ 
lichen Scepter auff ſein Schulter legen. Ein wun⸗ 
derbarliches Ding iſts / daß ein Hauß⸗Schluͤſſel / 
der für fich ſelbſt ſeicht vnd gering iſt / den man auch 
gar letchtlich an einer Gůͤrtel tragen oder in der 
Hand mit den Fingern von Kurtzweil wegen / vmb⸗ 
draͤhen kan / vnd dannoch ſagt der HER: Ich 
will jhne auffhefften zu einem Nagel an ei⸗ 
nem feſten Ort. Aber der Herꝛ gab hierdurch zu 
verſtehen / daß deß Eliakims Dignitaͤt oder Præ⸗ 
latur dermaſſen ſchwaͤr ſeyn wurde / daß er fiefo gar 
auff feine ſtarcke Schultern würde legen muͤſſen: 
Item / daß der Herꝛ den Schlüffel an einen Na⸗ 
gel auffhefften wolte. Ob derowegẽ ſchon ein Fuͤrſt / 
ein Konig nut Purpur gekleidt / mit einer Cron 
geziert / 


Hirnſchleiffer. 272 


geziert / mit Trabanten / Harbſchirern vnnd Sand» 
ſtaͤnden vmbgeben iſt: Ob ſchon ein Præ lat im 
weiſſen Kleid / mit einer koͤſtlichen Infel auffzeucht / 
ob ſchon ferne Finger voll koͤſtlicher Ring ſtecken / ſo 
iſt er doch nichts anders / als ein ſtarcker Angel / an 
den allerley Werckzeug vnd Gefchirr gehängt wer⸗ 
den / die muß er alleſampt vbertragen / dan ermuß 
Gedult haben mit groſſen vnd mit kleinen / mit rei⸗ 
chen vnd armen / mit weiſen vnd mit vnweiſen / mit 
ſtarcken vnd ſchwachen / alle ihre Gebrechen / Maͤn⸗ 
gel / Muth willen / Vermeſſenheit vnnd Tyrannen 
muß er gedulden / ſtewren vnnd wehren. O groſſe 
Armſeligkeit / O ſchwaͤre Buͤrd / an deren der ſtav⸗ 
cke Hercules gnug zutragen haͤtte? O wie wenig 
wirſtu von vielen betrachtet / in dem ſie wol wiſſen / 
daß ſie viel zu ſchwach ſeynd einen ſolchen ſchwaͤren 
Schluͤſſel der Dignitaͤten zu tragen / vnd nicht de⸗ 
ſtoweniger bemühen vnd reiſſen fie ſich mit groſſer 
Begierd dieſen Schluͤſſel zuerlangen. Wan auch ſie: 
ihn erlangt haben / ſo legen fie ihn nit auff die Schul⸗ 
ter / ſonder hencken ihn an die Guͤrtel / oder ſitzen 
darauff / vnd brauchen ihn nicht zur Muͤhe vnd Ar⸗ 
deit / wie fie billig thun ſolten / ſondern brauchen ihn 
zur Kurtzweil vnnd Wolluſt. O wie hoch waͤre es 
zu wunſchen / daß die jenigen / welche ſich ſo ſehr 
vmb Geiſt⸗vnd Weltliche Prælaturen / Kempter 
vnd Hochheiten reiſſen / ihre Augen auffthaͤten / vnd 
ſehen / was fie ihnen ſelbſt für ein ſchwaͤre Buͤrd 
aufflegen / ſo wuͤrden ſie gewißlich nicht allem dar⸗ 
von abſtehen / ſonder gar darvon lauffen / zumaln / 
wait fie betrachteten / daß ſolche Ding nicht allein 
dem leib ſehr beſchwaͤrlich / ſondern auch der Seelen 
I hoͤchſt 


274 Hirnſchleiffer. 
hoͤchſt gefährlich ſeynd / bevorab / wann ſie nicht 
tauglich gnug darzu ſeynd. 


Ander Difcurs. 


Ferner wird dieſe Figur gedeut auff Chriſtum 
vnſern HErꝛn / von dieſem ſagt Eſalas am 9. Cap. 
Deſſen Herꝛſchafft iſt auff feine Schultern 
gelegt warden. Darauf haben nun die Koͤnige / 
Prælaten / Richter vnd Regenten zu lernen / daß 
ſie die Bnderthanen nicht leichtlich mit ſchwaͤren 
vnleidenlichen Buͤrden beladen ſollen. Von eben 
dieſem Koͤnig Chriſto meldet Eſatas weiter im 
42. Capittel: Ich hab meinen Geiſt auff ihn 
gegeben / vnnd er ſoll den Heyden das Ge⸗ 
richt oder Recht fuͤrtragen / er wird nicht 
ſchreyen noch die Perſon annemmen / vnnd 
ſein Stimm wird nicht drauſſen gehoͤrt 
werden / ein zerſtoſſenes wird er nicht zer⸗ 
knirſchen / vnnd ein rauchendes Dacht wird 
er nicht außloͤſchen / er wird das Gericht 
nach der Warheit fuͤrtragen / ꝛc. Diefes alles 
iſt auff Chriſtum gedeut worden: Aber die Könige 
vnd Richter dieſer Welt ſollen ihm dußfals fleiſſig 
nachfolgen vnd nicht ſchreyen / dann man findt 
etliche die ſchreyen laut / mutzen die Safter hoch her⸗ 
fuͤr / vnd erſchrecken der Schuldigen Gemuͤther der 
maſſen / daß ſie an der Goͤttlichen Barmhertzigkeit 

leichſamb verzweiflen: Zum andern ſollen fie die 
Perſan nicht anſehen / dann uͤbel gehets zu / wo die 
ö Anſe⸗ 


Hirnſchleiffer. 275 


Anſehung der Perſon dem gemeinen Nutz vor⸗ 
tringt. Dritteus ſoll kein Stimin drauſſen gehoͤrt 
werden / das iſt / man ſoll der Menſchen geheime 
Gebrechen nicht offenbaren / ſondern ihre Ehr / fo 
viel muͤglich / erhalten helffen. 

Deß gleichen ſagt Jeremias c. 21. Ich will dem 
David ein recht Gewechß erwecken / vnnd 
wird Konig regiren / vnnd wird weiß ſeyn. 
Dieſe Wort werden gleichfals auff vnſern Koͤnig 
Chriſtum verſtanden / als wolt der Prophet ſagen. 
Es wird auß Davids kenden ein gerechter Sohn 
entſpringen / vnd der König wird regieren / dan etli⸗ 
che regieren nichts als Koͤnige / ſonder als Tyran⸗ 
nen / vnd ob ſchon den Richtern auß den codicibus 
Juftinianis oder Land⸗ Richtern vorgeſchrieben 
wirdt / was ſie richten / vrtheilen vnd erkennen ſol⸗ 
len / ſo ſollen ſie doch die Cenſur vnnd Maͤſſigung / 
welche in den Geſetzen gehalten ſoll werden / von 
dieſem allerhöchften König Chriſto vnnd feinen 
Evangelio lernen / dan ihr ſeyd nit allein Richter / 
ſonder auch Christliche Richter: Dieſer Vrſachen 
halben ſagt Eſalas: Ein zerſtoſſenes wird er 
nit zerknirſchen. Vnnd anderſtwo gefchwieben : 
Eccl,7. Man ſoll nit allzeit nach der firengen Gere⸗ 
chtigkeit vrtheilen / vnnd wie die Mechel deß Hyp- 
pocratis Regula mit einer groſſen Fuͤrſichtigkeit 
Moderation vnd Maͤſſigkeit brauchen: Alſo iſts 
billig / daß die Juriſten der Fuͤrſten oder Keyſer 
decrera mit der liebligkeit deß Evangelii temperi⸗ 


ren vnd maͤſſigen. 
M 6 Drit⸗ 


Hirnſchleiffer. 
Dritte Außlegung. 


Daß ferner dieſer fuͤrgemahlte Mann auff der 
andern Schulter ein Lamb traͤgt / dardurch wird der 
Hirten oder Pra laten groſſe Lieb / die fie gegen ih⸗ 
ren Vnderthanen haben ſollen / bedeut / mmaſſen 
vom König David in ſeinem 77. Pſalm. geſchrie⸗ 
ben ſteht. Der HErꝛ erwoͤhlet ſeinen Knecht 
David / vnnd nam ihn von der Herden 
der Schaf: Von den ſaͤugenden Schafen 
her holet er ihn / daß er ſein Volck Jacob wei⸗ 
den ſolt vnd fein Erb Iſrael / vnd er weidete 
fie auch in Vnſchuld feines Hertzens / 
vnnd fuͤhret ſie mit Verſtand ſeiner Haͤnd 

Hierauß erſcheint / daß David weder ein Hirt / 
noch ein Beſitzer der Schaf / ſondern gleichſamb 
nur ein Knecht eines Hirten ſey geweſt / dem die 
ſaugende Schafoder daͤmmer verſorgen / vnd groſſe 

Sorg vnd Fleiß darbey zugebrauchen gebührt vnd 
obligt. Dann fo gar muͤſſen die Hirten bißweiln die 
kammer die im Feld geziglet werden / auff ihren 
Schultern legen / oder ouff thren Armen tregen / 
vnd ſie zartiglich vnd mit einer groſſen dieb erziehen 
vnd auffbringen. Dann ein guter Hirt ſetzet ſein 
Seel fuͤr feine Schaf dar. 

Der jenig iſt deß Namens eines Hirten nit wuͤr⸗ 
dig / welcher ſeme Schaf nit allein auff ſeiner Schul⸗ 
Ach fragt / vnd ein hertzliches Mitleyden mit ihrer 

Zartheit vnd Noth hat / ſonder auch im fal der 
Nolh ſein geben für ſie dargibt. Nichts wird neh⸗ 
res 


Hirnſchleiffer. 277 


res von einem Hirten oder Seelſorger erfordert / 
als eben die dieb / dan ehe vnd bevor der Herꝛ dem 
Petro erlaubte ſeine Schaf zuweiden / fragte er ihn 
zum dritten mal / ob er ihn lieb haͤlte? Er fragte ihn 
nicht / ob er eines hochadelichen Geſchlechts waͤre / 
er haͤlt ihm auch keine ſubtile oder jrrige Fragen fuͤr / 
ſondern er fragt jbn nur vmb die Lieb. Diefes iſt der 
Probierſtein / daran man die Prælaten in examine 
ſtreichen vnd probiren ſoll / daun an der Lieb gegen 
Gott vnd den Vnderthanen / iſt vielmehr gelegen / 
weder an der Geſchickligkeit 
Beſchließlichen / daß ein Hirt das Schaf liebet 
vnd weidet / iſt ſolches nicht viel / noch ein Wunder / 
dann er hat einen guten Nutz vnd Gewin darvon / 
nemblich Milch Kaͤß / Woll / rc. aber ein Wunder 
vnd groſſes Zeichen der Lieb iſts / er ein erſtgebornes 
Lamb liebet / vnnd viel Muhe vnd Arbeit mit ihm 
außſteht: O wie viel Prælaten / Hirten vnd Seel⸗ 
ſorger: lieben vnd weiden nur die feiſte Schaf / das 
iſt / die feiſte Prælaturen / Pfarꝛen vnd Pfruͤnden / 
bey denen wenig Muͤhe ond Arbeit / vnnd dach ein 
groſſer Gewinn vorhanden iſt / aber die ſchlechte 
oder arme Prælaturen vnnd Pfarzen ſeynd ihnen 
zuwider / derowegen thun ſie nichts auß Keb / 
ſondern alles auß Begierd deß Nutzes 
vnd Gewinns. 


278 Hirnſchleiffer. 


Die Zeit verfolget ein nackenden vnd 
verſchleyrten Juͤngling. 


Do 
det 
Augen mit einem Schleyer bedeckt / deſſen rechte 
Handt hinden auff den Rucken gebunden vnnd die 
lincke ledig vnd loß war. Dieſen Juͤngling verfolgte 
die Zeit / vnd zohe im täglich einen Faden nach dem 
andern auß dem Schleyer / der ihm ſein Angeſicht 
bedeckte. 
Durch dieſes Juͤnglings Nackenheit wird der 
Jugendt Vnverſtandt repre ſentiret / dan ſie ſchoͤ⸗ 


men ſich nicht / vnd ob ſchon ihre Vnthaten offenbar 
wer⸗ 


Hirnſchleiffer. 279 
werden / ſo werden fie doch nicht ſchamroth. Durch 
die Bedeckung der Augen wird bedeut / daß die jun⸗ 
ge Leut ihre Augen vor allen Dingen verfperien / 
vnd nach niemandts ſagen oder Straffen etwas 
fragen / noch auch niemandt vnderworffen ſeyn 
woͤllen / derowegen tappen ſie als Blinde an den 
Wenden vmb / ſtrauchlen vnnd fallen offtermals 
ſchaͤndlich. 

Der Jugendt iſt die rechte Handt gebunden vnd 
die liucke frey / dan niemaln thun vnd verzichten fie 
etwats guts / ſonder all ihr Thun on daſſen geſchicht 
mit Vubedachtſamkeit vnd Vnbeſonnenheit. Dies 
ſen Juͤngling verfolget die Zeit / dieſelbe zeucht ihm 
den Faden auß dem Fuͤrhang oder Schleyer / dann 
taͤglich nimpt ſein Leben ab / vnd je mehr die Faͤden 
auß dem Schleyer gezogen werden / je mehr wird 
fein Leben getuͤrtzt vnd abgeſchnitten. Weil auch der 
Weeg beſchwerlich zuwandern iſt / vnd feine Augen 
dedeckt ſeynd / vnd vnangeſehen er ein viel laͤngere 
Zeit zuleben hat / weder ein Alter / ſo ſtehet ein deſto 
höherer vnd tiefferer Fall bevor. 

So wol den Alten / als den Jungen drohet der 
Her durch den Pfalmiften Plalm. 7. vnd ſpricht. 
Wann ihr euch nicht bekehret / fo hat er fein 
Schwerd gezuckt / vnnd ſeinen Bogen ge⸗ 
ſpannet / vnd wird gefertigt. Mit dem Bogen 
ſcheuſt vnnd mit dem Schwerdt trohet der HErꝛ 
allen den jentgen / welche ſich feinen Haͤnden nit frey⸗ 
williglich ergeben: Mit dem Schwerd verwundet 
er die Alten welche nur noch zween Schritt weit 
vom Todt ſeyn: Mit dem Bogen beſchaͤdiget er die 


Sun 


280 Hirnſchleiffer. 


Jungen / welche darvon lauffen / vnd ſich auff ihre 
Geſchwindigkeit / Geſundheit / Staͤrck vnd langes 
Leben verlaſſen. 

Die Jugendt betrachtet nicht / daß der Todt ein 
Fiſcher iſt. Dann wie ein Fiſcher der am Vfer deß 
Waſſers auff einem Felſen oder Stein ſteiff vnd vn⸗ 
beweglich ſitzet / angelt / die groſſe vnd kleine Fiſch 
mit dem Angel fahet / herauff zeucht vnnd ins Ge⸗ 
ſchirꝛ wirfft / alſo iſt der Todt ein gro ſſer Fiſcher / 
derſelb wirfft immerdar / bey Tag vnnd Nacht fein 
Netz im groſſen Meer dieſer Welt auß / haͤlt im fiſ⸗ 
chen durchauß kein Maß noch Ordnung / ſiehet kein 
Perſon an / ſondern greiffet jetzt den groſſen Hanf 
vnd Herꝛn an / bald nimbt er den Vnderthanẽ beym 
Grind / bald erwiſchet er einen jungen / vnd verſcho⸗ 
net weder deß Koͤnigs / deß Edelmanns noch Baw⸗ 
rens / noch auch deß Gelehrten noch Vngelehrten. 
Die Jungen ſeynd einer viel groͤſſern Gefahr vn⸗ 
derworffen / weder die Alten / dan dieſelben ſchleichẽ 
behutſamlich hindurch / dan weil die Jugendt groß⸗ 
muͤtig iſt / ſo hüter fie ſich deſtoweniger / lebt im ſauß 
vnd brauß / vnd laßt ein kleines Waldvoͤgelein ſor⸗ 
gen: Die alten ſehen den Todt mit ſeiner ſcharffen 
Sichel her zu gehen / treiben ihn weit von ſich / flie⸗ 
hen vnd meyden alle Anlaͤß / Vrſach vnd Gelegen⸗ 
heiten deß ſuͤndigens / aber die junge Leut verlaſſen 
ſich auff ihre Jugendt vnd Staͤrcke / foͤrchten vnd 
meyden kein Gefahr / vnd begeben ſich gar liederüch 
in alle Weitlaͤuffigkeiten / vnd in $eibs vnnd Lebens 
ja der Seelen Gefahr. Die Jugendt iſt ein Fewr / 
welches / wan es nit wol in obacht genommen wird / 
verbrennt es den gantzen Lauff dieſes Lebens / vnd 
ver⸗ 


Hirnſchleiffer. 281 


verſchwendet die gantze Subſtantz vnſerer Zeit vnd 

Jahren: Sie iſt das vierdte Ding / welches der 

Weiſe⸗Mann bekennt / daß ers nicht verſtanden 

habe / die Jugendt iſt vnverſtaͤndig / voller Jewr 

vnd allerley Paſſtonen vnderworffen. 

Ein Hand mit einem Aug. 
——— .. 


ä 


2 8 Das 
As ee : a 


— ͤ — — >; 

Da Egyptier pflegten durch das Aug GOtt 

den HERNNzubedeuten / vermoͤg der Wort 
Ecclef. c. 34. Das Aug GOttes ſihet alles. 
Dan erſtlich hat Gott zweyerley Augen / nemblich 
ein Aug der Barmhertzigkeik / derowegen ſpricht 
der Eccleſiaſticus: Gott iſt gnaͤdig vnd barm⸗ 
hertzig 


282 Hirnſchleiffer. 


hertzig uͤber ſeine Heiligen / vnnd ein Auff⸗ 
ſehen hat er auff ſeine Außerwoͤhlten. 
Dieſe beyde Augen GOttes waren vorzeiten vers 
ſpert: Vnd zwar das Aug der Weißheit / dann er 
zeigte niemand den Weg zum Vatterland zu gehen: 
Das Aug der Barmhertzigkeit aber wolte ſich mit 
niemand verſoͤhnen laſſen / derwegen ſagte der H. 
Job cap. 30. Trette ich herfuͤr / fo achteſtu 
nicht auff mich / du biſt mir verwandelt in 
einen grauſamen. 

etztlichen aber hat er das Aug der Weißheit auff⸗ 
gethan / als er den Juden das Geſetz gab. Item / 
das Aug der Barnıhergigfeit hat Chriſtus auffge⸗ 
than / als er allhie auff Erden die Menſchẽ anſchaw⸗ 
te / vnd freundlich mit ihnen redete. So gar ſihet er 
noch anjetzo auff die Gerechten / welche ihn foͤrch⸗ 
ten / inmaſſen ſolches der Pſalmiſt andeut / da er 
ſagt: Palm. 33. Die Augen deß HErꝛn ſehen 
auff die Gerechten / vnnd feine Ohren auff 
ihr bitten. Item pſal. 32. Sihe deß HErꝛn 
Aug ſihet auff die ſo ihn foͤrchten / vnnd auff 
die ſo auff ſein Barmhertzigkeit warten: 
Wann wir ein föftliches gläfernes Geſchirꝛ haben / 
fo doͤrffen wir kaum vnſere Augen darvon abwen⸗ 
den / damit es nicht zerbrochen werde: wann es ſich 
auch anſehen laͤßt / als woͤlle es fallen / oder wann 
es ſich auffm Tiſch beweget / alsdan heben vnd hal⸗ 
ten wirs geſchwind mit der Hand: Ein Gerechter 
iſt ein ſolches koͤſtliches Geſchirꝛ / welches mit Bal⸗ 


ſam 


Hirnſchleiffer. 283 
ſam der Gnaden erfuͤllet iſt / dann der Apoſtel 
ſagt in der 2. Cor. 4. c. Wir haben ſolchen 
Schatz in jrꝛdiſchen Gefaͤſſen / ꝛc. Vnſer koͤſt⸗ 
liche Seel / welche alle Schaͤtz der Welt uͤbertrifft / 
tragen wir im ſchwachen Geſchirꝛ deß Fleiſches / 
aber der maſſen hochſchetzet Gott eines Gerechten 
Seel / daß er die Augen ſeiner Majeſtaͤt nicht dar⸗ 
von abwendet / damit ſie nicht verderbe / oder in ein 
Laſter falle / welches dan kein Wunder iſt / weil er 
fein koͤſtliches Blut zu ihrer Erſoͤſung vergieſſen 
hat woͤllen. 

Zum andern ſihet es auch auff die Suͤnder / von 
diefer Sorgfaͤltigfeit ſtehet im 33- Pfal. geſchrieben: 
Das Angeſicht deß HErꝛn ſtehet vber die 
ſo boͤſes thun / daß er jhr Gedaͤchtnuß 
außreute vom Landt. Item Plal. 103. Er 
ſchawet die Erd an / vnd machet ſie beben / 
Er ruͤhret die Berg an / ſo rauchen fie. Durch 
die Erd vnnd Berg werden die Wele⸗Menſchen 
vnd hoffertige Suͤnder verſtanden / in denen das 
anſchawen oder Geſicht GOttes dermaſſen viel 
wircket / daß hernacher ein heilige Forcht vnd Lieb 
deß Goͤttlichen Fewrs in jhnen verbleibet: das er⸗ 
fennte der H. David / als er im 34. Pſalm ſagte: 
HErꝛ wie lang wilt du zufehen ? Bring 
doch mein Seel wider auß jhrer Boßheit. 
als wolt er ſagen: Weil ich O Herr / das jenig 
liebte / was mir nicht gebuͤhrte / ſo bin ich gleich⸗ 
ſamb ohn ein Seel / derowegen ſchaw auff wie 

ihe 


284 Hirnſchleiffer. 


ſihe mich an mit den Augen deiner Goͤttlichen 
Barmhertzigkeit / vnnd gib mir meine Seel wider. 
O wie viel Menſchen ſind man jetzo / welche ihre 
Seel anderſtwo entweder im Geldkaſten / oder in 
der Kebhaberin / oder in den Dignitaͤten haben / 
wofern fie aber ſich zu GOtt bekehren / vnnd ihn 
bitten werden / daß er ſie doch mit den Augen der 
Barmhertzigkeit anſchawen woͤlle / ſo wird er fie er⸗ 
hören / vnangeſehen ſie deſſen nicht würdig ſeynd / 
inmaſſen jene Hebreer waren / vnd vnangeſehen fie 
alleſampt in Egypten Abgoͤtterer waren / nit deſto⸗ 
weniger erbarmbte ſich der Her: vber fie vnd ſprach 
Exod. 3. Ich hab geſehen das Elend mei 
nes Volcks in Cgypten / vnnd hab ihr Ge⸗ 
ſchrey gehört ober die Haͤrtigkeit der Fron⸗ 
voͤgt / ꝛc. 

Nicht allein ſihet vnd ſchawet GOtt obverſtan⸗ 
dener maſſen auff die Menſchen mit den Augen ſei⸗ 
ner Weißheit vnd Barmhertzigkeit / ſonder er hebt 
auch ſeine Handt deß Friedens vnnd Barmhertzig⸗ 
keit vber ſie / wie zuſehen iſt beym Zacharia am 2. 
Cap da er ſpricht: Sihe / ich wil mein Handt 
vber ſie heben / daß ſie denen ſoll zu Raub 
werden / die zuvor ihre Knechte waren / ꝛc. 
Alsdan hebt GOtt die Handt vber die Menſchen / 
wan er ſie ſtraffet / dan die auffhebung der Handt 
iſt ein Zeichen der kieb vnd deß Friedens. So ſtraf⸗ 
fet vnd geiſſelt derowegen Gott die Menſchen / wan 
er ſeine Handt auffhebet / dan die Straff vrd Gei⸗ 
ſel / mit denen er die ſeinigẽ in dieſem Leben keſteyet / 
erfol⸗ 


Hirnſchleiffer 285 


erfolgen vnnd entſpringen auß ſeiner vnendlichen 
deb / vnd begehren nichts anders / als den Frieden 
vnd die Verſoͤhnung Der H. Hieronymus (fs 
weget die Wort deß H. Jobs Cap s. Selig iſt 
der Menſch / der von Gott geſtrafft wird. 
vnd ſpricht: Ein jeglicher Außerwoͤhlter muß zu 
erlangung der ewigen Belohnung / allhie auff Er⸗ 
den jinmerdar kaſteyet werden / damit er hernacher 
vor Gericht rein erfunden werde: Wie den Gicht⸗ 
bruͤchtigen das Waſſer viel geſunder iſt / dann der 
Mein / alſo iſt uns Menſchen das Waſſer der Wi⸗ 
derwertigkeiten viel heilſamer / dann der Wein deß 
Wolſtandts / derowegen ſollen wir den Wein der 
zeitlichen Gluͤckſeligkeit nicht anſchawen / wann er 
gelblicht iſt / e Selig ſeynd die / auff welche das 
Aug der Barmhertzigkeit deß HErꝛnſthet / vnd uͤber 
die er die Hand ſeiner Straff vnnd Zuͤchtiguag he⸗ 
bet / dan fie werden das Kraͤntzlein der ewigen Se⸗ 
ligkeit erlangen. Das wird vns nun bedeut durch 
die obſtehende Figur. 


Ander Diſcurs. 


Sonſten ſihet vnnd betrachtet das Aug Gottes 
alles / ſo wol die Frommen / als die Boͤfen: die From⸗ 
men zwar / ſie zu ergetzen vnd zubelohnen: die Boͤſen 
aber fie zuſtraffen / daß verſtund Hetio dus wol / als 
er ſagte: Das Aug GOrtes ſihet alle Ding / fo wol 
das allerſchlechteſte kriechende Erdwuͤrmlein auff 
Erden / als den hochſtiegenden Adler / dan der Apo⸗ 
ſtahſagt: Heb 4. Ale Ling ſeynd bloß vnnd 
offen⸗ 


286 Hirnſchleiffer. 


offenbar vor ſeinen Augen. Nicht allein offen / 
ſondern auch nackend ſeynd alle Ding vor ſeinen 
Augen: ſeine Augen erzeichen den Himmel / ſehen 
in die Tieffe der Hoͤllen / vnd erſtrecken ſich biß an die 
aͤuſſerſte End deß Meers / derowegen fpricht. luſti- 
nus: Qualis Deus, mihi dicito, cenſendus eft. 
Qui cuncta cernit ipſe, ſed noncernitur ? So 


ſpricht auß Orpheus: 


Vnic us eſt per ſe exiſtens qui cuncta crea vit. 
Lumine conſpectans, mortales c nSpicit omaes. 


Narꝛen waren derowegen die jenigen / welche beym 
H. Job am 22. Cap. damit ſte in ihren Saftern vnd 
Greweln defto freyer beharzen moͤchten / ſagten / 
Gott waͤre blindt vnd ein! Ignorant / ſprechendt: 
Was weiß G Ott? vnnd er vrtheilt eben als 
durchs Tunckel. Die Wolcken ſeine Vor⸗ 
deck / vnnd ſihet nicht auff vnſere Ding / ꝛc. 
Eben dieſer Meinung war auch jener Nar: / wel⸗ 

cher beym kccle ll c. 23 ſagte: Wer ſihet mich / 
ich din in der Finſternu Bring: s weiß vmb⸗ 
geben: die Wend bedecken mich / niemand 
ſihet mich: wen ſoll ich ſcheuhen? der Aller, 
hoͤchſt wird meine Sind nicht gedencken. 
O Narr weiſtu nicht / daß das Goͤttiͤche Aug dich 
anſchawet vnd bey dir gegenwertig iſt an alen Or⸗ 

ten wo du hingeheſt: Weiſtu nicht / daß ſene Au 

gen klar vnd viel Zlantzender ſeynd / weder die 


Sonn / 


Hirnſchleiffer. 887 


Sonn? Sie mercken alle Gaͤng der Menſchen / die 
Tieffe deß Meers erꝛeichen ſie / die verborgene Ge⸗ 
dancken in deß Menfchen Hergen erforfchen fie. Zu⸗ 
gleicher weiß wie die junge Knabẽ / wan ſie jhre Au 
gen verdecken vnd niemand ſehen / vermeinẽ / ſie wer 
den von andern nit geſehen / alſo vermeinẽ die Gott⸗ 
loſen / Gott ſihe ſie nicht in jhrenkaſtern / aber der H. 
David hält jhnen widerpart vnd ſagt im oz Pfalm 
Mercket doch jhr Darren / vnder dem 
Volck / vnd jhr Thoren wolt doch einmal 
weiß vnd klug werden : der das Ohr ge⸗ 
pflantzt hat / ſoll der nicht hoͤren? der das 
Aug gemacht hat / ſoll der nicht ſehen? der 
die Heyden zuͤchtiget / ſolt der nit ſtraffen? 
der die Menſchen lehret was ſie wiſſen. 
Vnd der Apoſtel Paulus Hebr. 4 ſpricht: Alle 
Ding ſeynd bloß vnd offenbar vor den Au⸗ 
gen deß Herꝛen. Wann einer ein koͤſtliches Klei⸗ 
not ſtilt / vnd drüber erdapt on beſucht wird / alsdañ 
verſchlinget ers / vñ iſt vnmuͤglich daß mã es finde / 
ab er die Göttliche klare Augen Gottes ſehens vnd 
wiſſens / dan alles iſt vor jhnen bloß vnd offenbahr / 
dann na. Job fagt Cap 28 Er hat erforſchet 
die Tieffe der Waſſer / vnd bringet das ver⸗ 
borgen drinnen ans Liecht als wolt er ſagen: 
Deß Suͤnders jnnerliche im Hertzen bringt 
er an tagt dann das Hertz deß Gotloſen iſt 
gleichſam ein vngeſtuͤmmes Meer / welches 

| me⸗ 


288 Hirnſchleiffer. 


niemaln Ruhe hat: In diefes Meer gehet der Here 
mit trucknen Fuͤſſen / vnnd alles was darınnen ver⸗ 
borgen ligt / das bringt er an das Liecht vnd an das 
Vfer / damit es am Juͤngſtentag von jederman ge⸗ 
ſehen werde: O was vnd wie viel abſchewliche ver⸗ 
borgene Suͤnd vnd Laſter welche an jetzo vertuſcht 
vnd mit der Finſternuß uͤberzogen werden / werden 
alsdã offentlich herfuͤr breche? O wie viel erſchroͤck⸗ 
liche Meerwunder der Laſter / welche anjetzo vnder 
der Decken oder Mantel verborgen ligen / werden 
als dan fuͤr der gantzen Welt erſcheinen! 

Als Abt Pephnutius einsmals von einer groß 
beſchreyten Cortiſana zu der Vukeuſchheit gereitzt 
ward / begehrte er von ihr / ſte wo lie ihn in ein gehei⸗ 
messofament führen/damıt fie beyde von niemandt 
geſehen wuͤrden: Sie führte ihn mit ſich heimb / vnd 
zeigte ihm ihr koͤſtliches vnd weiches Beth / vnd be⸗ 
gehrte / er wolte ſich dareinlegen / aber er antwor⸗ 
tet vnd ſprach: Dieſes iſt kein geheimes noch ver⸗ 
borgenes Loſament: Das Weib antwortet: Es iſt 
ein geheimes Ort / in welches niemand gehet / aber 
wofern du Gott foͤrchtet / ſo iſt keins welches feinen 
Augen verborgen wäre. Als der Alt hoͤrte / daß fie 
von Gott redet / fragte ſte geſchwind / ob ſie wiſſe / 
daß ein Gott ſey? Sie antwortet: Ja: Da ſprach 
er Eben dieſen Gott foͤrchte ich / vnd deſſen Augen 
ich nicht en fliehen kan / derowegen gebuͤhret ſichs 
nicht daß ich ſeiner Gegenwertigkeit mich mit dir 
verſuͤndige. O daß wir allzeit gedaͤchten / daß das 
Aug Gottes alles ſehe / vnd bey allen vnſem Wer: 
cken / Thun vnd laſſen gegenwertig ſey / ſo wuͤrden 
wir gewißlich vnſere ſinnliche vnd vnreine G er 
cken 


Hirnſchleiffer 285 


cken beſſer bezwingen / damit wir vns nicht fo ſehr 
verſuͤndigten. Dann ſelig iſt der Mann (ſpricht 
der Eecleſiaſticus) der in der Weißheit bleibt / 
vnnd ſeine Gedancken in der Gerechtigkeit 
hat / vnd weißlich bedencket das weit Vmb⸗ 
ſehen GOttes. Als wolte er ſagen: Selig iſt der 
Mann der ſich befleiſſet die Erkantnuß Gottes vnd 
der himmliſchen Dingen zuerlangen / auch zu der 
Vollkommenheit zugelangen / vnd der allzeit geden⸗ 
cket vnd betrachtet / er werde aller Orten von Gott 
geſehen / ſo wuͤrde er gewißlich weniger ſuͤndigen / 
ſonder allzeit in der Forcht ſtehen. 

Eſaias betrachtete cap. 40. vnſere Liederlichkei⸗ 
ten / vnd ſagte / es ſey nichts anders daran ſchuldig / 
als das wir dieſelben nicht täglich betrachten / vnd 
ſpricht: Warumb ſagſtu / O Jacob / vnd wa⸗ 
rumb ſprichſtu O Iſrael / mein Weeg iſt 
vorm HErꝛn verborgen / vnd mein Gericht 
iſt ſchon von meinem G Ott dahin? weiſtu 
nicht / oder haſtu es nie gehoͤrt / daß der e⸗ 
wig Gott der HErꝛ der aller Welt Erde 
erſchaffen hat / nicht mud wird noch erligt / 
vund fein Weißheit vnerforſchlich iſt? O 
wie viel Menſchen reden gleichwol eben dieſe Wort 
an jetzo nicht mit dem Mund / aber doch mit dem 
Hertzen glauben ſie nicht daß Gott bey ihnen ſey / 
noch auch daß er fie richten werde. Eine vnder den 
fuͤrnembſten Vrſachen de Verderbens Coins war 

N dieſe / 


290 Hirnſchleiffer. 


dieſe / daß er vermeinte / Gott ſehe nicht was all⸗ 
hie auff Erden geſchehe / derowegen uͤberꝛedete er 
ſich ſelbſt / Gott hätte nicht geſehen / daß er ſeinen 
Bruder Abel vmbbracht hätte: Als derowegen der 
HERR ihn fragte wo ſein Bruder waͤre? Antwor⸗ 
tet er: Ich weiß nicht bin ich dann ein Huͤter mei⸗ 
nes Bruͤders? O Gottloſer Cain / wie biſtu in die⸗ 
fen Irꝛthumb gefallen? Der das Ohr (ſpricht 
David) gepflantzet hat / ſolt der nicht hoͤren? 
Der das Aug gemacht hat / ſolt der nicht ſe⸗ 
hen? Ein groſſe Thorheit waͤre es / wan einer ver⸗ 
meinen wolte / der jenig / welcher die Augen erſchaf⸗ 
fen vnd beſchert hat / ſey blind Keiner andern Vr⸗ 
ſachen halben hat Gott dem Moyſi befohlen / daß 
er ſieben Amplen machen vnnd ſie auff den Leuchter 
ſetzen ſolte / damit ſie gegeneinander leuchten vnnd 
ſcheinen ſolten: als weil er den Menſchen dardurch 
zuverſtehen geben wolte / es ſey in ſeinem Hauſe / 
das iſt in der gantzen Welt nichts ſo dunckel vnnd 
verborgen / welches er nicht klaͤrlich fähe / dieſer Vr⸗ 
ſachen halben fragte der H. David Gott den HErin 
im 138. Pfalm Villeicht Finſternuß mögen 
dich decken: aber es wird die Nacht auch mein 
Sieht ſeyn zum einen Luͤſtẽ? Aber er aatwortett 
Finſternuß wird vor dir nicht duncke l / vnnd 
die Nacht wird erleucht werden wie der Tag / 
wie der Nacht Finſternuß / ſo iſt euch deß 
Tags Liecht. Der Her: ſihet bey der Nacht eben 
fo klar / als beym Tag / derowegen leuchteten jene 7. 
Am⸗ 


„ 291 


Amplen bey Tag vnd Nacht. We 1 allem 
alſo⸗ ah ein Wunder / daß die Suͤnder vor 
den Augen Gottes fo vnverſcl Ja upter ond ve A fs 
fener weiß fündigendörffen / als waͤre er blind vnd 
ſehe es nicht! 


Dritte Außlegung. 
ns / wird durch das Aug vnnd! die offne 
Her Providentz vnd Fuͤrſel hungb 
eb Her: auff de en ach geſtiegen war 


er feine Age n / fahedashungeri; ze Bolck 


es ihm nachfolgete ound frageede Phi⸗ 
wo nem men wir ſo viel Brod / daß wir 
Volck ſperſen koͤnnen? B Bnangeſehen aber 
B rod vnd zween Fiſch gef. 
Hel niger hi jeß e er das Vol 0 ck niderſt tzen / 

f reichlich. Das Volck Ine egere rte 
Fleiſch in der Wuͤf iſte / dan ſie hatten einen Verd druß 
an dem Manna / vnd weil Gott dem Mo yſt verheif: 


ſen hatte / ihnen Fleiſch zugebe n / ſo hielt ers gleiche 


. 


fan für vnmuͤglich / vr und fprad ch Numer cap. ir. 
Sen * 5 N 7718 1 
EA hundert tauſent Mann Fi Wi 
iſt d 

1 


5 
* 


n 


inden wurd 125 


16 
b / vnd ſprich ran cuch Fleiſch ge⸗ 

1 5 aß ihr eſſet ein Monatle ang: ſolt man 
wol ein ſolche Memige Schaff vnnd Rinder 
ſchlachten mögen daß man für ſie gung zueſ⸗ 
fen finde? Aber der Her antwortet ihm ſtaͤ ttlich / 
vnd ſprach: Iſt dan die Hand deß HErꝛn vn⸗ 
kraͤfftig? O heril liches Aug / O reiche Freygebigkeit 
N 2 vnd 


292 Hirnſchleiffer. 
vnd Macht der Hand Gottes! von deren der H. 
David Pfalm. 144. ſagt: Aller Augen warten 
auff dich / HErꝛ / vnnd du gibſt ihnen ihre 
Speiß zu ſeiner Zeit / du thuſt deine Hand 
auff / ꝛc. So gar die arme Erdwuͤrmlein vnd ver⸗ 
aͤchtlichſte Vogel ernehret er / vnnd gibt ihnen ihre 
Speiß. Derowegen ſpricht der H. Job am 38. 
Cap. alſo: Wer bereitet den Rabẽ die Speiß / 
wann feine Jungen zu GOTT ruffen / 
vnnd ſchreyen daß fie nicht zueſſen haben? 
Weil dann dem allem alſo / wer wolte dann an der 
Fuͤrſehung Gottes verzagen? Wer wolte ſich foͤrch⸗ 
ten / vnd beſorgen / daß Gott ihn nicht ernehren / 
vnd deß Hungers ſterben laſſen werde? Inmaſſen 
(leyder) viel Menſchen thun / die GOtt dem 
Hegg nicht trawen / ſondern ſich vmb die zeit⸗ 
liche Nahrung faſt bekuͤmmern / oder ſich gar ſelbſt 
erhencken vnnd vmbbringen / vnangeſehn beym 
Matth. am 6. cap. außtruͤcklich geſchrieben ſtehet: 
Sorget nicht fuͤr ewere Seelen / was ihr 
eſſen werdet / auch nicht fuͤr eweren Leib / 
was ihr anziehen werdet / ꝛc. Dann es werden 
nach der Ernd wicht fo viel Garben Getreyds ge: 
ſamblet / als viel Menſchen jährlich leben / vnnd 
nicht deſto weniger haben alle Menſchen gnug⸗ ſo 
gar bleibt noch übrig auffs zufünfftige. Gewiß iſts / 
das der hunderſte Acker nicht angebawt wird / dann 
an ſtatt tauſent Bawren / die in den benachbarten 


Dorffern wohnen / find man 20000. yund SR 
R⸗ 


Hirnſchleiffer. 293 
Inwohner in den Staͤtten: Weil dan die wenigſten 
die Bawren⸗Arbeit verzichten / vnd für einen jeden 
taum zehen Garben geſchnitten werden (da doch 
jährlich einer kaum mit 100. Garben gnug hat) ſo 
folgt nothwendig / vnd iſt vnlaugbar / daß wir auff 
ein ſonderbare vnnd vnbekante Weiß von Gott er⸗ 
nehrt werden / allermaſſen er fo viel tauſent Men 
ſchen / die ihm in der Wuͤſten nachfolgten / wunder⸗ 
barlicher weiß geſpeiſt vnd erſaͤttigt hat. 

Wie nun der Her: Chriſtus / als er oben auff den 
Berg kommen war / ſeine Augen erhebte / den Hun⸗ 
ger vnd die Noth deß Volcks betrachtete / vnnd ſie 
alleſampt verſorgte: Alſo gebürt allen denen / wel⸗ 
che der HErꝛ auff den Berg der Dignitaͤten vnnd 
Hochheiten erhebt hat / daß ſie ihre Augen gleich⸗ 
fals erheben / vnd auff die nothwendige Fuͤrſehung 
der Armen verwenden ſollen / dann weil GOtt der 
allerhoͤchſte Reglerer der gantzen Welt iſt / vnd weil 
er alles ſihet vnd verſorget / ſo iſts je billich / daß 
die jenige / welche ſeine ſtell oder ſtatt auff Erden 
vertreten / nemblich die Geiſi⸗ vnd Weltliche Præ⸗ 
laten / Regenten vnd Vorſteher / offene Augen ha⸗ 
ben / alles was vnderm Volck beſchicht / anſcha⸗ 
wen / vnnd alle muͤgliche gute Fuͤrſehung vnd Ver⸗ 
ordnung thun / damit der Noth der Armen geholf⸗ 
fen / ſie von den eigennuͤtzigen / begirigen / hungeri⸗ 
gen vnd vnbarmhertzigen Woͤ ffen nicht gefreflen / 
wie auch alle vnnuͤtze Verſchwendungen der Spei⸗ 
ſen vnd Gaben Gottes (auß deren fuͤrnemblich al⸗ 
ler Mangel / Abgang vnnd Thewrung zuerfolgen 
pflegt) ſo wol bey Reichen als Armen / verhindert 


werde. g 
Vierd⸗ 


264 


Hirnſchleiffer. 
Vierdter Diſcurs. 


Beſchließlichen haben die Egyptier durch das 

Aug / einen Menſchen bedeut / der alles ſihet / weiß / 
vnd erkennt / aber ſich ſelbſt nicht. Ein ſolcher war 
Re ea alsbald er nach feiner Erſchaffung ein 
octor war worden / fieng er geſchwind an / von al⸗ 
bee der Welt zu ph [Re oo gab den 
Voͤgeln / Thieren, „Pflangzen vnd Steinen einem 
jeden ſeinen ſonderbaren 9 damen / aber ft ſich ſelbſt 
wuſte er nicht zunennen / dann er kente ſich ſelbſt 
nicht Man find noch heutigs Tags viel Doctores, 
die kennen ſchier alle Sternen vnnd Planeten am 
Himmel / vnnd wiſſen alle Geſatz in den Büchern / 
aber was das Heyl ihrer Seelen belar gt / wiſſ en ſie 
eben nichts Ein ſolcher Doctor war auch jener 
Rechtsgelehrter / welcher zum HERAN tam / vnd 
ihn fragte / was er thun muͤſte zu Erlangung deß 
Hin melreichs eh Leuth ſitzen im Gubernament / 
wiſſen vnnd verſtehn alles was zum Regiments⸗ 
Weſen gehoͤrt: Man haͤlt ſie auch gleichſam fuͤr 
Oracula, was aber Gewiſſens⸗ſachen vnd das Heyl 


ihrer Seelen belangt ßſeynd fie lauter Idioten. 
Das bekente der H. D Dav d in ar Pſalm. 
von ihm ſelbſt / vnnd ſagte: Wie ein Thier bin 
ich bey dir wagen! vnd bin ſtete 170 dir. 

Das iſt: HERR 775 ur Regierun gdeß Volcks / 
zum Geſaͤtz machen / zu um Kriegen vand Lan dver⸗ 
tha cigen bin ich villeicht der allerw a ſt vnd erfah⸗ 
renſte Fr uͤrſt gewe ſt aber in den Dir deß Heyls 


meiner Seelen / vi md in der Stang inuß deiner Ge⸗ 


heim⸗ 


Hirnſchleiffer. 295 
heinnuſſen weiß ich nichts / vnnd bin ein lauterer 
Idiꝛt. Kurtz darvor hatte er von dem Erſten Suͤn⸗ 
der Adam geſagt: Homo, cum in honore eſſet, non 
intelexit , comparatus eft jumentis inſipienti- 
bus, &c. Als wolte er auff vnſere weiß ſagen: Die 
Regenten vnnd Vorſteher der Welt verſtehen ſich 
nichts auff Geiſtliche Ding / ſondern bemühen ſich 
in dieſem Leben nur mit Eytelkeyten / vnnd fragen 
nichts nach der Seligkeit deß andern Lebens / aller⸗ 
maſſen wie das Vieh thut. 

Achttophel deß Koͤnigs Davids geheimbſter 
Rath war der allerweiſeſt im Koͤnigreich Iſtaels 
vnd Jude / dan die Schrifft meldt von ihm 2 Reg. 
cap. 16. Wann Achitophel einen Rath gab / 
das war / als wan man GOTT vmb etwas 
fragte. Aber die Seligkeit zuerlangen / erzeigte er 
ſich als ein beſtia, dan er verzweiffelte / vnnd er⸗ 
henckte ſich ſelbſt. Dieſem Achitopel ſeynd alle 
die jenige gleich / welche in den politiſchen Welt⸗ 
haͤndeln gleichſam oracula ſeynd / vnd zu denen man 
laufft / als waͤrẽ ſie kleine Goͤtter: Aber in Sachen / 
die das Gewiſſen vnnd ihrer Seelen Seligkeit be— 
langen / wiſſen vnd verſtehen fie gantz nichts: In 
die Welt ſehen fie ſcharp wie Adler vnd Luͤr / aber ges 
gen dem Himmel: werts ſeynd fie viel blinder / dan 
die Maulwürff. Derowegen kan gar wol zu ihnen 
geſagt werden: Sie haben Augen / vnnd wer⸗ 
den nicht ſehen / ſie haben Haͤnd / vnd wer⸗ 
den nicht greiffen / ꝛc. Sie ſeynd auch jenem 
Baum gleich / welchen Nabuchodonoſor im Traum 


N 4 ſahe / 


296 Hirnſchleiffer. 


ſahe / dan wie derſelb erfuͤllt war mit vielen Ftuͤch⸗ 
ten / die aber nicht den Menſchen / ſondern dem ieh 
zugutem kamen / alſo ſeynd etliche Regenten vnd 
Gelehrten erfuͤllt mit groſſer Gelehrtheit vnd ho⸗ 
hem Verſt and / aber ſie brauchen nicht allzeit folche 
ihre Gaben vnd Fruͤchten den Menſchen vnd ihnen 
ſelbſt zu gutem / ſondern ſie ernehren darmit das 
Vieh ihrer Paſſionen / Ehrgeitzes / Reputation 
vnd eignen Nutzens. Groſſe vnnd klare Au⸗ 
gen haben ſie auff andere zuſehen vnd 
zumercken / aber auff ſich ſelbſt 
zuſehen vnnd zumercken / 
ſeynd ſie ſtock⸗ 
blind. 


Hirnſchleiffer. 297 


Ein Mann führt einen Loͤwen an 
einem Faden. 


he 


DI: den Loͤwen wird bedeut ein König / der: 
Faden aber / an welchem er gefuͤhrt wird / be⸗ 
deut das Geſatz / an welches kein König coactive 
oder auß Noth vnd Zwang / ſonden nur directi. & 
gebunden iſt: Dann wie GOtt der Her: der aller⸗ 
hoͤchſte Richter iſt / vnd von niemand kan gerichtet 
oder geſtrafft werden / alſo ſeynd die Koͤnige die 
höchite Richter in ihren Landen / vnnd koͤnnen von 
niemand anderm gerichtet oder geſtrafft werden / 
als allein von GOT / derſelb iſt ihr Richter / vnd 
richtet vnd ſtraffet ſie nach ihren Verdieuſten zu ſei⸗ 
Rs ner 


9 Hirnſe eifter. 
er Zeit it/ſruͤ oder ſpat ch/vndbleil 't jhnen gewißlich 
inmaſſen die Weißheit im 6 Cap meldet: 
9; ihr hr Könige vnnd Regenten hör t auff / 
vnd ver ee ee die die Laͤnd rich 
tet: gebt dar ewere Ohren / ihr die groſſe 
Menge der Voͤlckern vnnd Länder bes 
herꝛſchet / une darinnen Wol 
habt / c. Der Her wird ewere Werck er 
ſuchen / vnn d ewere Anſchlaͤg erforſchen / 


daß jhr nicht recht gerichtet / das Gefäg 

der Gerechtigkeit! Sec sehen vnd nach 

dem Willen GO tes nich 1 

habt: Bald wird er euch erſchrecklich er, 
[ 


— 
x 
— 
— 
— 
=>, 
— 
>= 
* 


ſcheinen / dann ein hart Brtheil werden 
die haben / die andern fuͤrgeſetzt ſeynd. 
Item / ſo lefen wir auch im andern Theil der Chro⸗ 
nick c. 19 Sehetzu / was jhr thut / dann jhr 
haltet nicht deß Menſchen / ſondern Got 
tes Gericht / vnd was jhr werdet richten / 


rn 1 


s jh 
das wird vber euch ſel bſt kommen / c. 


0 


Ob ſchon aber dem alſo / daß nemblich d te Könige 


on den Gefägen be freyer/ vnd jhnen micht vnder— 

worffn sehnt d / ſo ſeynd doch die jenige 1 0 ge vnd 
Fuͤrſten deſto loblicher vnd ſel iger / welche ſick fell bſt 
den G des. aͤtz en gu tw illig vnderwer 18 n ich 
von ynen epien onnd fuͤhren! 


Ai o d Na 11 
DIE erte ſeynd in Ne Uli 


eigenen gemachten Geſaͤtzen / 25 0 


7 ge⸗ 
winnen 


Hirnſchleiffer. 
winnen die Vnderthane * fü fu en erte 
nachzufolgen / vnd ob den Gefäße deſto ſreywilliger 
vnd lieber zuhalten / ſin emal ſie ſehen / daß es der 
Fuͤrſt ſelbſt thut. 
Andere Außlegung 

Durch denkoͤwen wird auch zuverſtehen gegeben 
ein jeglicher Suͤnder / vnd durch den begleyter oder 
Vortretter / der Teuffel / der die fündige M enſchen 
vnd Vbertretter der Goͤttlichen Geſaͤtzen / gefangen 
führt: Das verſtand der! Heydniſche Plato gantz 
wol / als er ſagte: Was iſt und igen anders / als 
daß einer einen S trick v mb ſeinen Halß legt / vnd 
ich dem allerſchaͤndlichſten Send vnnd den böfen 
Begubeng ge s gibt? Etliche Menſchen ver⸗ 
5 uffen jhre Seelen dem Zeuffel Andere aber 

An nd verſetzens jhm. Die jenige aber 

ver kauffens jhm / welche den daſtern dermaſſen er⸗ 
geben ſeynd / daß ſie n i maln an ihrer Seelen Se⸗ 
ligkeit gedencken / begern ſich auch niemals zubeſſe⸗ 
ren / noch zu e Vonſol lchen vermeſ⸗ 
ſenen M enſchen redet Efaias am so. Cap. vnnd 
ſagt: Ihr ſeyt in eweren eigenen Suͤnden 
verkaufft / vnnd ewere M 17 0 hab ich vmb 
ewer groſſen Suͤnd willen gelaſſen. 
Solchen keuthen beſchicht eben alſo / wieeiner 
naſſen Zoch⸗ bruder / der in ein Wirths⸗hauß 
geht / vnd auß Mangel deß Gelds / ſeinen Man⸗ 
tel verſetzt / aber doch in Me mung er wolle den⸗ 
ſelben nicht lang verſtehen laſſen / ſondern bald wi 
derumb loͤſen / wa um er aber am andern Ag being: 
cher widerumb in daſſelbe Wirths⸗hauß kompt / ſo 
N 5 ver⸗ 


300 Hirnſchleiffer. 


vermehrt er die Schuld noch mehr / vnd ſo lang 
vnd viel / biß er den Mantel nimmer loͤſen kan / dero⸗ 
wegen muß er dem Wirth das Pfand laffen. Viel 
enſchen gehn eben alſo mit jhren Seelen vmb / 
vnd ſuͤndigen auß lauter Wolluſt vnd Begierligteit / 
machen aber ſich zu Schuldnern deß hoͤlliſchen 
Wirths / vnd ſetzen jhm nicht allein den Mantel / 
ſondern jhr edle Seel ( gleichwol in Meinung / fie 
wollen dieſelbige bald wi derumb loͤſen e n Aber fie 
laſſen ſich die fleiſchliche Wolluͤſt dermaſſen vber⸗ 
gehen / daß ſie die Schuld je laͤnger je mehr haͤuf⸗ 
fen / vnd letzlichen kaum widerumb loͤſen vnnd an 
ſich bringen moͤgen / derowegen verlierẽ ſie alle Ge⸗ 
dancken vnd Vorhaben, fir widerumb zuloͤſen / vnd 
laſſens dem Teuffel im Gewalt / derſelb beſitzt vnd 
genieſſet fie alsdann / leytet vnd führe fie nach all 
ſeinem Willen vnd Gefallen / wohin er ſelbſt will. 
Derowegen kan ein ſolcher Menſch ſampt dem H. 
Apoſtel Paulo zun Roͤmern am. Cap ſprechen: 
Ich aber bin fleiſchlich under die Sund ver⸗ 
kaufft Aber O groſſe Thorheit vnd Vermeſſenheit 
ſolcher deuth! Sie ſchaͤtzen viel höher ihren Leib / 
n eder jhre Seel / welche viel edler vnd koͤſtlicher iſt / 
dann der Leib. Selter oder niemafn ſehn oder hören 
wir / daß einer ſeinen Leib einem Tyrannen vmb 
Gold vertauffi/oder ſich freywillig in feine Dienſt⸗ 
barkeit begeben haͤtte / dann Non bent pro toco li- 
bertas venduur aug. Aber (leyder) die koͤſtliche 
Seel wird bitzweiln dem hoͤlliſchen grauſamen Ty⸗ 
rannen verlaufft vnd eigen gemacht / vmb ein ſchle— 
ihtes / ja nur von einer gar kurtzwerender Wolluſt 


wegen / 


Hirnſchleiffer. 301 


wegen / vermoͤg der Wort deß H. Auguſti- 
ni : Ein jeglicher verkaufft durch die Suͤnd ſeine 
Seel dem Teuffel / vnd nimbt darfuͤr den Werth der 
Suͤſſigkeit deß zeitlichen Wolluſts. Vber dieſe der 
Menſchen Thorheit aber beklagte ſich vorzeiten der 
Herr durch den Ezechiel am 13. Eap. vnd ſprach: 
Sie entheiligen mich gegen meinem Dolch) 
vmb ein Hand voll Gerſten / vnd vmb ein 
Stuͤck Brods / in dem / daß ſie die Seelen / 
die nicht ſterben ſollen / toͤdten. Das iſt / von 
wegen eines gar geringſchaͤtzigen nichts wuͤrdigen 
Dings verkauffen die Menſchen jhre Seelen, vnd 
erzuͤrnen ihren, Gott vnnd Erſchaffer. O wie viel 
Menſchen verkauffen noch heutiges Tags jhre See⸗ 
len dem grauſamen hoͤlliſchen Tyrannen! O wie 
viel zarte vnnd edle Herzen bieten jhre Seelen dem 
Teu ffel feyl / vnd folgen jhm / nur von wegen einer 
ſchnoͤden dieb einer ſchaͤndlichen Concudin oder 
Feltel / oder der weltlichen Ehr / oder der Reich⸗ 
thumb! Oder wie viel Hexen vnd Vnholder ergeben 
vnd verkauffen ſich dem Teuffel auß lauter Fuͤrwitz / 
vnd nur von wegen der ſchaͤndlichen vnteuſchheit / 
oder auß lauter verzweifflung! Wer aber deſſen 
begert vberhebt zuſeyn / der laſſe ſich nicht fo lieder⸗ 
lich vom Teuffel verführen, 


Dritter Diſcurs. 


Andere ſpeculiren dieſe Figur noch anders auß / 
vnd verſtehn durch den Loͤwen einen frommen vnd 
Gerechten / durch den Fuͤhrer aber Chriſtum / von 

N 7 dem 


302 Hirnſchl eiffer. 
dem David ſagte Pjahn. 142. Dein guter Geiſt. 
führe mich auff den rechten Weg Als wolt 
er ſagen: Nicht mein boͤfer Geiſt wird mich ins rech⸗ 
te tand fuͤhren / dan mein boͤſer Geiſt hat mich all⸗ 
bereit in ein boͤſes Land gebracht. Selig iſt der 
Menſch / der Chriſt o dem HERRN aufn rauhen / 
grob ben vnd vne benen Weg / aber gluͤckſeligen Weg 
der Tugenden nachfolgt. Dann es vermeinen die 
Welt⸗menſchen / es ſey der Weg / der vns zum Him⸗ 
mel fuͤhrt / ſehr ſchwaͤr / vnd voller vnvber windlicher 
Mil et = aber fie gedencken nicht / daß er fie 
an der Hand fuͤhre / ja an einem ſanfften Faden zu 
ſich ziehe 777 nen einen ſichern Paß vnd Weg mache. 
Man fin dt Fuͤ hrer vnnd Wegweiſer / welche uns 
gleichwol den Weg zeigen / vnnd vor aller Gefahr 
warnen / aber wenig Fuͤhrer findt man / die vns 
den Weg verſichern / vnd vor aller Gefahr verwah⸗ 
ren: Ein ſolcher 155 sit t Chriſtus derowegen fol 


* 


8 n die Gerechten / vnang eſehn der Wes; ioch 
fügen mu Po n vnd wir anzu ſehn iſt. Die jenige 
aber / welche vom boͤſen Geiſt getrieben werden / die 
wandern nur ai f den g glat tten ebenen wolg⸗ bahntẽ 


We 15 drachen aber auff denſelbtgen fein luſtig 
in die hoͤlliſche Qual: Die Verworffene gehn allhie 
den weilen wo hnten Weg / aber am Tung- 
ſten⸗Tag werden fte mit gebundenen Haͤnden vnnd 
Fuͤſſe nin die Finſternuß geworffen. 

Dieſer Brfachen halben ermahnet ons d er Wei⸗ 
ſe⸗Man dem guten Geiſt Chriſto nachzufo! zen / 
e, Ducam te Bin ſemitas æquitatis, &c. 
Es iſt nicht ohn / dieſer Weg iſt ſehr eng / ſchwaͤr 
ens dauh dan was kan befchwärlicher ſeyn / als die 
mut⸗ 


Dirnfchteiffer. 303 


segirden deß Fleiſches bezwingen / das 
Cre utz tragen / vnd in Chriſti d Füͤsſtapffen tretten? 

gergegen iſt der H. Geiſt der jenig / der dies 
fen Weg fein eben / gerad / leicht vnd lieblich / vnd 
auß vnmuͤglich muͤglich mache et: Inmaſſen David 
ſolche s in ſeinem 118, Pfalm. andeutet / vnd ſpricht. 
Ich hab g ſauffen de 7 Weg dein er Ge⸗ 


mutwil ill ; ige X N 


botten / da du mein Hertz 3 außgebraitet haft. 
Dann die Goͤttliche Lieb macht alle harte vnnd 


rauhe Ding geſchmeidig vnd lieblich. Dieſer Vr⸗ 
18 halben ermahnet der weiſe ae in ſei⸗ 
nen Sprüche am 4 +. Cap die G rechte Chri⸗ 
ſto nach zufolgen / vnnd ſpricht Die Wege, 

die 4111 a (4 


% 


ren! Ji Nei er He “+ 
% r Rechten ſeynd die w 1 ers 
1 


aber verkel rt ſeynd / die zur Lin en id / 
der DET aber toird e deine Gaͤng recht ma⸗ 


chen / vnd deinen Weg im Frieden fs ordern. 
agen: 9 Mein Sohn / wandere den 

nd erachte en ien Dienſt / ſo 
fi eyn / d 1 auff einen rich⸗ 


n iſts ein groſſe Weißheit / wann 
5 beyder Wege f feiſſte g betrachtet / wel⸗ 
ehe S. 4 deſchreibt / vnnd ſpricht: In ſemita 
juſtitiæ via, iter autem devium ducit ad 
mortem: In dieſen Worten werden zween 
Weeg gezeigt / der ein iſt der We g der Tugenden / 
der führt zum gebe n: Der ander ‚Kein 78 der 
Laſtern / deren Ziel vnd End der T odt iſt. Wann 


Wir 


304 Hirnſchleiffer. 
wir nun alle vnnd jede Muͤhſeligkeiten / die vns 
auff dem Weg der Tugend begegnen / erwegen 
vnnd aber ſehen / daß er vns zur ewigen Selig⸗ 
keit fuͤhrt: Hergegen wann man alle vnnd jede 
Gluͤckſeligkeit / Reichthumb / Ehr / Hochheit / 
Wolluſt / die ons auff dem Weg der Laſtern bes 
gegnen vnnd zuſtehn. / betrachten / vnd beyne⸗ 
bens auff ihr letztes Ziel vnnd End / nemblich die 
ewige Verdambnuß / ſehen / alsdann iſt leicht⸗ 
lich zuerachten / wie billich es ſey / daß man den 
erften befagten Weg / nemblich der Laſtern / mei⸗ 
de / vnd den andern Weg der Tugen den erwehle / 
vnd ſampt dem HERAN Chriſto die Muͤhſeligkei⸗ 
ten außſtehe vnnd ſelig werde Aber (leyder) da⸗ 
mit etliche Menſchen nur die zeitliche Guͤter vnnd 
Wolluͤſt genieſſen moͤgen / ſo erwehlten ſie den ewi⸗ 
gen Todt. 0 
Was gehets aber dich / O Menſch / an / oder aber 
was für einen Nutz bringt es dir / daß du dich tauſent 
vnd mehr Jahr lang den Wolluͤſten ergibſt / wo⸗ 
fern du hernacher die ewige Marter außſtehn muſt 
in der Höllen.? Hergegen / was ſchadet dirs / daß 
du ein kleine Zeitlang mit Muͤhe vnd Arbeit beladen 
biſt / wofern du letztlichen theilhafft wirſt der ewi⸗ 
gen Glory; Zumaln / weil dein HERRIN Erloͤ⸗ 
fer Chriſtus ſelbſt ons nicht allein führe / vnnd one. 
den Weg gleichſam wit. Fingern zeigt / ſondern 
auch vor vns her geht / vnd den Weg bahnet vnnd 
bereit Vnd ob er ſchon vns den Weg der Armut 
vnd deß Schmertzens zeigt / fu ift er doch der jenig / 
der da ſelbſt Armut vnd Schmertzen gelitten / vnd 
den Weg deß Creutzes vnd Muͤhſeligkei getreten 
hat 


Hirnſchleiffer. 305 


hat. Wofern Gott vns von oben herab dieſen Weg 
nur gezeigt / vnd gefagı haͤtte: Diß iſt der Weg / 
wandert ihn: ſo ware ſolches gnug geweſt / vnnd 
wir haͤtten gnugſame Vrſach gehabt / ihn zu wan⸗ 
dern: Weil wir aber ſehen daß Chriſtus ſelbſt das 
Creutz traͤgt / vnd darneben ſagt: Wer mir nach⸗ 


folgen will / der nehm ſein Creutz auff ſich / ꝛc. 
0 8 4 wir je noch groͤſſere Vrſach / ihm nachzu⸗ 
olgen. 

Der HERN drohete den Ifraelitern / er wolte 
ſie deß Verheiſſenen⸗Lands / welches er dem Abra⸗ 
ham / Iſaac vnd Jacob verſprochen hatte / berau⸗ 
ben / vnd ſo gar ſie auff der Reyß deß Todts ſterben 
laſſen. Die Vrſach aber ſolcher Bedrohung ſetzte 
der HERR geſtracks hinzu / vnnd ſprach: Nolue» 
runt ſequi me: Sie haben mir nicht folgen 
wollen. Billich vnd rechtmaͤſſig wurden dieſe deuth 
deß Verhetſſenen⸗ Lands entſetzt / weil ſie Gott dem 
HeErꝛn nicht folgen wolten / der ſie dorthin führte, 
Chriſtus der HERR iſt auß der Höhe deß Him⸗ 
mels herab geſtiegen / vnd hat ſieh den Menſchen 
als ihr Meiſter vnd Fuͤhrer auffm Weg deß Him⸗ 
mels zuſeyn erzeigt: Wer derowegen ihm nicht 
wil folgen / der iſt nicht wuͤrdig daß er in das ver⸗ 
heiſſene Himmliſche Vatterland komme / oder den 
Fuß hinein ſetze. So laſſet vns derowegen Gott 
bitten vnd ſprechen: trahe nos poſt te, laſſet ung 
lauffen vnd ihm nachfolgen / ſo werden wir ſelig. 


Schoͤ⸗ 


306 Hirnſchleiffer. 
Schoͤne Erklaͤrung der Si⸗ 


D 


PN 


Sy Nöerfchieblich wird von den Sirenen diſcur⸗ 
V rirt vnd geredt / dann der H. Ambroſius erleu⸗ 
tert deß Ovidii Frach nachfolgender Geſtalt vnnd 
ſagt: Als Proferpina auffm Feld Blumen abbꝛach / 
vnd von dem Plutone geraubt vnd mit Gewalt hin⸗ 
weg geführt ward / befunden fich die Sirenen bey 
ihr / als ihre Spiel⸗Geſellinnen / deßwegen mach⸗ 
ten ſich die Sirenen alsbald auff / vnd ſuchten Pro- 
ſerpinam in der gantzen Welt / weil ſie aber dieſel⸗ 
bige nit auff dem Landt fanden / ſo begaben ſie ſich 
auffs Mee d durchſuchten es gleichfals: Zu ſol⸗ 
chem 


307 
chem ihrem 2 Borhaben aber wuͤnſchten vnd begehr⸗ 
ten ſie etle ch Bogelfitern Bund e mit denen 
fie gleicht int uber! vnd auffm Waſſer fortkom⸗ 
men möchten ‚Die Götter bewillig gten in dief es ihr 
Begehren / damit a Ar liebliches Geſang / wel⸗ 
ches fie vernichteten / vnnd mit welchem fie die fürs 
vberfahrende Schiffleut sefren ten / deſto lieblicher 
vnd angenehmer waͤre / ſo ward ihnen ein menſch⸗ 
liches Angeſicht vnnd Stumm bewillgt. Auſonius 
redet von ihnen gar artlich vnd ſpricht: Tres volu- 
cres, tres femideas, ıı es femipuellas, Symmachus 
nennel fie le mivolucres oder Halbvoͤgel. Hyginus 
ſagt / der ober⸗Theil ihres leibs ſey Weibiſch / aber 
der vnder⸗Theil ſehe einer Hennen gleich. 

Phyſologus vnd die Poeten ſchreiben / es haben 
drey Sirenen / welche halb Jungfrawen / halb 
aber Voͤgel waren vnd im Meer wohnten / dermaſ⸗ 
fen lieblich geſungen vnd muſteirt / daß ſie die fuͤr⸗ 
uberfahrende Schiffleut zu ſich gelockt vnnd gezo⸗ 
gen: alſo / daß die Schiffleut durch dieſe liebliche 
Muſich entſchlieffen / vud folgendts von dieſen Si⸗ 
renen vmbbracht wurden : Die eine ſang wie ein 
Menſch / die ander geigte / vnd die dritte ſchlug auff 
der Lauten. Deß befagten Phylologi Verß lauten 
alſo: 

Sirenes ſunt monſera maris, reſonantia ma- 


Vossbus ac modulis cant us formantia multis 
Sc. 

Ad quas incauiò veniunt ſapigſimè nauta, 
Chr. 


Aus 


308 Hirnſchleiffer. 


Qua faciunt ſonitum, nimia dulcedine vocum, 
Oc (periclum. 

Et modo naufragium, & mundo mortale 

Quas qui videruntz has tales eſſe tulerunt. 

Quodab vmbilico ſunt ut pulcherrima virgo. 

eo aqque facit monſtrum volucres ſunt inde de- 
orſum. 


Als derowegen Ulyſſes von jhnen fuͤruͤber ſchiffen 
muſte / brauchte er den liſt / aß er ſeiner Mitgeſellen 
Ohren mit Wachs verſtopffte / ſich aber band er an 
den Maſtbaum ins Schiff / vnd durch dieſes Mittel 
entgienge er der Gefahr Durch den Uly em wird 
verſtanden ein weiſer Mann / oder ein Gemuͤth wel⸗ 
ches voller Weißheit iſtꝛdie drey Sirenen dedeuten 
die Wolluͤſt deß Fleiſches / welche die Seelen / ſo im 
Meer dieſer Welt ſchiffen / zum ſuͤndigen reltzen. A⸗ 
ber ein weiſes Gemuͤth verſtopffet ſeiner Geſellen 
Ohren / das iſt / ſeiner fuͤnff leiblichen Sinnen / mit 
dem Wachs deß Verſtandts / bindet ſich ſelbſt an den 
Baum deß Creutzes oder den Maſtbaum der Mor⸗ 
tification vnd Buß / vnd dieſer Geſtalt entgehet er 
der Gefahr / daher ſagt der H. David im 131. Pſal. 
Selig iſt der deine junge Kinder faſſet vnd 
zerſchmettert ſie an den Stein. 


Damit die Corint hier jhre Statt vnd Buͤrger 
reich machtẽ / hergegen die frembde Voͤlcker / welche 
dorthin tamẽ / erſaigen möchte / hierzu aber brauch⸗ 
ten ſie kein anders Mittel / als ſchoͤne Weiber / mit 


denſelbigen verſahen fie die Statt / vnd erhielten in 
dem 


Hirnſchleiffer. 309 
dem Tempel Veneris10000. fhöne Fetlen / dero⸗ 
wegẽ ward. d ieſer Tempel von den frembden fleiſſig 
beſucht / dann daſelbſt opfferten ſie der Veneri jhre 
Leiber / vnd dem Teuffel jhre Seelen. 

Als Gott den Babyloniern mit jhren Feinden / 
die ober fie kommen vnd fie ſtraffen ſoltẽ / durch den 
Jeremiam drohen ließ / ſprach er: & Sirenes in 
delubris voluptatis: Der Her: wird verwilligen / 
daß jhr vmbgeben werdet mit einer Geſellſchafft der 
Fetteln / die werden euch eben alſo tractiren vnd zu⸗ 
richten / wie die frembden zu Corinthen. 

Damit die Alten den Meaſchen die dre y fuͤr⸗ 
nembſt⸗Vnheil vnd Vbel zuverſtehen geben moͤch⸗ 
ten / ſo ſagte einer Das Fewr / das Waſſer / 
vnd ein boͤſes Weib ſeynd dem Menſchen am aller⸗ 
ſchaͤdlichſten. Das Fewr iſt dem Menſchen der⸗ 
maſſen feindt vnd ſchaͤdlich / daß Euripides jhm 
de Namen Impius oder Gottloß gibt / da er ſpricht: 

Templa Jovis quid enim hoc licitum fetat im- 
pius ignis: Was kan ſchaͤdlicher ſeyn als eben das 
Waſſer? Maris haud vincitur unda : Wer kan 
die Wellen deß zornigen vngeſtuͤmmen Meers be⸗ 
zwingen: Aber ein boͤſes Weib iſt noch viel ſchaͤd⸗ 
licher dann Euripides ſagt: Nichts iſt ſchaͤdlicher / 
als eben ein boͤſes Weib Auff daß derowegen die 
Al ten ſolches noch beffer zuverſtehen geben moͤch⸗ 
ten / ſo mahlten fie dieſe obbemelte drey böfe Fein⸗ 
de deß Menſchen nicht zuſammen ſonder nur das 

Weib / vnd zwar nur in die mitte vnder ſie: dann 

ein boͤſes Weib vbertrifft alles boͤſes / vnd iſt ein 

Summa alles Vnheils / ſie iſt ein Meer / in dem 
die 


310 Hirnſchleiffer. 

die Seelen jmmerdar den Schiffbruch leyden 
vnd ſie iſt ein Fewr / darinn ſie brennen: vnnd e⸗ 
ben dieſer Vrſachen halben vervrtheilet d er Henn 
die Babylonier ſeine Feind zu den Sirenen / das 
iſt / er warff ſie den Hunden vor / vnd er verdamp⸗ 
te fie zum Todt / Fewr / Schwert vnd Schiff— 
bruch. 

Damit man aber noch beſſer wiſſen vnd verſte— 
hen möchte / was die boͤſe Weiber für einen groffen 
ſchaden zufuͤgen / ſo haben, die Alten die Siren 0 

in einen Garten der mit nate beinen beſtrewe 

war / gemahlt Als der I Lelſe⸗ Mann den Se 7 
den / der auß den Fetle nanetichet andeuten wol— 
te / ſagte er in ſeinen fprüchen Cap. 9. Er weiß 
aber nicht / daß daſelbſt die Riſen ſeynd. 
An ſtatt dieſer Wort ſagt der Hebraͤiſch Tert: & 
ignorat, quod mortui ſunt ibi: Alſo / daß in dem 


1 ) 


Hauß einer Fetlen das allerhoͤchſte Vn eil iſt / fey⸗ 


5 
temal dieſes Hauß voll vnd vberſtrewt iſt mit der 
. nen. Es iſt nicht gnug / daß die See⸗ 
len in dieſem Hauß verloren werden / ſonder ſo gar 
ligen ri Gebein darinn hin vnd wider zer— 
ſtrewt: Der Bod en / darauff man gehet vnd tritt / 
iſt von lauter Todtenbein gepflaſtert / dann von 
deß Armen Bulers Geld muͤſſen die Saͤhl gezieret 
ſeyn mit Tapitzereyen / vnd die Beth mit föftlichen 
Decken vnd Fin haͤngen zubereit ſeyn Ja was mehr 
iſt / dieſe Gebein ligen in den luf ſtigen Gärten mit⸗ 
ten vnder den Blumen / dan auf deß arm en Bulers 
Vntoſten ragen die närufch n We ber n e 
de Blumen auffjhren Haͤuptern. Auff ihren Kle 
dern / Hauben / M anteln vnd Roͤcken ligen die G. 
bein 


Hirnſchleiffer. 311 


bein jhrer kiebhabern zerſtrewet: Wie Goͤttinnen 
prangen ſie in jhren Gebeinen / jhre Kleider ſeynd 
geziert mit Blumen der Koͤſtlichkeit: jhre Seſſel / 
Beth / Gutſchen / Ring / Ketten vnd Halßbaͤnder 
ſeynd vberzogen mit jhrer Buler Gebeinen / nit al⸗ 
lein wird die Seel / ſonder auch fo gar das deben on 
das Gut bey jhnen verlohren. Ein trawriges Spec⸗ 
tacul iſts / wann man in einer Statt die vom Feind 
erſchlagne todt Leiber auff den Gaſſen hin vnd wi- 
der zerſtrewt ligen ſihet / vnd niemand vorhanden 
iſt / der ſie begraͤbt / aber viel ein klaͤglicher Handel 
iſts / wann ein Hertzallerliebſte die Gebein jhres 
Bulers in jhren Garten begraͤbt. Kein Wunder 
wars / daß die Hund der Koͤmgin Jezabel Fleiſch 
fraſſen / aber ein Wunder iſts / daß ein Bulerin viel 
grauſamer iſt / weder die Hund? vnd daß ſie nach 
jhres Bulers Todt ſeiner Gebein nicht verſchoͤnet / 
noch ſein Schandt verdecket / ſondern ſeine Gebein 
vnder die Blumen außſtrewet: Dann lieber / was 
thun die Fetlen in jhren Converſationen vnd Zu⸗ 
ſammenkuͤnfften anders / as an die Armſeligkeiten 
jhrer Buler gedencken? Kombſtu zu einer ſolchen 
Venus⸗Tochter / fo beruͤhmet fie ſich / vnd ſagt dir / 
wie es jhr mit dieſem vnd jenem jhrem Liebhaber er⸗ 
gangen / was Geſtalt derſelb von jhrentwegen am 
Narꝛenſeil gefahren / vnd mit der Leimſtengel ge⸗ 
lauffen ſey / was er fuͤrgroſſe Thorheiten vnd Nar⸗ 
rereyen von jhrentwegẽ begangẽ / wie fleiſſig er jhr 
gedient vnd auffgewart / wie offter jhr bey der Nacht 
hoſieren laſſen / was er mit der Wacht vnnd andern 


von 


312 Hirnſchleiffer. 


von ihrentwegen für $ermen vnnd Rauff Haͤndel 
gehabt / vnnd wie viel er ihr geſchenckt vnnd ange⸗ 
henckt habe. Daß derowegen Gott der HErꝛ den 
Babyloniern drohet / fie mit den Sirenen zuſtraf⸗ 
fen / bedeut / daß er fie den Fetlen übergeben woͤl⸗ 
le / von denen fie verfolgt ſollen werden an Leib 
vnd Seel / an Ehr vnd Gut. Ein jeder huͤte ſich 
vor dieſen Sirenen / dann ſie verfuͤhren vnd bethoͤ⸗ 
ren die einfaͤltige vnbehutſame Maͤnner mit 
dem Geſicht / mit lieblichen Worten 
vnd mit ihrer Gemeinſchafft. 


Hirnſchleiffer. 315 
Ein vnfruchtbarer Baum ohne 
Blätter ſtehet mitten in ei⸗ 

A 1 


OFftermals werden die Menſchen in H. Schrifft 
den Baͤumen verglichen Als jener Blinde wi⸗ 
derumb war ſehend worden / ſchreye ers alsbald: 
Ich ſehe Menſchen wanderẽ wie die Baͤum. 
Von allen ſolchen Baͤumen erfordert GOTT die 
Fruͤchte / vnd mag keine vnfruchbare leyden / dann 
er ſagt auß truͤcklich: Ein jeglicher Baum / der kei⸗ 
ne gute Früchte bringet / ſoll abgehawen vnd ins 
Fewr geworffen werden. Eine vnder den fuͤrnemb⸗ 
ſten klagen deß Hern war auch dieſe / als er durch 
O Jers⸗ 


314 Hirnſchleiffer. 
Jeremiam im 8. Cap. ſagen ließ: Es iſt nit 
ein einigs Traͤublein an ein Rebſtock / vnd 
nicht ein einigs Feiglein an einem Feigen⸗ 
baum blieben / es ſeynd auch die Blaͤtter ab⸗ 
geriſſen. Als wolt er ſagen: Es iſt zuerbarmen / 
daß die Felder vnnd Gärten fo o dt vnd wuͤſt / die 
Baͤum ohne Früchte / die Weinreben ohne Trau⸗ 
ben / vnddie Feigenbaum ohne Blätter ſeynd Die 
fuͤrnembſte Vrſach dei Zorns Gottes wider den 
König Achab war / daß er deß Nabots fruchtbarn 
Garten in einen kuſtgarten verkehrte / allda man kei⸗ 

ne Fruͤchte / ſonder nur kleine Blatter vnd naͤrriſche 
Blumen fahe: Als der Her zum Figenbaum kam / 
vnd Fruͤchte darvon abbrechen wolte / aber keine 
fand / verfluchte er ihn vnd ſprach: Matth. 21. Nun 
wachſe auff dir hinfuͤrter nimer kein Frucht. 
Dieſes wird denen ein erſchroͤckliche Straff ſeyn / 

die im Feld oder Gartẽ dieſer Welt ge pflantzt ſeynd / 

vnd aber / keine gute Fruͤchte bringen / ſonder vn⸗ 
nuͤtz / vnd eben die jenigẽ ſeynd / welche nichts anders 

thun / als die Fruͤchte vergebener weiß eſſen verzeh⸗ 

ren vnd wollebẽ / ſolche Baum aber (ſagte der Her: 

ſollen abgehawen vnd ins Fewr geworffen werden. 

Wol zumercken iſts / daß der HeErꝛ nit ſchlecht rede) 

von einem Baum der keine Fruͤchte bringt / ſonder 

von einem / der keine gute Frucht traͤgt / dan man 

find: viel fruchtbare Baum / bringen aber nicht alle 

gute Fruͤchte. Der Baum welcher Nabuchedonoſor 

ſahe / war fruchtbar / aber die Fruͤchte waren nicht 

gut / ſonder das vnvernuͤnfftige Vieh hat te ſein 

Nahrung darvon / derowegen ward befoh en / daß 

er 


Hirnſchleiffer. 315 


er ſolte abgehawen werden. Ein ſolcher vnfruchba⸗ 
rer Baum war auch der H. David / da er ſagte: Als 
ich meinen Begierden ſtatt thaͤte / haben ſie mirs 
vbel vergolten / dan ſie vervrſachen / daß mein Seel 
allerdings vafruchtbar iſt / vnnd bringt tein einige 
Frucht ber Verdienſten vnd Tugenden herfuͤr. 

In einem ſchoͤnen Garten traͤgt ein jeder Baum 
ſeine ſonderbare Fruͤchte: der Birnbaum ſeine Bi⸗ 
ren / der Apffelbaum ſeine Aepffel / der Mandel⸗ 
baum ſeine Mandeln / vnd der Pomere ngenbaum 
feine Pomerantzen: Alſo fol im Garten der Chriſt⸗ 
lichen Kirchen ein jeder Chriſt ſeine ſonderbare 
Fruͤchte bringẽ nach Befchaffenheit feines Stãdts / 
aber leider / ſehr viel Chriſten tragen gleichwol 
Fruͤchte / aber keine gute oder eigne Fruͤchte: Dan 
viel Prieſter vnnd Vorſteher verlaſſen ihr Ampt / 
fragen wenig nach der Kirchen-Gubernament / 
ſonder bemuͤhen ſich nur mit Weltlichen Haͤndeln 
vnd Geſchaͤfften. Viel Frawen ſeynd fruchtbar / 
aber bringen keine gute Früchte / dann fie verlaffen 
ihre Haͤuſer vnd Haußwirthſchafft / vnd verzehren 
ihre Zeit vnd das Geld auß lauter Fuͤrwitz in vn⸗ 
nochwendigen vuverlobten Kirchfahrten. Viel 
Religiofen verlaſſen ihre Cloͤſter / den Chor / das 
ſilentium vnd andere heilige Vbungen ihrer Pro- 
feſſion / vnd begeben ſich allerdings zu den Welt⸗ 
Sachen. 

Der gemeine Weeg oder Landtſtraß gen Himmel 
zugehen / iſt die Vollziehung der Goͤttlichen Geſetz 
oder der Gebotten Gottes / dann der Evangeliſt 


Matthæus Cap. 19 ſagt: Begehrſtu ins lebẽ zu / 
O 2 gehen 


516 Hirnſchleiffer. 
gehen) ſo halt die Gebott. Aber der Weeg der 
Religion oder deß Cloſter⸗ Lebens iſt ein abg eluͤrtz⸗ 
ter Weg / auff dem man viel geſchwinder vnd ſiche⸗ 
rer zum verlangten Port der Seligteit gelanget: 
wer aber auff dieſem Weg nicht bleibt / vnd ſeinem 
Beruff / Regel vnd Orden tein Gnuͤgen thut / der iſt 
nichts anders / als ein duͤrꝛer vnfruchtbar Baum im 
Garten deß Cloſters oder Religion / vnnd von ſol⸗ 
chen Religioſen redet Eſaias Cap. 1. vnnd ſpricht: 
Ihr muͤſſet ſchamrot werden über die Bär, 
ten / die ihr erwoͤhlet / wann ihr ſeyn werdet 
wie ein Eyche mit duͤrꝛen Blaͤttern / vnd wie 
ein Garte ohne Waſſer. O was für ein grofle 
Schand iſts / daß der Religioß / welcher den Gars 
ten der Religion ſelbſt freywilliglich erwoͤhlet hat / 
fein verſprochene Pflicht nicht leiſtet / vnnd keine 
Fruͤchte der Andacht / gute Werck vnd Verdienſten 
herfuͤr bringt? Das ein Baum / der im wildem 
Wald ſtehet / keine Früchte traͤgt / das iſt fein Wun⸗ 
der / daß aber ein gewachſener Baum / vad der mit 
ſonderm Fleiß in ein Garten iſt gepflantzt worden / 
vnfruchtbar iſt / das iſt zuerbarmen. Kein Wunder 
iſt / daß andere Baͤum keine Blaͤtter haben / dan zu 
Winters Zeiten fallen ſie ab / aber ſeltzam vnnd ein 
Wunder iſts / daß ein Therebinch (welcher ſeiner 
Blaͤtter miemaln beraubt wird / ſon der allzeit grun 
bleibt) nit allein vnfruchtbar / ſondern auch ohne 
Blätter iſt: Ein ſolcher Therebinth ohne Blaͤtter 
iſt ein böfer vnbaͤndiger Religioß: dan er hat keine 
Blätter der guten Werd / vnd iſt ein Garten ohne 
Waſſer / ꝛc. Hergegen iſt ein guter / frommer 45 
eyferi⸗ 


Hirnſchleiffer. 317 


eyferiger Religioß ein fruchtbarer Baum im Gar⸗ 
ten der Religion / er iſt lebendt todt / vnnd ob er 
ſchon todt iſt / fo wird er doch l eben ewiglich. 


Dritte Außlegung. 

Ferner iſt dieſer düͤrꝛe Baum ein Figur der alten 
Menſchen / welche in ihrer Jugendt ſchoͤn / friſch 
vnd freudig geweſt ſeynd: O wie gruͤn / choͤn / lieb⸗ 
lich vnnd annemblich ſeynd die edle Baum in den 
Gaͤrten / ſo lang fie jung vnd fruchtbar ſeynd / aber 
wan fie alt vnnd duͤrꝛ werden / alsdan ſeynd ſie ver⸗ 
drießlich vnd vnannemblich: Annemblich ſeynd die 
Menſchen zu Hof / ſo lang ſie jung vnd ſtarck ſeynd / 
aber wan ſie alt werden / ſo werden ſie verſtoſſen vnd 
veꝛacht. Was hilffts auch den Menſchen / daß er in 
feiner Jugendt huͤbſch / ſchoͤn vnnd holdſelig iſt ge⸗ 
weſt in ſeinen Geberden / ſintemal ihm im Alter 
daſſelbig vergehen: Ste werden auß ſchoͤnen vñlieb⸗ 
lichen Baumen verkehrt in duͤre Jaun Hele⸗ 
na war ein ſchoͤner grüner Baum / aber im Alter 
ward ſie ſcheußlich: als derowegen ſie ſich eiusmals 
im Spiegel beſchawete / fieng fie an bitter ich zu 
weinen / vnd ſeufftzete ober ihre vorige Schoͤnheit: 
ſie ward auch dermaſſen verhaßt / daß ihre eigne 
Dienſtmaͤgd ihr hinderwerts einen Strick vmb den 
Halß warffen vñ fie ſtrangulierten O ſchoͤne Junge 
fraw / O Juͤngling / der du dieſes liſeſt ⸗ gedenck / 
daß du eben ein ſolcher duͤrꝛer verächtlicher Baum 
werden kanſt / dan alle Ding haben ihre Stundt vnd. 
Zeit / vnd ſampt der ſchnell vergehenden Zeit verge⸗ 
het auch dein Schoͤnheit wider deinen Willen: wan 
du von Jahren alt / dein Angeſicht dür vnnd runtze⸗ 

D:3 lecht ! 


318 Hirnſchleiffer. 


worden / alsdann biſtu ein duͤrꝛer vnfruchtbarer 
Baum im Garten dieſer Welt / vnd haft nichts ge⸗ 
wiſſers zugewarten / als daß dich der Todt abhawe / 
vnd weiß nicht / wohin werffe. 


Vierdte Außlegung. 


Die erſte Geſchaͤmigkeit / die der Menſch em⸗ 
pfandt / geſchahe von wegen der S uͤnd / dan fo lang 
er das örtliche Gebott nicht vberſchritte / ſchaͤmb⸗ 
te er ſich nicht / vnd ward nit ſchamroth / aber bald 
nach begangner Suͤnd ſchaͤmbte er ſich / vñ verborg 
ſich vor Gottes Angeſicht / dann er hielt ſich fuͤr vn⸗ 
wuͤrdig ſein Angeſicht anzuſchawen. Eben dieſe 
Scham empfand Ephraim / weil er den Here ver⸗ 
laſſen hatte vnd frembden Goͤttern nachgangen 
war / derwegen ſagt er beym Jeremia am zi Eap. 
Ich bin geſchaͤnd worden vnd hab mich ge⸗ 
ſchaͤmbt / dann ich hab erlitten die ſchmach 
meiner Jugendt. Deß gleichen alles Bold ſagte 
img Capit. Wir werden ſchlaffen in vnſer 
Schandt / vnnd vnſer Schmach wird ung 
bedecken / dann wir haben wider den Herꝛn 
vuſern Gott geſuͤndigt Alle vnd jede Sunder 
werden beleitet mit der Scham / entweder he oder 
in jener Welt. Als Marta Magdalena in def Pha⸗ 
rafeers Hauß kam / dorffte ſie vor lauter Scham 
nicht zum Herꝛn nahen / vnd vor feinem Anzeſicht 
erſcheinen / ſondern gieng von hinden her zu jhm / 
vnd bate vmb Verzeihung jhrer begangnen Suͤnd 
vnd 


Hirnſchleiffer. 319 


vnd Jafter, Der offne Sunder ſchaͤmbte ſich auch / 
ſtund von weitem / vnd dorffte ſeine Augen gen Him⸗ 
mel nicht erheben: So gar der H. Petrus betrachte⸗ 
te / daß er ein Suͤnder vnd vnwuͤrdiger war vor 
Gottes Gegenwertigkeit zuerſcheinen / derow egen 
vervrtheilte er ſich ſelbſt vnd ſprach: Herz gehe 
ps mir auß / dan ich bin ein ſuͤndiger Menſch. 
Aber leider / was ſoll ich von vns ſagen? Wir erzuͤr⸗ 
nen Gott vnſern Hera täglich / vnd ſchaͤmen vns 
doch nicht: taͤglich vberſchreitten wir ſeine Gebott / 
vnd erꝛothen nicht: derowegenſagt er zu vns durch 
den Propheten Jeremiam am. Cap. Du haſt 
ein Hurenſtirn / vnd wilſt dich nicht mehr 
ſchaͤmen. Er ſagt nicht:die Stirn eines Eheweibs / 
dann wann dieſelbe die Ehe bricht / vnd daruͤber er⸗ 
wiſcht wird / ſo ſchaͤmet ſie ſich vnd wird aller roth / 
aber in einer Fetel iſt kein Scham / kein Ehr / kein 
Geſchaͤmigkeit / ſonder ſo gar ruͤhmbt fie ſich jhrer 
gaſter / vnd ſchaͤmet ſich nit fie andern zuerzehlen. 
Man ſindt Seelen / welche Go tt den Herꝛn erzuͤrnẽ / 
vnd ſich von den Luſtbarkeiten vberwinden laſſen / 
aber fie ſchaͤmen ſich / haben Rew vnd leyd / vnd be⸗ 
kehren ſich zum Herm / andere aber gerathen in ein 
ſolchen armſeligen Standt / daß ſie ſich von wegen 
jhrer Suͤnden nicht allein nit ſchaͤmen⸗ fondern auch 
ich derſelben beruͤhmen / ja ſie offentlich begehn. 

Der letzte Grewel / welchen Ezechiel ſahe / war 
dieſer: Es waren bey 27. Maͤnner die jhren 
Rucken gegen dem Tempel deß HErꝛn / 
O 4 ihr 


320 Hirnſchleiffer. 


ihr Angeſicht aber gegen Morgen kehrten 
vnd betteten gegen der Sonnen Auffgang / 
vnnd ſihe / ſie halten die grüne Zweig an ihre 
Naſen. Nit zufrieden waren ſie mit deme / daß 
fie die Abgoͤtterey triebten / vnd GOtt dem Henn 
den Rucken kehrten / vnnd der Sonnen Bild: 
nuß anbetten / ſonder zum Zeichen der Verach— 
tung vnnd Verſpottung Gottes hielten ſie gruͤne 
Zweig an ihre Naſen / verachteten alſo den wah⸗ 
ren Gott / vnnd hielten ihre begangene Sünden 
für nichts. Vnd dieſes iſt nun der allergröfte vnnd 
aͤrgſte Grewel vor dem Angeſicht Gottes / wann 
nemblich der Suͤnder ihm nicht allein den Ruͤcken 
kehret / vnd ſich in Todtſuͤnden / wie ein Schwein 
vmbweltzet / vnd ihn gantz vnd gar verachtet / ſon⸗ 
dern auch ein Zweig an die Naſen haͤlt / vnnd da⸗ 
durch zuverſtehen gibt / daß er die Bedrohungen 
vnd Straff Gottes verachtet / das Angeſicht ſeiner 
Majeſtaͤt nicht foͤrchtet / ſondern ohn alle Scham 
offentlich fuͤndiget. 

Ein ſolcher Suͤnder iſt nichts anders / als ein vn⸗ 
fruchtbarer verdorter Baum der ohn Blätter iſt / 
von dem Efaias Cap. 1. meldet: Sie muͤſſen zu 
ſchanden werden vber die Abgoͤtter / denen 
fie geopffert haben / vnnd ſchamroth werden 
vber die Gaͤrten / ꝛc. Dieſe Wort wurden gleich⸗ 
wol zu jenem rebelliſchen Abgoͤttiſchen Volck ge⸗ 
redt / aber gar wol koͤnnen ſie auch zu denen Chri⸗ 
ſten geſagt werden / welche ſich ihrer Laſter beruͤh⸗ 
men vnd fich nicht ſchaͤmen / dann es wird die Zeit 
kom⸗ 


Hirnſchleiffer 32t 


kommen / daß ſie ſich ſchuͤmen werden von wegen 

ihrer gepflogenen Abgoͤttereyen vnnd leiſchlichen 

Wolluſt / vnd daß ſie von derſelbigen wegen / den 

wahren Gott verlaſſen haben / dan alsdan werden 
ſie wie ein Eichbaum oder Therebinthder vufrucht⸗ 

bar iſt vnd keine Blaͤtter hat / werden: als dan wird 
der feindſelige Todt vorhanden ſeyn / vnd die Blaͤt⸗ 

ter vom Baum herunder reiſſen: Alsdan wan keine 
Blaͤtter der guten Werck vorhanden ſeyn / werden 

die Diſtel vnd Dörner der Sünden die Seel zerꝛeiſ⸗ 

fen / alsdan werden fie fich ſchaͤmen / vnd man wird 

zu ihnen ſagen: Was hattet ihr der Zeit fir ein 

Nutz in den Dingen / deren ihr euch jetzt 

ſchaͤmet? Rom. 6. Alß dann wird ſeyn ein wahre 

Scham / ſeufftzen vnd weinen. 

Dergleichen ſchamloſe Suͤnder haben kein Hertz / 
vnd ſeynd hertzloß / dan die Suͤnd haben ihnen ihre 
Hertzen allerdings genommen / derowegen ſagt Je⸗ 
remias am 5̃. Cap. zu ſolchen Suͤndern: Hoͤre 
mich O Volck / welches kein Hertz hat: Deß⸗ 
gleichen ſagt Eſalas Cap. 46. Hoͤret ihr die ihr 
kein Hertz habt / gedencket dran / vnnd ſchaͤ⸗ 
met euch / ewer Angeſicht werde ſchamrot. 
Dieſe Wort ſeyndt geredt worden zu den Abgoͤttt⸗ 
ſchen Babyloniern / aber ſie koͤnnen auch gar wol 
auff vns gedeutet werden / die wir die Wolluͤſt in 
dieſer Welt anbetten / vnnd von ihrentwegen den 
wahren Gott verlaſſen: Warumb ſchaͤmen derowe⸗ 
gen wir vns nicht / wan wir das allerhoͤchſte Gut / 
gegen einer kurtzwehrenden Wolluſt vertauſchen / 

O5 welche 


222 Hirnſchleiffer. 


welche vns an jenem Tag der Rach nichts nutzen / 
noch von der Gefahr der Höllen erꝛetten wird? Keh⸗ 
ret nun / O ihr Suͤnder / widerumb zum Hertzen / 
welches ihr verlohren habt / dan ihr ſeyd je excor⸗ 
des vnd hertzloß: Weil ihr dan ewer Hertz verloh⸗ 
ren habt / vermittelſt der Suͤnd / ſo ſuchet es dero⸗ 
wegen wider mit allem Fleiß / vnnd ſprecht ſampt 
dem heiligen David: HErꝛ ſchaff in mir ein 
reines Hertz. 

Beſchließlichen ſeynd die Wort deß Ham / die 
er wider die vnfruchtbare Baͤum geredt / ſehr er⸗ 
ſchroͤcklich zu hoͤren / nembich: Er ſoll vmbge⸗ 
hawen vnnd ins Fewr geworffen werden. 
Die Execution oder Vollziehung deſſen ſahe der 
heilige Johannes in ſeiner Offenbarung / nemblich 
ein ſehr groſſes Thier zohe viel falſche Propheten 
nach ſich / vnnd warff ſie alleſampt in den fewrigen 
Teich Durch die falſche Propheten werden nicht 
allein die Ketzer / ſonder auch die böfe Gel ſt⸗ vnnd 
Weltliche Vorſteher verſtanden / welcheim Wein⸗ 
garten deß Herꝛn nichts anders als duͤrꝛe vnfrucht⸗ 

bare vnd aͤrgerliche Baum geweſt / derowegen. 

ſollen ſie in jener Welt geworffen wer: 
den in die ewige Glut. 


2 (0 


Hirnſchleiffer. 323 


Ein Weingarten iſt mit einem doͤr⸗ 
nern Zaun vmbfangen / mitten drinn 
ſtehet ein Thurn vnnd Wein⸗ 
kelter. 


1) 


— 5 ; SS 

Syyrtoer andern Gleichnuſſen wird die Kirch in 
H. Schrifft auch einem Weingarten beym E⸗ 
ſala Cap . verglichen: Ich will meinem Ge— 
liebten ein Lied meines Vatters ſingen von 
feinem Weingarten. Dieſen Weingarten hat 
der Her mit aller N Jihmendigfeit verſehen / dann 
er ha ihn verzaͤunt / vnd die Stein darauß genom⸗ 
men / vnd einen Edlen Weingarten n | 
it 


324 Hirnſchleiffer. 


Mit einem Zaun hat er jhn außwendig vrnbge⸗ 
ben / vnnd inwendig darein hat er einen Thurn ge⸗ 
bawt: Durch den Zaun verſtehen etliche die Engel / 
welche dieſen Weingarten verwahren vnd erhal⸗ 
ten: Andere aber verſtehen dadurch das Moſaiſ⸗ 
che Geſetz / vnd conte que nter das Geſetz der Ca⸗ 
tholiſchen Kirchen. Dann wie der Zaun darumb 
geſetzt wird / damit den Weingarten nicht offen / 
vnnd von den Wandersfeuten nit zerꝛiſſen oder zer⸗ 
tyetten / oder von den Wilden Thieren zerſtoͤrt wer⸗ 
de / alſo iſt das Göttliche Geſetz vmbgeben mit ei⸗ 
nem Zaun / damit es den Laſtern nicht frey vnd of⸗ 
fen ſtehe. Dann ſo lang das Geſetz vnzerbrochen 
verble bt / ſo pflegt die Frucht deß Weingartens 
zuerfolgen dann der Weiſe⸗-mann ſagt Cap. 15. 
Haͤlteſtu die gebott / ſo erhalten ſte dich. Die 
Maur vmb ein Statt verſichert gleichwol die darin 
wohnende Buͤrgep / aber doch muß ſolche Maur 
wol verſehen vnd bewahrt werden / dann wann die 
Maur nit erhalten / ſo bricht der Feind ein vnd wird 
zerſtoͤrt Das Geſetz Gottes muß auff eben ein ſol⸗ 
chen ſchlag verwahrt werden / vnd gleichſamb ein 
Zaun vnd ein ſtarcke Maur ſeyn / vnd vns erhal⸗ 
sen. 

Es pflegen die Bauren jhre Kraut oder Wein: 
gaͤrtẽ mit ſpitzigen vnd ſtechenden Doͤrnern zu vmb 
zäunen / damit die Frucht deſto beſſer verſichert ſeyẽ: 
Alſo vnnd ebner Geſtalt hat Gott ſeyn Geſetz mit 
Doͤrnern vmbgeben / vnd hat nichts vnderlaſſe was 
zu deſſen Beſchützung gehört. Die Dorner aber die⸗ 
ſes Zauns ſeynd die ſcharpffe Bedrohungẽ der pro⸗ 
pheten / 


Hirnſchleiffer. 325 
pheten. vnd die Straffen / mit denẽ die Suͤnder vnd 
Vbertretter deß Geſetzes erſchrockt werdẽ / derowe⸗ 
gen ſpricht der HER durch den Oſeam zu jhnen: 
Ich will meinen Bulern nachlauffen / die 
mir mein Waſſer vnd Brodt / mein Wull 
vnnd flachs geben: darinn ſthe / ich wil 
deinen Weeg mit. Doͤrnern verflechten 
vnd ein Wandt darfuͤr machen. Ein groſſe 
Varmhertztgkeit Gottes war es / daß er den Zaun 
deß Geſetzes mit Doͤrnern der Bedrohungen befe⸗ 
ſtigte / damit die Suͤnder darein ſtechen / verwun⸗ 


den / vnd ſich nicht vnderſtehen ſolten vber den Zaun 
zuſpringen. 


Wir ſehen / was fuͤr groſſe Muͤhe die junge 
Knaben brauchen / wann ſie in einen Garten ſteigen 
vnd Obs ſtehlen wollen / vnangeſehen daſſelbe noch 
nicht recht zeitig iſt. Die Aepffel ſchawet der Knab 
herauſſer an / ſie gefallen jhm wol / er wendet feine 
Augen nicht von jhnen ab / lauret täglich drauff / 
wie ein Katz auff ein Mauß / al ſo fleiſſig mercket er 
auff: Letztlichen wirfft er feinen Hut vnd Mantel 
von ſich / bricht durch den Zaun / zerꝛe ſſet das Maul 
vnd die Hand in den Doͤrnern / vnd machet ſichblu⸗ 
tig: dann ob er ſchon viel Aepffel ſtilt. / fo koͤnnen 
doch deren nicht ſo viel ſeyn / daß ſie den Werth / vm 
welchen er ſie ertaufft vnd ſich fo ſehr ze ruſſen hat / 
ertragen / dann er hat ſie mit ſeinem Blut erkaufft: 
Wehe dir Suͤnder (ſpricht der HERR) der du ein 
fo groſſe Begierd zu den Wolluͤſten haſt / daß du kei⸗ 
nen Schew traͤgſt / den Zaun meines Geſetzes der 
vpber 


326 Hirnſchleiffer. 
vbertretten: Ecce ego epiam viam tuam ſpinis: 
ſihe / ich will dir deinen Wolluſt erleiden / vnd dire 
bitter vnd ſawr gnug machen / die Laſter muͤſſen dich 
ſtechen / vnnd die gute Biſſel muͤſſen dir vbel gnug 
bekommen O wie thewr wird der Himmel gegen 
der ewigen Verdamnuß vertauſcht: Th ewr iſt die 
Wolluſt. / welche muſt bezahlt werden mit der ewi⸗ 
gen Marter. 

Die Kelter in dieſem Weingarten war der Tem⸗ 
pel / dan wie in der Kelter der Safft oder das Blut. 
der Trauben außgepreſt wird / alſo ward auffm Al- 
tar vnd in dem Tempel das Blut der Thieren ver⸗ 
goſſen: Das Creutz deß Herꝛn iſt die wahre Kel⸗ 
ter in dieſem Weingarten / dann in demſelben iſt 
vergoſſen worden ſein Blut. Von dieſer Kelter re⸗ 
det Elalas cap. GI. Ich hab die Kelter allein ge⸗ 
tretten Vnd dieſes iſt die Königliche Kelter / die 
oben auff dem Berg Calvariæ auffgericht worden / 
allda der Erloͤſer der Welt iſt gepreſt worden / vnd 
darauf fein koͤſtbarliches Roſenfarbes Blut ge 
floſſen iſt. 

Nicht weniger hat auch der Her in dieſen Gar⸗ 
ten einen Thurn gebawt: derſelb iſt nichts anders / 
als eben die H. Schrifft oder die Propheceyungen 
oder die Erkantnuß der Goͤttlichen vnnd Himmli⸗ 
ſchen Geheimnuſſen / dan wie der Wächter in einer 
Start pflegen die Wacht auff eim hohen Thum zu⸗ 
halten / die Gefahr vorzuſehen / auff die Feinde zu⸗ 
mercken / vnnd ſo bald ſie ein Gefahr verſpuͤren / 
muͤſſen ſie es melden vnd anzeigen oder blaſen / alſo 
haben die auff dem hohen Thurn der H. Schrift 
ſtehende / vnd mit dem Goͤttlichen Liecht erleuchtete 


Pro⸗ 


Hirnſchleiffer. 327 


Propheten alle zukuͤnfftige / gute vnd boͤſe / fröliche 
vnd vnluͤſtige Ding fürgefehen. Von dieſen Waͤch⸗ 
tern redet Eſatas c 62. alſo: Ich hab auff dei⸗ 
ne Mauren Waͤchter beſtellt / die zu ewigen 

Zeiten weder Tag noch nacht ſchweigen ſol⸗ 
len. Die Propheten ſeynd dieſe Wächter vnd Huͤ⸗ 
ter / dieſelbigen ſchweigen weder in der Nacht deß 
geſchriebenen Geſetzs / noch auch im Tag deß Evan⸗ 
geliſchen Geſetzes / dann fie erinnern vns vnd fuͤh⸗ 
ren ons die obernatürliche Geheimnuſſen Gottes 
zu Gemuͤth / dann ſie haben von der Zukunfft Chri⸗ 
ſtigeredt / von der Erloͤſung der Welt / von dem zu⸗ 
kuͤnfftigen Gericht / von der ewigen Belohnung / 
vnd von der Straff der Verdampten. 

Eben dieſer Vrſachen halben wird die Naſe der 
Kirchen in H Schrifft einem Thurn verglichen / 
Dein Naß iſt wie der Thurn auff Abano. 
Es ſtundt ein Thurn auff dem Berg Lbano gegen 
der Statt Damaſco vber / auß demſelben ſahe man 
von weitem die Feinde / die ins Paleſtiniſche Landt 
hinein lieffen / derowegen wurden ſie abgetrieden. 
Daß derowegen die Naſe der Kirchen einen Thurn 
verglichen wird / bedeut ſolches nichts anders / als 
die Kirch vermittelſt der H. Schrifft die Erkantnuß 
der zukuͤnfftigen Dingen hat / dan wie einen / der 
ein gebutzte Naſe hat / einen boͤſen Geſchmacken 
weit vnd leichtlich riechet / alſo hat die Kirch ein Er⸗ 
kantnuß derẽ Dingen / welche weit von vnſern Bere 
ſtand ſeynd: Dahero ſehen wir / daß die Doctor es in 
der Kirchen die herfuͤrbrechende Irꝛthumben von 


weitem 


328 Hirnſchleiffer. 


weitem erſehen / die Schildwacht fleiffig halten / 
vnd vns warnen vnd ermahnen / daß wir vns wider 
der Ketzer Liſt verſehen vnd gefaſt machen ſollen. 

Beſchließlichen hat der HERD dieſen fo wolge⸗ 
pflantzten Weingarten mit einem Zaun vmbgeben / 
vnnd mit einer Kelter vnd einem Thurn verſehen / 
den Bauren verſtifft / keines wegs aber fuͤr ein Ei- 
genthumb geſchenckt / ſondern verlihe ihnen den 
Weingaͤrtnern vnd zohe uͤber Sande : Die Wein⸗ 
gaͤrtner aber waren die Fuͤrſten vnder den Juden / 
Hoheprieſter vnd Schriffgelehrten / denſelbigen 
vertrawte vnd befahl er dieſen Weingarten zu⸗ 
bawen vnd gebuͤhrlich zugenieſſen : Anjetzo aber 
ſeynd in der Kirchen die Prælaten / Hirten vnd alle 
Geiſtlichen / die Weingaͤrtner / denſelbigen f igt 
die Sorg vnnd Verwahrung dieſes Weingar⸗ 
tens ob. 

Dieſen Weingarten hat der Herꝛ nicht vberant⸗ 
wort den Kauffleuten / Edelleuten / Koͤnigen / Fuͤr⸗ 
ſten / oder groſſen Herꝛn / ſondern nur den Bauren: 
Nicht den Muͤſſig gaͤngern vnd Stoltzern / ſondern 
den Arbeitern / dann wofer a er feinen Weingarten 
den Fuͤrſten vberantwortete / ſo wuͤrden fie villeicht 
einen Waldt oder Luſtgarten drauß machen / vnnd 
ein wolluſtiges Leben drinn fuͤhren / inmaſſen König 
Achab thate / vnnd villeicht noch heutigs Tags viel 
andere thun / welche auß deß HErꝛn Weingarten 
Luſthaͤuſer vnd Cammerguͤter machen: oder aber / 
welche nichts anders thun / als wolluͤſtiglich leben / 
pancketiren vnd dommiren / aber die Wacht vnnd 
Sorg deß Weingartens durch andere verwalten 
vnd verſehen laſſen. 

Den 


Hirnſchleiffer. 329 


Den Regenten / Pflegern vnnd Raͤthen in den 
Staͤtten / Item den Edelleuten hat der Herr eben 
ſo wenig ſeinen Weingarten befohlen / dan er wuſte 
gar wol / daß dieſelbigen bißweiln mehrers auff ih⸗ 
ren eignen / weder auff der Kirchen Nutz ſehen wuͤr⸗ 
den / derowegen ſeynd alle dergleichen Waͤchter vnd 
Huͤter deß Weingartens nichts anders / als phan- 
taſmata, dann nicht der Weingartner / ſondern die 
Forcht verwahret den Garten. Den Spieß ſtellen 
fie gleichwol für die Hütten / aber fie ſelbſt ſeynd 
weit darvon / ziehen im Landt herumb / oder fchlafr 
fen oder faullentzen. Wan derowegen die Wanders⸗ 
leut vermercken / daß der Weingartner oder Huͤter 
nicht vorhanden iſt / ſo gehen ſie in den Garten / 
werffen den Spieß zu boden / vnd ſtehlen die Fruͤch⸗ 
te auß dem Garten: O wie vbel ſtehts an etlichen 
Orten vmb deß HeErꝛn Weingarten; O wie ſchaͤndt⸗ 
lich iſt er verwuͤſt / zerſtoͤrt vnd zugericht worden! 
Durch der Hirten / Hüter vnd Seelforger Vnfleiß 
iſt der Weingarten von den Teuffeln ſchier gantz 
vnd gar zertretten vnd dermaſſen zerſtoͤrt worden / 
daß / wo zuvor die Religion florierte / vnd der Glaub 
glantzte / allda wird anjetzo nichts anders / als Irꝛ⸗ 
thumb / Spaltungen vnd faſter gefunden / dan der 
Teuffel weidet vnd geneuſt den beſten Theil dieſes 
Weingartens / aber Chriſtus hat wenig nutzes dar⸗ 
von / Das beweinet Mich æas vnnd ſpricht am 7. 
Capittel: Wehe mir / dann es geht mir wie 
einem der im Herbſt die Nachleſe ſambtle: 
Ich finde keine Trauben zueſſe. Wehe mir 
(ſprich der Hen) der ich dieſen Weingarten auff 
mei⸗ 


330 Hirnſchleiffer. 
meinen Vnkoſten gepflantzk / mit groſſer Muͤhe ges 
bawt / vnnd mit meinem eignen Blut genetzt hab / 
vnnd dannoch geneuſt der Teuffel an vielen Orten 
die fuͤrnembſte Fruͤchte / dann nunmehr hat er den 
meiſten Theil der Chriſtenheit in ſeinen Gewalt ge⸗ 
bracht: aber ich gehe gleichwol aller Orten herumb / 
vnd ſuche die Traͤublein / vnd nach vollendter Wein⸗ 
leſe / find ich kaum eine oder zwo: dan wenig werden 
mir zut heil: deffen beklaget ſich der H. David vnd 
fpricht: Plal w. 79. Warumb haſtu fein Maur 
zerbrochen / daß ihn beraubet alles was für⸗ 
uͤber gehet? Es hat ihn zerwuͤlet das wilde 
Schwein / vnd das ſonderliche wilde Thier 
hat ihn abaenaget: GOtt wende dich doch / 
ſchaw vom Himmel vnd ſihe an / vnd ſuche 
beim dieſen deinen Weingarten. Wehe aber 
denen / welchen diefer Weingarten zu bawen an⸗ 
vertrawt iſt worden / damit ſie GOtt dem HErꝛn 
zu rechter zeit die ſchuldige Frucht reichen vnnd ges 
ben ſollen: aber es iſt zubeſorgen / ſie werden eben 
in den Fluch vnd Straff gerathen / darein die Sy⸗ 
nagog gefallen / allweil wir an ſtatt der Fruͤchte nur 
Blaͤtter der Ceremonien hergeben / dan ob ſchon der 
Herz deß Weingartens Chriſtus kame / vnd fein ge⸗ 
buͤhrliche Frucht vnd Zinß auß ſeinem Weingarten 
von vns begehren wuͤrde ſo wuͤrde es gleichwol an 
keinen Ceremonien / Meſſen / Opffern / Proceſſio⸗ 
nen vnd offentlichen Gebetten ermanglen / er wuͤrde 
auch finden die Bbung der Sacramenten / die Pre⸗ 
dig / deß Wort Gottes / die Verehrung der Heili⸗ 
gen / 


331 
gen / vnd ein groſſe Anzahl der Kirchendiener : wel⸗ 
ches dan ein heiliges vnd loͤbliches Weſen iſt vnd 
billig alſo fein foll » Aber leider / wenig Fruͤchte der 
Gerechtigket vnd Heiligkeit / ein kleine vnd ſchlech⸗ 
te Keb Gottes / deß N daͤchſten v vnnd gegen den Ar⸗ 
men wuͤrde er antreffen / dann J Katar andem 6, 
Capittel ſagt: Von d ah minſten biß auff den 
meiſten hangen ſie allefaı yt dem Geitz an / 
vnd vom Propheten an biß auff den Prie 
ſter alleſamen mit Falſchheit vnnd Betrug 
vmbgeben. Sie eſeynd alle abgewichen / vnd 
alleſampt vnduͤchtig worden. Dann die wahre 
Gerechtigkeit beſtehet nicht in den aͤuſſerlichen 
Dingen vnnd im Glantz der Ceremo⸗ 
nien / ſonder der innerlichen Tu⸗ 
gendt deß Gemuͤths. 


14 
7 


Hirnſchleiffer. 
Ein Mann waͤſcht einen 
Mohren. 


| | Wer dieſen Mohren anſchatvet / vnnd mit einer 
g Todtſuͤnd behafftet iſt / der gedencke / er ſey 
Hi ſelbſt der Mohr: Ob ſchon einer eben fo ſchoͤn / zier⸗ 
IF lich / vnnd mit langen gekraͤuſelten gelben Haaren 
herein gehet wie der ſtoltze Abſolon / ob ſchon ein 
ſchoͤne Fraw mit hochauffgemutzten Haaren vnnd 
langen geſpitzelten Kraͤſen pranget wie Venus, ſo iſt 
ſie doch nur ein heßlicher ſchwartzer vnd grewlicher 
Mohr vor Gottes Angeſicht / wofern ſie in Suͤn⸗ 

den vnd Laſtern ſteckt. 
Durch 


Hirnſchleiffer. 333 

Durch den Waſcher aber wird bedeut Gott der 
Heri / der ſelb abſolviret dich nach gethaner Beicht 
durch den Beichtvatter / vnd machet dich widerumb 
weiß / rein vnd ſauber: aber der böß Feind laͤſt ihm 
nichts mehres angelegen ſeyn / als daß er ein ſolche 
gewaſchne vnd gereinigte Seel widerumb zu einer 
Moͤhrin vnd kolſchwartz machen moͤg: O wie viel 
Menſchen fallen bald nach verꝛichter Beicht wider⸗ 
umb in die vorige ſuͤnden? Waren ſie zuvor ſchaͤnd⸗ 
lich vnd ſchwartz / ſo begehen ſie hernacher eben die⸗ 
ſelbe ſchaͤndliche Suͤnden widerumb: waren fie zu⸗ 
vor geitzig vnd ſchinderiſch / ſo ſeynd ſie es hernacher 
eben fo wol: waren ſie zuvor $äfterer / Potzmarte⸗ 
rer / Raumsfelder vnd Marterhanſen / ſo ſeynd ſie 
es hernacher eben fo wol: waren ſie zuvor Polderer 
vnd vnſinnige Weiberſchlager / ſo thun ſie es her⸗ 
nacher gleichfals / vnd halten ihre arme Weiber je 
länger je vbeler on vnleidenlicher. Ob ſchon fie noch 
ſo offt Beichten vnd die Buß verſprechen / ſo halten 
ſie doch nichts / vnnd gibt das Werck zuerkennen / 
daß ihr Beicht falſch geweiſt: Derowegen ſagt der 
HERR durch den Jeremiam am. Cap. zu ihnen: 
Du biſt als ein geringer Lauffer / der ſeine 
Weg hinlauffet. Durch dieſe Weg werden die 
Suͤnden verſtanden / wie ſchaͤndlich aber dieſelbe 
ſeyn / das zeiget ung der Weiſe-Mann an in feinen 
Sprüchen Cap. 26. da er ſpricht: Wie ein Hund 
fein geſpeytes wider friſt / alſo iſt der Narꝛ / 
der ſeine Narꝛheit wider treibt / Was kan 
ſchaͤndlicher ſeyn / als wann der Hundt die allbereit 
gegeffene vnd außgeſpeiene Speiß widerumb auffs 
new 


334 Hirnſchleiffer 


new friſt; aber noch ſchaͤndlicher iſts / wann der 
Menſch feine gebeichtete vñ gebuͤſte Suͤnd widerum̃ 
wie vor, begehet / vnd ſich wie ein Saw / im 
Koth der Suͤnden vmbweltzet: Was kan grewli⸗ 
cher ſeyn / als daß der jenig / welcher / wie die 
Himmliſche Geiſter / mit den gedancken vnnd Ge⸗ 
muͤth oben im Hummel wohnen ſolte / ſich im 
Koth der Suͤnden vnd Laſtern vmbweltzet? 0 
Nicht allein iſt ſolches ſchaͤndlich / ſondern auch 
hochſchaͤdlich / dann ob wol alle vnd jede La ſter ein 
Straff nach ſich ziehen / ſo iſt doch kein einiges 
Laſter / welches Gott den HErꝛn mehrere zum Zorn 
beweget / weder wann der Menſch die Suͤnden die 
jhm allbereit vergeben ſeyn worden / widerumb be⸗ 
gehet: Als derowegen die Iſraeliter vorhabens wa⸗ 
ren von dem angefangenen Weg ius Gelobte Sandf 
zu weichen / vnnd widerumb in Egypten zugchen / 
ließ Gott den Moyſen holen vnd ſprach Nam. 14. 
Cap. Wie lang redet diß Volck vbel? wie 
lang wollen ſie nicht an mich glauben durch 
allerley Zeichen / die ich vnder jhnen gethan 
hab ? darumb will ich fie mit Peſtilentz 
ſchlagen vnnd vertilgen / ꝛc. Wie nun der Her 
ſich ſehr erzüͤrnte / als ſie widerumb in bie Dienſt⸗ 
barkeit Pharaonis gehen wolten / alſo iſt leichtlich 
zuerachten / wie ſehr er ſich erzuͤrne / wan der Suͤn⸗ 
der ſich widerumb zu deß Sathans Dienſtbarkeit / 
auß deren er ihn erloͤſt hatte / begibt: Dieſer Vrſa⸗ 


chen 


Hirnſchleiffer. 335 


chen halben ſagte David Pf. 67. Gott wird den 
Kopff ſeiner Feinde zerſchlagen / den Har⸗ 
ſchedel deren / die in Suͤnden fortfahren. 
O erſchroͤckliche Straffl Fuͤrnemblich aber vnd in⸗ 
ſonderheit ſchichte Gott ſolche Sundern zwey er ley 
Armſeligkeiten zu: Die erſte iſt / daß er fie vnverſe⸗ 
Auen e den v onnd Laſtern hinweg 
nimbt / vnd ſchicke ſie ins Holliſche Fe wr / weil er ſi⸗ 
het / daß fie fein Gnad jo ſchandrlich verachten / vnd 
kein einiges Zeichen der Buß erzeig en / daher ſagt 
der‘ Pfalmiſt Pfal. 53. Die Blutgterigen vnnd 
Betrieger werden jhr Leben nicht zur helffte 
bringen. Die andere S traff zeigt der Ee eleſiaſti⸗ 
cus anc⁊. Wehe denen / fo die Gedult ver⸗ 
lohren vnd die rechte Weege verlaſſen has 
ben, ond zu boͤſen Wegen getretten ſeynd. 
Das Wort v oder Wehe bedeut die ewige Ver⸗ 
W welche vorbereitei iſt denen / die auffm 
Weg deß Herm nachlaſſen / vnd vermeinen fie koͤn⸗ 
e e u: Wehe den ẽ / welche wider⸗ 
umb auff den Weg gehen / der ſie zur Hoͤllen nun 
dann von wegen jhrer Vndanckbarkeit / vnd daß fi 
fo offt wederumb geſuͤndigt / bewilligt Gott / daß fü fe 
von der einen Suͤnd in die andere fallen / biß ſie letzt⸗ 
lichen gar in die hölliſche Glut gelange. Es s geſchicht 
gleichwol vielmals / daß die Außerwoͤhlte bißweiln 
widerumb auß Schwachheit fallen / aber wann ſie 
offt vnd vielmals / ja fuͤrſaͤtzlich widerumb fallen / iſt 
ſolchs ein vnfehlbares Zeichen der Verdambnuß: A⸗ 


ber 


336 Hirnſchleiffer. 


ber wer in der Buß beharret biß an das End den 
wird ſelig. 


Ein anderer Diſcurs / wie der Mohr 
muͤſſe gewaſchen werden. 


Als Gott den Menſchen erſchaffen hatte / hat er 
jhm in demſelben einen H. Tempel erbawt. Solches 
zeigt der Apoſtel Paulus! Cor z. an / da er ſagtz 
Wiſſet jhr nicht / daß jhr ein Tempel Bor 
tes ſeyt / vnd daß der Heilig Geiſt in euch 
wohne? Der Tempel Salomonis war auffs herr: 
lichſt vnnd ſchoͤneſt mit Edlen⸗geſteinen / Gold 
vnnd Silber gezteret: Aber dieſer Tempel oder 
das menſchliche Gemuͤth / darinn G O T T 
wohnet / iſt viel herrlicher vnnd fuͤrtrefflicher / 
dann die Schrifft ſagt im Geneſ. am 2. Capittel: 
Gott hat eingeſchaffen in fein Angeſicht 
ein lebendigen Geiſt / vnd alſo vberkam 
der Menſch ein Leibs Leben. So gar hat er 
dieſen Tempel nicht allein geziert mit dem heiligen 
Geiſt / ſonder auch mit ſeinem Sohn Chriſto ſelbſt / 
vnd machte jhn der Goͤttlichen Natur theylhafftig: 
derowegen iſt von dieſẽ Tempel vielmehr zuhalten / 
weder vom Tempel Salomonis. Es kam aber Na- 
buzardan, das iſt / der boͤß Feind / vnd zerſtoͤret die⸗ 
fen heiligen Tempel / vnd führte die Buͤrger zu Jeru⸗ 
ſalẽ / das iſt / die Adams⸗Kinder / gefaͤnglich hinweg 
biß letzlichen der ſtarcke Zorobabel Chriſtus kam / 
vund bawete dieſen Tempel wider auff: Ubi hä 
abun» 


Hirnſchleiffer. 337 


abundavit delitum , fuperabundavit & gratia, 

Abermal kam der boͤß Feind wider / vnd wolte 
(wie der Tyrann Antiochus gethan eben dieſen wi⸗ 
dererbawten Tempel wider vinbkehren / vnd ob ers 
ſchon nit gantz vnd gar zu Werck zohe / ſo hat er doch 
zum theit gethan / vnd jhn mit vielen Suͤnden vnd 


on „ N ee Lan ft 
Laſtern geſchandt: Dieſer Vrſachen halben bei 


21 


man ſich noch taͤglich in der H. Kirchen vielfaͤltig / 
ſolchen abermals durch den Antiochum den 5% 
than geſchaͤndten Tempel zu renoviren / zuwaſchen 
vnd zureimgen. Die meiſte Chriſten erzeigen ſich 
gleich wol / als renovirten / ernewerten / waſchen vñ 
reinigten fie dieſen jhren Tempel / aber doch ſehen 
wir / leider / daß jhrer viel nicht rein werden / dann 
fie beſuchen die Predigen / ſie faſten / beichten vnd 
commumtciren / aber doch verbleiben fie inwendig 
befleckt mit den vorigen macklen / da doch Gott fuͤr⸗ 
nemblich ein jnnerliche Renovation / Ernewerung 
vnd Reinigung begehret / dann er ſpricht durch den 
Propheten Jerem. c. 4. Waſch dein Hertz von 
der Boßheit / auff daß dir geholffen werde. 
Das iſt: nicht waſche nur die äufferliche Handt / 
ſonder dein Hertz:die Menſchen loben gleichwol die 
aͤuſſerliche Schoͤnheit / vnd halten den jenigen für 
rein vnnd gerecht / welchen ſie fleiſſig betten vnd jh⸗ 
ren Leib kaſteyen ſehen aber Gott hat Lux⸗Augen / 
der ſihet die jnnerliche Ding rein vnd vnbefleckt 
ſeyen / derowegen fpricht er: Thut ewre boͤſe Ge 
dancken von meinen Augen. Zu dieſer jnnerli⸗ 
che vernewerung deß Gemuͤths ermahnet uns auch 


P der 


338 Hirnſchleiffer. 
der Apoſtel zun Ephef. Cap. 4. vnd ſpricht: Er⸗ 
newert euch im Geiſt ewers Gemuͤths / vnd 
ziehet an den newen Menſchen / der durch 
die Luſt deß Irzthumbs verdirbt / der nach 
Gott geſchaffen iſt in Gerechtigkett vnnd 
wahrer Heiligkeit. Die ernewerung deß Ge⸗ 
muͤths erfordert er von vns / vnd zwar in der Gere⸗ 
chtigleit vnd Heiligkeit / vnd nicht in dem bloſſen 
auſſerlichen Schein der Heiligkeit vnd Gerechtig⸗ 
keit. 

Zwey Ding aber ſeynd bey dieſer Vernewerung 
vnd Waſchung deß Mohren oder Suͤnders zube⸗ 
trachten: Erſtlich die Heßlich⸗ vnd Schaͤndlichleit 
einer ſuͤndigen Seel / welche der H Davio betracht 
Plal. 50. Waſche mich wol von meiner 
Miſſethat / vnnd reinige mich von meiner 
Sind. Als wolt er ſagen: Waſch mich / OHerꝛ / 
je länger je mehr von meiner Vngerechtigkeit / dann 
ein groſſer Vnflat wird nicht durch ein ſchlechte 
Waͤſch hingenommen: Dermaſſen ſchaͤndlich ſeynd 
die Mackel der Suͤnden / daß / ob ſchon fie durch das 
Blut Chriſti im Sacramẽt abgewaſchen ſeynd more 
den / ſo bedarf ſie doch deß Fegfewrs / damit auch die 
Straff vertilgt vnd die Menſchen gantz vnd gar ges 
reinigt werden. Ferner iſt dieſe Mackel auch fa 
ſchaͤndlich / daß / wofern ſie nicht in dieſe geben durch 
die Krafft der Sacramenten vertilgt wird / ſie ſo gar 
durchs hoͤlliſche Fewr nicht kan hinweg genommen 
werden / vnangeſehn man noch fo lang a lle Ewig⸗ 
keit in der Hollen ſchwitzet. Dieſer Vrſachen halben 

mu 


\ 


Hirnſchleiffer. 339 


muß ſie ſo gar durch das Blut Cl hriſti vertilgt wer: 
den. Als derowegen der H. Johannes in ſeiner Of⸗ 
fenbarung am 21. Cap. etliche Heiligen in weiſſen 

Vleidern geziert ſahe / ſprach der Engel zu jhm: 
Hi ſunt gu dealbaver:i ntitolas ſuas, &c, Als 
wolte er ſagen : Keiner andern Vrſachen halben 
ſtehen dieſe vorm Thron Gottes / ic. als we fie ihre 


Kleider weiß vnnd rein gemacht haben um Blut deß 
Lambs: wofern auch fie mit ſolche im Blut nicht ab⸗ 
gewaſck ren / fo wurden fie noch vnrein ſeyn / 
vnd Gott! wurde jhnen ſeine Wohnung nicht ein⸗ 
geraumbt haben. 


Das ander /we elches bey de E Ver! + zewerung de eß 
Gemuͤchs zu . 95 


4 
nicht allerdings auberpi 


. daß nichts / welches 
in Himmel komen ka 


rein gemacht iſt worden / 

in den vnreinen (Ein cken⸗ 
den Boͤcken wird der We j zur nn n! nel verba wt / 
vnd ein R gel vor die Hemmelsthüt Zeſchloſſe wer: 
den / inmaſſen ſolches der H im es in ſeiner Of⸗ 
fenbarung am 21. Cap. andeut: Nichts vnreins 
oder b 1 kompt hinein. Hergegen wird 
von denen in erſtbeſagtem Capittel geſ⸗ gt / die mit 
vielen S 


nden beflecht ſeynd: Ihr Theil wird 
ſeyn in 


der mit Fewr vnnd Se chwefel 
brennt Pre ches siffder ander Todt. Diß haben 

die jenige zubetrachten / welche die einmal gebeich⸗ 
tete vnd verz ziehene Sünden widerumb begehen / od 
wol garnicht b eichten / noch ich reinigen: groſſe geit 
haben wir dieſe Renovation / Hernewerun⸗ yonnd 
Reinigung gvnſers innerlichen ſchwartzen Mohrens 


P 2 fürs 


340 Hirnſchleiffer. 


fürzunehmen / ſintemal Chriſtus einen jeden Men⸗ 
ſchen fein Blut anerbietet / ſich damit zuwwaſchen: 
Anjetzo machet euch das Blut Chriſti zu nutz / jetzt 
iſt die zeit vnd Gelegenheit / zu deren ihr ſo wol die 
Reinigkeit deß Gemüths / als auch die Gnad vnd 
Barmhertzigkeit deß Herꝛn vnd folgends die ewi⸗ 
ge Glory erlangen fönnet. Dann nach dieſem 
Leben iſts auß / vnd kein verdienen noch waſchen 
hilfft mehr. 
Dritter Diſcurs. 


Wann der Menſch aber vnderlaͤſt / den bemackel⸗ 
ten Tempel ſeines gemuͤths erzehlter maſſen zuwa⸗ 
ſchen / zuernewern vnd zureinigen / ſo gerathet er all⸗ 

emach in ein boͤſe Gewonheit deß fündigens / vnd 
machet einen habitum drauß. Dann wie die Juden 
die bittere Zwibeln vnd Knoblauch in Egypten aſſẽ / 
vnd derſelben dermaſſen gewohnet / daß ſie demſuͤſ⸗ 
en Manna nichts nachfragten / alſo gewoͤhnen ſich 
noch heutigs Tags die Menſchen dermaſſen zum 
ſundigen / daß ſie den himmliſchen vnd ewigen Guͤ⸗ 
tern wenig nachfragen / ſondern gar verachten / vnd 
gerathen dardurch je länger je mehr in ſolche böfe 
Gewonheit / daß ſchier vnmuͤglich iſt / ſie widerumb 
auff den rechten Weg zubringen: derowegen ſagt 
Salomon in den Weiſen⸗Spruͤchen cap. 22 es ſey 
ein Sprichwort: Laͤſt man den Knaben bey ſei⸗ 
nem Weg / ſo laͤſt er nicht davon wann er alt 
wird. Wir ſehen / daß die junge vnerfahrene vnver⸗ 
ftändige deut ſich dermaſſen an die Leibs⸗Wolluſt 
bencken vnd ergeben / daß fie fo gar im Alter vnd ben 
ihrem 


Hirnſchleiffer. 341 


jhrem beſten Verſtand / hart darvon zubringen 
ſeynd / koͤnnen auch ſchwaͤrlich bewegt werden / ein 
erchiles Leben an ſich zunemen: Wie ſchwaͤrlich ei⸗ 
ner ſeiner Mutter Sprach vergißt / vnd ein andere 
lernet / alſo ſchwaͤrlich verlaͤſt ein Gottloſer den boͤ⸗ 
ſen Weg / welchen er angefangen hat zugehen / aber 
viel ſchwaͤrlicher kompts jhn an / einen andern zu⸗ 
wandern / dann wann die Gewonheit durch das Al⸗ 
ter geſtarckt wird / ſo erlangt ſie die Krafft der Nas 
tur / wie Job ſpricht c. 2d. Seine Gebein wer⸗ 
den erfuͤllt werden mit den Suͤnden ſeiner 
Jugendt / vnd werden mit jhm in der Erden 
ſchlaffen ligen. Er wil ſagen: die eralte Gewon⸗ 
heit machet / daß einer böß vnd Gottloß iſt ſo wol 
im Alter als in der Jugend. 

Durch die jetztgemelte Gewonheit deß ſuͤndiges 
ſteigt der Suͤnder noch einen andern tieffern Staf⸗ 
fel hinab zur Hoͤllen / der heiſt durities cordis oder 
obſtinatio oder Halßſtaͤrꝛigkeit / von dern ſteht ge⸗ 
ſchrieben: Mag auch ein Mohr ſein Haut vers 
aͤndern / vnd ein Panter⸗Thier ſeine Spre⸗ 
cklenꝰſo möcht auch jhr / die jhr böͤß gelert habt 
guts thun Ob ſchon der Waſcher oder Beichtvat⸗ 
ter verhanden iſt / ob ſchon der Papſt ein Jubileum 
ertheilt / ob ſchon die Faſtenzeit herben kompt / ſo 
laͤſt doch vnſer Mohr / vnſer Suͤnder ſ olches alles 
verflieſſen / wird nur in Suͤnden halßſtarꝛiger vnd 
verſtockter / vnnd nachdem er viel Jahrlang im 
Wueſt der Suͤnden gelegen iſt / ſo machet er ſie 
jhm dermaſſen eigen / als waͤre ſie fen Erbtheil 

P 3 Ein 


342 Hiruſchleiffer 
Ein Wucherer ergibt ſich dem Wucher oder Schin⸗ 
derey dermaſſen / als waͤre es fein auffgeſctz: 15 
Ampt :frembden Gelt vnd Gur behält vnd beſitz 
er eben ſo lang / als hätre ene eg che en 
Jahren hero mit gutem Titul erobert: Ein ander 
hauſet mit ſeiner Concubin oder Fetel ſo lang / als 
wäre fein Ehfraw / es wollen auch ſolche Feteln biß⸗ 
weiln fuͤr beſſer angeſehen ſeyn / als andere ehrliche 
Frawen. Ein ande Ae ce vnd 
Spielhauß / vñ vermeint / es ſey jhm durch den lan⸗ 
gen Ge brauch vnd Gewonheit erlaubt vnd fre y / vñ 
ſchade niemandt / gleichſamb waͤre die lan, gwehren⸗ 
de Suͤnd deſto leichter / paſſterlicher vnd vnaͤrgerli⸗ 
cher / vnd dieſes treiben ſie biß an jhr End. Dardurch 
aber wird das Hertz allerdings hart vñ verſtockt wie 
ein Diamant / vnd geraͤthet der Suͤnder in ein fo 
groſſe Arn ſeligkeit / daß jhn weder die Gedaͤchtnuß 
dep‘ Juͤngſten Gerichts / noch das Schrecken der 
Holl: ſchen Marter erſchroͤcket / noch die Glory der 
Seligkeit locket / vnd kan durch kein einige Ermah⸗ 
nung oder Bedrohung von der Gewonheit deß ſuͤn— 
digens abgezogen werde. Die geit die fie zum Dienſt 
Gottes vnd der Buß zubringen ſolten / verzehren ſte 
in ſunden vnd laſtern / vnnd ſamblen jhr boss 
ein Schatz deß Zorns Gottes auff den Halß. Dann 
deſto ſchwaͤrlicher wird der jenig geſtrafft werden in 
der Hollen / welcher die dangmuͤthigkeit Gottes ver⸗ 
acht / vnd ſich nicht allein nit bekehren hat woͤllen / 
ſonder ſeine Suͤnd Gott dem Herꝛn zu Trutz / je 
länger e mehr vermehrt hat, 
Der Herꝛ beklagt ſich vber ein beſchreyte Sram 
im Apccal. am 2. Cap. vnd ſagt: Ich hab jhr 


Zett 
Seil! 


Hinſchleiffer 


Zeit geben / daß ſie ſoll Buß thun / vnnd ſie 
will nit Buß thun. Weil dieſes Weib ( fpriche 
Ambrofius ) ın Sünden fledte / fo hätte fie billig 
weinen ſollen / aber fie lachte noch darzu / war froͤh⸗ 
lich / kleidete ſich in Purpur / zierte jhrenKopff / 
Halß / Bruſt / Lenden vnd Finger mit Gold 
vnd Edelgeſteinen / aber anjetzo ligt ſie in 
der Hoͤllen / vnnd bewemet jhre verlohrne Zeit 
ewiglich. 

Wofern nun Gott dieſem Weib anjetzo nun ein 
fleine Zeit bewilligte / daß fie Buß thun koͤnte / O 
wie begirig wuͤrde ſie darnach greiffen? gewißlich 
würde fie keinen Augenblick vergeblich hingehen 
laſſen: Kein ſammetes noch ſeydenes / kein guͤl⸗ 
denes noch ſilbernes / ſonder ein haͤrines Kleid 
wuͤrde ſie anlegen: jhre Haar wuͤrde fie nicht kraͤuß⸗ 
len / ſondern außreiſſen: ſie wuͤrde nicht lachen / 
fondern offentlich weinen vnd jhre Suͤnd heim⸗ 
lich beſeufftzen / aber leider / ihr wird kein Zeit 
noch Stundt mehr zur Bus verwilligt / ſonder 
muß in der Höllen ewiglich brennen vnnd bra⸗ 


ten. 

So nun Gott dieſes Weib ſo ſchwerlich geſtrafft 
hat / weil ſie Zeit der Buß in Wolluͤſten verzehrt 
hatte / was wird dan nicht begegnen denẽ Suͤndern 
fo niemaln vß Suͤnden abgeſtanden / ſonder die gan⸗ 
tze geit jhres Lebens je laͤnger je mehr gehaͤuffet ha⸗ 
ben? O Menſch / du haft gefuͤndigt / du ligſt im Koth 
der Suͤnden / die Süͤnd vermehreſtu mit Suͤnden / 
vnd gedenckeſt im wenigſtẽ auff die Zaͤher vnd Buß / 
derowegen wird dich der Herr an ſolches Ort ver⸗ 

O 4 ſtoſſen / 


344 Hirnſchleiffer. 


ſtoſſen / allda kein auffhoͤren deß weinens ſeyn wird. 
Gott reichet vnd bietet dir anjego fein Hande / dam: 
du auß deinen Suͤnden auffſtehen vnd widerumb 
geneſen koͤnteſt / warumb laͤſtu aber ſolche gute Ge⸗ 
legenheit auß den Haͤnden? Du biſt erſchaffen / da⸗ 
mit du der Hin mliſchen Glory ſolteſt theylhafftig 
werden / aber du verachteſt dieſe nad: Andere fine 
chte deß Herm wanderen / andere lauffen / andere 
rennen / andere fliegen / aber du ligſt im Lotterbeth / 
biſt lahm an Haͤnden vnd Fuͤſſen / vnd begereſt nicht 
geſundt zu werden / noch auff dem Weg der H:mım- 
liſchen Gebotten zu wanderen: Jene Knechte deß 
Herm werden aufm Weg deß Herꝛn verbrennt / 
zerhawen / erſchoſſen / gecreutziget / du aber verzeh⸗ 
reſt dein deben in Wolluͤſten / vnd wirſt allerdings 
halß ſtarꝛig in der Boßheit / vnd dannoch vermein⸗ 
ſtu / du woͤlleſt durch ein folches deben ſelig werden: 
aber es wird dir fehlen / dann ob ſchon der Her: dei⸗ 
ner ein zeitlang mit Gedult wartet / ſo wird er dir 
doch eben ſo wenig außbleiben / als wenig er dem 
halßſtarꝛigen Pharao außblieben iſt / welcher durch 
fo viel herzliche vnnd fuͤrtreffliche Wunderwerck 
billig Hätte ſollen erweicht werden / aber er wolte 
nit / derowegen hat er ein klaͤgliches Ende genomen / 
dieſer Vrſach halben ſagt der Herꝛ Luc. y. zum Sün⸗ 
der: Juͤngling ich ſage diz / ſtehe auff. Iten 
Stehe auff der du ſchlaͤffeſt / vnd ſtehe wider⸗ 
umb auff von den Todten. Mit dir O Gottlo⸗ 
fer Menſch / rede ich / ſtehe auff: aber leider / du hö⸗ 
reſt nicht / du bleibeſt in der Finſternuß ligen / vnd 
wilſt auff Chriſti Befehl nit auffſtehen. Dieſe Ber: 
ſtock⸗ 


Hirnſchleiffer. 345 


ſtockung iſt je ein groſſe Straff / mit dern Gott die 
vnbußfertige Suͤnder heimſuchet / ſintemal ſie es 
verdienen: Was ſollen aber ſolche deut / welche in 
ein ſolche Gewonheit deß ſuͤndigens gerathen ſeynd / 
thun?follen fie an jhrem Heyl gar verzagen oder ver⸗ 
zweiflen? Nein / keins wegs / dann erſtlich was die boͤ⸗ 
ſe Gewonheit deß ſuͤndigens belangt / kan dieſelbe 
abgewaſchen vnd vertilgt werden: erſtlich durchs 
ſtette Gebett; dann kein Suͤnd tan fo alt ſeyn / daß 
Gott nicht durchs Gebett erweicht vnd ſie verzeihen 
kuͤnte: Dann obs ſchon den Menſchen gedunckt vn⸗ 
muͤglich ſeyn / ſo iſt doch Gott der jenig / der in dem 
Mohren vnd imPanterthier wircket / dan es ſpricht 
der Apoſtel zun Philippern Cap 4. Ich vermag 
alles durch den / der mich mächtig machet. 1» 
tem Luc. 18. Was bey den Menſchenvn⸗ 
můͤglich iſt / das iſt bey Gott muͤglich. 

Das ander Mittel iſt / daß mann darch die ſteiffe 
Vollziehung der Goͤttlichen Gebott' die alten Fleck 
der Sünden abwaſche / dann es iſt billich / daß der je⸗ 
nig / welcher ſich wider fein ſelbſt eignes Gewiſſen 
vnd wider die Gebott Gottes verſuͤndigt hat / in der 
Obſervantz vund Vollziehung der Göttlichen Ge⸗ 
botten verharꝛe / vnangeſehen es jhn hatt ankompt / 
vnd die weltliche Begierden vnd die boͤſe Gewonheit 
ſtarck darwider ſeyndꝛdann der Apoſtel zun Roͤmern 
am 6. Cap ſpricht: Gleich wie jhr ewere lie, 
der begeben habt zum dienſt der Vngerech⸗ 
tigkeit / vnnd von einer Vnreinigkeit zu der 
andern / alſo begebet auch nun ewre Glie⸗ 

Ps der 


Hirnfchleiffer. 


der zum Dienſt der Gerechtigkeit daß ſie het 
lig werden. 


Vierdter Diſcurs. 

Andere ſeynd noch viel vbler dran / die woͤllen ſich 
auß lauter Boßheit nicht betehren noch waſchen 
laſſen / vnangeſehen Gottes Wort noch ſo kraͤff⸗ 
tig vnd deß Predigers Ermah mung noch fo eruſt⸗ 
hafft iſt / daher ſagt die Schrifft im 4. Buch der Koͤ⸗ 
nig Cap. 17. Wann der Herr bezeuget in Iſra⸗ 
el vnnd Juda durch alle Propheten vnnd 
Schawer / vnnd ließ jhnen ſagen: Kehret 
vmb von eweren boͤſen Wegen / vnnd hal⸗ 
tet meine Gebotten / ꝛc. ſo wolten ſie nicht 
hören / ſondern erhaͤrteten ihre Nacken / ꝛc. 
Auß dieſen Worten erſcheinet / daß die Prophe⸗ 
ten der Iſraeliter Gemuͤther zu keiner Buß ha⸗ 
ben bewoͤgen koͤnnen / ſintemal dieſelbigen allbe⸗ 
re! in jhrer Boßheit verſtockt waren / dann wie 
der Roß das Metall ergreiffet / alſo ergreiffet die 
Boßheit den Menſchen. Der Herꝛ ſelbſt thate 
viel liebliche vnnd annehmliche Predigen bey den 
Menſchen: kein Ciceio noch Demofthenes war 
ihm gleich in der Wolredenheit / niemaln hat ein 
Menſch fo ernſthafftig vnd eyferig geredt vnd ge⸗ 
predigt / als Chriſtus der Her: / noch dannoch 
lieſſen ſich die Juden nicht bekehren / ſonder wuͤte⸗ 
ten vnd tobeten wider jhn / ja fo gar toͤdteten ſie jhn / 
als er jhnen die Warheit ſagte: alles auß lauter 
verſtocktem Hertzen. Er verhieß jhnen auch ſehr 
her 


Hirnſchleiffer. 247 
herrliche Ding als er Joan. am 8. ſagte: fi quis ler- 
monemmeum &e. Als wolte er ſagen: Wer mei⸗ 
nen Gebotten gehorſamet / der wird die Seligkeit 
bekommen / aber wers nicht thut / der wird in der 
Hollen die ewige Pein leyden muͤſſen:aber das halff 
alles nicht / dannn ſie nenten ihn einen Beſeſſenen / 
vnd wolten jhn ſteinigen. Darneben thate er jhnen 
viel Guts / aber doch ward jhr Hertz nicht erweicht / 
ſonder je länger je mehr wider jhn verbittert: Viel 
weniger halff die ſchwaͤre Straff / die er jhnen dro⸗ 
hete / dann von de Jeroſolimitern meldet Jeremias 
Cap 5. Du haſt ſie geſchlagen es hat jhnen 
aber nit wehe gethan. Endlich halffen auch kei— 
ne Wunderzeichen / wie zuſehen am Koͤnig Pha⸗ 
rao / deß Hertz durch ſo viel Wunderzeichen / die er 
vom Herꝛn ſahe / je langer je mehr wider jhn ver⸗ 
ſtockter ward / was für groſſe Wunderwerck ge⸗ 
ſchahen nicht zur Zeit deß Paſſtons? aber nichts 
halffen ſie / dann es ward die Verſtockheit der Ju⸗ 
den je länger je groͤſſer. 

Was nimbt aber ein ſolche verſtochte Weiß fuͤr 
ein Endt? Eccleſiaſt. ſagte 3. Ein hart Hertz 
wirdts böß haben am letzten / vnd wer Ge⸗ 
fahr lieb hat / der wird darinn vmbkommen. 
Aber es iſt zuerbarmen / daß der jenig⸗ welcher mit 
feinen Augen ſihet / dannoch in feiner Hartneckigkeit 
verbleibt / vnd viel lieber drinn begehrt zuſterben / 
dan ſich zu demuͤtigen / dan wer die gefahr liebet / der 
kompt drinn vmb. Ob aber dem ſchon alſo / ſo ſoll 
man doch an den Verſtockten nicht gantz vnnd gar 
verzagẽ vnd an jhnen verzweiflenzſonder zu gleicher 

weiß 


348 Hirnſchlieffer. 

weiß wie dic Sck weſtern LazariChriſtum den Her⸗ 
ren vmbErtheilung feines Lebens baten vnd erhoͤrt 
wurden / alſo muͤſſen auch wir GOtt fuͤr die Ver⸗ 
ſtockten inbruͤnſtig bitten / vnd vmb Erweichung 
jhres Hertzens anhalten: Dann Gottes Natur iſt / 
daß er die harte Hertzen erweiche / dann er ſelbſt ſagt 
zu ſeinem Volck durch den Propheten Ezechiel Cap. 
36. Ich will euch ein new Hertz geben / vnd ei⸗ 
nen newen Geiſt in euch / vnnd das ſteinen 
Hertz will ich auß ewren Leib hinweg neh⸗ 
men vnd ein fleiſchen Hertz an die ſtatt gebẽ. 
Dieſer Geſtalt hat er das harte Hertz Magdalen 
vnd deß Schaͤchers am Creutz erweicht / deßgleichen 
den Saulum / welcher die Chriſten halß ſterꝛiglich 
verfolgte. Viel Juden waren ſehr halßſtarug in 
jhrem Glauben vnd Meinung / aber vnendlich viel 
derſelben ſeyndt zum Chriſtlichen Glauben bekehrt 
worden. Noch heutiges Tags werden viel halßſtar⸗ 
rige Ketzer vnd Suͤnder wunderbarlicher weiß wi⸗ 
der auff den rechten Weg vnd zur Catholiſchen Kir⸗ 
chen gebracht / ohne Zweiffel durchs andaͤchtige Ge⸗ 
bett der Kirchen. So gehet derowegen jhrverſtockte 
Suͤnder zu dieſem Waſſer / hoͤret die Stimm deß 
HeErꝛn / erhaͤrtet vnd verſtocket ewre Hertzen nicht 
gantz vñ gar / ſondern laſſet euch gutwillig erweichẽ 

vnd vnderweiſen / fo wird der Herz euch auff⸗ 
nemmen vnder ſeinen Schirm / vnnd 
euch erquicken als ſeine aller⸗ 
liebſten Kinder. 


(09 


Hirnſchleiffer. 349 
Ein Jüngling zeigt das Leben vnd 
den Todt. . 


ER 


ne vnder den groͤſten Plagen deß menſchlichen 
Geſchlechts iſt die Vntrew / die ein Freund ge⸗ 

gen dem andern vbt / deſſen ſich der H. David be⸗ 
klagt: Meine Lieben vnnd Freunden haben 
ſich gegen mir genahet vnd geſtellet / vnd die 
mir nahe waren / ſtunden ferne von mir. 
Durch den obſtehenden Juͤnglung wird bedeutet / 
daß die wahre Freundtſchafft keiner einigen Zeit 
noch Veraͤnderung vnderworffen iſt / ſondern bleibt 
allzeit jung vnd waͤret immerdar : Durch das alte 
Kleid / 


350 Hirnſchleiffer, 


Kleid welches der Juͤngling an hat / wird zuverſte⸗ 
hen gegeben / daß ein wahrer Freund willig vnd be⸗ 
reit iſt / alle harte vnd ſchwaͤre Ding für ſeinẽ Freund 
außzuſtehen Der bloſſe Kopff bedeut / daß die wah⸗ 
re Freundſchafft offen vnd nicht falſch iſt / vnd daß 
ein wahrer Freund ſich nicht ſchaͤmet feinen Freund 
für einen Freund offentlich zu bekennen. Die Wort: 
Vita c mors, oder das Leben vnd der Todt: bedeu⸗ 
ten / daß die Freunde einander lieben ſollen im Leben 
vnd Sterben. Die Wort: ſtas & hyems. der Win⸗ 
ter vnd der Sommer geben vnnd lehren vns / daß 
die Freunde einander getrew ſeyn ſollen / ſo wol in 
der Widerwertigkeit / als im Wolſtandt. Das bloſ⸗ 
fe vnd offne Hertz gibt zuerkennen / daß die leb auß 
vnd von dem Hertzen gehen ſolle. Daß nun die ſer 
Juͤngling feine Wunde mit dem Finger zeiget / wil 
er dardurch zuverſtehen geben / daß die dieb / welche 
im Hertzen iſt / durch die Werck gleichſamb mit dem 
Finger ſoll gezeigt werden. Die Wort: longe & 

prop; Weil vnd Nahe: bedeuten / daß die Freund⸗ 
ſcha ft nicht ſoll auffgehebt werden von wegen der 
Weite deß Orts: noch durch die Abweſenheit deß 
Freundts. 

Alſo vnd dieſer Geſtallt ſoll billig die lieb vnnd 
Freundſchafft vnder den Menſchen beſchaffen ſeyn / 
aber leider die jetzt in der Welt ſchwehende lieb vnd 
Freundſchafft iſt nur ein gemahlte vnd Gelt⸗ dieb / 
derowegen bleibt ſie laͤnger nicht / als lang der Wol⸗ 
ſtandt waͤret. Wie die Immen dem Hong / die Mu⸗ 
cken deß Wolffs Aaß / vnd die Omeiſen dem Getreid 
nachfolgen / alſo folgen die Menſchen den Gelt vnd 
Wolſtandt nach. So lang der Bawr den Immen⸗ 
korb 


Hirnſcheeiffer. 351 


korb in ſeinen Armen traͤgt / ſo folgen ihm die Im⸗ 
men aller Orten nach / wann aber ihn von ſich ſetzt / 
ſo folgen ſie ihm weiter nicht nach: So lang die fal⸗ 
ſche Freunde die Suͤſſigkeit deß Wolſtandts bey 
vns ſchmecken / vnd ſehen daß wir reich ſeynd / ſo 
haben wir viel Schmarotzer / Schmeichler vnd fal⸗ 
ſche Brüder bey vnd vmb ons / aber wan kein Gelt 
mehr vorhanden iſt / alßdan ſtehen fie von vns / vnd 
fliehen vns wie die Peſtilentz. Zugleicher weiß 
wie das Queckſilber ſich ſtellt / als habe es 
ein groſſe dieb vnd Freundſchafft mit dem 
Goldt / aber zur Zeit deß probirens vnnd im 
Fewr verlaͤſt es das Goldt / alſo erzeigen ſich etliche 
Menſchen deß Wolſtandts / als waͤren ſte vnſere 
beſte Freunde / aber in begebender Widerwertigkeit 
geben fie ihr Falſchheit zuerkennen / vnd fliehen vns 
wie die außſatzigen / vnd alß dan kan von ihnen ge⸗ 
ſagt werden / deſſen der H. Job Cap. 6. ſich beklagt: 
Meine Bruͤder gehen vor mir uͤber / wie ein 
Bach / wie die Waſſerſtroͤm in den Thaͤlen 
ſchnell fuͤruͤber flieſſen. Seneca aber redet von der 
Eigenſchafft vnd Nutz der wahren Freunden vnnd 
ſpricht: Nichts frewet vnſer Gemuͤth mehrers / als 
eben ein getrewe vnd liebliche Freund ſchafft: was 
fan lieblicher ſeyn / als wã die Gemuͤther dermaſſen 
vereinigt ſeynd / daß man alle Geheimnuſſen ſicher⸗ 
lich darein legẽ kan? wan deines Freunds Gewiſſen 
dermaſſe beſchaffen iſt / daß du es viel weniger foͤrch⸗ 
teſt / dan dem eignes / wan fein Rede dein Trawrig⸗ 
keit / Anligen vnd Kuͤmmernuß lindert / wann fein 
Anblick dich erfrewet / vnd wan er aller Laſter vnnd 
Begier⸗ 


352 Hirnſchleiffer. 


Begierden frey iſt. Dann die Laſter kriechen allge⸗ 
mach herzu / vnd kleben an dem Naͤchſten. 
Ariftoteles redet von viererley Art der Mens 
ſchen / welche vnbeſtendig ſeynd in der Freundſchafft: 
Die erſten ſeyndt die Grauſamen vnd Geſtrengen / 
dan dieſelbigen koͤnnen vnd wollen ein Schertz vers 
ſtehen / ſeynd geſchwind im Harniſch / vnd geneigt 
zum ſchelten vnnd ſchlagen / derowegen hat ihr 
Freundtſchafft keinen Beſtandt: zu dem ſeynd ſie 
eigenſinnig / hartkoͤpffig vnd eigenwillig / derowe⸗ 
gen warnet vns der Weife- Mann. von folchen 
Freunden / vnd ſpricht: Werde nicht ein Freund 
eines zornigen Menſchens. Zum andern iſt 
kein Freundſchafft mit den Alten zu machen / in de⸗ 
nen kein rechte Affection noch dieb iſt / dann fie ha⸗ 
ben die natuͤrliche Hitz / (welche ein Vrſach der Keb 
iſt) verlohren: ſie ſeynd tall / vnd haben kein Freud 
an andere Leut Red vnd Geſpraͤch / noch auch an 
anderer deut Wercken / fie ſeynd auch argwoͤhniſch 
vnnd halten alles verdächtig. / dann fie haben viel 
erfahren vnd geſehen. Drittens iſt kein Freund⸗ 
ſchafft zu machen mit gar jungen keuten / dann fie 
ſeynd vnbeſtendig / vnd wie fie im Alter varieren / 
alſo varieren ſie in den Erluͤſtigungen. Vierdtens 
ſeyndt die Weiber in der Freundſchafft vnbeſten⸗ 
dig / dan der Verſtandt iſt bey ihnen klein / vnd ha⸗ 
ben vielerley baſſiones denen fie ergeben ſeynd Be⸗ 
ſchließlichen ſoll man kein Freundſchafft machen 
mit den gar zu ſtillen vnd verſchwigenen vnd demuͤ⸗ 
tigen / dan gemeiniglich ſeynd ſolche deut falſch vnd 
betrogen. 


Die 


Hirnſchleiffer. 363 

Die Schrifft meldet ins Barlaams $eben / die 
ſiebhaber der Welt ſeyen einem Menſchen gleich / 
der drey Freunde hatte:den einen liebte er vielmehr 
dan ſich ſelbſt: den andern als ſich ſelbſt / vnnd den 
drittẽ weniger als ſich ſelbſt. Nun begab ſichs aber / 
daß er eine ſehr boͤſe That begieng / derowegen ward 
er von dem Koͤnig zuerſcheinen citiert / als er nun 
dieſetrawrige Zeitung vernamb / gieng er zu dem er⸗ 
ſten Freund / vñ bate ihn vmb Huͤfff vnd Beyſtand / 
ſintemal er ihn allzeit vielmehr geliebt hatte / dann 
ſich ſelbſt: derſelb aber gab ihm zur Antwort: Ich 
weiß nicht wer du biſt / aber doch will ich dir ein dey⸗ 
loch geben / mit deme du moͤgeſt bedeckt werden. Jol⸗ 
gendts gieng er zum andern Freundt / vnd begehrte 
gleichfals Huͤlff von ihm / derſelb aber ſprach zu 
ihm: Ich hab anjetzo etwas anders zuſchaffen / aber 
doch wil dir biß zu deß Königs Pallaſt Thuͤr das. 
Gleit geben / dann ich muß wider heim gehen / vnd 
zu meinen eignen Sachen ſchawen. Letztlichen kam 
er auch zum dritten vnd ſprach: Ich darff dich nicht 
wol anreden / dan ich hab dich nicht geliebt wie ich 
billig haͤtte thun ſollen / aber doch / lieber verlaß 
mich nicht / vnd thue mir einen Beyſtand / dann ich 
bin von allermaͤnniglichen verlaſſen: Dieſer dritte 
Freundt antwortet mit froͤlichem Angeſicht vnnd 
ſprach: Du biſt mir ein Reber Freund / vnd ich will 
mit dir zum Koͤnig gehen / vnd fuͤr dich vmb Gnad 
bitten. 

Durch den erſten Freund werden bedeut die 
Reichtumb / von derentwegen der Menſch viel Ge⸗ 


fahr außſtehet / aber zur Zeit deß Todts hat er meh⸗ 


res nit darvon zugewarten / als ein veraͤchtliches 
Todten⸗ 


354 Hirnſchleiffer. 
Todten⸗eylach. Durch den andern Freund wird 
verſtanden Weib vnd Kind / vnd die Blutsfreunde 
ond Verwandten / die geben vns nur das Gleit 
zum Grab / vnnd gehen widerumb heim zu ihren 
Geſchaͤfften. Der dritt Freund iſt der Glaub / 
Hoffnung vnd Lieb / dan das Allmuſen vnd die gu⸗ 
te Werck / welche wir begangen / gehen nach vn⸗ 
ſerm abſcheiden auß dieſer Welt vor vns her / bitten 
Gott für uns / vnnd erꝛetten ons auß deß Teuffels 
Gewalt. Dieſes ſeynd die rechte vnd wahre Freun⸗ 
de die wir erwoͤhlen ſollen 

Noch ein anderer guter vnd getrewer Freund iſt 
vorhanden iſt / welchen wir erwoͤhlen vnd verehren 
ſollen / nemblich vnſern Schutz⸗Engel / von dem re⸗ 
det David Plalm. 90. Er hat feinen Engeln 
befohlen von dir / daß ſie dich behuͤten auff 
allen deinen Wegen ꝛe Dieſen Engeln wird be⸗ 
fohlen / daß ſie die Menſchen auff allen ihren We⸗ 
gen bewahren / ſintemal die Weg dieſer Welt ſehr 
gefaͤhrlich ſeyndt: Der junge Tobias bekente / der 
Engel deß Herın haͤtte ihn vor deß Teuffels Ges 
walt bewahrt / fo ſagte auch die H. Judith im 13. 
Cap. Sein Engel hat mich behuͤtet im dar⸗ 
gehen / vnd in dem / daß ich da bin blieben / 
vnd hat mich ſeine. Dienerin nicht beflecht 
laſſen werden. Deßgleichen ſagt der H. David in 
feinem 33. Pſalm Der Engel deß D Eren laͤ⸗ 
gert ſich vmb die her / ſo ihn foͤrchten vnd hilfft 
ihnen auß. Nicht allein bewahren vnd beſchuͤtzen 
ſie vns / ſonder fie tragen ons auch auff ihre Haͤn⸗ 
den: 


Hirnſchleiffer. 355 


den : Welches dan ein groſſes Zeichen der lieb vnd 
Freundſchafft iſt / dan nur das jenig tragen wir in 
oder auff den Haͤnden was vns ſehr lieb iſt / aller⸗ 
maffen ein Mutter ihr kleines Kind in den Haͤnden 
67 oder wie wir ein koͤſtliches Kleinot in den 

haͤnden vmbtragen Als der Patriarch Jacob 
orca Se Eſau flohe / vnnd letztlich vor 
Müdigkeit ein wenig ruhen wolte / ſahe er im 
Schlaf ein beiter / deren Spitze den Himmel 
erꝛeichte / vnnd an dern die Engel zu ihm auff vnnd 
abſtiegen / hierd urch gab er der Her; ihm zuverſte⸗ 
hen mit dieſen Worten : Foͤrchte dich nit vor 
deinem Bruder / noch vor einigem Men⸗ 
ſchen / dann die Engel ſeynd deine wahre 
Freunde vnd Beſchuͤtzer / die werden dich 
erhalten. 

Ob aber ſchon die Engel vnſere beſte Freunde 
ſeynd / vnd ons beſchuͤtzen / vnd fich vnſere Geſell⸗ 
ſchafft erfrewen / ſo iſt auch gewiß / daß ſie vns von 
wegen vnſerer Suͤnden verlaſſen / dann weil der 
Menſch durch die Suͤnd“ Gottes Fand wird (ſo 
iſt vnmoͤglich / daß die Engel ihn lieben / dann ſo 
bal ee eee li eee e 
er durch ei 7 auß dem Paradeiß deß Wol⸗ 
luſt cherten be ze ſehen derowegen ſie vns / 
wan wir ſuͤndigen / nicht gar verlaſſen / fo ſeynd fie 
uns doch als Feinden Gottes zuwider / vñ bewilligẽ / 
daß wir in Vngluͤck fallen: derowegen muͤſſen wir 
ons fleiflig huͤtẽ / daß wir dieſe vnſere fo gute Freun⸗ 
de vnd Bewahrer durchs fündigen nicht erzuͤrnen 


oder 


366 Hirnſchleiffer. 


oder von vns treiben. Zu gleicher Weiß wie einer / 
der ein werte Reiß vor ihm hat / ſich pflegt mit ei— 
nẽ guten Geferten zuverſehẽ / der ihm alle Gelegen— 
heit deß Wegs / der Gegendt / der fanden deß Ges 
birgs / der Waſſerſtroͤm zeiget / vnd immerdar mit 
ihm von allen Sachen redet / ihm die Zeit kuͤrtzet / 
ja ſo gar ihn / im Fall der Noth / verthediget vnnd 
beym Leben erhaͤlt: Alſo befinden wir armſelige 
Menſchen vns anjetzo auff der weiten vnnd langen 
Reiß gen Himmel zukommen / vnd derowegen muͤſ⸗ 
fen wir ons vind einen ſolchen getrewen vnd weiſen 
Geferten bewerben / mit dem wir von Himmliſchen 
Dingen reden / der ons auch vor aller Leibs⸗ vnd $es 
bens⸗Gefahr beſchuͤtze / damit wir deſto ehender 
vnd ſicherer gelangen moͤgen zum ver⸗ 
langten Port der ewigen 
Frewd vnd Se⸗ 
ligkeit. 


Hiruſchleiffer. 


Der Hercules ſchlaͤfft vnder eis 
5 nem Baum. 
= ae TEN 


— — . 

GSſabe der H. Joannes in ſeiner Offenbarung 

am 12. Cap. zwey Weiber / die waren einander 
ſehr vngleich / die eine ward ein Braut deß Braͤuti⸗ 
gambs genennt / die andere aber ein Hur: Die 
Braut deß Lambs verzehrte ihr Leben in der Einddy 
mit Muͤh vnnd Arbeit: Die andere aber in aller⸗ 
handt Wolluͤſten / wohnte nahe bey den Waſſer⸗ 
fluſſen / vnd es dienten ihr die Koͤnige vnd Fuͤrſten 
der Erden: der Heilig Joannes ſahe ihnen ein zeit⸗ 
lang zu / ward aber letztlichen gewahr / daß die Fetel 
aller ihrer Zierd beraubt vnnd zu ihr geſagt ward: 


& Ie 


378 Hirnſchleiffer. 

Je mehr er ſich herzlich gemackt hat / je 
mehr ſchencket ihm Pein vnnd Leyden ein. 
Die andere Sram aber ward an ſtatt ihres 65 
Kleids mit Seyden vnd Purpur befieide / geziert 
vnd in ein ſehr ſchoͤne Statt geführt / vnd mit einer 
Koͤniglichen Cron gekroͤnt / ꝛc. 

Durch dieſe Fe tel wird d verſtande n Babel od 
eee, Seel oder ein! Welt⸗ Menſch ch: 
Durch die Braut deß Lambs ab er ein Gerechte / 
welcher ſich mit delt rſten | Chrifto vermaͤhlet 
hat „Dieſe beyde / nenwlich ein Suͤnder vnnd ein 
Gerechter leben auff vnderſchiedliche Weiß allhie 
auff Erden / dan der Sunder wartet ſeinen Leibs⸗ 
Wolluͤſten auß / vnd ſuchet die Welt⸗Guͤter allzeit 
zubeſitzen: aber ein Gerechter wartet der Bu ß 
45 legt einen Sack an / leydet Hunger vnd Durſt / 
vergeuſt feine Zaͤher / vnd eher ſich in allerley Bus 
Werden: aber letztlich verkehr ſich alles im Todt / 
dann der Suͤnder wird aller ſeiner Reichtumb vnd 
Wollu ſt beraubt / vnnd in die ewige Armſeliakei⸗ 
ten verſtoſſen / vnnd in fewrigen eich geworſſe n: 

aber der Gerechte börecon ff zu weinen / wird erfuͤllt 
mit Frewden / geführt in die ewige Seligkeit / vnd 
hoͤret die liebliche Stium: Ey dufren mer vnd 
getrewer Knecht / gehe in die Freud deß 
Herm. 

Es pancketiren vnnd Leben die Welt⸗Menſchen 
ſcheinbarlich / vnd ſauffen ſich im merdar voll / was 
wird aber drauff erfolgen? Ich will diß Volck 
(ſpricht Jeremias Cap. 9.) Mit Ai Sermut ſpei⸗ 
fen 


Hirnſchleiffer 379 
fen / vnnd mit Gallen⸗Waſſer traͤncken / ꝛc. 
Sie kleiden ſich köſtlich vnd prächtig / vnnd ziehen 
auff wie der hoffertige Abſolon vnd Jezabel / aber 
was wird darauff erfolgen? Eſaias am 3 Cap. 
ſpricht: Darumb daß die Toͤchter Syon 
ſtoltz ſeyn / vnd gehẽ mit außgerecktem Hals / 
mit winckenden Augen / mit außgeworffe⸗ 
nen Handen / ꝛc. fo wird der HErꝛ ihr Schei⸗ 
tel kahl machen vnnd der HErꝛ wird ihre 
Haar entbloͤſſen / ꝛc. Sie gehen an jetzo ſpatzi⸗ 
ren auff den Gaſſen / in den Luſtgaͤrten / ziehen auffs 
Gejaͤgd vndin die Huren wiackel / aber was wird 
drauff erfolgen / der Weiſe⸗Man Cap. 2 r. ſagt dirs: 
Der Weg der Suͤnder iſt mit Steinen ge⸗ 
pflaſtert / ihr End aber ſeynd die Gruben 
der Hoͤllen / Finſternuß vnd Pein. Sie gehen 
auff den Gaſſen / vnnd wiſſen nicht toe ſie die 
Fuͤß ſetzen / oder wie fie die Erd berühren wollen 7 
ſie beſchawen ſich ſelbſt vnden vnd oben / vnd haben 
ein wolgefallen an ihren Scheucklen / Krafen vnd 
Kleidern / ihre vppige / hoffaͤrtige vbermuͤtige Sit⸗ 
ten vnd Geberden ſeynd nicht auß zuſprechen: aber 
ihr Endt iſt der ewige Fall. Ye 
Ferner ſitzen vnd befinden fie ſich in hohen Digni⸗ 
täten vnd groſſem Aaſehen / jederman muß fie foͤrch⸗ 
ten vnd verehren: hoͤre aber was der H. David 
ſagt: Pal. 36. Ich ſahe einen Gottloſen maͤch⸗ 
tig vnd erhoͤhet / ꝛc. vnd da ich fuͤruͤber ging / 
da 


360 Hirnſchleiffer. 


da war er dahin. Item Pfalm. 47. Herab mit 
dir / ſetze dich in Staub / du Jungfraw / 
Tochter Babel ſetz dich auff die Erd du Toch⸗ 
ter der Chald lldeer / du hat kein Stul mehr? ꝛc. 
Das alleraͤrgſte aber bey dieſem Fall iſt / daß ſie 
gefunden haben die letzſte Armſeligteit ihrer Vers 
damnuß. 

Aber O wie gluͤckſelig iſt der Standt der From⸗ 
men Jetzt ſehen wir den Gerechten mit einem ma⸗ 
e LAG wie er ſein Gl eder durchs Fa⸗ 
ſten abgemergel he, nit zer flickten Kleidern in eie 
nem Wunckel ſitzet / aber vber ein kleines hernacher 
wird ſein beßl hes Angeſicht in der Goͤttlichen 
Klarheit glantzen / fein ſchlechtes vnnd dünnes 
Kleid wird in ein ſehr koͤſtliches ſchnewelſſes Kleid 
verkehrt werden: Sein $eib der vom Faſten vnnd 
Buß thun / aller bleich . wird in der Klarheit 
die Sonn vbertreffen: Die in die Winckel vnnd 
Gefängnuſſen ſey n geworffen worden / werden vn⸗ 
der den Fuͤrſten geſetzt werden / vnnd werden under 
den Fuͤrſten deß Volcks Dre TE 
ſampt den Engeln beſitzen die Stuͤl der Gnaden. 
Von dieſer Ergetzung / welche die Gerechten von 
wegen ihrer Zrübfeligfeit bekommen werden / re⸗ 
det der Weiſe⸗Mann am 3. Capittel: In weni⸗ 


gen leyden ſeynd ſie kaſteyet worden / aber 
viel guts wird ihnen widergolten: Wie 
das Goldt im Schmeltzofen bewehrt wird 
alſo hat Gott fie bewehret vnnd geleutert / 


vnd 


Hirnſchleiffer. 371 
vnd hat ſie angenommen wie ein Brandopf⸗ 
fer / zu ſeiner Zeit aber wird er auff ſie ſehen. 
So gar werden ſie an ſtatt / daß fie von allen Voͤl⸗ 
ckern verortheift wurden / auff die Suuͤl der zwoͤfff 
Geſchlechten ſitzen vnd richten / inmaſſen ſolches 
David im 149. Pfal andeutet: Zweyſchneidige 
Schwerter werden ſeyn in jhren Haͤnden 
daß ſie Rach vben vnder den Heyden / fchels 
dung vnder den Voͤlckern / jhre Koͤnige zu— 
binden mit den Gefeſſern / vnd jhre Edlen 
mit eyſenen Bänden. O was fuͤr ein wunder⸗ 
barliches Spectacul wird es ſeyn / wan dieſe arme 
vnd veraͤchtliche Leut auff den Trebunaln vnddich⸗ 
ter⸗Stuͤlen ſitzen / vnd die Fuͤrſten / Koͤnige vnd 
Keyſer der Welt vor jhnen ſtehen / vnd mit eiſenen 
ſchwaͤren Ketten vnnd Banden verſtrickt ſeyn wer— 
den / damit diefelbigen fie ſampt Chriſto vervr⸗ 
theilen. O groſſe vnerhoͤrte Veränderung ! Was 
werden fie aber darzu ſagen? Der Weiſe-Mann 
zeigt es vns an in ſeinen Sprüchen am. capittel. 
Ein grauſamer Schroͤcken wird ſie ankom⸗ 
men / vnnd eine Verwunderung der ſchnel⸗ 
nen Seligkeit halben / deren ſie ſich vnverſe— 
hen haͤtten: Dann werden ſie ſeufftzen auß 
Angſt jhres Geiſts / vnd in jhnen ſelbs ge— 
dencken / vnd ein Rewen haben / vnd ſeufftzen 
von groſſer Angſt jhres Hertzens / ꝛc. DiE iſt 
das ſelige End der Gerechten. Nun wolan / mein 
Chriſt / vader den jetzterzehlten zweyerley Ges 

Q ſchlech⸗ 


392 Hirnſchleiffer. 


ſchlechten wird dir die Wahl gegeben / ob nemblich 
du die Woluuͤſt allhie zeitlich oder dort ewiglich 
haben woͤlleſt: Jetzt greiffe zu wen, du wilſt: Ei⸗ 
nem jeden Menſchen ſteht die Wahl frey vnnd be⸗ 
vor: Aber leyder) weil der Narꝛen Zahl vnendlich 
ift / fo greiffen ihrer vnendlich viel nach dem zeitli⸗ 
chen Gütern vnd Wolluͤſten / vnd laſſen das ewige 
fahren. 

Sie thun (Tender) nicht / wie die H. Jungfraw 
Catharina von Senen gethan / dan als zwo Kro⸗ 
nen vom Himmel herab vor ihr nider fielen / deren 
die eine war von Doͤrnern / die andere von Roſen vñ 
Blume gemacht / erwoͤhlte fie alsbald die Doͤrnere / 
ſetzte fie auff ihr Haupt / vud ſprach: Dieſe will ich. 
Dieſe Jungfraw war eine vnder den Weiſen / er⸗ 
wohlte die ewige Frewd vor der zeitlichen vnange⸗ 
ſehn dieſelbe erfuͤllt war mit Creutz vnd Doͤrnern: 
Dann es iſt viel beſſer / es werde einer allhie ein klei⸗ 
ne Zeit gecreutzigt / weder ewiglich: Es iſt beſſer / es 
werde einer der weltlichen Wolluͤſt / weder der ewi⸗ 
gen vnd himmliſchen beraubt. O Chriſt / biſt du 
anderſt geſcheid / ſo begebe dich ſampt dieſer Jung⸗ 
frawen auff den rauhen vnd ſtechenden Meg / da⸗ 
mit du ſampt Chriſto beſitzen moͤgeſt die Glory von 
Ewigket zu Ewigkeit. 


Der Hercules folgt der Tugend vnnd ver⸗ 
laͤſt die Vntugend. 


Zweyerley Sollicitanten vnd Fuͤhrer halben wir / 
dan ein jeglicher ſuchet einen Geferten / der ihn ver⸗ 
ehre / vnd ihm nachfolge / vnd ein jeglicher brauchet 
einen 


Hirnſchleiffer 373 


einen groſſe n Fleiß / fe auff ſeine S Seiten zu ziehen. 
Der Sohn Gottes kam au Erden / nam menſch⸗ 
lich Geſtallt an ſich / bemuͤhete ſich vielfaltiglich / 
litte groſſe Vngelegenheiten / S h mertzen / vnd ſo 
gar den allerbitterſten Todt : darduri ch brachte er 
viel Me nſchen auff ſe 1 as verdroſſe nun 
den le ne han / deßwegen befliſ ſe er ſich mie 
hoͤchſtem Fleiß / folches ; 90 rhit dern / bi egab ſich 
eus Ern irchwanderte alle Orth offt vi nd viel⸗ 

mals damit er r die Mei iſchẽ mit Schmeicheln Ver— 

heiſſungen vnnd Bedrohungen auff ſeine Seiten 
bringen möchte, Er zohe auch die meiſten an ſich / 
dan wir ſehen / (leyder) daß der mehrer Theil der 
Menſchen / vnd nicht allein die Ketzer / Tuͤrcken vnd 
Heyden / ſondern auch die Chriſten / dem Teuffer 
fol Re nem Laͤger nachzꝛehen. 

Die Vrſach deſſen moͤchte villet icht dieſe ſeyn / weil 
nemblich Ehrft tus ſie durch gro be rauhe vnnd be⸗ 
ſchwaͤrliche Wege / der Sathan aber ſie durch wol— 
luͤſtige Wegegefuͤhrt: dan weil Chriſtus Mat t. 16. 
agt: Wil mir jemand nachfolgen / der ver⸗ 
laugne ſich ſelbſt / vnd nehm ſein Creutz auff 
ſich / ꝛc. Derowegen iſt kein Wunder / daß die zarte 
Welt⸗ menſchen nach deß Sathans Wolluͤſten 
greiffen / vnd ihn fuͤr ihrer Fuͤhrer erwoͤhlen / aber 
Chriſtus / der nur Fur Armut / Zaͤher / Creutz vnd 
andern Bngelegenheiten rathet / verworffen wird. 
Ser wir betrachten / auß was fuͤr einem 
Brunngquell ſolches alles herflieffe / fowurde man 
Sweffelsoh ne deß Sathans Wolluͤſt leichtlich ver⸗ 
achten vnd Chriſto nachfolgen. Dan die armſelige 

Q 2 Wort 


Sn 


374 Hirnſchleiffer. 
Wort Johannis am 12. Wehe Denen / die 
auff Erden vnd auff dem Meer / dann der 
Teuffel iſt kommen zu euch hinab vnd hat 
einen groſſen Zorn / geben zuerkenn en / was 
der Sathan fuͤr ein Begierd hab / die Menſchen 
durch den Wolluſt / zarte Speiſen / ſpielen / pan⸗ 
cketieren vnd dergleichen zu fich zu locken / vnd fol⸗ 
gendts ſeinen Zorn wider ſie außzulaſſen. 
Hergegen kam der Erloͤſer auff Erden mit hoͤch⸗ 
ſter Sanfftmuͤtigkeit vnnd ſprach: Kommet her 
alle zu mir / die ihr muͤhſelig vnnd beladen 
ſeyd / ich will euch erquicken: Nemmet 
mein Joch auff euch / ꝛc. Als wolte er ſagen: 
Die Arbeitende / keines Wegs aber die Feyrenden 
ruffe vnd lade ich zur Ruhe vnd Troſt / vnd zu mei⸗ 
nem Joch / dan ich will euch erquicken: Ja / Matth. 
am 16. redet er noch deutlicher / vnnd fpricht: 
Wer mir nachfolgen will / der verlaugne ſich 
ſelbſt / vnnd nemme fein Creutz auff ſich / 
vnd folge mir nach: Vnd wer ſein Creutz 
nicht traͤgt / der kan nit mein Juͤnger ſeyn. 
der dieſem Creutz / Joch / Mühe vnnd Arbeit 
aber iſt das Zeichen der groſſen Guͤtigkeit GOttes 
gegen vns verborgen / dann was iſt ſolches Creutz 
vnd ſolche Doͤrner / welches er auff vnſere Achßlen 
gelegt / anderſt / als ein Argument vnnd Warzei⸗ 
chen der ewigen Prædeſtination vnd Erwoͤhlung? 
Dann wie der Her: Chriftus auffs Creutz gelegt 
ward / vnd ihm dardurch ein Staffel zum Himmel 
machte 


Hirnſchleiffer. 375 


machte / al ſo werden die jenigen / welche ſich mit 
dem Creutz beladen / gleichfals die Himmel durch⸗ 
dringen / vnd die oberſte Stellen vnnd die ewige 
Freud beſitzen. Dieſes iſt der Gewalt / welchen der 
Himmel leydet / die violenti, welche ihnen ſelbſt 
Gewalt anlegen / vnd ihre vnordenliche Begierden 
bezwingen / werdẽ den Himmel zu ſich reiſſen: Wer 
dieſen Weg deß Creutzes vnd durch die Dörner der 
Muͤhſeligkeiten nicht wandert / der kompt nimmer⸗ 
mehr in dieſes Reich. Dan der HEN haͤtte gar wol 
die Iſraeliter durch ebne vnnd luͤſtige Weg ins ver⸗ 
heiſſene $andt führen koͤnnen / aber er hat nicht ge⸗ 
woͤlt / ſondern fie muſten grobe / rauhe on beſchwaͤr⸗ 
liche Weg gehen / vnd groſſen Durſt leyden / vnd 
alſo durch viel Bngelegenheiten hinein gelangen: 
Alſo vnd ebner Geſtalt koͤnte Gott auch vns leicht⸗ 
lich durch luͤſtige vnd liebliche Weg im Himmel fuͤh⸗ 
ren / aber er will nicht / dann fie ſeynd gefaͤhrlich / 
ſondern er hat gewoͤlt / daß die Apoſteln / Marty⸗ 
rer / Bekenner vnd Jungfrawen den groben Weg 
als durch Roſt / Zangen / Spieß / Stein / Creutz / c. 
wandern / faſten / wachen vnnd deß Teuffels Ders 
ſuchungen vnd allerley Armuthaußſtehen vnd dar⸗ 
durch zur Seligkeit gelangen ſolten. 

Das Widerſpiel thut der Teuffel / dann er zeiget 
den Welt⸗Menſchen die Reicht humb / Ehr / Wol⸗ 
luſt / e welche von den Menſchen für ein Gluͤckſelig⸗ 
keit gehalten werden / da fe doch die allerhoͤchſte Vn⸗ 
glüͤckſeligkeit vnnd ein ſehr ſchwaͤre Straff Got⸗ 
tes ſeyndt / mans nemuch dem Menſchen alles nach 
feinem Wunſch ergehet / vnnd wann er von ihnen 
fagt : Dimiſi eos. ſecundum deſideria cordis 

eorum, 


376 Hirnſchleiffer. 


eorum, ibunt in adinventionibus ſuis. Die ſer Ge 
ſtalt werden die Wolluͤſt / die vns vom Sat han ge⸗ 
zeigt werden / in ein ewige Pein vnnd Schmertzen 
verkehrt: Hergegen wird das Creutz / die Doͤrner / 
die Abtoͤdtung vnd ſelbſt Verlaugnung veraͤndert 
in die Belohnung der Ewigen Freud: Vnnd eben 
dieſes ſollvns billig bewegen den rauhen Weg deß 
Creutzes zu uͤberwinden / ſintemal er die Kinder 
Gottes zum Leben vnd ins ewige Erbtheil führer: 
Die Wolluſtigen vnd Zarten aber ſolten ſich billig 
foͤrchten den zarten vnd weiten Weg der Wolluͤſten 
zu wandern / ſintemal fie weit vom Himmel jrꝛ ge⸗ 
hen: O Menſch erwoͤhle vnd wan dere dieſen muͤhe⸗ 
ſamen Weg / dan er iſt der rechte Weg vnnd Laud⸗ 
ſtraß die zum Himmel fuͤhret / vnd laſſe dich weder 
das Fleiſch / noch die Welt / noch die Teuffel 
überreden / daß du weder zur Rechten 
noch zur lincken darvon 
weicheſt, 


3% (o) Ye. 


Hirnſchleiffer. 


Enes gantzen Landts Heyl ond Wolfahrt beſte⸗ 
het in der guten Erziehung Zucht vnd Diſciplin 
der Jugendt / dan es iſt vnmuͤglich / daß auß lider⸗ 
lichen Kindern gezigelt werben zuͤchtige vnd erbare 
Alten: was der Haͤnſel in der Jugendt lernet / das 
gewohuet vnd behaͤlt der Hanß im Alter. Dieſer 
Brfachen halben wird zu den Vaͤttern geſagt: 
Laß nicht ab / das Kind zu zůchtigen. Item / 
Bieg ihm den Halß / weil er noch jung iſt / 
blew ihm ſeine Seiten / dieweil er noch en 

Kindt 


378 Hirnſchleiffer. 


Kindt iſt / daß er nicht alſo halßſtarꝛig werde / 
vnd dir dan leid werde. Ein ſolche Zucht vnd Er: 
ziehung aber der Soͤhnen ſoll von Eltern mit einer 
groſſen Beſcheidenheit vnd Verſtandt geſchehen / 
dan man ſoll nicht gar zu ſtreng / noch gar zu weich 
vnd barmhertzig gegen ihnen ſeyn / die Geſtrengheit 
iſt zu loben / wofern ſie nicht uͤbermaͤſſig tft: die Guͤ⸗ 
tigkeit iſt zulaͤſſig / wofern fie beynebens die Laſter 
vnd das Verderben der Kinder verhuͤtet. Die Ding 
aber / zu deren der Vatter feine Sohn erziehen ſol⸗ 
le / ſeynd die Gottsfoͤrcht / Tugendt / gute Kuͤnſt 
vnd Vbungen / dardurch werden fie. ihre Leiber all⸗ 
hie zeitlich hinbringen / vnd ihre Seelen dort ewig⸗ 
lich ſalbiren koͤnnen. Den Muͤttern aber gebuͤhret 
daß ſte die Toͤchter in aller Zucht vnd Erbarkeit ers 
ziehen / derowegen wird zu ihnen geſagt: Haſtu 
Toͤchter ſo bewahre itren Leib / vnnd erzeig 
dich nicht froͤlich gegen ihnen. 

Das erſte welches die Muͤtter in obacht nemmen 
ſollen / iſt / daß ſie ihre Töchter nicht ſollen vagiren 
vnd viel außlauffen laſſen / dan dardurch gewinnen 
ſie Gelegenheit zum Boͤſen / werden vnverſchampt / 
geil vnd liderlich 
Das ander iſt die Verſchwiegenheit / dan durch 
die Geſchwetzigkeit machen ſich die Maͤgdlein gar zu 
gemein / werden zaͤnckiſch / vnnd dardurch von den 
Maͤnnern veracht vnd verhaßt. 

Das dritte darzu die Maͤgdlein ſollen erzogen 
vnd gehalten werden / iſt die Arbeit / dann weil der 
Menſch nicht leben kan ohn die Vbung / ſo muͤſſen 


die 


Hirnſchleiffer. 379 


die Maͤgdlein ſich mit etlichen guten vnd ehrlichen 
Vbun gen bemuͤhen / vnnd alſo vom Muͤſſiggang 
abgehalten werden. Aber leider / die Eltern erziehen 
vielmals ihre Kinder wie die Affen / welche ihre 
Jungen auß lauter Lieb ſtarck halfen vnnd gar zu 
todt trucken: Die Aeffin traͤgt vnnd legt ihre Jun⸗ 
gen nahe zu den Haͤuſern / zeigens gleichſam den 
Menſchen vnd erfrewen ſich / wan ſie ſehen daß die 
Menſchen ſie anruͤhren / ſtreichen vnd loben. Viel 
Eltern / vnd ſonderlich die Muͤtter haben ihre Kin⸗ 
der der maſſen lieb / daß ſie nicht wiſſen wie fie dieſel⸗ 
bige nur zartiglich gnug erziehen follen / alles was 
fie vermeinen / das den Kindern geliebt vnd gefällig 
iſt / das geben vnnd verſtatten ſie ihnen: von zarter 
Jugendt auff muͤſſen ſie alle Hoffart in Kleidern ha⸗ 
ben / vnd die beſte Biſſel eſſen vnnd Wein ſchlecken: 
allen Otten traͤgt oder fuͤhret man ſie auß / vnd zu al⸗ 
len Taͤntzen vnd Geſellſchafften / damit ſie geſehen / 
bekant / vnd von ihrer Schönheit vnd Holdſeligkeit 
wegen gelobt werden. Alles was ihre liebe Soͤhn⸗ 
vnd Toͤchterlein thun / das iſt recht vnd wolgethan / 
da darff niemandt nichts wider ſagen / ſo gar der 
Vatter darff ihnen keinen Streich geben / vnnd die 
Præceptotes müffen fie mit dem Fuſchſchwantz 
ftreichen. Iſt aber das nicht ein Affen⸗Liebꝛ heiſt das 
nit den Leib lieben / vnd die Seel toͤdten? O grauſa⸗ 
me vnd vnbarmhertzige Mütter / welche ſelbſt ein 
Vrſach der Verdamnuß ihrer eignen Kinder ſeynd? 
dan vnderm Schein der Pietaͤt / Guͤte vnd Mitley⸗ 
dens verderben ſie ihre Kinder vñ ſich ſelbſt. Deſſen 
beklagt ſich der Prophet vnd ſagt / dieſes ſey die fuͤr⸗ 
nembſte Vrſach deß Verderbens der Statt Jeru⸗ 
Q 5 ſalem 


380 Hirnſchleiffer. 
ſalem geweſen / vnd ſpricht: Die grauſame wil- 
de Thier entbloͤſſen ihre Bruͤſten vnd ſaͤugen 
ihre Jungen / aber die Töchter meines Volcks 
ſeynd vnbarmhertzig vnnd den Strauſſen in 
der Wuͤſte gleich. Man ſagt / es werden Lamiæ, 
Hexen oder Druten gefunden / welche die Menſchen 
in der Nacht hart trucken vnd peinigen / oder aber 
die kleine vnd frembde Kinder toͤdten / vnd ihr Blut 
außſaugen / aber ihre eigne Kinder mit zarter Milch 
ſpeiſen. Philoſtratus ſagt / es werden die Lamiæ 
von etlichen Larvæ oder Lemures oder Empuſæ 
genennt / welche halb Weib vnd hal b vnvernuͤnff⸗ 
tige Thier / vñ dermaſſen vnkeuſch vnd begirig ſeynd 
nach dem Menſchen⸗Fleiſch / daß ſte die ſchoͤne Men⸗ 
ſchen zu ſich locken / die Vnkeuſchheit mit ihnen trei⸗ 
ben / folgendts aber toͤdten vnd freſſen. Ob aber 
ſchon ſolche Lamiæ ſehr grauſamb oder tyranniſch 
ſeynd / ſo ſeynd ſie doch guͤtig vnd mitleydig gegen 
ihren Jungen / vnud ſaͤugen vnd erziehen fie mit ei⸗ 
ner groſſen dieb. Nicht alfo (ſpricht Jeremias) 
thut mein Tochter Jeruſalem / dan ſie iſt ſehr grob / 
tyranniſch vnnd vnbarmhertzig gegen ihren eignen 
Kindern / vnnd zwar viel vnbarmhertziger / weder 
der Strauß / oon deme der H. Job Cap. 39. ſchreibt: 
Er wird ſo hart gegen ſeinen Jungen als 
waͤren ſie nit fein. Man ſagt der Strauß verber⸗ 
ge ſeine Eyer vnder dem Sand / vnnd zwar an ein 
ſolches Ort / da fie von den Wanders leuten hinweg 
genommen oder von den wilden Thieren zertretten 
werden koͤnnen / im wenigſten gedeucken ſie derſel⸗ 
ben mehr: O wie viel Muͤtter ſeyndt grauſamer dan 
die wilde Thier / welche an ihrer Kinder Heyl wenig 


Hirnſchleiffer. 381 


gedencken / vergeffen denſelben allerdings vnd ſchla⸗ 
gens in Wind / ja ſo gar freſſen ſie die Frucht ihres 
eignen Leibs / vnnd ſpeiſen fich ohn alle Vrſach mit 
ihrer Tochter Fleiſch / dan wie die Lamiæ ihren Jun⸗ 
gen das leibliche deben benemmen / alſo benemmen 
ſolche Mütter ihren Kindern das Geiſtliche Leben / 
dan weil fie ihre Soͤhn vnd Toͤchterlein zartlich er⸗ 
ziehen / zu aller Hoffart vnd Geſchleck gewöhnen / 
ihnenalle Freyheit verſtatten / vnnd fie in Laſtern 
auffwachſen vnd erſtarꝛen laſſen / was iſt ſolches an⸗ 
ders / als daß ſte ſelbſt ihre Kinder Geiſtlicher weiß 
tödten / vñ ein Vrſach ihrer Verdamnuß ſeyn? Wan 
dem Nnaben der Kopff nur ein wenig weh thut / oder 
er nur ein wenig erkrancket / ſo ſchickt man geſchwind 
nach dem Doctor, der ihm den Pulß greiffe / pur⸗ 
giere vnd zur Ader laſſe: aber war fi ein Seel gefaͤhr⸗ 
lich kranck / oder mit. $aftern behafft iſt / ſo thut 
man nichts darzu / als waren fie nicht ihre Rinder, 
O wie viel Eltern bawen ſtatliche Haͤuſer / kauffen 
viel Herꝛſchafften vnd bereicheren ſich mit vnd ohne 
Recht / keiner anderer Vrſachen halben / als ihre 
Kinder zu bereicheren / aber es gereicht letztlichen zu 
ihrer aller ſelbſt eignen Berdamnuß: Das heiſt nun 
Affen trucken / vnd das iſt nun die rechte Affen⸗ dieb 
gegen ihre Jungen uͤben. Qui poteſt capere caplat, 
Wers faſſen tan / der faſſe es. 

Nicht alſo thun die weiſe vnd verſtaͤndige El⸗ 
tern: Vom Keyſer Theodoſio lift man / er habe 
feine zween Soͤhn / Arc adium vnd Honor ium dem 
Diacono Arſenio zuvnderweiſen uͤbergeben / dar⸗ 
neben ihm befohlen vnd geſagt? Du biſt nunmehr 
ihr Meiſter / Lehrer vnd e / dir hab ich 

6 fie 


382 Hirnſchleiffer. 


ſie allerdings uͤbergeben / von mir haben ſie den 
Leib / aber formiere du ihr Gemuͤth mit heilſamer 
Lehr vnd Vnderweiſung. Vnnd noch viel andere 
dergleichen Ding hielt ihm der Keyſer fuͤr / machte 
ihn zu einem Hoffraths⸗Præſidenten / vnnd nennte 
ihn nicht allein feinen / ſonder auch feiner Soͤhnen 
Vatter. Er ließ auch die Schul nahe bey fein Zun⸗ 
mer verordnen / damit er die junge Schuͤler oder 
Studenten deſto oͤffter vnd gelegenlicher beſuchen / 
vnd den Fortgang ihrer Lehr wiſſen vnnd erkennen 
moͤchte. Nun wolte aber Arſenius dieſe Knaben in 
Ehren halten / als wie den allbereit benennten 
Keyſer gebührt / deßwegen ſaß er nicht nider / ſon⸗ 
der ſtundt vor ihnen wan er ſie lehrte vnd vnderwie⸗ 
ſe: vnangeſehen der Keyſer ihm das Widerſpiel / 
daß nemblich er ſitzen / ſie aber ſtehen ſolten / be 
fohlen haͤtte: Als derowegen der Keyſer ſolches 
wargenommen / gab er dem Arfenio einen ernſtli⸗ 
chen Verweiß: darauff entſchuldigte ſich derſelb 
mit deme / daß er dißfals den jungen Knaben die 
Lehr / den Keyſer aber die Ehr erwieſen haͤtte: 
Theodoſius aber antwortet im Zorn / vnnd ſprach 
zum Arſenio: Wer hat ſie zu Keyſer benennt'haſtu 
es gethan / der du ſie alſo ehreſt? Bald drauff ließ 
er beyde Knaben aller Keyſerlichen Zierd berauben / 
vnd hergegen den Arſenium, gleichwol wider ſei⸗ 
nen willen auff einen herꝛlichen Thron ſetzen / die 
Knaben vor ihn ſtellen vnd ihnen mit ernſt ſchaffen 
vnd befehlen / daß ſie dem Arfenio allerdings folten 
gehorſamen / darneben ließ er ihm offentlich ſagen / 
wofern ſie ſich alſo verhalten werden / daß ſie deß 
Reichs wuͤrdig ſein werden / ſo wird ihnen Gott 
gar 


Hirnſchleiffer. 383 


gar wol ein wolgeordnetes ruhiges Reich vberge⸗ 
ben koͤnnen / wofern ſte aber ſich nicht wol verhal⸗ 
ten / ſo iſt viel beſſer / fre fuͤhren ein privat geben / 
weder daß fie mit deß Sandts Schaden regiren. B⸗ 
ber dieſe Wort verwunderte ſich Arſenius vnd kaͤm 
dem Befehl deß Keyſers fleiſſig nach. Von dieſem 
Keyſer Theodoſio ſolten alle veiche Eltern ein 
Exempel nemmen / wie ſte ihnen ihre Soͤn zu Her⸗ 
tzen gehen laſſen / ſie nicht auff Affiſch lieben / ſon⸗ 
dern bißweilen mit Ernſt ſtraffen / vnnd achtung 
geben ſollen / ob vnd wie ſie von den Præcep- 
toribus vnd Zeuchtmeiſtern gehalten / 
gelehrt vnd vnderwieſen 
werden. 


(o) ze. 


* 


Hirnſchleiffer. 


5 Mann. 


An der erſten Erſchaffung hat & Ott den Men⸗ 
BR (chen nach feinem Ebenbildr vnd Gleichnuß er⸗ 
ſchaffen / dardurch ſeynd wir gerad vnd auffrecht ge⸗ 
ſtanden / auff daß wir GOtt dem HERMAN deſto 
beſſer vñ ohn Beſchwerd dienen vnd anhangẽ moͤch⸗ 
ten / aber durch die Suͤnd vnd Vbertrettung vnſerer 
erſten Eltern ſeyndt wir dermaflen verſtellt vnd zu 
den jrꝛdiſchen Dingen gebogen / geneigt vnd ge⸗ 
kruͤmbt wordẽ / daß ſich die Kraͤffte der verſtaͤndlichẽ 
Seel ſchwaͤrlich zu G Ott erheben fan. Wie derowe⸗ 
gen wir / wan wir einen Bucklechten Menſchen ſehẽ / 
mit Fingern auff jhn deuten / jhn verſpotten vnd ſa⸗ 
gen: 


Hirnſchleiffer. 3 85 


gen: Sehet dort den Buckel: Alſo / wofern die on? 
vernuͤnfftige Thier reden koͤndten / fo wuͤrden fie zu 
vns ſagen: Ecce Adam quaſi unus ex nobis: Sie⸗ 
he den Adam / er iſt einer auß vns worden: Daß der 
Menſch bucklecht oder hoͤgericht wird / daran ſeynd 
gleichwol die böfe oberflüffige humores vnd Feuch⸗ 
tigkeiten oder das ſtette vielfältige krumb ſitzen vnd 
bucken ſchuldig / aber einen viel andern heßlichern 
vnd ſchaͤndlichern Buckel vervrſachet vns die Suͤnd 
in der Seelen: Einen ſolchen Buckel hatte David / 
als er ſagte: Ich bin krumb vnd ſehr elendt 
worden / den gantzen Tag gehe ich trawrig 
her. Kein Wunder iſts / daß der jenig ſehr krumb 
wird / deſſen Miſſethaten ober. fein Haupt ſeynd 
gangen / vnd wie ein ſchwaͤrer Laſt zu ſchwaͤr wor⸗ 
den / dann wie ein Thier oder Menſch / deme viel zu 
viel auff dem Rucken gebunden oder gelegt wird / 
pflegt krumb zu werden / vnd nicht frey gehen kan / 
alſo / wan der Suͤnder mit zu viel Suͤnden beladen 
iſt / ſo wird er in der Seelen / im Verſtandt vnd Ge⸗ 
wiſſen krumb / kan den zufünfftigen Sünden vnd 
Verſuchungen nicht widerſtreben / noch auch wider 
auffſtehen / es ſey dan daß ihn Chriſtus auß Gna⸗ 
den wider auffhebet. 

Wie ferner ein Menſch / der der ſchwaͤren Saft 
vnd Buͤrden zutragen gewohnt iſt / pflegt durch den 
langen Gebrauch vnd Gewonheit frumb zuwerden / 
vnd den Kopff zur Erden zuneigen / alſo wird deß 
Suͤnders Seel durch den langen Gebrauch vnd Ges 
wonheit vnd tragens der Suͤnden / krumb / vnd fein 
Gemuͤth neig et fich zu der Erden dermaſſen / daß ſie 
nichts 


386 Hirnſchleiffer. 


nichts anders ſuchet / verlanget vnd liebet / als jrꝛdi⸗ 
ſche Ding Deſſen beklagte ſich vorbemelter David 
im 56. Pſalm / ſprechent: Sie haben meinen 
Fuͤſſen Strick gelegt / vnd meine Seel ni⸗ 
der ge ruckt. Das iſt / die Teuffel meine Feinde ha⸗ 
ben mir einen Strick gelegt / als ich auß der Galle⸗ 
rey meines Pallaſts ſahe / wie ſich die ſchoͤne Ber⸗ 
ſabea wuſch / ſtellte ich mir dieſelbe ſehr ſchoͤn zu ſeyn 
für: Sie haben mich auch ſehr nidergetruckt vnd 
krumb gemacht / als ich auß lauter boͤſer Begierd 
vnd Geilheit mit jhr Ehebruch begieng. 

O Menſch / O Suͤnder / wan du der Geilheit 
ſtatt thuſt / den Ehebruch begeheſt / dich wider dei⸗ 
nen Feind recheſt / oder ſonſten ein andere Suͤnd 
begeheſt / was thuſtu alsdan anders / als daß du 
dein Seel / welche Gott nach ſeinem Ebenbild auff⸗ 
recht vnd gerad erſchaffen / krumb vnd armſelig 
macheſt ? Dann weil der jenig für gluͤckſelig ge⸗ 
ſchetzt wird / welcher alles hat was er begehret / vnd 
deme alles gluͤcklich von ſtatten gehet / ſo kan der je⸗ 
nig billig fuͤr armſelig gehalten werden / welcher 
ein Sind begehet / ſintemal er Gott den HERAN 
(ohn welchen die Seel aller jhrer Verlangen 
vnd Seligkeit beraubt wir d) niche hat. 

Beſchließlichen wird ein ſolche Seel fuͤr krumb 
gehalten / dan das Gemuͤth erhebet ſich von Natur 
zu Gott / aber durch den Laſt der Suͤnden wird es 
vndertruckt / vnd ſchawet mit den Augen allzeit vn⸗ 
derſich zur Erden Vderowegen wuͤnſchete der H. 
David etlichen eutẽ im od. Pſali vbel vnd ſprach: 


Ihre 


Hirnſchleiffer. 387 


Ihre Augen muͤſſen finſter werden daß ſie 
nicht ſehen / vnd jhr Rücken laß jmmerdar 
krumb werden. Dan die Suͤnder haben ver— 
blaͤndte Augen / vnd koͤnnen die Himmliſche Ding 
nicht fehen : Ihr Rucke iſt krumb / dan jmmerdar 
wenden vnd kehren ſie ſich zu den jrꝛdiſchen Dingẽ / 
aber der Himmliſchen vergeſſen ſie. 


Ander Diſcurs. 


Eſatas redet von vnerſchiedlichen ſchweren La⸗ 
ſtern vnd Burden dern zu Jeruſalem geſehen: Die 
erſte war die Babyloniſche / von denen er ſagte: Das 
iſt der Saft Babels. Ein groß Wunder iſts / daß E⸗ 
ſaias den kaſt Babylons zu Jeruſalem ſahe / aber die 
zu Babel wohnten / ſahen jhn nit. O wie viel Edel⸗ 
leut vnd maͤchtige Merꝛen ſeynd mit der Babyloni⸗ 
ſchen Buͤrd oder Confuſton beladen? O mit wie vie⸗ 
len Vnderthanen / Knechten / Hoffgeſindt / Haußge⸗ 
finde / Pomp / Pracht / vnnutzen Außgaben vnd der⸗ 
gleichen ſchwaͤren Buͤrden beladen fie ſich / empfin⸗ 
dens aber nicht! aber der Gerechte / der ſich zu Je⸗ 
ruſalem / das iſt / in der Ruhe vnd in Frie den deß hei⸗ 
ligen Lebens befindet / ſihet ſolche Babyloniſche 
Buͤrd / vnd verwundert ſich / wie doch die groſſe 
Herꝛn der Welt ein ſolche Buͤrd ertragen mogen. 

Das andere onus oder Buͤrd / welche Eſaias ſa⸗ 
he / war der Laſt Moabs / das iſt / die Buͤrd eines 
Geiſtlichen / der die Seelſorg auff jhm ligen hatte / 
vñ ſie nicht allein nicht empfandt / ſondern auch ſich 
mit noch andern / newen vnd mehren Pfruͤnden / 
Pfarren / Canonicaten vnd Prælaturen belude, 
Die 


388 Hirnſchlaffer. 


Die dritte war die Buͤrd Damafci oder der 
Richtern vnd Beampten / deren Ampt iſt / daß ſie 
die Verbrechen biß weiln an Leib vnd Leben ſtraffen / 
vnd das Blut auß den Vnderthanen preſſen / vnd 
doch ſolche Buͤrd fuͤr gering halten / vnd ſo gar dar⸗ 
nach trachten / bitten / ſuppliciren / vnd ſich darumb 
reiſſen. 

Vierdtens / ſahe er die Buͤrd der Wuͤſten deß 

ders / dadurch werden verſtanden die Buͤrden vnd 
Muͤheſeligkeiten deren welche jmmerdar vor Ge⸗ 
richt ligen / mit ſchwaͤren Proceſſen beladen ſeynd / 
vnd allzeit im bittern Meer der Juriſten / Advoca⸗ 
caten / Zeugen / Notarten / Schreibern vnd Rich⸗ 
tern vmbſchwim men 

Zum fuͤnfften ſahe er die Buͤrde def vallis viſio⸗ 
nis, dardurch werden die Buͤrden der Muͤſſiggaͤn⸗ 
gern bedeut / welche nichts anders thun / als auff 
anderer deut beben vnd Wandel mercken / ein Vro⸗ 
tocoll druͤber halten / vnd doch nicht ſehen oder ſe⸗ 
hen woͤllen / was fie ſelbſt im Schild führen / vnd 
mit was fuͤr einer groſſen vnd ſchwaͤren Buͤrd vnd 
Fa der Sünden vnd Verbrechen ſie beladen 

eynd. 

Zum ſechſten ſahe Eſaias die Buͤrde Egypti / 
dardurch dan die Finſternuſſen vnd Todtſuͤnd be⸗ 
deut werden / vnd dieſe Buͤrd iſt dermaſſen ſchwaͤr / 
daß / ob ſchon die Seel von Natur gering vnd 
fehr bequem vnd tauglich iſt hoch zuſteigen / fo wird 
fie doch durch dieſe Buͤrd hinvnder zur Hoͤllen ges 
truckt. 

Beſchließlichen beladen ſich die Reichen dermaſ⸗ 
ſen mit Gold vnd Silber / daß ſie ee 

ohen 


Hirnſchleiffer. 389 


hohen vnd dicken Puckels durch kein enges Nadel⸗ 
loch gehen koͤnnen / derowegen ſpricht Bernardus 
zu jhnen: Das Cameel;thier laͤſt ſich nicht mit meh⸗ 
rerem beladen / weder was es ertragen kan / aber die 
reiche Geitzhaͤlſe beladen ſich mit dolpelter Buͤrd / 
nemblich mit dem Laſt der Reichthumben / vnd mit 
dem Laſt der Suͤnden. Aber / O Menſch / huͤte dich 
vor ſolchem Laſt vnd ſchwaͤrer Buͤrd / von denen E⸗ 
ſaias am 58. Capit. ſagt: Thue auff die vnder⸗ 
truckende Gebuͤndlin / ſey nicht naͤrriſcher 
dan das Cameel⸗thier So ſagt Job cap. 12. 
Frage das Viehe / dos wird dichs lehren. 


Dritter Diſcurs. t 


Der H Auguſtinus redet mit dem Suͤnder / vnd 
ſagt / daß er allzeit von einẽ ſchwaͤren $aft der Sun⸗ 
den getruckt werde / vñ unmerdar mit Muͤhſeligkeit 
beladen ſey: Wer iſt aber der jenig / der den Laſt der 
Suͤnden / vnd die ſtette Mühe vnd Arbeit deß Suͤn⸗ 
ders zu gnuͤgen erklaͤren vnd außſprechen koͤnne? Es 
ſagt Zacharias / daß er die Gottloſigleit in einem 
Krug ſitzen geſehen / derſelb Krug war ohn Zweif⸗ 
fel aͤhrin oder von Erg gemacht / oͤder mit Bley 
vmbgeben: Hierdurch verſtehet Theodoretus die 
vnendliche Buͤrd vnd den groſſen Laſt der Suͤnden / 
von deren David ſagt: Iniquitates meæ, &c. Be⸗ 
trachte du die Suͤnd an allen Orthen / vorn vnd 
hinden / vnd oben / im Anfang vnd im End / ſo wirſt 
du ſie allzeit ſchwaͤr wie ein Bley finden. Die al⸗ 
lerſtaͤrckſte Schultern vnd die fuͤrtrefflichſte Kraͤff⸗ 
ten 


Hirnſchleiffer. 390 


ten werden vnder jhr gekruͤmpt vnd vndertruckt / die 
Rieſen ſeufftzen vnder jh rem Saft / vnd werden DIN 
dertruckt: Dan beſchawe einen Zornigen / vnd ſich 
wider ſeinen Feind zu raͤchen begirigen Menſchen / 
wie fein Gemuͤth fo gar vnruͤhig vnd wuͤtig ſey:jm— 
merdar zittert vnd erſchrickt er. Frage auch einen 
Spieler / welcher ſein gantze Subſtantz vnnd feines 
zeibs Kleinoter / Ring / Gurt vnd Sturtz vers 
ſpielt / wie er ſich gehabe oder befinde? ſo gibt er dir 
zur Antwort / er woͤll ſich gleich ſelbſt erhencken os 
der im naͤchſten Waſſer ertraͤncken Beſchaw ferner 
einen Geitzhalß / was geſtalt er ſich im Beth hin 
vnd wider vmkehrt / ſeufftzet vnd ſich kuͤmmert. O 
wie vngluͤckſelige Nachten verzehrt ein Hurer vnd 
225 „er mit ſeinem Hollerſtock / die Gaſſen 
mit der Wehrauff vnd nder / dunchſtreicht 
luckel der Statt / vnd wird muͤd: In Sum⸗ 
ma / dem Teuffel dienen / iſt ein Tyranney / ein aller⸗ 
groͤſte Grauſamkeit vnd ein Ewige Marter. 

Dẽ aber vnangeſehn / entſchuldigt ſich der Suͤn⸗ 
der gegen dem Beichtwatter / vnd ſpricht: Du magſt 
von meinem Puckel vnd ſchwaͤren Laſt der Suͤnde n 
ſagẽ was du wielſt / aber doch empfind ich jhn nicht / 
ſondern ich befinde mich gar wol bey meiner Suͤnd: 
nichts lieblichers noch angenehmers kompt mir 

uͤr / als eben die Wolluſt: Aber / mein Bruder / wiſſe 
daß die Suͤnd begleitet wird mit Betrug on Falſch⸗ 
heit / vñ daß die Suͤnd ein ſo gar ſubtile vnd gefaͤhr⸗ 
liche Wund iſt / daß du ſie / wan ſie dir zugefuͤgt 
wird / nicht empfindeſt / dan ohn einigen Schmertzen 
wird ſie dem Menſchen zugefuͤgt. Zugleicher weiß 
wie einer / der vom Eiſen gehawen oder geſtochen 
wird / 


Hirnſchleiffer. 391 


wird / den Schmertzen nicht als gleich / ſondern erſt 
allgemach hernacher empfindet / alſo wird die Wũd 
der Suͤnden nicht als gleich / ſo lang die Begirlich⸗ 
feit noch in der Hitz iſt / empfunden / ſondern warte 
nur ein wenig / ſo wirft du ſehẽ was ſie fuͤr eine Klag / 
Heulen vnd Schreyen vernichten werde: ſprechen 
thut ſie: O was hab ich gethan! Warumb bin ich 
den Weg zur Hoͤllen gangen? Warumb hab ich 
mich ſelbſte meiner Ehren muthwilliglich beraubt? 
O was leide ich in meinem Hertzen fuͤr einen 
Schmertzen! Geboren hab ich in der Gottloſigkeit 
vnd Suͤnden / die ich begangen / aber ich habs nicht 
empfunden / ſintemal ich in den Wollüften verblendt 
war. Wie ein gebaͤrende Fraw jhren vorgehabten 
Saft büffen muß durch ſehr groſſe Schmertzen / alſo 
empfinde ich anjetzo an ſtatt deß zuvor in der Suͤnd 
empfundenen Wolluſts / einen vberauß ſchwaͤren 
Schmertzen. Es heiſt: Modica voluptas, paſſio in- 
finita. Ob ſchon der Sünder frölich vnd wolluſtig 
iſt zur Zeit / wan er die Suͤnd gebaͤret / fo ſoll er 
doch verſichert ſeyn / daß er fein Zech thewr gnug 
zahlen muß / ſintemal fie Vrſach zu weinen gnug⸗ 
ſam geben wird / dan es begreifft die Suͤnd ein 
Buͤrd / ein Laſt / ein Muͤh vnd Smertzen in jhr / 
darauff folgt das eiſene ſchwaͤre Joch der Welt / 
vnd ſolches Joch kan allein Chriſtus leicht / ge⸗ 
ring vnd lind machen / wofern die Suͤnder zu 
jhm geht / jhm ſeinen Buckel zeigt / 
vnd Anderung bittet. 


Knab 


392 Hirnſchleiffer. 
Knab mit den Raben. 


In jeglicher Sünder iſt ein Narr / vnd traͤgt ein 
Narꝛenkap an / vnangeſehn ma jhn nicht ſihet. 
Dann erſtlich verlieret er durch ſeine Thorheit das 
himmliſche Erbgut / inmaſſen der naͤrꝛiſche Eſau 
von wegen eines ſchlechten Ainſen⸗muß fein Erſte⸗ 
Geburt verloren. Zum andern eſt der Menſch je 
ein groffer Narꝛ / in dem er onderlaͤſt / das verlorne 
Erbgut vermittelſt der Buß widerumb zuwegen zu- 
bringen Der Rab iſt allzeit fuͤr einen veraͤchtlichen 
Vogel gehalten worden Die Poeten fabuliren / er 
ſey anfangs ſchneeweiß vnd dem Gott Phaebo ſehr 
lieb vnb angenehmb geweſt, vnd hab reden koͤnnen / 
weil 


Hirnſchleiffer. 393 


weil er aber einsmals de Phoebo ein vnangenehme 
geitung brachte / ſo iſt fein ſchoͤn weiſſe Geſtallt als⸗ 
hald in ein kohlſchwartze verkehrt worden. Sonſten 
ft ein gemeines Sprichwort Ein boͤſer Rab legt 
in boͤſes Ey: dardurch wird zuverſtehn gegeben / es 
verden auß boͤſen Eltern boͤſe Kinder geboren; Al⸗ 
o / daß an dieſem Jogel nichts guts vorhanden / vñ 
vonder allen Bögelnde er aller veraͤchtlichſter iſt. 
Er wird ſchier nur in den einſamen Orthen geſehẽ / 
vo nemblich die Malefitz⸗perſonẽ hingerichtet wer⸗ 
en / oder wo die todte ſtinckende Aaß ligen. Nicht 
Hein trachtet er nach 5 todten Menſchen Fleiſch / 
ondern auch nach den Vogeln / dan er fahet ynnd 
rift auch Lerchen vnd Spatzen: So gar verfolgt 
auch die Eſel / vnd pickt ihnen die Augen auß: 
Die Hafen erſchroͤcket er mit feiner bloſſẽ erfihröck- 
chen Stimm: Darneben fr riſt er gar gern Obs / 
Wuͤrm vnd Sch langen / wie auch Kir :fchen: vnd iſt 
hr diebiſch / ſtilt auch Gelt: Von feines Fraſſes 
egen hat er im Sommers o. Tag lang den Durch⸗ 
ruch. Gar offt erzeigt ſich der Teuffel den Menſchen 
der Geſtallt eines Rabens / vnd in Summa / er 
c ein vngluͤckſeliger Vogel / vnd hat ein grobes 
nannehmbliches Geſang oder Runm / dan man 
oͤrt nichts anders von jhim / als cras, cras, morgen / 
sorgen. 
vl aliud( ſyr icht der? Poet) niſeras femper canis, 
male corve, 
Dic mihi cras iſt ud, peſſime quando uenit? 
iam longe cras iſtud]! ubi eſt, aut unde peten ; 
dum? 
Nunquid apud Parthos, Armenioſq; later? 0 
a6 


394 Hirnſchleiffer. 


Das if: Oboͤſer Rab / du ſingſt allzeit nicht rd 
als morgen: Sag aber mir / wan kompt derfel 
Morgen? Wie lang iſt dieſer Morgen? Wo ifter ) 
oder wo ſoll man jhn hernehmen? villeicht ſteckt er 
bey den Parthern vnd Armenieren? So iſt nun der 
Rab vnd ſein Geſang ein Figur oder Zeichen der 
vnbuͤßfertigen Menſchen / welche die Buß von ei— 
nem Tag / von einem Monat / von einem Jahr auffs 
ander verſchieben Ein ſolcher Rab war Pharao / 
als er dem Moyſi ( welcher fich anerbote jhn mit 
Gott zuverſoͤhnẽ) zur Antwort gabꝛcras, cras mor: 
gen / morgen magſt du es thun: Deßgleichen haben 
wir auch weiſſe Raben / als da ſeynd die onbußfers 
tige alte grawe Maͤnner / welche jhre Jugend in als 
len Eidelkeiten vnd Wolluſten verzehrt haben / vnd 
doch in ihren altẽ Tagen ſich nicht bekehren / ſondern 
die Buß biß in den Todt verſchieben / derowegen 
werden die Wort deß Jobs am 20. Capit zu jhnen 
geſagt: Seine, Gebein werden erfuͤllt werden 
mit den Sünden feiner Jugend / vnd were 
den mit jhm in der Erden ſchlaffen ligen 
Die Alten ſeynd gleichſamb Staub vnd Aſchen:vn⸗ 
der ſolchem Aſchen ligen die Laſter verborgen / mit 
denen ſie in der Jugend behafft waren / vnd ſeynd 
gleichſam feine domeſtici vnd inheimiſche Gaͤſt / 
auß denſelbigen entſpringt die Traͤgheit vnd Hinz 
laͤſſigkeit das Heyl zuſuchen. O wie viel beſſer vnd 
raͤthſamer wäre es / das ſolche Rabenhaͤnſel Taube 
federn brauchten / vnd ſampt dem H. David ſprechẽ 
Wer wird mir Federn geben wie Tauben— 
federn? 


Hirnſchleiffer. 395 
federn? Dan der Rab flohe auß der Arch / flohe 
aber nicht wider hinein / ſondern blieb auff dem 
Aaß der todten Thier ſitzen / die er nach dem Suͤnd⸗ 
fluß fand: weil aber die Taub kein Orth fand / dar⸗ 
auff jhre Süß haͤtten ruhen moͤgen / ſo iſt ſie dem 
Noe wider umb auff die Hand geflogen / daher iſts 
kein Wunder / daß der H. David Tauben⸗federn 
vnd nicht Raben: federn begerte: Er begerte nicht 
in den tödlichen fleiſchlichen Wollüften zubeharꝛt / 
ſondern weil er in den zergaͤnglichen Dingen keine 
Ruh fand / ſo kehrte er alsbald wider zu Gott. 

Die Taub iſt von Natur forchtſamb / vnd pflegt 
ſich zur Zeit deß Vngewitters geſchwind in jhre@e: 
warſam zuverfuͤgẽ vnd zuverſichern. Weil derowe— 
gen David das Vngewitter vnd die Gefahr dieſer 
Welt foͤrchtete / ſo begerte er Tauben flügel / damit 
er ſich an ein ſichers Orth verfügen möchte, Laſſet 
auch vns ſolche Tauben⸗federn von G Ott begeren / 
damit wir vns in die Einoͤd der Buß begeben / vnd 
als eilende betrachtende Tauben vnſere Suͤnd be⸗ 
weinen möge. Wie die Taubin ſich mit jhrem trau⸗ 
rigen Geſang pflegt mit jhrem Tauber oder Braͤu⸗ 
tigam zuverſohnen / alſo laſſet auch vns vnſern 

Braͤutigam / welchen wir erzuͤrnt haben / 

durch aͤher / Gebett vnd Seufftzer ver: 
ſohnen / vnd feine Gnad wider er⸗ 
werben. 


2 
7 
R 


496 Hirnſchleiffer. 
Der Eſel wird vom Affen 
verſpott. 


Ader allen Thieren wird keins mehr verſpotte 
oder mit Arbeit beladen / als eben der Eſel: Ja 
fo gar aaͤſt er fich von allen Thieren vexiren vnd vers 
ſpotten: Die Affen ſetzen ſich auff jhn / vnd vmb ihn 
herumb / vnd treiben das Geſpoͤtt auß jhm Durch 
den Eſel wird verſtanden ein gerechter Menſch / vnd 
durch die Affen die Welt oder die Suͤnder vnd 
Spottvoͤgel / welche nichts anders thun / als die 
From̃en vnd Gerechten verfolgen vnd verſpotten: 
inmaffen dem H. David widerfahren / deßwegẽ ſag 
er in 


4 


Hirnſchleiffer. 497 


er in ſeinem 38. Pſal. Opprobrium infipienti dediſt. 
n. e: Als wolte er ſagen: O HErn / du haft gewoͤllt / 
daß ich vnder den Narren wohnen ſolte / welche nur 
Eytelkeiten lieben / vnd nur nach Reichthumden on 
hohen Chren trachten: dieſelbe verachten die From— 
men vnd Einfaͤltigen / welche dir / OHErꝛ / dienen. 
Ebenmaͤſſig widerfuhr dieſes dem H. Paulo / deſſen 
er ſich dan in der 1. Corinth. am 4. Cap beklagte: 
Wir ſeynd ein Schawſpiel worden der 
Welt / vnd den Engeln / vnd den Menſchen: 
Wir ſeynd Narrẽ vmbChriſti willen ꝛc. Das 
iſt ſo viel geredt / als / wir ſeynd ein Kehrkoth der 
Welt worden. Das groͤſte Vnheyl deß menſchlichẽ 
Lebens iſt / daß die ſchaͤndliche Ding geehrt / vie herz: 
liche vnd koͤſtliche aber veracht werden: die jenigen 
ruͤhmbt man / welche den Eitelkeiten vnd Laſtern er⸗ 
geben ſeynd / deren Wege boͤß vnd jhre Gaͤng vner⸗ 
bar ſeynd Ein vnkeuſcher / geitziger / hochtrabender 
vnd boͤſer Menſch wird von Gott vexracht / vnd fuͤr 
ein Hepffe der Welt gehalten / vnd letztlichen ins e⸗ 
wige Fewr geworffen / aber die Welt ehret vnd liebet 
fie: Hergegen werden die Gerechten / mit denen / als 
mit koͤſtlichen Steinen / die Kron Chriſti geziert 
wird / verhaſt / verlafſen vnd verfolgt. 

Ob aber dem ſchon alſo / fo ſollen fie doch nicht 
verzagen / dann alsdan erſcheinet in vns der Glantz 
der Chriſtlichen Tugend / wan nemblich wir die In⸗ 
jurien vnd Schmachwort verachten: Derowegen 
ſagte der H. Paulus in der 2. Corinth. am 6 Cap 
In allen Dingen laſſet vns beweiſen als 

N 2 die 


398 Hirnſchleiffer. 


die Diener GOttes / in groſſer Gedult / in 
Truͤbſaln / in Noͤthen; in Aengſten / in 
Schlägen / in Gefaͤngnuſſen / ꝛc O wie fein 
hat er die Seinigen vnderwieſen / in dem er ſie mit 
den Waͤhren vnd Waffen der Gerechtigkeit verſihet 
damit er die Demuth die Hoffart / vnd die Frey ze⸗ 
bigfeit den Geitz vberwinden moͤge; ja ſo gar hat 
Chriſtus der HErnvns dißfals ein Exempel gege⸗ 
ben / dan von etlichen ward er für einen groſſenPro⸗ 
pheten / vnd fuͤr Davids Sohn gehalten / von an⸗ 
dern aber fuͤr einen Samaritan vnd Beſeſſenen / 
von andern ward er gar verflucht / aber in dieſem 
Fall verhielt er ſich dermaſſen weißlich vnd fuͤrſich⸗ 
tiglich / daß er weder auß dem ob vnd Ehr einen duſt 
vnd Gefallen ſchoͤpffte / noch auch durch die Verach⸗ 
tung vnd Schmachwort ein Trawrigkei empfandt / 
hierdurch gab er vns allen ein Lehr / wie vñ was Ge⸗ 
ſtalt wir in dieſer Welt wider die Gottloſen ſtreittẽ / 
vnd vns in allerley Zuftänden verhalten ſollen / es 
ſey auch wenig daran gelegen / ob ſchon wir wieeſel 
von den Menſchen allhie veracht vnd verſpott wer⸗ 
den / da ſolches kan vns wenig oder gar nichts ſcha⸗ 
den / vnd iſt gleichſamb nur ein Kinder ſpiel / von dẽ 
der Pſalmiſt infeinem 63 Palm ſagt: Die Pfeil 
der Kinder haben ſie verwundt / vnd jhre Zun⸗ 
gen ſeyndt geſchwaͤcht worden wider fie. 
Dieſe Wort erklaͤret vnd deutet Augultinus 
auff die Verfolgung / welche Chriſtas von den 
uden außgeſtanden / vnd ſpricht: Wo iſt an⸗ 
jetzo der grimmige bruͤllendedoͤw / wacher ſchrye: 
Creutzige / 


Hirnſchleiffer. 399 


Creutzige / Creutzige jhn e wo ſeyndt die liſtige 
Schutzen mit ihren Bogen vndppfeilen? Nur Pfeil 
der Kinder haben ihn verwundt / derowegen ſeyndts 
nur Kinder Wunden / dan es waren nur zeitliche 
Schmertzen vnd deibs Schaͤden / vnd dannoch ka⸗ 
men ſie den HErꝛn Chriſto ſehr hart vnd ſchwaͤr an 
auß zuſt ehen. So dan die ſchwaͤre Marter vndpein / 
welche Chriftusfür ons außſtunt / nur Kinderſpiel 
genent werden / ſo iſts viel billiger fuͤr Kinderſpiel 
zuhalten / alles was roir alhie außſtehen von ſeinẽt⸗ 
wegen / wie ſolches der H. Paulus 2. Cor. 4. cap an⸗ 
deut / da er ſagt: Dan vnſere jetzige Truͤbſal⸗ 
ſchafft fe enn ewige vnd vber alle Maß wich⸗ 
tige Herꝛligkeit / vns die da nicht auffſehẽ ha⸗ 
ben auff das ſichtbare / ꝛc. Dort / dort in jenem de⸗ 
ben werden wir hoch geehrt / vnd mit der ewigen 
Glory belohnt vnd vinbgeben werden: Wer wolte 
dan nicht gern gedulden / daß er allhie auff Erden 
von den Welt⸗Affen vnd Narꝛen ein wenig vexiert / 
verſpottet / veracht vnd betruͤbt werde? Wer wolte 
einen fo gar kurtzwerenden Schmertzen fliehen vnd 
ſcheuhen? 

Wann ein Beer einen Immenkorb vmbtraͤgt / ſo 
wird er gleichwol von den Immen geſtochen / aber 
doch laͤſt er den Korb nicht fallen / dan die Suͤſſigkeit 
deß Honigs iſt / hm viel lieber / weder der ſchmertzen 
den er von den Stachlen empfängt: O Menſch / du 
findeſt den Honig vnder den Trübfeligfeiten ver⸗ 
miſcht / ob ſchon die Immen vnd Zungen der Gott⸗ 
loſen vnd Ehrenſchaͤnder dich ſtechen / ſo verlaſſe 
doch du ſolchen Honig nicht / ſondern gefelle dich zu 

R 3 ihnen / 


408 Hirnfchleiffer. 


ihnen / als ein Vieh vnd Eſel ſo wirſtu auff deinem 
Rucken tragen den Hera Chriſtum: O herrlicher 
Immenkocb: O Chriſtliche Seel / ich bitte dich / ver⸗ 
laſſe jhn nicht / ob du ſchon noch ſehr geſtochẽ wirſt. 
Dan der H Paulus ſagt zun Hebr ꝛc'c 1 Wel⸗ 
cher / da jhm fuͤrgelegt ward Fremd / hat er er⸗ 
litten das Creutz mit Verachtung der Schã⸗ 
de / ꝛe daß er nemblich auff die jhm fuͤrgelezte Frewd 
der ewigen Seligkeit erlitten habe das Creutz / war⸗ 
umb woltẽ dan nicht auch wir allhie etwas wenigs 
leyden / damit wir ſolche Frewd ſampt jhm genieſſen 
vnd beſitzen mögen ewiguch? Derowegen / wofern 
du dir dieſe Frewd der ewigen Seligkeit wirſt ſteiff 
vor Augen ſetzen / fo wirſtu leichtlich alle Injurien 
verachten. 

Begehrſtu je von deinem Feindt / daß er dir dein 
Ehr wider reſtituiren ſolle / ſo warte nur ein wenig 
dan es wird gewiß lich die Zeit kommen / daß ſie dir 
ein Abbitt thun werden: dan die Gerechten werden 
mit einer groſſe Standthafftigkeit wider die jem⸗ 
gen ſtehen / von denen fie ſeynd beleidigt worde: her⸗ 
gegen werden die Vngerechten mit einer erſchroͤckli⸗ 
chen Forcht vor jhnen ſtehen / vnd mit jene im Buch 
deß Weiß heit e s. ſprechen: Das ſeynd die / die 
wir vorzeiten für ein Geſpoͤlt gehabt / vnd 
mit denen wir vnſern Spott vnd ſchmach⸗ 

wort getrieben haben: Wie ſeynd wir ſo 
dorecht geweſen? wir haben gemeint / jhr 
Leben ſey ein Vnſinnigkeit / vnd jhr End 


ſey 


Hirnſchleiffer. 401 


ſey ohne Ehr: ſihe / wie ſeynd ſie vnder die 
Kinder Gottes gezehlt:als wolte fie fagen: Die; 
fe ſeynd die jenige / die wir verlacht vnd fuͤr Narren 
gehalten: Wir Narꝛen hielten jhr geben für ein Bne 
ſinnigkeit / ſintemal wir ſahen / daß ſie in die Wuſte 
flohen / in den Hoͤlen vnd Speluncken wohnten / 
Wurtzle vnd Kraͤuter aſſen / Hunger vnd Durſt lit⸗ 
ten / aber ſie / die wir fuͤr Narren hielten / denen wir 
den Eſel geſtochen / denen wir die Feigen zeigten / vñ 
die wir fir wahnſuͤchtige armſelige keuth hielten / 
die werden anjetzo Kinder Gottes genent / vnd ſeynd 
vnder die Zahl der Heiligen geſchrieben. Dieſer ge⸗ 
ſtalt wird dir / mein Bruder / dein Ehr wider geben 
werden derowegen warte nur ein wenig / dan alßdã 
wirft du es gewahr werden/ vnd dein Hertz wirdts 
ſehen vnd ſich verwundern: Du wirſt es fuͤr ein ho⸗ 
he Gluͤckſeligkeit halten / daß du ſo viel auff Erden 
gelitten haſt: Du wirft froͤlich ſeyn an ſtatt deren 
Taͤg / an denen man dich auff Erden tribuliret / vexi⸗ 
ret vndgepeiniget hat / vnd wirſt alsdan die 
ewige Glory genieſ⸗ 
ſen. 


% (0) d 


R 4 


302 Hirnſchleiffer. 
Ein Narꝛ mit einer Sack⸗ 
pfeiffen. 


—— — — = => 


Moder andern menſchlichen geichtfinnigfeiten 

vnd Thorheiten iſt dieſe nicht die wenigſte / wan 
nemblich einer den lieblichen Klang / Thon vnd 
Melodey der herrlichen muſicaliſchen Inſtrumen⸗ 
ten verachtet / vnd ſich hergegen im Thon einer arm⸗ 
feligen veraͤchtlichen Sackpfeiffen verliebet vnd er⸗ 
luſtiget: Aber ein noch viel gröffere Z horheit iſts / 
wan einer die liebliche Stimm vnd Melodey deß 
Goͤttliche Worts verachtet / vnd ſich von der Stim 
vnd Geſang deß verfuͤhriſchen Sathans vnd der 
Welt 


Hirnſchieiffer. 303 


Welt erluſtiget vnd erfrewet / vnangeſehen der ſo 
gar vielen vnd groſſen Nutzbarkeiten / die vns auß 
der Anhoͤrung deß Goͤttlichen Worts erfolgen / dan 
erſtlich werden wir dardurch von Suͤnden gerei⸗ 
nigt / dan Gottes Wort iſt gleichſamb ein Spie⸗ 
el / darin wir vnſere Vnſauberkeiten / Gebrechen 
vnd Maͤngel ſehen vnd warnemmen koͤnnen / daher 
können wie vnſere Mängel deſto beſſer corngiren 

vnd verbeſſern. Zum andern werden wir dardure 
im Guten vnderwieſen / damit wir das Boͤſe fliehen / 
das Gute wircken / das Beſte dem Guten fuͤrziehen 
vnd Gott erkennen moͤgen. In ſolchem werden wir 
von den Vnglaubigen vnd Heyden vnderſchiden / 
dan wofern Gottes Wort nicht waͤre / ſo wuͤrden 
wir vmb fein dieb / Barmhertzigkeit vnd Guͤtigkeit 
nichts wiſſen. Wir gelangen auch durch die Anhoͤ⸗ 
rung deß Worts Gottes oder durch das leſen der 
heiligen Schrifft zu der Ertantnuß vnd Wiſſen⸗ 
f chafft / was wir glauben / thun / laſſen / foͤrchten vnd 
hoffen ſollen. Drittens werden wir dardurch geiſt⸗ 
vnd jnnerlicher weiß getroͤſt: das hat der tiebhaber 
deß Worts Gottes der H. David wol gewuͤſt vnd 
erfahren / als er im 18. Pſalm ſagte: Wie für 
ſeynd deine Red meinem Rachen / mehr dan 
Honig meinem Mund. Vierdtens werden wir 
dardurch geheiligt / dan es ſteht Joan. am 6. ge⸗ 
ſchrieben. Die Wort die ich rede / ſeyndt der 
Geiſt vnd das Leben. Zum fünfften werden wir 
dardurch vor der Hoͤllen verhuͤt / dan es ſtehet ge⸗ 
ſchrieben: Wer mein Wort haͤlt / der wirdt 
R 5 den 


404 Hirnſchleiffer. 


den Todt nicht koſten in Err igkeit. Zum fe 
chſten / werden wir von wegen deß Worts Gottes 
nicht gerichtet / ſondern jm Himmel glorificiret / 
dan es ſtehet geſchrieben: Wer mein Wort 
höͤret vnd an dẽ glaubet / der mich geſand hat / 
der wird haben das ewig Leben / vnnd nicht 
ins Gericht kommen. Beſchließlichen / wie 
man mit einem Schwerdt die Ding ſchneidet vnd 
zertheilet / alſo pflegt das Wort Gottes / welches 
mit Andacht angehört vnd vollzogen wird / vnſern 
Geiſt von den jrꝛdiſchen Dingen abzuſchneiden vnd 
zu zertheilen / das bezeugt der H. Paulus Heb 4. 
vnd ſpricht: Das Wort Gottes iſt kraͤfftig 
vnd lebendig / vnd ſchaͤrpffer dan kein zwey⸗ 
ſchneidig Schwerdt / vnd durchdringedt biß 
daß es zerſchneidet Seel vnd Geiſt. Der 
Geiſt wird von den jrꝛdiſchen Dingen abgeſchnit⸗ 
ten / damit die Seel erhoͤcht werde / vnd im Heim 
lebe. Dan wer dem HErꝛmanhanget / der 
iſt einer ley Geiſt mit ihm, O gluͤckſelige 
Zertheilung! welche Moyſes empfunden / dan er iſt 
durch die beſchehene Converſation vnd Vnderꝛe⸗ 
dung mit Gott dermaſſen glorificirt / heilig vnd 
glantzendt worden / daß die Iſraeliter die Klarheit 
ſeines Angeſichts nicht anſchawen koͤndten. Ja was 
mehr iſt: durchs lefen / hören vnd vollziehen deß 
Worts Gottes erfolget letztlichen ein Vereini⸗ 
gung mit Gott / die Seel wird dermaſſen 


Mit 


Hirnſchleiffer. 405 


mit Gott vereiniget / daß ſie einerley Geiſt mit jhm 
wird. Aber noch mehr iſts / daß wir ſo gar Goͤtter 
dardurch werden vnd alſo genennt werden, ver mo 
der Wort Joan. Cap. 10. Ich hab geſagt jhr 
ſeyd Goͤtter. Solches alles betrachten die From⸗ 
men / leſen vnd hoͤrẽ das Wort Gottes vnd machens 
jhnen zu Nutz / derowegen ſagt S. Lucas c. 11 von 
ihnen: Selig ſeynd die das Wort Gottes hör 
ren vnd es behalten. Das Widerſpiel thun die 
Narꝛen oder Sünder vnd Gottloſen / dan erſtlich 
verachten ſie es / hoͤren viel lieber die Stimm einer 
elenden Sackpfeiffen der Eitelkeiten / vnd moͤgen 
weder Predig hoͤren noch etwas guts leſen / dan ie 
foͤrchten / man möchte jhnen etwas ſagen / welches 
jhrem Stand zu wider wäre / derowegen ſagt E- 
zechiel c. 3 Sie wͤllen dich nicht hören / 
dann ſie woͤlen mich nicht hören. Item, 
Jereme. 3. Wie ein Weib jhren Liebhaber 
verachtet / alſo verachtet mich das Hauß 
Iſrael. Andere hoͤreen das Wort Gottes / vnd be⸗ 
ſuchen die Predig / aber nicht in meinung dardurch 
bekehrt zu werden / ſondern es zuo: rſpotten: Inmaſ⸗ 
fen jene Iſraeliter thaten / von denen Parıl cap. 38. 
gemeldt wird: Der O Ir? ſandt zu jhnen ſei⸗ 
ne Botten / aber fie ſpoteten der Botten 
Gottes / vnd verachteten feine Wort. Andere 
verachten gleichwol das Wort Gottes nicht / ho 
rens gern / vnd kommen zur Predig / werden aber 
nicht wircklig dadurch bekehrt Andere beſuchen die 
R 6 { Pre⸗ 


306 Hirnſchleiffer. 


Predig auß Kurtzweil / Inmaſſen jene Iſraelitet 
thaten / von denen Ezechiel am 33. Capitttel ſagt: 
Die Kinder deines Volcks beſprechen ſich 
deinethalben hin vnd her bey den Mauren 
vnd vor den Haͤuſern / vnd redt ein jeder mit 
dem andern: Lieber dompt vnd laſſet vns hoͤ⸗ 
ren was doch die Rede ſey / die vom HErꝛn 
außgehet. Auß der Predig vnd auß dem Wort 
Gottes machen fie ein Converſation vnd Kurtz 
weil vnd ſagen ſchimpffsweiß: Kompt laſt vns hoͤ⸗ 
ren / was der Prediger newes ſagen wird: Sie kom⸗ 
men in die Kirchen / als begehren ſie das Wort 
Gottes zu hoͤren: ſte hoͤrens auch mut den Oh⸗ 
ren / aber nicht mit dem Hertzen: Vnd von ſolchen 
Spoͤttern ſagt die Schrifft: Du wirſt ihnen ein 
Hofierliedlein ſeyn / das ſuͤßlich vnnd 
lieblich geſungen iſt: deine Wort wer— 
den ſie hoͤren / aber nichts darnach thun. 
Biß weiln geht man bey der nacht gaſlatim, man 
muſicirt / man geigt / man ſchlaͤgt auff der Zitter vnd 
lauten / ic ſehr lieblich / dardurch werde die im Beth 
ligende vnd ſchlaffende Nachbarn auffgeweckt / fie 
ſpriugen geſchwindt auß dem Beth / lauffen zu Fen⸗ 
ſter vnd hören der Muſie zu: aber nach vollendtem 
muſictren lege fie ſich widerum̃ ins Beth vnd ſchlaf⸗ 
fen: Eben dieſes widerfaͤhrt auch ſehr vielen Men⸗ 
ſchen / dan wan fie das Wort Gottes hören/ fo 
fr wen ſte ſich / erwachen ein wenig auß den kaſtern / 
darinn fie ſchlaffen gelegen / vnd ſtehen auff / aber 
nach 


Hirnſchleiffer. 307 


nach vollendter ſolcher lieblichen Melodey deß 
Worts Gottes vnd Predig / greiffen fie widerumb 
zu der Sackpfeiffen / begeben ſich widerumb in die 
boͤſe Gewonheit deß ſuͤndigens / vnnd weltzen ſich 
wie die Schwein mitten in dem Koch der Laſtern 
vmb. Sie hören das Wort GO tes auß duſt / 
aber der Lehr folgen fie nicht: Etliche erfrewen 
ſich ob der Mufic vnnd hören gern die Singer / 
welche frembder deut herꝛliche vnd tapffere Thaten 
mit jhrem Geſang celebriren / aber doch begeh⸗ 
ren ſie derſelben. Tugenden / die ſie loben haben 
hoͤren / nicht nachzufolgen. Auff eben ein ſolche 
Weiß pflegen viel Menſchen das Wort GOT- 
tes zuhoͤren / vnnd ein frewd vnnd Wollgefallen 
an deß Predigers Eloquentz vnnd zierlicher Wol⸗ 
redenheit vnnd Lehr zuempfahen / aber jhr Leben 
wollen fie nicht darnach richten / noch ſich zu Gott 
bekehren. 

Andere hoͤren das Wort Gottes auß lauter 
Fuͤrwitz / vnnd wie die Immen in den Wiſen vnnd 
gruͤnen Feldern vmbfliehen / ſich mit den Blumen 
erluͤſtigen / vnnd den Safft auß augen / aber die 
Frucht verachten / alſo thun etliche Zuhoͤrer nichts 
anders bey der Predig / als die Blumen vnnd Cu⸗ 
rioſitaͤten erwoͤhlen / aber nach der Frucht der 
Buß fragen ſie nicht: Daran iſt aber nichts an⸗ 
ders ſchuldig / als daß ſie das Wort Gottes nur mit 
Ohren / aber nicht mit Hertzen hoͤren / dardurch 
geben ſie zuverſtehen / daß ſie Kinder deß Teuffels 
ſeynd / dann nur die jenigen / welche es mit dem 
hertzen hören / ſeynd GOTTES außerwoͤhlte 


Kinder. 
R 7 Noch 


408 Hirnſchleiffer. 


Noch viel andere gröffere Narꝛen ſeynd vorhan⸗ 
den / welche an den Son⸗ vnd Feyrtaͤgen an ſtatt deß 
Predig hoͤrens in Wirtshaͤuſern fitzen vnd zechen / 
oder an den Tagen / an welchen andere deut vnd frö⸗ 
me Chriſten anfahen zufaſten vnd Buß zuthun / ce⸗ 
lebriren fie das Feſt Baechi, pancketiren / freſſen / 
ſauffen / gehen in der Mommerey ſpielen / ſpringen / 
tantzen vnd kalberiren: Vmb wie viel mehr vnd na⸗ 
hender auch als dan die heilige Zeit vorhanden iſt / 
vmb ſo viel deſto mehr / wuͤtet vnd tobet in jhnen 
der leidige Sathan / demſelben geben fie die 
Waffen wider ſich ſelbſt in die Hand / gleichſam 
haͤtten ſie jhren eignen Todt verſchworen / da ſie 
doch ihm viel billicher die Waffen entziehen vnd zu 
ſolcher Faß nacht Zeit ſich ſelbſt kaſteyen / vnd 
beym viertzigſtuͤndigen Gebert jhr Andacht ver⸗ 
richten / beichten vnd communiciren ſolten / dero⸗ 
wegen ſingt als dann die Kirch: Ecce nunc tem- 
pus accept abile „ec ce nunc dies ſalutis. 

Endlichen iſt die Sackpfeiff der Narıen Spiel / 
vnd wird in der Faß nacht vnd bey den Baurẽ Taͤn⸗ 
tzen gebraucht / aber die Buͤrger vnd Edelleut achten 
ſolches Spiel nicht / alſo vnd ebener Geſtalt gefällt 
den Bawren / daß iſt / den verſtockten Suͤndern / 
nichts beſſers / als jhr Sackpfeiff der Etelkeiten. 
Sie ve rlaſſen fich auff jhren Adel / Reickthumb / 
Jugendt vnd Schönheit / verachten dar zegen die 

Lauten vnd Harpffen / das iſt / die Prodig vnnd 
Verkündigung deß Goͤttlichen Worts / vnnd 


wer 


Hirnſchleiffer. 409 
wer jhnen zunahe redet / oder ſie nur ein wenig auff 
den Fuß tritt / der iſt jhr abgeſagter Feind / vnnd 
wird verfolgt: Vnd man ſinge / man ſage / man gei⸗ 
ge / man pfeiffe oder ſchlage auff der dauten oder 
Harpffen der Warheit deß Goͤttlichen Worts: fo 
lieblich wie man immer woͤlle / fo bleiben fie doch 
bey jhrer elenden Leyren vnd Sackpfeiffen der Ey⸗ 
telkeit vnnd Gottloſigkeit / vnd geben dardurch zu⸗ 
verſtehen / daß ſie nicht Kinder Gottes ſonder 
deß Teufels ſeyen: Selig aber ſeyndt 
die Gottes Wort hoͤren vnd 
es bewaͤhren. Luc. 11. 


310 Hirnſchleiffer. 
Schuͤtzen. 


n 


— aa a 


Nerfchiedliche Vbungen werden in den Staͤt⸗ 

ten vnnd auff dem land angeſtellt: Dann junge 
ſtarcke deut lauffen zum Ziel / oder rennen mit Roſ⸗ 
ſen / vnnd wer das Ziel zum erſten erꝛeichet / der 
bringt das auffgeworffene Kleinot zuwegen: Ande⸗ 
re ſchieſſen mit Buchſen oder Bogen nach demiel / 
vnd wer zum naͤchſten zum Zweck ſcheuſt / der ges 
winnt Geiſtlicher Weiß bedeut ein folches Ziel 
oder Kleinot nichts anders als die ewige Seligkeit / 
nach dern wir Menſchen allhie auff Erden lauffen / 
rennen vnnd ſchieſſen: Wie aber viel Renner nach 
dem Ziel lauffen / vnd viel Schuͤtzen nach dem Ziel 
zielen vnd ſtechen / aber nur es einer trifft / alſo wolte 
gern 


Hirnſchleiffer. zu 


gern ein jeglicher das Kleinot der Seligkeit erlan⸗ 
gen / aber wenig vberkommen daſſelbig / wie zuſe⸗ 
hen an dem falſchen Propheten Balaam / der da 
fagte Num. 23. Mein Seel muß ſterben 
deß Todts der Gerechten. Dieſer ſchoſſe nach 
dem Ziel der Seligkeit / traffe es aber nicht / dann 
er beharꝛte in feiner Boßheit. Viel dergleichen 
boͤſe Schuͤtzen find man noch in der Welt: Dann 
der eine ſcheuſt vberauß / dem andern bricht der 
Bogen / der dritt thut im Anſchlag einen Schlipf⸗ 
fer / dem vierdten verꝛuckt der Stuel / dem fuͤnff⸗ 
ten geht das Ambroſt loß / ſo ers nur anruͤhret / 
dem ſechſten ſteckt das Ziel nicht gleicht / vnnd kan 
das Gemerck nit recht haben: Allzeit finden die 
Schuͤtzen ein Außred / dann diß / dann jenes / damit 
fie ſich außreden vnd jhren Glimpff erꝛetten moͤgẽ. 

Alle Menſchen wolten gern ſelia werden / aber 
wenig ſeyndt deren / ſo darnach trachten / vnnd ob 
ſie ſchon darnach trachten / ſo verfehlen ſie doch 
in ſolchen trachten / vnnd treffen das fuͤr ge⸗ 
ſetzte Ziel oder Kleinot der Perfection vnnd Voll⸗ 
kommenheit ( durch welche die Seligkeit erlangt 
wird) nicht: dann entweder zielen ſie nicht recht 
oder ſie halten viel zu niderig / oder zu hoch / oder 
es bricht jhr Anſchlag / oder es fällt jhnen ſonſt ein 
verhindernuß für / derowegen thun fie Jonathæ 
Schuͤß / vnnd tragen die Saw heimb / der Teuf— 
fel wirfft jhnen allzeit ein Verhinderung in Weg: 
Die fuͤnff Samuelis Soͤhn waren Schuͤtzen / 
vnnd zielten nach dem Ziel vnnd Kleinot der Se⸗ 
ligkeit / aber der Teuffel verblendte ſie W 

eitz 


412 Hirnſchleiffer. 


Geitz / dan ſie wahren Richter vnd regierten das 
Volck / aber ſie namen Geſchenck ein / vnd verkehrte 
das Recht / wie im erſten Buch der Koͤnigen am 8. 
Cap zu leſen. Salomon war ein guter Schuͤtz / aber 
der Teuffel legte jhm den Spiegel der Menſchlichen 
Gluͤckſeligkeit vnd Wolluſt in den Weg / vnd ver⸗ 
hinderte jhm ſeinen Schuß vnd Lauff / dan die 
Schrift ſagt von jhm Das Goldt ſambleſt 
du wie Meſſing / du haſt den Weibern dein 
Huͤfft geneigt. Cain war auch ein Schutz / vnd 
waͤre gern ſelig worden / aber der Teuffel warff jhm 
das Fewr deß Neydts im Weg / derowegen er⸗ 
ſchlug er ſeinen frommen Bruder Abel. Dergleichẽ 
begegnete auch deß Jacobs Söhnen / welche jhren 
Bruder Joſeph auß Neyd verhaſten vnd verkauff⸗ 
ten. Jene zween Richter waren Schutzen / aber der 
Teuffel legte ihnen das Fewr der Geilheit in Weg / 
vnd wolten mit der keuſchen Suſanna Vnzucht trei⸗ 
ben / ſeynd aber darüber vmkommen O wie viel fei⸗ 
ne Schuͤtzen ſitzẽ noch heutiges Tags auff den Rich⸗ 
terſtuͤlen / oder ſtehen auff der Cantzel / ſchicken ſich 
fein zü ſchieſſen / richten vnd predigẽ / aber das Fewr 
deß Geitzes / oder der Geilheit / welches in jhren 
Haͤuſern / das iſt / in jhren Seelen brinnt / vnd die 
Concubin / die ſie regieren / ſeyndt ein Verhinde⸗ 
rung / daß fie deß fuͤrgeſetzten wahren Ziels verfeh⸗ 
len / vnd an ſtatt deß Bravi oder Kleinots bringen 
fie die Saw davon. 

Wir alleſampt lauffen gleichſam im ſtadio oder 
Schrancken / oder befinden vns auffm Schießplatz / 
vnd es wird vns auch die Cron der ewigen Glory vñ 


Selig⸗ 


13 Oirnſchleiffer. 
Seligkeit verheiſſen / wofern wir das fuͤrgeſetzte 
ziel der Perfection vnnd Vollkommenheit redlich 
reffen oder erlauffen: Wie bey einem Schieſſen 
zicht einem jeden Kerl erlaubt vnnd bewilligt 
vird zuſchieſſen / ſondern nur etliche angenommen 
nnd zugelaſſen werden / alſo ſeyndt nur etliche 
onderbare Menſchen vorhanden / welche nach dem 
Ziel der Perfection vnd Vollkommenheit ſchieſſen / 
prind die Cron der ewigen Seligkeit zuerlangen 
ermeinen. 

Die erſten ſeyn die jenigen / welche gleichwot 
romb ſeynd / vnndreſpectu aliorum für fromb vnd 
vollkommen gehalten werden / allermaſſen wie 
Noe einer war / vnd võ jhm Gen. s gemeldet wird: 
Noe war vollkommen in ſeinem Geſchlecht / 
das iſt / nach Beſchaffenheit deren welche nit ſeines 
Geſchlechts waren / vnd von denẽ ſagt bie Schrifft: 
Da der Herꝛ ſahe / daß der Menſchen Boß⸗ 
heit groß war auff Erden / vnd alle Gedan⸗ 
cken jhrer Hertzen nur zum boͤſen geſchlagen 
waren / rewet es jhn. Die andern ſeynd die jeni⸗ 
gen / welche ſich eines gute Wandels befleiſſen / vnd 
weder jhr Gewiſſen beſchweren / noch ihren Naͤch⸗ 
ſten ärgern / nichts vngebuͤrlichs reden noch bege⸗ 
hen / ond ein ſtilles / nuͤchteres vnd andaͤchtiges Lebe 
fuͤhren / ein ſolcher vollkommner Mann war Abra⸗ 
ham / da zu jhm geſagt ward: Wandere vor mir / 
vnd ſey gere nt. Die dritte ſeynd die jenigen wel⸗ 

che alles abſagen / vnd ſich in etwa ein Religion bes 

gebẽ / vnd das Gluͤbd deß Gehoͤrſambs / der Keuſch⸗ 

heit vnnd Armut halten / oder doch ſich dete 
ei 


314 Hirnſchleiffer. 


fleiſſen: Von dieſer Vollkommenheit redet der Her 
Matth 19. als er ſagte: Wilt du vollkommen 
ſeyn / fo gehe hin / verkauff wz du haſt / vñ gibs 
den Armen. Die vierdten ſeynd die jenigen / wel⸗ 
che in allen Verfolgungen / Widerwertigkeiten / 
Pein / vnd Schmertzen / die begegnen jhnen gleich 
von Gott / oder vom Teuffel / oder von Menſchen / 
groſſe Gedult erzeigen / von dieſen redet der H. 
Jacobus in feiner Epiſt cap 1. Achtet es eitel 
Frewd / wann ihr in mancherley Verſuch⸗ 
ung fallet / vnnd wiſſet daß die Bewehrung 
ewres Glaubens Gedult wircket. Die fuͤnffte 
Art der Geiſtlichen Schuͤtzen ſeynd die jenigen / 
deren Verſtandt vermittelſt der Beharꝛligkeit der 
guten Werck / mit dem Liecht der Warheit erleuch⸗ 
et iſt / deren Will mit dem Affect der $teb entzuͤndet 
iſt / vnd deren Gedechtnuß in Gott beftendig-onnd 
lieblich ruhet. Dieſe Vollkommenheit aber beſtehet 
nit im Willen deß arbeitenden Menſchen / ſonder in 

der Gnad deß Allerhoͤchſten / dann der H. Geiſt iſt 

der jenig / welcher wehet wohin er will / wann 

er will / vnd wem er will. Dergleichen vollkom⸗ 

mene Schuͤtzen ſeynd wenig in der Welt / vnd ſeynd 

ſeltzame Voͤgel auff Erden. 


Weiter Erklaͤrung dieſer Matery. 


Hierauß erſcheint nun erſtlich / daß / gleicher 
Weiß: wie vnderſchiedliche Staͤnd in der Kirchen 
ſeynd / als nemblich der Weltliche vnnd Geiſtliche 


Stand 


Hirnſchleiffer. 315 


Stand / alſo werden von Chriſto ſelbſt alle vnd jede 
Chriſten ins gemein zur Vollkommenheit beruffen 
ond ermahnt / dann erſtlich bringts der Nahme 
Chriſt mit ſich / daß ſie das Joch Chriſti ſampt 
Vollzihung deß Evangeliſchen Geſetzes (inmaſſen 
ene erſte Chriſten gethan) tragen / vollziehen / vnnd 
ſich in allen Dingen / wie guten Chriſten gebuͤrt / 
pben/erzeigen vnd verhalten muͤſſen / die ſeyn gleich 
ledig oder verheurat / Geiſtlich oder Weltlichꝛdann 
N fernen Juͤngern ſagte er: Was ich euch ſag / 

das ſag ich alle miteinander Item ale er ſagte⸗ 
Wehe euch die jhr lachet / dann jhr werdet 


weinen vnd heuln. Hat er nicht nur die Muͤnch 
vnd Geiſtlichen allein / ſonder hat ins gemein ge⸗ 
redt / vnd die Weltlichen vnd gayen auch darunder 
verſtanden / wann dann dieſelbigen vermeinen wol⸗ 
len / ſie wollen ohn einige Muͤhe vnd Arbett / in 
gleichſam mit Stifel vnd Sporen (wie der Bawr 
ins Wirtshauß in Himmel kommen / wi he fie 
ſich vbel vnd ſcheußlich in die Backen hacken / vnnd 
deß Wegs verfaͤhlen: ſonder allen Menſchen ins 
gemein ond inſonderheit geburt / ſich der Volltom⸗ 
menheit zubefleiſſen / das Joch Chriſti zutragen / 
deſſen Geſetz Zuvollziehung durch den engen Weg 
in Himmel zugehen vnnd den weiten vnnd breiten 
Weg der Hoͤllen vnnd deß Verderbens zumeiden: 
Zumaln / weil Chriſtus ſelbſt ins gemein zu allen 

Noͤſckern geſagt ha Seit vollkommen te ewr 
Hit mliſcher Vatter vollkommen iſt. Daher 
ift ſichs hoch zuverwundern / daß etliche . 
O⸗ 


4:6 Hirnſchleiffer. 


fo vnverſchaͤmbt vnd vermeſſen ſeynd / vnd ſager 
doͤrffen / es gehe die Vnderweiſung der Geſetz vnk 
Verordnungen Chriſti vnd der Apoſteln nicht fie 3 
ſonder nur die Religioſen / Münch vnd Geiſtliche 
an / vnd ſeyen fie nicht ſchuldig dieſelbige zuhalter 
oder Rechenſchafft darvon zu geben: vnd dieſes ſa 
gen fie nicht allein / ſondern fie erzeigens auch in 
Werck vnd in der That / daher ſchlagen fie alle Ab. 
ſagung deß eignen Willens / alle Creutz ragung, 
alle Verachtung der Weltlichen Dingen / alle Abs 
toͤdtung jhres Fleiſches / vnd allen heiligen Wan 
del in Windt / als gehoͤrten ſolche Ding nicht zum 
Chriſtlichen $eben / Ampt vnd Beruff. Ja ſo gar 
verhaſſen ſie ſolche Ding / als waͤre es ein lautet 
Teuffels⸗Werck: Darneben begeben fie ſich auf 
den breiten Weg in dieſem Leben / trachten nur nach 
hohen Ehren / Aemptern / Herꝛſchafften Reich 
thumben / Guͤtern / Wolluͤſten / Freyheiten vnd gu⸗ 
ten Gelegenheiten / als waͤre es jhnen vonChriffe 
außtruͤcklich vnd mit Fleiß befohlen worden: Alſo, 
daß die Hoffaͤrtige / vbermuͤrige / wolluſtige / geile 
vnkeuſche / geitzige / tyranniſche / verſchwendliche, 
reichen ſelig ſolten vnd muͤſten werden: da doch das 
Gegenſpiel lauter vnd klar am Tag / vnd er den 
fleiſchlichen ſinnlichen vnd vnkeuſchen Menſchen 
die ewige Hoͤlliſche Quaal bedrohet hat. 

Begehren derowegen die Weltlichen vnd Leyen 
das Kleinot vnd die Cron der ewigen Seligkeit zu: 
erlangen / ſo muͤſſen ſie zuvor nach dem Ziel det 
Chriſtlichen Perfection vnd Vollkommenheit ziel 
ſchieſſen / vnd es treffen / dan ſonſten werden fie für 
loſe vnnuͤtze Schügen gehalten / vnd in der Hoͤlli 
ſchen Schul gepeitſchet werden. ol 


+ 


Hirnſchleiffer. 417 
Folgen die Geiſtliche Schuͤtzen / web 


che Religioſen genent wer den 


Was aber die andere Art der Schuͤtzen / nemblich 
die Geiſtlichen oder Religioſen belangt / ſeynd die⸗ 
ſelbigen zu einer viel groͤſſern vnd mehrern Vollkö⸗ 
menheit verobligiert vnd verbunden / dan nit allein 
ſeynd ſie ſchuldig in allen vnd jeden Dingen eben ſo 
wol als die Weltlichen die Chriſtliche Schuldigkei⸗ 
ten zuleiſten / jmmerdar zu betten / zuwachen / jhre 
eigne Seel voncChriſti wegen zuverhaſſe / ſein Creutz 
zutragen / jhnen ſelbſt abzuſagen / die weltliche 
Reichthumb vnd Guͤter zuverwerffen / Allmuſen 
zugeben / vnd das Reich Gottes mit Gewalt an ſich 
zuziehen / ſonder ſie ſeyndt auch ſchuldig vnd ver⸗ 
bunden jhre freywillt glich gethane Gluͤbd deß Ge: 
horſambs / der Reuſchheit vnd Armuͤth trewlich zu⸗ 
halten / vnd ſich mit allem Fleiß zubemuͤhen / nach 
der Vollkommenheit zutrachten / dan ſonſten wer 
kein ſolches Intent vnd Fuͤrſatz hat / der iſt kein 
wahrer Religioß / wan erſchon ein Kutten antraͤgt / 
vnd fuͤr einen Religioſen / Ehrwuͤrdigen Herꝛn ge⸗ 
ehrt vnd gehalten wird: Hat er aber den Fuͤrſatz / 
vnd befleiſſet ſich der Vollkommenheit / ſo iſt er ein 
wahrer Religioß: Noch beſſer aber vñ ſeliger iſt er / 
wan er die Vollkommenheit erreicht / die Heiligkeit 
ſeines debens vnd Wandels im Werd erzeiget / 
vnd beſtaͤndiglich darinn biß an das End behar⸗ 
seh. 

Hierauß erſcheint / daß in der Religion dreyerley 
Voll fommenheiten vorhanden ſeynd Die erſte be⸗ 


ſtehet 


318 Hirnſchleiffer. 


ſteyet in dem fleiffigen Fuͤrſatz vnnd der getrewen 
Nachſetzung: Die andere in der vnnachlaͤßlichen 
Vollziehung deren Dingen / ſo zu der Vollkommen⸗ 
heit gehoͤren: Drittens in deme / daß man ſich Gott 
dem Herꝛn allerding vnnd mit allen Kraͤfften erges 
ben / vnd jhm allein anhange. Das ſeynd nun die 
rechte vnd beſte Geiſtliche Schuͤtzen / vnnd weil ſie 
dieſer Geſtalt das Ziel der Vollfommẽ heit treffen / 
fo werden fie gekroͤnt werden mit einer doppelten 
Cron der ewigen Glory. 

Beſchließlichen bedeutet in dieſer Figur der 
Granatapffel der oben auff ein Stangen geſetzt iſt / 
nichts anders / als die jetzt offt beruͤhrte Cron / der 
ewigen Seligkeit / welche durch die Werd der Voll⸗ 
kommenheit ( feines wegs aber durch den todten 
Glauben erlangt wirdꝛdann wie der Granatapffel 
aͤuſſerlich ein rauhe / harte vnd bittere Rinden hat / 
inwendig aber ſehr ſuß iſt:alſo find man in der Kir⸗ 
chen viel Muͤhe / Arbeit / Bitterkeit vnnd Verfol⸗ 
gung / aber doch iſt fie inwendig voller Suͤſſigkeit / 
Lieblichkeit vnd Hoffnung der ewigen Glory: Wie 
der Granatapffel inwendig viel ſuͤſſe ordentlich ges 
legte Kern hat / alſo iſt die Kirch erfuͤllet aut vielen 
Kernen der Tugenden vnnd guten Wercken vnnd 
Verdienſten / daher wird jhr / wie dem Granatapf⸗ 
fel als dem Konig aller Aepffeln / ein Cron der ewi⸗ 

gen Seligkeit auffgeſetzt / vnd nur denen ge⸗ 

geben / die es verdienen / vnd das Ziel 
der Vollkommenheit am 
naͤchſten treffen. 


55 Ein 


Hirnſchleiffer. 419 
Ein Mann trägeinder Handt ein zerbroch⸗ 


17772 


— — N 
A Rtlich wird durch ein Rohr⸗Stab der Suͤnder 

bedeut / dann erſtlich / wie das Rohr ſeine Wuͤr⸗ 
tzeln im Koth vnd in der Feuchtigkeit / keines Wegs 
aber in der ſteifen Erde bekompt / alſo ſetzt der Suͤn⸗ 
der die Wurtzel ſeiner Intention oder lieb nicht ins 
Land der Lebendigen / ſonder in zergenglichen Din⸗ 
gen:vnd fi olches ift der Anfang alles Vbels / dann 
es heift: Sucher vor allen Dingen das Reich 
Gottes ꝛc. Zum andern iſt der Rohrſtab aͤuſſer⸗ 
lich ſchöͤn / inwendig aber holl vnd laͤr / alſo glantzet 
der Heuchler an, aber iſt er laͤr an 


Tu, 


420 Hirnſchleiffer. 
Tugenden / dann wie ein Rohr wird er vom Wind 
deß Affterꝛedens vnd Schmeichlens hin vnd wider 
bewegt. Drittens wird das Rohr von allen Win⸗ 
den hin vnd wider getrieben / alſo wird der Suͤnder 
von allen Winden der Verſuchungen bewegt. 
Vierdtens / wie das Rohr kein andere frucht bringt 
als ein lanuginem, oder Wull / alſo finde der Suͤn⸗ 
der letztlich in ſeinen Wercken kein einige Frucht / 
dann der Weiſe⸗man fügt in feinem s. cap Die 
Hoffnung deß Gottloſen iſt wie ein Diſtel⸗ 
baum / die der Wind zerwehet. Beſchließlich 
iſt das Rohr ſchwach / deromegen kan ſich niemand 
dran leinen / dann es bricht geſchwindt / vnd der 
Anleiner wird beſchaͤdigt: Wer derowegen ſich an 
ein Rohr leinet / zu dem kan geſagt werden / was 
zum Koͤnig Ezechia geſagt ward: Eſaiæ am 36. cap. 
Welches iſt die Hoffnung / auff die du dich 
verlaſſeſtꝰ oder auß weß Raht oder Staͤrck 
vermeſſeſt du dich / mir zu entboͤren? ſihe / du 
haſt dich auff dieſen zerbrochnen Rohrſtab 
verlaſſen / welcher einen jeglichen / der ſich 
dran leinet / in die Handt wird gehen. O 
ſterblicher Menſch / dein Lehen iſt nichts anders / 
als ein holes ſchwaches Rohr / was iſt das fuͤr ein 
Vertrawen / auff das du ſo ſehr thuſt bawen? ver⸗ 
meinſtu / du werdeſt den Todt niemals fehen ? du 
verlaͤſt dich gleichwol auff deine Reichthumb / Ge⸗ 
ſuudheit vnd Schoͤnheit / aber ſolches alles iſt nur 
einbawfaͤlliges zergaͤngliches Ding / vnd du ver⸗ 
ai laͤſſeſt 


Hirnſchleiffer. 421 
laͤſſeſt dich auff ein zerbrochenes Rohr / dann vnſer 
geben iſt durch die Suͤnd vnſerer erſten Eltern zer⸗ 
brochen worden / zuvor war es langwerend vnd bes 
ſtaͤndig aber nach der find iſt es ſterblich / ſchwach 
vnd bawfaͤll ig worden: wie ein holes Rohr betreugt 
es den jenigen / der ſich drauff verlaͤſt / alſo / daß das 
Leben ſelbſt ein Schwerd vnd Inſtrument deß To⸗ 
des iſt / je länger auch der Menſch gelebt hat / je we⸗ 
niger hat er mehr zu leben / vnd je naͤher gehet er 
zum Todt. 

Der Weiſe⸗Man ſpricht im 3. Capitel. Die 
Gerechten werden ſcheinen vnd glantzen wie 
die Fewrfuncken im Rohr. Die Gerechten 
vergleicht er den Funcken / von wegen der Klarheit 
der Tugendt vnd deß Fewrs der Goͤttlichen Keb: 
die Welt aber vergleichet er dem Rohr / dann wie 
das Rohr ſchoͤn vnd gruͤn / aber doch inwendig hol 
vnd laͤhr iſt / vnd von allen Winden bewegt wird / 
vnd zum bawen vntauglich iſt: alſo hat die Welt 
einen lieblichen Schein / aber ſie iſt voller Eitelkeit / 
vnd hat kein einige Beſtaͤndigkeit / dann all ihr Glo⸗ 
ry vnd Herꝛligkeit vergehet geſchwind / derowegen 
iſt der jenig je ein groſſer Narꝛ / der feine Hoffnung 
auff ein folches ſchwaches Fundament ſetzet vnd 
bawet ö 

Der Salomon ſpricht in feinen Sprüchen c. 25. 
Die Hoffnung auff ein Vngetrewen zur 
Zeit der Noth / iſt wie ein fauler Zan vnd 
ſchluͤpffender oder muͤder Fuß / vnd ver⸗ 
leurt fein Kleidt in der Zeit der Kalte: 


S als 


4¹¹ Hirnſchleiffer. 


als wolt er ſagen: Die jenigen / die ſich auff die fal- 
ſche vngetrewe Welt verlaſſen / ſeynd erſtlich wie 
ein fauler Zan im Mund hat / der darff kein Speiß 
darmit kewen / damit der Zan nicht zerbreche oder 
auß falle / oder einen groſſen ſchmertzen vervrſache. 
Zum andern ſeynd ſie wie einer / der einen muͤden 
Fuß hat / wer ſich aber auff denſelben zur Zeit der 
Flucht verlaſſen vnnd darauff ſtewren oder leinen 
wolte 7 der wird betrogen / dann er wird einen 
Schmertzen empfinden / vom Feind wird er ver⸗ 
folgt / bbereilt vnd ertapt. Drittens ſeynd ſie wie 
einer / der im Winter vnd in der Kälte ſeinen Rock 
oder Mantel verlohren hat / vnd ſich vorm Bnge⸗ 
witter nit vertherigen kan: Eben alſo ergehts dem 
jenigen / der ſein Hoffnung auff die vngetrewe fals 
ſche Welt ſetzet / welche keinem eintzigen Menſchen 
getrew iſt / vnd weder den Freunden noch Feinden / 
weder den reichen noch armen / weder den Ronigen 
noch Fuͤrſten / weder den Vnderthanen noch Schla⸗ 
ven Trawen vnd Glauben hält / ſondern betreugt 
alle mit jhren falſchen Verheiſſungen. Den König 
Darium hat ſie betrogen / der ſich an ff ſein groſſe 
Kriegs⸗Macht vnd Reichthumb verließ / vnnd iſt 
doch vom Alexandro Mägnd vberwuͤnden worden. 
Sie hat den lulium Cælatem Roͤmiſchen Keyſer 
betrogen / der hat ſeinen Feind bornpeiam vnd alle 
andere Monarchen vberwunden vnd auß dem Sa⸗ 
tel gehebt. Ob ſchon auch fe die Menſchen ein klei⸗ 
ne Zeit lang erhoͤhet / fo wirfft ſie doch letztlich die⸗ 
ſelbigen deſto ſchwaͤrlicher hinab in den Hölifchen 
Abgrund / allda ſie jhre eigne Vnwiſſenheit vnnd 
den Betrug der Welt erkennen vnd bekennen / . 
a muſ⸗ 


Hirnſchleiſſer. 413 
muͤſſen letztlich ſampt jenen / von denen der Weiſe⸗ 
Mann in feinem s. Cap. redt / wider jhren Willen 
ſprechen: Was hat vns genutzt vnſer Hoffart 
vundder Ruhm vnſerer Reichthumb? die 
Ding ſeyndt alle hingangẽ wie ein Schattẽ. 
Wie der jenig für einen Nanꝛen zuhalten waͤre / wel⸗ 
cher einen Schatten vmbfangen / vnnd vermeinen 
wolte / derſelb wäre ein Leib: Item / welcher den 
Wind verfolgen / vnd jhn an ſeinem ſchnellen Lauff 
verhindern wolte / alſo iſt der jenig je ein groſſer 
Narꝛ / der feine Augen von Gott vnnd den Himm⸗ 
liſchen Dingen abwendet / vnnd ſich zu dieſen baw⸗ 
fälligen vnd eyteln Dingen kehret / vnd zu wiſſent⸗ 
lichen befandten zuͤgen begibt. Alle Weltliche Ehr 
vnd Gluͤckſeligkeit iſt ein: bawfaͤlligen holen Rohr 
gleich / ob ſchon der Gott lo e zu ſeiner Seele ſpricht: 
Du haſt viel Güter auff viel jahr geſamblet. 
Ob ſchon er laͤnger lebt weder Sybilla / Neſtor / 
Enoch vnnd Helias / ſo wehret doch ſein Frewd 
nur ein Augenblick / ob ſie ſchon (wie der H. Job 
am 20. cap. ſaat:) Truminen vnnd Haryffen 
nemmen / vnd frölich ſeynd mit Pfeiffen / fo 

fahren ſie doch in einem Augenblick hinab 

zur Hoͤllen. 


(o) 


424 Hirnſchleiffer 
Ein Pellican ſambt einer Eu 
— >= — TE 


. — 
— = 


l. 
— 


Ge 


Wei etliche Menſchen betrachten / daß ſie nach 


ſeyndt / damit fie nach dieſem geben Inwohner def 
Himmels vnd Mitgeſellen der Engeln werden 
moͤgen / weil ſie ſich auch erinnern / daß ſie in dieſem 
Jammerthal / vnd in dieſer armſeligen Welt ſte⸗ 
cken / vnd auß jener allerhochſten Seligkeit vertrie⸗ 
ben ſeynd / ſo haben vnd empfinden ſie in dieſer 
Welt kein einige Frewd noch Wolluſt / dan dieſes 
gegenwertige leben iſt ihuen allerdings zuwider / 
derowegen ſprechen fie mit dem Elia im dritten 
Buch der Roͤnigẽ / am neunzehende Capitel. Es iſt 
mir 


Hirnſchleiffer. 425 
mir guug: Nimb nur mein Seel. Item 
ſumpt dem H. David in feinem 119. Pſalmen: 
Wehe mir / daß ſich mein bleiben vnd Wal⸗ 
fahrt verlängert hat? Ich muß wohnen vn⸗ 
der den Bürgern Cedar. 

Der Gottloß beklaget ſich vber die kurtze Zeit 
dieſes Lebens / aber der Gerechte beſchwaͤret ſich v⸗ 
ber die lange Zeit oder Verlaͤngerung deß Lebens. 
Solches aber iſt kein Wunder / dann der Gerechte 
eilet zur Belohnung / der Gottloß aber zur Straff: 
der Gerechte eilet zur Cron / aber der Gottloß 
zur ſchmach: Weil der Sünder zur hoͤlliſchen 
Sttaff verordnet iſt / fo beklagt er ſich / vnd es 
verdreuſt ihn / daß fein Leben fo kurtz vnd ge: 
ſchwindt vergehet / weil aber dem Gerechten das 
Lorber⸗vnd Palm⸗Kraͤntzlein deß ewigen Lebens 
bean / ſo halten ſie dieſes ſterbliche 
eben / vnangeſehen es kurtz iſt / fuͤr lang / berdrieß⸗ 
lich / vnd als ein exilium; daher entſchlagen ſie ſich 
der Welt⸗Haͤndel / vnd begeben ſich in die Eindd 
oder Einſame / vnd dienen da ſelbſt Gott dem Her⸗ 
ren / inmaſſen David gethan / als er im 101. Pfalm 
ſagte: Ich bin gleich wie ein Pellican in der 
Wuͤſte / ich bin gleich wie ein Nacht Rab 
im Gehaͤuſſe:ich hab gewacht / vnd bin wie 
ein einſamer Spatz auff dem Tach Erſtlich 
vergleicht der Heiliger David fie dem Pelican / 
der ein Symbolur oder Zeichen iſt eines Suͤnders / 
dann der pellican lieber die Einöden vnd Wuͤſten / 


vnd iſſet nichts anders als vergiffte Schlange Der 
S4 Suͤn⸗ 


416 Hirnſchleiffer. 


Suͤnder iſt ein ſolcher Vogel / der wohnet mit dem 
Hertzen in der Wuͤſte dieſes Lebens / vnd ſpeiſet ſich 
mit dem Gifft der Saftern vnnd Teuffliſchen Einge⸗ 
bungen / dann alle Wolluſt der Welt ſeynd je 
nichts anders als ein toͤdtliches Gifft / welches vns 
den Todt vervrſachet: Wie aber ein Pellican ein 
Zeichen deß Suͤnders iſt / alſo iſt er auch ein Eben⸗ 
bild eines bußfertigen Menſchen / dann man ſagt 
von jhm / er toͤdte ſeine Jungen / aber hernacher 
beklagt vnd beweint er ſie drey Tag / folgendts beife 
ſet er mit ſeinem eignen S hnabel in ſein Bruſt / 
laͤßt das Blut herauß / vnnd machet ſeine todten 
Jungen darmit widerumb lebendig: Der Suͤnder 
iſt der jenig / der wider ſich ſelbſt viel grauſamer iſt 
weder der Pellican / dann durch ſeine boͤſe Werck 
tödtet er ſeine eigne Seel / damit er aber fie wider⸗ 
umb lebendig machen moͤge / ſo iſts ein Notturfft / 
daß er ſich ſelbſt mit den Zaͤhern der Contrition 
beiſſe / vnd widerumb lebendig mache. O Suͤnder 
der du ſampt dem Pellican deine eigne Jungen ge⸗ 
toͤdtet haſt / fliehe vnd liebe ſampt jhm die Einoͤd / 
vnd mache ſie mit den Zaͤhren deiner Augen / ver⸗ 
mittelſt der Buß / widerumb lebendig / dann die 
Werck / welche durch die Suͤnd gerödt ſeynd wor⸗ 
den / werden durch die Buß widerumblebendig. 

O heilige Einöd vnd Einſame / O groſſe Heilig⸗ 
keit deß Cloͤſterlichen einſamen Lebens / du biſt viel 
herrlicher vnnd fuͤrtrefflicher weder eines Koͤnigs 
S tandt / dann der König heriſchet nur ober die 
Staͤtt vnd Menſchen / aber ein Solitarius ein Ein⸗ 
ſidler / ein Cloſter⸗Perſon beherꝛſchet ſich ſeloſt / vnd 
vber ſeine Anmuthungen. Das haben viel Weiche 
iche 


Hirnſchleiffer. 42 


liche Philofophi wol verſtanden / in deme ſie das 
gemeine leben verlaſſen / groſſe Koͤnigreich ver⸗ 
acht / ſich von aller Vnruhe der Staͤtt vnnd Regie 
menten abgeſondert / auffs Sand mit der Wohnung 
begeben / vnd ein baͤpriſches einſames Leben an ſich 
genommen. 

Der Athenienſiſche Fuͤrſt Pericles verließ ſein 
Fuͤrſtenthumb vnd Herꝛſchafft zu Athen / verfügte 
ſich in die Einoͤde / brachte ſein Lebẽ in einer ſchlech⸗ 
ten Huͤtten mit Ruhe zu / der Titul / welchen er 
4 1 fein Hauß⸗Thur ſchreiben ließ / lautet 
alſo: 


In veni portum, ſpes &. fortuna valete. 5 
O ſchoͤner Spruch. Gar wol wuſte dieſer Heyd / daß 
dieſe Welt nichts anders iſt / als ein vngeſtuͤmmes 
mit Syrtibus, Sirenẽ Seyllis, vnd Charibdibys ere 
fuͤlltes Meer / in deme viel Gefahr / Schiffbruch 
vnd Vngewitter ſeynd: Key ſer Diocletianus bes 


ging viel herꝛliche vnnd fuͤrtreffliche Thaten / vnnd 
erhielt viel Sieg wider feine Feindt / letzlichen aber 


reſignierte er das Keyſerthümb freywillig / vers 
fuͤgte ſich in ein kleines Dorff bey Solona, vnnd 
verzehrte daſelbſt fein Leben in aller Froͤligkeit: Er 
pflegte auch zu ſagen / man ſolte mit einem Keyſer 
billig ein Mitleiden tragen / aber einem Bawren 
neidig ſeyn. ö e g 0 
Die groſſe Gefahr der Welt erſcheint fuͤrnemb⸗ 
lich auß deme / weil Gott dem Abraham befahl / er 


ſolte auß feine dand / vnd auß feines Vatters Hauß 
gehen / vnd ſich in ein anders Land / welches jhm der 


Herꝛ zeigen wuͤrde / begeben / inmaſſen er dann ges 
than / das Abgoͤttiſche Chaldeiſche Land verlaſſen / 
S 5 vnd 


428 Hirnſchleiffer. 
vnd ſich in ein frembdes Sand begeben hat. Die 
Welt iſt das wahre Chaldeiſche Land / vnd iſt mit 
vielen Abgoͤttern / welche die Welt als einen Gott 
verehren vnd anbetten / erfuͤllt wer aber ſolches nit 
thut / vnd wer die Welt nit anbetten vnd verehren 
will / der wird von maͤnniglichen verlacht vnd ver⸗ 
folgt: Da fragte Abraham nichts nach / ſonder er 
verließ Chaldeam die Welt nit allein mit dem deib 
ſondern auch mit dem Gemüch/er flohe alle vrſach 
vnd anlaß deß boͤſen / er begehrte auch nicht wider⸗ 
umb in Chal deam zu kommen : allen Reli gioſis 
zum Exempel vnd Nachrichtung / wie vnd was 
Geſtalt ſie die Welt verlaſſen / vnd ſich in der Eis 
nöd der Religion verhalten ſollen: Dann es iſt nit 
gnug / daß einer die Welt / ſonder man muß auch 
weit von ihr fliehen / vnd alle anlaͤß vnd gelegen⸗ 
heit der Suͤnden meiden : dann etliche haben das 
anſehen / als verlaſſen ſie die Welt / fliehen aber nit 
weit von ihr / dann mit der dieb wohnen fie in der 
Melt / vnd ſeufftzen nach den weltlichen Eitelkeiten / 
ob ſie ſchon nicht in der Welt ſeynd / ſeynd ſie doch 
nahe bey der Welt / mit den Anlaͤſſen vnd gelegen⸗ 
heiten / widerumb in die Welt zu gehen / derowegen 
fliehet / wofern ihr euch begehret zu ſalviren / fliehet 
nit allein auß der Welt / ſonder fliehet auch von al⸗ 
len den Orthen die nahend bey der Welt ligen / flie⸗ 
het die Graͤntzen der Welt / fliehe der Weltlichen 
Geſellſchafft / vnd verbleib in deiner Einſame / nach 
Rath vnd dehr deß H. Joannis c 2. Habt nicht 
lieb die Welt / noch was in der Wert iſt / dan 
ſo jemand die Welt lieb hat / in dem iſt nicht 

die 


Hirnſchleiffer. 449 


dle Liebe deß Vatters. Dan Gott vnd die Welt 
ſeynd ein ander feind / vnd koͤnnen ſich nit mit ein⸗ 
ander vertragen / ihre Vbungen ſeind vnderſchied⸗ 
lich / vnd ihre lehr vnd Regel ſeyndt einander zu⸗ 
wider / wie kan dan einer vnder ihrer beyder Faͤhn⸗ 
lein ſtreiten; So folge derowegen O Religioſe dem 
Exempel deß Pellicans. 


Continuatio dieſer Matery von der 
Nacht ⸗Eul vnd dem Spatzen. 


Nun möchte aber einer ſprechent Wir koͤnnen 
vns nit alle miteinander ſampt dem Pellican in die 
Einöde begeben vnd die Welt verlaſſen / wir koͤnnẽ 
nit alle Carthaͤu ſer oder Einſidler werden / wir koͤn⸗ 
nen nit alleſampt Capuciner / Barfuͤffer / oder Je 
ſuiter ſeyn: Hierauff aber iſt die Antwort daß wir 
gar wol in der Welt vnd auſſerhalb der Welt ſeyn 
fönnen. Ob ſchon wir mit dem Leib in der Welt 
wohnen / ſo koͤnnen wir doch mit dem Gemuͤth im 
Himmel ſeyn / inmaſſen jener Bußfertige gethan / 
welcher / ob er ſchon mitten in der groſſen vnd volck⸗ 
reichen Statt Ba bel wohnte / wird er doch ein ein⸗ 
ſa mer Spatz genennt / ſintemaln er deß Volcks ge⸗ 
meinſchafft flohe / ſuchte die Einſame / vnd wartete 
der Contemplation ab / dann er ſprach: Ich hab 


gewachet / vnd bin worden wie ein Pelli⸗ 
can in der Wuͤſte. Er vergleicht ſich nicht allein 
dem Pellican der in der Einöd wohnet / vnd alle cõ⸗ 
verſationes fliehet: Item er vergleichet ſich auch 

S 6 der 


430 Hirnſchleiffer. 


der Nacht⸗Eulen / welche in den zerbrochnen Mau⸗ 
ren vnd in der Wuͤſte ihr Neſt machet: Item er 
vergleichet ſich auch dem einſamen Spatzen auffm 
Tach / dann ob ſchon der Spatz in den Staͤtten / all⸗ 
da viel Volcks vnd das Getuͤmmel der $eut ver: 
ſpuͤrt wird / wohnet / ſo iſt er doch einſamb / vnd fuͤh⸗ 
ret vnder dem Getuͤmmel deß Volcks ein abfon- 
derliches einſames Leben. Auff eben dieſen Schlag 
Können auch die Weltlichen / welche mit Welt⸗ 
Haͤndeln beladen / mit Weib / Kindern / vnd Hauß⸗ 
geſindt verſehen ſeyndt / gar wol in der Welt ein 
einſames vnd beſchawliches Leben führen / wofern 
fie ſich nur ein wenig ihrer weltlichen gefchäfften 
vnd ſorgen entſchluͤgen / zu Gott dem Herm gien⸗ 
gen / vnd dem Gebett bißweilen ein Stund oder 
zwo vnder Tags abwarteten. 

Ob ſchon der Koͤnig David mik dem Regiment 
feines Koͤnigreichs / vnd mit dem Kriegs weſen viel 
zu ſchaffẽ hatte / nichts deſto weniger fagte er: P. ya 
O haͤtt ich Flügel wie Tauben / daß ich flie⸗ 
ge vnd etwan ruhet / ſihe / ſo wolte ich mich 
fern hinweg machen vnd in der Wuͤſte blei⸗ 
ben Nit ohne vrſach begehrt er Tauben ⸗Federn / 
dann die Tauben ſeynd zamb / vnd ob ſie ſchon in 
den Haͤuſern wohnen / vnd Jungen ziglen / ſo haben 
ſie doch geſchwinde Federn / mit denen ſie in die Hoͤ⸗ 
he / vnd biß weilen in die Wuͤſte hinauß fliegen: E⸗ 
ben dieſes thate der H. Koͤnig David / dann ob er 
ſchon mit Königlichen gefchäfften beladen war / ſo 
verließ er doch bißweiln feine weltliche Geſchaͤffte / 
flohe mit den Geiſtlichen Federn in die Wuͤſte / vnd 

war⸗ 


Hirnſchleifferr. 43¹ 


wartete dern einſamen Leben vnd der hohen Con⸗ 
templation zu beſondern Zeſten vnd Stunden ab. 
Wofern die Fuͤrſten / Herin vnd Regenten dieſem 
Exempel nachfolgeten / vnd auß allen denen Stun⸗ 
den / die fie mit Spielen / Jagen / vnd andern Eytel⸗ 
feiten vnnuͤtzlich verzehren / taͤglich nur ein einige 
Stund erwoͤhlten / vnd dieſelbe zu GOtt vnd den 
Geiſtlichen Dingen verwendten / ſo wuͤrden ohne 
Zweiffel etliche nit ſo vermeſſenlich leben / noch oh⸗ 
ne alle Forcht Gottes die Armen vndertrucken / die 
Juſtici in ein Tyranney verkehren / vnd ein laſter⸗ 
hafftiges Leben führen / dann ein ſolches kurtzes 
Stuͤndl ein wuͤrde in ihnen vervrſachen ein Correc⸗ 
tion ihres gantzen lebens / vnd ein remedium vie⸗ 
les Boͤſens: gar wol koͤnten ſie ein weltliches Leben 
fuhren / vnd jhren Sachen abwarten / vnangeſehen 
ſie beynebens die Tauben⸗Federn der Contempla⸗ 
tion haͤtten 
Man lißt vom H. Daniel / er ſey in wehrender 
ſeiner Babyloniſchen Gefengnuß in ſein Kammer 
gangen / hab das Fenſter / welches gegen Jeruſalem 
gerichtet ward / auffgethan vnd ſey niderknyet / hab 
feine Arm vnd Haͤnd außgeſtreckt / vnd hab Gott de 
Heærꝛn taͤglich im Tag dreymal angeruffen vnd an⸗ 
gebetten / hergegẽ verſperꝛte er das Fenſter / welchen 
gegen Babel gerichtet ward / damit er von denPers 
ſianiſchen vnd Mediſchen Herm vnd Edelleuten in 
ſeinem Gebett nit verhindert würd. Wir alleſampt / 
vnd ſonderl ich wir Weltlichẽ ſeynd gleichſamb Ge⸗ 
fangne in der Babyloniſchen Gefaͤngnuß dieſer 
Welt behafft / vnd ſeynd mit vielen weltlichẽ Haͤnd⸗ 
len vnd Geſchaͤfften beſchwert / ſeynd gleichſamb ge⸗ 
S 7 fau⸗ 


432 Hirnſchleiffer. 
fangen / vnd mit eifenen ketten vnd fuß⸗eiſen der ſor⸗ 
gen angefeſſelt / aber doch fönten wir gar wol mitte 
in Babel ein Oratorium bawen vnd zurichten laſ⸗ 
ſen / gar wol koͤnten wir ein Stuͤndlein vnder Tags 
vnſern Welt⸗haͤndlen auß ſetzen / vnd mit Gott re⸗ 
den vnd ihn anruffen Eroͤffne das Fenſter/ ſagt die 
Schrift / welches gegen dem himliſchen Jerufalem 
gerichtet iſt: hingegen verfperie das Fenſter gegen 
Babel Aber leider / der weltlichen Rudıa vnd vbun⸗ 
gen beſtehen alle in deme / daß ſie die Fenſter / wel⸗ 
che gen Babel der welt ſchawen / eroͤffnen: Auß dem 
einen Senfter verehren vnnd betten fie die Reich⸗ 
tumb an / auß dem andern Fenſter ſpeculieren fie die 
Dignitaͤten vnd hohe Ehren / auß dem dritten be- 
ſchawen fie die weltliche frewd / wolluſt vnd zarthei⸗ 
ten / vnd trachten ihnen mit groſſem durſt vnd be⸗ 
gierd nach / aber das Fenſter / welches gen Jeruſa⸗ 
lem ſihet / vnd von dannen die himliſche Güter zu 
betrachten ſeynd / verſperien fie allzeit. Aber nit alfo 
O Menſch / nit alſo / ſonder eröffne das Fenſter Je⸗ 
ruſalems / vnd betrachte die himliſche beſtendige 
Reichthumb / die Gott der Hera bereitet hat allen 
den ſeinigen die ihn lieben: beſchawe nit die Statt 
Babel / vnd die falſche Welt / damit fie dich mit mit 
ihrem falſchen ſchein betriege / ſonder wende deine 
Augen der Contemplation zu jenem hoͤchſten Vat⸗ 
terlandt / allda der fried vnd die ruhe deß Gemuͤths 
vorhanden iſt / das gleich iſt dem einſamen Spatzen 
welcher / ob er ſchon auff den Taͤchern wohnet / doch 
ein einſams Leben fuͤhret / ſehr lieblich finger / mit 
feinem ſuͤſſen geſang die Menſchen erfrewet / vnnd 
feinen Erſchaffer ynnachlaͤß ich lobe. FR 


Hirnſchleiffer. 44 
Zwo Haͤndt blafen mit einem 
Blaßbalg ein rauchendes 


: ur 
Er&hrtöärbigeBedaötzehlt ein Krempel von 
einem Edelman / welcher im Geiſt verzuckt / vñ 

ihm in einẽ erſchroͤcklichen Thal viererleh brẽnen⸗ 

de Fewr gezeigt worden: Das erſte war das Fewr 
der kuͤgen / darin lagen vnd brieten die kuͤgner / dann 
die meiſten Menſchen halten vnd leiſten nit was ſie 

im Tauff verſprochen haben. Im andern lagen die 

Geitzhaͤlß / denen die zeitliche Reichthumb viel lie⸗ 

ber geweſt dan die Himliſche. Im dritten lagen die 

Ketzer / vneinige zancker / Haderkatzen / 1 5 

al⸗ 


Hirnſchleiffer. 434 


Balger / Rauber vnd Freybeuter: Im vierdten die 
Vnkeuſchen:wie derowegen die Vnkeuſchen allhie 
auff Erden in der ſchnoͤden dieb brennen / alſo werdẽ 
ſie auch in der Hoͤllen brennen vnd gebraten werden: 
Die ſes Fewr der ſchnödẽ dieb entzuͤndt gleichwol der 
Menſch in jhm ſelbſt / vermittel ſt deß Fraſſes vnd 
beywohnung der Weiber / aber doch pflegt der Teuf⸗ 
fel es fuͤrnemblich anzublaſen / vnd im Menſchen 
zuentzuͤnden vnd zuerhalten / wie Eſaias im 4 
cap ſagt : Sihe ich hab den Schmidt ge- 
ſchaffen / daß er die Kolen im Fewr anblaſ⸗ 
fl u 4 
Artlich wird ein Vnkeuſcher dem Fewr vergli⸗ 
chen / dan wie auß dem Fewr der Rauch gehet / vnd 
die Augen verblendet / alſo erfolgen auß der Vn⸗ 
keuſchheit der Rauch vnd die Finſternuß deß Ver⸗ 
ſtandts dermaſſen / daß der Menſch die Gefahr fere 
ner Seelen nicht ſihet. Derowegen ſtehet geſchrie— 
ben: Ihre Weg muͤſſen finſter vnd ſchlipffe⸗ 
rig werden Das verſtund Ariſtoteles als er fagtes 
Die Venus ſtillt dem Weiſen ſeinen Verſtandt. Wer 
war weiſer als Salomon ? aber die frembde Weis 
ber machten jhn zu einem Narꝛen / dan ſein hocher⸗ 
leuchter Verſtandt ward durch den Rauch der Geil⸗ 
heit dermaſſen verfinſtert / daß er ſeinenConcubinen 
zugefallen / fonderbare Altar bawen ließ: viel dere 
gleichen weiſe vnd gelehrte S⸗lomones findt man 
noch / welche zu dieſem Fewr der ſchnoͤden Sieb’ gar 
zu nahe hinzugehn / vnd ſich ſcheutzlich verbrennen / 
auch von demſelben Rauch dermaſſen ſchwartz vnd 
naͤrꝛiſch 


Hirnſchleiffer. 435 


naͤrriſch werden / daß fie jhren Fetlen in allen vnd je⸗ 
den Dingen grhorſamen vnd folgen muͤſſen / vnd 
ſampt dem H. David gar wol ſprechen koͤnnen: 
Meine Lenden ſeynd erfuͤllt mit Betrug / 
vnd kein Geſundheit iſt in meinem Fleiſch. 
Nicht allein verzehret dieſes Fewr deß Menſchẽ 
Verſtandt / ſondern auch ſeinen Leib / dan (wie Job 
ſpricht: Es iſt ein Fewr / welches alles auß 
den Grund hinweg friſt. Dieſes Fewr ſagt nie⸗ 
maln ſufficit, es iſt gnug:ſonder alles was jhm fürs 
kompt / das verzehrt es / vnd verkehrts in Aſchen. 
Alles Gold in Arabia / alle Reichthumb Crœeſi, vnd 
alle Schaͤtz Aydæ werden durch die Buler in den 
Flammen Veneris verzehrt. Man findt dermaſſen 
geltgeitzige Leuth / daß fie von eines einigen Kreu⸗ 
tzers wegen jhr deben in Gefahr ſetzen / aber wan fie 
das Fewr Cupidinis oder Veneris vmbfangt / als⸗ 
dan ſeynd ſie viel milder vnd freygebiger weder A⸗ 
lexander der groß. Etliche Laſter benemmen dem 
Menſchen ſeine Güter / aber doch kan er fie wider⸗ 
vmb gewinnen vnd auffkommen Ein Spieler ver⸗ 
ſpielt alles was er hat / gewinnet abet bißweiln al 
les wider / vnd wird reich / aber das Laſter der Vn⸗ 
leuſcheit verzehrt alles biß auff dẽ Grundt / kein Nas 
gel bleibt in der Wand / vnd kein Feder im Beth: 
Reich gienz der verlohrne Sohn auß ſeines Vat⸗ 
ters Hauß / aber die Fetlen nahmen vnd rufften jhm 
ſein gantze Subſtantz / vnd machten jhn dermaſſen 
arm / daß eꝛ der Sam⸗Kleyen nicht gnug zueſſen v⸗ 
berkommer koͤnte / dieſes Fewr ſtuͤrtzt die Seelen in 
die Hoͤll / vid wirfft den Leib in Spital. 
Plu- 


436 Hirnſchleiffer. 


Plutarchus ſchreibt / es ſey nirgendts anderſtwo 
ls zu Rom in der Veneris Tempel die Todten⸗ dei⸗ 
lacher feil geweſen / vnd ob ſchon viel gaſſen zu Rom 
waren / in denen allerhandt Zeuch vnd e inwaͤd ver⸗ 
kaufft ward / fo fand man doch die Todten⸗Leilacher 
nirgendts anderſtwo / als eben in der Kirchen Vene⸗ 
ris, zur Anzeig daß der jenig / der zu der Veneris 
Tempel Kirchfahrten gehet / nichts anders kauffe / 
als Todten⸗Leilacher / vnd daß der Menſch durch die 
Bulerey dermaſſen arm vnd elend werde / daß er in 
dem Spital oder auff der Gaſſẽ ſtirbt vnd verdirbt. 
Weil dan dieſes Fewr ſo gefärlich vnd ſchaͤdlich iſt / 
ſo haben vor Zeiten die Roͤmer das Veſtaliſche 
Jungfrawen⸗Cloͤſter gebawet / darein begaben ſich 
die jenigen Maͤgdlein / die verlobten jhre Keuſchheit 
vnd Reinigkeit / ond verzehrten alſo jhr Leben. Kei⸗ 
ner andern Vrſachen halben ſehnd auch vnſere jetzi⸗ 
ge Stifft vnd Cloͤſter gebawet worden / als / damit 
die Ordens⸗Perſonen Gott dem HErꝛn in aller 
Keuſchheit vnd Reinigkeit deſto beſſer dienen / vnd 
vor dem ſehnoͤden Fewr der Geilheit verſichert ſeyn 
moͤgen:das verdreuſt aber dem Teuffel vber alle 
maſſen / daher blaſt er dermaſſen hefftig vnd ſtarck 
indieſes Fewr / das die Funden faſt vberall / vnd fo 
gar in die Cloͤſter fliegen / vnangeſehen die Mau⸗ 
ren noch fo hoch / vnd die Clauſutæ noch fo fleiſſig 
verſperit ſeynd. 

Die Alten mahlten dem Cupidini ein brennen⸗ 
de Fackel in die Handt / dan der Kinder Gebrauch 
iſt / daß ſie / wan ſie die Fackeln auß loͤſchen woͤllen / 
buran blaſen / je mehr fie aber darein blaſen / je mehr 
brinnt die Fackel. Dieſes iſt nun der Betrug der 

Buler 


Hirnſchleiffer. 437 


Buler / daß / je mehr fieder diebe einen Wind mach? 
en / je ſtaͤrcker vnd heftiger brinnt fie. Der Pell ican 
macht ſein Neſt nit auff die hohe Baͤum oder Fel⸗ 
ſen / ſondern in die nidrige vnd ebne Ort / daſelbſt 
legt er feine Eyer hin vnd bruͤtet ſie nuß: Wan als⸗ 
dan die Hirten ſie fahen woͤllen / ſo machen ſie ein 
Fewr vmb das Neſt herumb / vnd zuͤnden es an / 
damit aber der Pellican ſich vnd ſeine Jungen vor 
dem Fewr erꝛetten moͤge / fo ſchwingt er feine Fluͤ⸗ 
gel / vnd vermeint damit das Fewrzuloͤſchen vnd ab⸗ 
zutreiben / aber je mehr er ſeine Fluͤgel ſchwinget 
vnd Wind machet / je mehr zuͤndet er das Fewr an / 
vnd wird dardurch ſampt ſeinen Jungen verbrent 
oder gefangen. O ſchoͤnes Hieroglyphicum einer 
verliebten Seelen? dieſelb legt die Eyer jhrer Ver⸗ 
langen vnd Begirden in die Seel / dan die Hoffart 
will allzeit vberſich ſteigen / vnd vnderſtehet ſich mit 
den Federn jhrer Hoffart / die Hoͤhe deß Himmels 
zu durchdringen / aber die Vnteuſchheit neiget ſich 
allzeit zu der Erden / daſelbſt niſtet ſie / vnd machet 
ſich dem Vieh gleich / dan ſo lang die fleiſchliche 
Wolluſt wehret / ſuſpendiret der Verſtandt feinen 
Diſcurs: Ein Vnkeuſcher hat Gemeinſchafft mit 
Vnkeuſchen / derowegen machet er ſein Neſt in der 
Erden / daſelbſt leget er feine Eyer hin vnd bruͤtet 
ſte auß: wan als dan der Teuffel ſihet / daß ſie groß 
werden / vnd daß der Menſch anfahet in die boſe 
Verlangen zubewilligen / alsdann ſchleicht er her⸗ 
zu / ſchuͤret das Holtz / vermehret den Scheiter⸗ 
Haufſen / vnd zuͤndet das Fewr an: Wan als dann 
das Hertz empfindet / daß es brinnt / ſo ſuchet es 
Hulff / vnd machet dem Fewr einen Wind / dae 
eiſſet 


438 Hirnſchleiffer 
fleiſſet ſich das Fewr / vermittelſt der Erfuͤllung ſei⸗ 
ner Begirden vnd Verlangen zu löfchen / aber es 
wird dadurch nur deſtomehr entzuͤnd / die Fe⸗ 
dern der Tugenden werden verbrennt / vnd die 
Seel wird dem Feind zum Raub. 

Ferner brauchten die Alten zu einem Hierogly- 
phico das Kraut Sardonia, daſſelbe hat einen ſehr 
füffen vnd lieblichen Geſchmack / iſt aber dermaſſen 
vergifft vnd ſchaͤdlich / daß der jenig / der es iſſet im⸗ 
merdar lachen / vnd lachend ſterben muß. Die Boͤß⸗ 
heit Cupidinis oder der ſchnoͤden dieb richtet den 
Menſchen dermaſſen zu / daß er lachend ſtirbt / dau 
er brinnt / vnd machet doch beynebens der Flammen 
einen ſtillen Wind. Dieſer Geſtalt iſt beſchaffen die 
ſchnöde dieb / allzeit brinnt ſie / wie die Schlang / 
welche / wan fie den Menſchen gebiſſen hat / ver⸗ 
vrſachet / daß er einen vnaußlöͤſchlichen Durſt ve 
berkompt / vnd daruͤber ſtirbt / dan kein Waſſer 
kan feinen Durſt loͤſchen / ſondern vermehrt jhn 
jmmerdar: eben alſo thut die ſchnoͤde Lieb / dan 
mit einem vnleidlichem Durſt toͤtdet ſie / vnd 
je mehr die Waſſer deß Wolluſts wachſen / vmb 
go viel deſtomehr wachſen jhre Verlangen vnd 
3 vnd benemmen dem Menſchen das 

eben. 

Fuͤrnemblich aber blaͤſet der Teuffel ſtarck zu / 
wan ein par Ehevolck zuſammen kompt / welche ein⸗ 
ander von wegen der Begird vnd Vnkeuſchheit neh⸗ 
me / aber ſolches Fewr der lieb wehret nicht laͤnger / 
alslang das Hochzeit Brod wehret / darnach iſt es 
auß / vnd werden einander ſpinnenfeind / vnd muß 
alsdan der Viſchoff ein diyortium machen / 15 
ie 


Hirnſchleiffer. 439 


fie von einander ſcheiden / ſintemal nicht Gott / ſon⸗ 
der der Teuffel ſie zuſammen gefuͤgt hat. Beſchliß⸗ 
lichen blaͤſet vnd ſchuͤret auch der Teuffel das Fewr 
der ſchnoͤden Lieb bißweilen in den Cloͤſtern ſtarck 
zu / wan nemblich fein gnugſameClauſur gehalten / 
vnd das Fewr vnd Stroh nicht fleiſſig von einan⸗ 
der adgeſondert wird: Nicht weniger auch auff den 
Schloͤſſern / wan nemblich der Knecht mit der Kel⸗ 
lerin / ja bißweiln die Fraw mit dem Schreiber / vnd 
der Juncker mit der Beſchlieſſerin für gut nimbt / 
vnd ſie einander reitzen vnd traͤtzen. Wer derowegen 
Zucht vnd Erbarkeit im Hauß begehrt zuerhalten / 
der trawe ſeinem Geſind vnd Weib nicht gar zu⸗ 
wol / dan die Knechte / welche den Stall miſten / o⸗ 
der die Schuͤſſeln in der Kuͤchen waſchen / ſeynd 
bißweiln viel gefaͤhrlicher dan die Schnaphanen / 
welche auff der Gaſſen gehen / vnd die Haar buͤffen 
vnd hoffieren. 

Von dieſem Fewr Cupidinis redet Auguſtinus 
vnd ſpricht: Vnder allen Streitten der Chriſten / 
ſeynd die Streit der Keuſchheit die allerhaͤrteſte / 
dan in der ſelben ſtreittet man taͤglich / aber ſelten v⸗ 
berwindet man. Wer dero wegen dieſen Feindt be⸗ 
gehrt zuvberwinden / der muß erſtlich ſich verhaltẽ / 
allermaſſen wie man ſich in Söfchung eines Fewrs 
ver haͤlt / dan wan ein Fewr kein brennende Matery 
hat / ſo wirdts von jhm ſelbſt geloͤſcht / aber in etli⸗ 
chẽ Men ſchen find mã ein Matery / welche das Fewr 
in jhnen ernehret / wie zuſehen iſt an den Jungen 
Geſellen vnd wolluſtigen Maͤnnern / in denfelbige 
wird ſolches Fewr ſchwaͤrlich vnd mit groſſer Muͤhe 
geloͤſcht / vnd zwar erſtlich nur durch die Sb de 

N» 


449 Hirnſchleiffer. 


Compunction / Andacht vnd Mortification: zun 
andern / durch Fliehung vnd Meidung der nerdäch: 
tigen Converſatton / Beywohnung / Gemeainſchafff 
vnd verdaͤchtigen Geſellſchafft: Dan wie die Tar⸗ 
tern vnd Parthier auff jhren Pferden vorm Feind 
fliehen / vnd doch darneben mit jhrem Bogen⸗Ge⸗ 
ſchuͤtz den Feind hinderwerts vbel beſchaͤdigen / alſo 
muß man das Fleiſch vnd Weiber⸗Geſellſchafft 
fliehen / damit man nicht von den Pfeilen Veneris 
geſchoſſen vnd getoͤdt werde: Wilſtu der Welt ob: 
ſiegen / ſo fliehe ſie an allen Orten: Wilſt du das 
Fleiſch vnd Weib vberwinden / vnd von jhnen nicht 
vberwunden werden / ſo ſondere dich von jhnen ab / 
vnd fliehe von jhnen wie vorm lebendigen Fewr 
dan es iſt vnmuͤglich / daß der in den Flammen Ve— 
neris vmbgehe / vnd doch nicht verbrennt werde. 
Drittens wird das Fewr geloͤſcht durch die Abſti— 
nentz / Maͤſſig⸗ vnd Nuͤchterkeit / dan Freſſen vnd 
Sauffen machet nur den Leib gumpen vnd geiln. 
Beſchließlichen wirds geloͤſcht durchs taͤgliche Ges 
hett / wan ein Hauß anfahet zuverbrennen / vnd die 
Inwohner der Haußthuͤr nicht erseichen foͤnnen / 
ſo lauffen ſie zu den Fenſtern / ſchreyen vnd ruffen 
zu den Nachbarn vmb Huͤfff / damit fie nicht zu 
ſampt dem Hauß verbrennen: Alſo / damit ein Vn⸗ 
keuſcher nit ſampt Leib vnd Seel verbrenne / ſo muß 
er durch die Fenſter deß Mundts hinauff gen Him⸗ 
mel zu Gott ſchreyen / vnd thun wie jener Einſidler / 
welcher / als er den Stachel deß Fleiſches empfandt / 
kniete er vor einem Crncifix nider / bettet vnd ſprach: 
Hegg / die Erd meines Hertzens die ich von dir 
hab / kan ich länger nicht tragẽ / aber du bechüe, 1 
Vei 


Hirnſchleiffer. 441 


Weil auch die Fetlen tieffe Gruben ſeynd /darinn 
viel Maͤnner erfauffen vnd vmbkom̃en / fo muß der 
Concubinarius oder Buler gleichfals ſampt dem 
H. David zu Gott ſchreyen: Pfal. 29. Auß der 
Tieffe ruff ich HErꝛzu dir / HErꝛ erhoͤr mein 
Stimm. 

Beſchließlichen hielten die Chaldeer das Fewr 
für ihnen GoOtt / vnd trugen es bißweilen hin vnd 
wider vmb / damit es von den Goͤttern aller anderer 
Provintzen für einen GOtt gehalten würde: Weil 
dan ſolche Goͤtter der frembden Provintzen auß 
Ertz / Silber / Holtz vnd Stein gemacht waren / fo 
wurden ſie vom Fewrigen Gott leichtlich vberwun⸗ 
den / derowegen war es ein Notturfft / das das Fewr 
geloͤſcht wurde: Nun war ein Egyptiſcher Prieſter 
Canopus genant / vorhanden / der nam einen groſ⸗ 
fen Waſſerkrug / ließ ihn mit Waſſer anfuͤllen / die 
Loͤcher mit Wachs verſtopffen / mit allerley Farben 
anſtreichen vnd neben den Gott deß Fewrs ſtellen: 
Die Chaldeer ſtunden rund herumb / das Fewr wird 
angezuͤndt / das Wachs / mit welchem die doͤcher ver⸗ 
ſtopfft waren / zergehet / der Haffe fahet an zuſchwi⸗ 
tzen / das Waſſer rinnt herauß vñ loͤſchet das Fewr. 
Dieſer Geſtalt vberwindet der liſtige Prieſtex Ca- 
nopus die Chaldeer / vnd von derfelben hero ward 
nicht das Fewr / ſonder das Waſſer fuͤr einen Gott 
verehrt: Das Fewr der ſchnoͤden dieb wird von den 
Vnkeuſchen gleichſamb fuͤr einen Gott verehrt / vñ 
fie vermeinen / es koͤnns die Reuſchheit nicht erhalten 
noch vberwunden werden / aber doch wirtds geloͤſcht 
vnd vberwuaden durch das Waſſer der Contrition / 


der 


1 


442 Hirnſchleiffer. 


der Zaͤher / deß Faſtens / Bettens vnd Abtöͤdtun 
deß Stel alten e 3 


Ein Eſel ſtehet auff zween 


EZußerzog von Maylandt hatte etnen altẽ wol⸗ 


er: Hieber Meiſter / du haſt mir lang vnd trewlich 
gedient / derowegen begehre etwas von mir / ſo will 
ich dirs geben: der Koch antwortet: Ich begehre 
nichts anders / als daß jhr mich zu einem Eſel oder 
zu einem Narꝛen machet. Der Furſt ſprach: war⸗ 
umb? Der Koch antwortet: Weil euch die er 
Nax⸗ 


Hirnſchleiffer. 443 


Narꝛen lieb ſeynd / dan die Eſel erhoͤhet jhr vnd 
ſtellet fie auff Poͤlſter / vnd machet fie groſſen Herꝛn / 
vnd den Narren vnd Poſſenreiſſern ſchencket jhr 
Guͤldene Ketten vnd die koͤſtliche Kleider. Vielmals 
werden die Dignitaͤten den Vnwurdigen vnd Idt⸗ 
oten verliehen / der menſchliche Favor erhebt ſie / 
vnd ſetzet ſie auff weiche Kuͤß vnd Polſter / das be⸗ 
weinet Jeremias vnd ſpricht: Die Wald⸗Eſel 
ſtunden auff den hohen Buͤheln / vnd ſchnap⸗ 
ten nach dem Lufft gleich als die Drachen: 
Der Drach iſt ein ſehr hitziges Thier / damit de⸗ 
rowegen er ſich ertuͤh len moͤge / ſo brauchet er nicht 
allein das Waſſer / ſonder zeucht auch den kufft an 
ſich / vnd fleuhet derowegen mit ſeinen Federn oben 
auff die Steinklippen vnd hohe Berg / vnd wird da⸗ 
ſelbſt durch anſich⸗ziehung deß Luffts erquickt. Daß 
nun die Drachen auff hohe Berg ſteigen / vnd den 
Lufft an ſich ziehen / iſt ſolches kein Wunder / dan ſie 
haben Federn vnd koͤnnen dorthin fliegen / aber ein 
Wunder vber alle Wunder iſts / daß die Wald⸗E⸗ 
ſel / welche feine ſolche Flügel vnd Geſchwindigkeit 
haben wie die Drachen / dorthin ſteigen vnd den 
Lufft an ſich ziehẽ. Daß auffrechte / redliche / gelehr⸗ 
te / erfahrne / tugentſame vnd qualificierteperſonen 
zu den Dignitaͤtẽ vnd Aemptern gezogen vnd befuͤr⸗ 
dert werden / iſt ſolches billig vnd recht: daß aber die 
Idioten vnd vngeſchickte Eſel mit beneficiis vnd 
Hochheiten verſehen werden / ſolches iſt je ſeltzam / 
was thut aber nicht der Favor vnd das Gold? O 
groſſe Macht vnd Krafft deß Goldts? auß Eſeln 
macheſt du Edelleut vnd Beampten. O Guldine 


T vnd 


444 Hirnſchleiffer. 


vnd koͤſtliche Welt / billig kanſt du anjetzo guͤldin ge⸗ 
nennt werden / dan gie Ehr vnd Aempter ſeyndt 

vmbs Goldt feil / vnd werden den Eſeln zutheil. 
Wer einem Eſel ein Bein vnd dem Hund ein 
Buͤſchel Stroh zu freſſen gibt / der gibt dardurch zus 
verſtehen / daß er nicht faſt geſcheit ſey / dan was dẽ 
einen gebührt vnd wolanſtehet / das gibt er dem an⸗ 
dern: alſo vnd ebner Geſtallt iſts je ein groſſer Vn⸗ 
verſtandt wan man den gelehrten vnd geſchickten 
Perſonen ein Buͤſchel Hew oder Stroh / das iſt ein 
ſchlechte ſpoͤttliche Vnderhaltung / aber den Idioten 
vnd Ignoranten das Bein / darinn ein gutes Marck 
ſteckt / gibt. Es iſt gleichwol kein Wunder / daß die 
Eſel auff Polſter geſetzt werden / dan man pflegte 
vor Zeiten ſie zur Zeit deß Feſts Neptuni eben ſo 
wol als die Roß mit Blumen zukroͤnen / ſintemal ſie 
zum menſchlichen Nutz arbeitfame Thier ſeynd / vnd 

doch nicht mit Blumen / ſondern mit Bruͤgeln 
gekroͤnt werden / villeicht aber von 
wegen jhrer Faulheit. 


0% o v0 


7 


Hirnſchleiffer. 445 


Einer traͤgt ein Kron in der 
Hand. 


De alten Romer pflegen die Tugend vnd Ehr / 
als Götter zuverehren / vnd jhnen zwo Kirche 
zubawen / vnd ward die eins die Kirch der Muͤhe / 
Arbeit vnd Tugendt genennt / vnd in der ſelben hin⸗ 
gen die Wapffen der Tugendt an der Wandt / nem⸗ 
lich Schwerdter / Spieß / Schildt / Pantzer vnd 
Harniſch. Die anders war die Kirch der Ehren / vnd 
dieſelb war mit Palmen / orberkraͤntzen / Tiumph⸗ 
Waͤgen / vnd andern dergleichen Dingen / ſo zu der 
Ehr gehoͤren / geziert. 


T 2 Dieb 


446 Hirnſchleiffer. 


Dieſe beyde Kirchen aber waren dermaſſen diſpo⸗ 
nirt vnd geordnet / daß niemãd in die Kirch der Eh⸗ 
ren kommen fondte / wofern er nicht zuvor durch die 
Kirch der Muͤhe vnd Arbett gangen waͤre. Gar wol 
wuͤſtẽ die Heyde / daß nur denen die Belohnung vñ 
Ergetzlichkeit gebuͤhre / welche ſich der Tugendt mit 
Muh vnd Arbeit befleiffen. So dan zu Erlangũg der 
zeitlichen Ehr die Tugend vorher gehe muß / vm wie 
viel mehr ſoll dan ſie vorher gehen / zu Lrlägung der 
Himliſchen vnd Ewigen Glory / mit dern Gott die 
Gerechten oben im Himmliſchen Pallaſt begnaden 
wird'zumaln weil geſchrieben ſtehet: Es wird keiner 
gekröͤnet / der nicht zuvor wider den Feind zu Feld 
zeucht / mit jhm kaͤmpffet / vnd jhn vberwindet. 

In Gottes Tabernackel waren zween ſehr kuͤnſt⸗ 
lich gemahlte Altaͤr / der eine war allzeit naß vo m 
Blut / der ander aber nit: auff dem erſten wurdẽ aller 
hand Thier / Schaf / kaͤmmer Ochſen vnnd Kaͤlber 
geſchlachtet / derowegen ward auff demſelben allzeit 
das Blut vnnd die Inſtrumenten geſehen die zum 
Opffer gehoͤrten Auffm andern Altar / der im Hei 
ligthumb ſtund / ward nichts dergleichen geſehen / 
ſonder es war daſelbſt die auch deß Bunds mit zweẽ 
Seraphinen bedeckt vnd verwahrt / Item das guͤl⸗ 
dine bropitiatorium vnd groſſer Fried vnd Sicher⸗ 
heit: dermaſſen aber war ſolches alles diſponirt vnd 
geordnet / daß man zum andern Altar nit kommen 
konte / wofern man nit zuvor durch den erſten gangẽ 
war: auff ebẽ dieſen ſchlag gelangt man nicht zu der 
ewigen Ruhe vnd Sicherheit / die vns in der Glory 
verheiſſen wird / es ſey dann durch Blut / Muͤhe / 
Arbeit vnnd Verfolgung der Feinde. Ein groſſe 

Truͤb⸗ 


Hirnſchleiffer. 447 


Truͤbſal iſts / welche die Gerechten in dieſem Leben 
außſtehem / allda ſie mit Muͤhe vnnd Arbeit veriert/ 
vnd vom boͤſen Feind / vom Fleiſch vñ von der Welt 
vielfältig verſucht vnnd angefochten werden. Ein 
groſſe Truͤbſal iſts / wann Gott die Außerwoͤhlten 
im Ofen der Truͤbſaln / wie ein Goldt / probiert: 
Wie ein Goldſchmidt das koͤſtliche Goldt in den 
Ofen wirfft / nicht in Meinung / es zuvertilgen / 
ſonder zu reinigen / wie ers auch mit dem Hammer 
ſchlaͤgt / nicht in meinung es zu brechen / ſondern 
ein Kron darauß zu machen: Alſo bewilligt Gott / 
daß der Gerechte verſucht vnnd angefochten werde 
mit viel Muͤhe vnd Arbeit / damit er jhme abziehen 
möge was jrꝛdiſch vnnd weltlich iſt / daß dem aber 
alſo / ſo gibt Eſaias cap 62 hiervon Zeugnuß / vnnd 
ſagt: Du wirft ein Ehrenkron ſeyn in der 
Hand deß Herzen / vnnd ein Koͤniglicher 
Krantz in der Hand meines Gottes. Mann 
wird dich nimmer ein verlaßne heiſſen / vnnd 
dein Sande nimmer verwuͤſtet nennen / ſon⸗ 
der man wird dich nennen: Mein Will in 
ihr. Wol zu mercken iſts / daß er nicht ſagt / der Ge⸗ 
rechte werde ein Kron auff Gottes Haupt ſein / wel⸗ 
ches dann viel billicher waͤre / weil man die Kronen 
pflegt auff den Kopff zu ſetzen / ſonder er ſagt / die 
Kron werde in der Handt Gottes ſeyn / dann ſo 
lang der Gerecht in dieſer Welt lebt / ſtehet die 
Kron nicht auffm Haupt / ſonder in der Hand / auß 
dern ſie fallen kan / vermittelſt der Suͤnd. Dieſe 
Kron aber iſt noch in der Hand GO Tes oder deß 
2 3 Gold⸗ 


448 Hirnſchleiffer. 


Goldtſchmiedts / dann ſie iſt noch nicht vollkom⸗ 
men: Vnd wie ein Guͤldene Kron durch vielfaͤltiges 
ſchlagen gemacht vnd vollendet wird / alſo muß die 
Kron der Glory durch viel Schlag / Truͤb⸗vnnd 
Muͤhſeligkeiten vollendet werden / biß ſie zu der 
allerhoͤchſten Gluͤckſeligkeit vnd Vollkommenheit 
gelanget / allda die Kron ſoll geſetzt werden auff 
deß Hetin Haupt. 

Daß ferner Eſaias ſagt / die Kron ſey in deß 
Herin Hand / bedeut / daß der Gerechten Seelen 
in det Hand Gottes ſtehen / deßwegen wird fie die 
Pein deß Todts nicht berühren: Ob ſchon die Nar⸗ 
ren vermeinen die Geꝛechten ſterben; ſo ſeynd ſie 
doch im Frieden: Die Hand deß Herꝛn erhaͤlt ſie in 
jhren Noͤthen vnd Anfechtungen. Der Herr iſt jhr 
Beſchuͤtzer / er iſt bey jhnes in jhren Truͤbſalen / 
er wird ſie erꝛetten / glorificiere vnd herzlich mache, 
Hierauß folgt nun / daß der Gerechte alle Mühe 
vnd Arbeit leichtlich auß ſtehet / vnnd ſampt dem H. 
Paulo zun Philippern am 9. Cap ſprechen koͤnne. 
Ich vermag alles in dem der mich ſtaͤrcket. 
Ob ſchon der Menſch von Natur ſchwach iſt 7 fo 
tan er doch / von Chriſti wegen / alles ertragen / vnd 
durch die Gnad deſſen / der jhn ſtaͤrcket / alle Muͤhe 
vnd Arbeit / alle Schmach / Verfolgung vnnd Ge⸗ 
faͤngnuß leichtlich vnd mit Frewden außſtehen vnd 
vberwinden. 

Etliche vermeinen / ſie ſeyẽ von Gott prædeſtinirt 
vnd außerwoͤhlt / vnd werden ohn allen Zweyffel ſe⸗ 
lig / geben ſich zur Ruhe / moͤgẽ nichts mit den Haͤn⸗ 
den arbeiten / noch auch viel leyden / noch fich bemuͤ⸗ 

hem 


Hirnſchleiffer. 449 
then: Aber ſolche Geſellen ſollen wiſſen / daß ein jeg⸗ 
licher Auß erwoͤlter ſchuͤldig iſt / allzeit zu arbeiten? 
vnd gute Werck zu vben / dann nur vermittelſt der 
Wercken / wird der Effect der Pre deſtination er⸗ 
langt vnd erhalten. Ob ſchoͤn Gott vns die Kron 
der Glory verſprochen hat / ob ſchon wir prædeſti⸗ 
niert ſeynd / ſo werden doch auch die gute Werck 
darzu erfordert. Es iſt kein gutes Argument / daß 
einer ſagt: Ich bin in der Zahl der Außerwoͤhlten / 
derowegen will ich die Hand in Buſen ſchieben / 
vnd ohn alle ſorg ſchlaffen: Sondern begehrſtu ſe⸗ 
lig zu werden / begehreſtu / daß dir die Kron auff den 
Kopff geſetzt werde / ſo muſtu ſie zuvor in die Hand 
nehmen / vnd dapffer mit den Haͤnden arbeiten Ob 
ſchon alles ſchlecht / gering vnd wenig iſt / was die 
menſchliche kraͤfften / zu erlangung der Seligfett 
vermoͤgen / ſo wil doch Gott / daß wir daſſelbe mo⸗ 
dicum oder wenige hinzu ſetzen / vnd vnſere ſchlech⸗ 
te vnd geringe Subſtantz zum vnendlichen Schatz 
Gottes legen / damit zu einem ſolchen geſagt werde 
was Eſaias am 3. Cap. ſagt: Saget dem Ge⸗ 
rechten / er hab recht vnd wol gelebt / vnd werd 
es wol halten / dan er wird die Früchte ſei⸗ 
ner Werck eſſen: Als wolte er fagen: Saget dem 
Gerechten / es iſt ales gut / vnd daß er ſich nicht 
förchte / ſonder im guten friedlich vnd ſicherlich 
verfahre / es wird ihm alles glücklich von ſtatten 
gehen / dann ich will ihm mein huͤlffliche Handt 
bieten / aber doch mit dem Beding / daß er die 


Fruchte ſeiner Werck eſſe. Dann ob er ſchon 
T 4 vns 


450 Hirnſchleiffer. 
vns zu der Seligkeit erwoͤhlt hat / ob ſchon er vns 
durch feine Verdienſt vnd durch die Krafft feines 
koͤſtlichen Bluts / die Glory verdient vnd erwor⸗ 
ben / vnd alſo das ſeinige darbey gethan hat / ſo will 
er doch daß wir auch vnſers theils das modicum 
vnd Wenige was wir vermoͤgen / leiſten / damit von 
vns könne geſagt werden / das wir ſelbſt verdienen / 
vnd vns die Belohnung der Glory gegeben werde / 
durch vnſere eigne Werck. 

Der dapffere Hauptmann Joab belaͤgerte die 
feſte Statt Rabbath / auß deren den Ifraelitern 
groſſer Schad geſchahe / vnd betrangte fie dermaſ⸗ 
ſen / daß fie ſich langer nit erhalten koͤnten / derowe⸗ 
gen vnd damit die Ehr vnd Glory der Eroberung 
dieſer anſehnlichen Statt dem Koͤnig David zu 
theil wuͤrde / ſo ließ ers ihm entbieten / er ſolte ge⸗ 
ſchwindt noch etlich Kriegs volck werben / vnd ſelb⸗ 
ſten für die Statt ziehen / vnd fie erobern / dannt der 
Sieg vnd die Eroberung nit dem Joab / ſonder 
dem David zugeignet würde: Darauff verſahe ſich 
der Koͤnig mit Kriegs volck / kam für die Statt vnd 
gewann ſie / es ward auch ein ſehr koͤſtliche Kron 
von deß Koͤnigs zu Rabbath Haupt genommen / 
vnd auff deß Koͤnigs Davids Haupt geſetzt. Dieſes 
ſeynd nun die Ratsſchlaͤg vnd Werck Gottes / wel⸗ 
che Eſatas deß Gerechten nennet / ſintemal ſie zu 
ſeinem Nutz eingeſetzt ſeynd. Den Himmel hat der 
Herꝛ vns erlangt / vnd alle muͤhe vnd arbeit auß⸗ 
geſtanden / er allein hat die Belaͤgerung vnd den 
Sturmb angefangen / er hat mit feinem Blut v⸗ 
berwunden / aber doch wil er auch / daß der Gerech⸗ 
se gleichfals feinen Theil darbey habe / vnd das ſei⸗ 
nige 


Hirnſchleiffer. 451 


nige / vnangeſehen daſſelbe wenig iſt / darbey thue / 
damit alſo von ihm koͤnne geſagt werden / er habe dẽ 
Sieg durch ſein muͤhe vnd arbeit erlangt / damit 
ihm auch auff ſein Haupt geſetzt werde die Kron 
der Glory / welche ihm nach dieſem Leben fuͤrgear⸗ 
beitet iſt un Himmel. 

Das alles wird vns nun bedeut durch die obge⸗ 
ſetzte Kron / welche ein Mann in der Hand haͤlt / um 
Zeichen / daß wir zuvor allhie auff Erden ein Kron 
der Tugenden vnd verdienſten ſchmieden vnd ma⸗ 
chen muͤſſen / woͤllen wir anderſt hernacher die ewi⸗ 
ge Kron der glory erlangen / von deren der Pſal⸗ 

niſt in feinem 64. Pfalm redet: Du wirft den 
Segen reichlich geben rings vmb de Jahr 
deiner Guͤtigkeit vnd deine Felder ſollen er⸗ 
fuͤllt werden mit Fruchtbarkeit. Dieſe Kron 
der Tugenden aber iſt auffen vmb mit vier ſehr koͤſt⸗ 
lichen Edel⸗geſteinen oder Haupt⸗Tugenden ge⸗ 
ziert: Die erſte iſt die Gerechtigkeit / dieſelbe ſtehet 
vornen oder am fordern Theil: Die andere iſt die 
Fuͤrſichtigkeit / die ſtehet am hinderſten Theil: Die 
dritte iſt die Maͤſſigkeit / die ſtehet zur rechten Sei⸗ 
ten: Die vierdte iſt die Staͤrck / vnd ſtehet zur lin⸗ 
cken Seiten: O ſchoͤne Diſpoſition vnd Ordnung / 
dan was vornen iſt / das iſt vns gewiß / was hinden 
vngewiß / was zur Rechten ſtehet / das iſt gluͤcklich 
aber was zur lincken ſtehet / iſt vngluͤcktich. In den 
gewiſſen dingen ſoll die Juſtici gebraucht werden: 
im zweifligen die Fuͤrſichtigkeit: in gluͤcklichen die 
Maͤſſigkeit: vnd im vngluͤcklichen die Staͤrck. Das 
wird vns nun * durch die vier Finger / davon 
5 im 


472 Hirnſchleiffer 
im Exod am a cap. gemeldt wird: Mache einen 
außgeſtochnen Krantz einer Handt breit 
hoch / vnd auff denſelben ein ander guͤldin 
Kraͤntzlein. Neben dieſen 4 Edel⸗Geſteinen oder 
Haupt⸗Tugenden glantzen auch 7. Perlein oder ga⸗ 
ben der ſibenfaͤltige n gnad / von denen Eſaias ſagt: 
cap. 11. Es wird auff ihm ruhen der Geiſt 
der Weißheit vnd deß Verſta indts / der 
Geiſt deß Raths vnd der Scaͤrck / der Geiſt 


deß Wiſſens vnd der freundlichen Guͤtigkeit. 
Oben zu hochst. auff diefer Kron ſteyen drey fuͤrneh⸗ 
me Stein der Theokogiſchen 5 nemblich 
der Glaub / die Hoffnung vnd die dieb / dieſe drey 
Stein ſeynd gleichſamb nut ſchoͤnen Perlen ver⸗ 
ſetzt / vmb den Glauben herumb ſtehet die Since⸗ 
ritaͤt vnd Warheit: vmb die Hoffnung die Gedult 
vnd Perſeverantz. vnd vmb die lieb ſtehet die Frey⸗ 
gebigkeit vnd G uͤtigfeit. 

Sonſten ſetet der Philoſaphus in die Kronen 
der Tugenden / zwoͤlff Edelʒ⸗Geſtein: Erſtlich / die 
Juſtici oder Gerechtigkeit / welche fuͤrnemblich den 
Richtern vnd Regenten ſehr nothwendig iſt: ver— 
moͤg der wort deß Weiſen⸗Mans am 1. Eapittel: 
eiebetbie Gerechtiakeit / ihr die das Land re⸗ 
giert. D ann durch Gerechtigkeit iſt die Erd erba⸗ 
wet vnd die Koͤnige verordnet worden / durch ſie ge⸗ 
horſamen die Vnderthanen / werden ſelig vnd er⸗ 
loͤſt von Laſtern. Zum andern die Fuͤrſichtigkeit / 
welche in der fleiſſigen Fuͤrſehung deß Hertzens / 
deß Munds vnd der Wercken beſtehet. Druttens / 
die 


Hirnſchleiffer. 433 
die Mäffigfeit/diefelbeift der Zaum / mit dem deß 
Menſchen $eib vom Geiſt regiert wird. Vierdtens 
die Staͤrck / welche die Forcht vnd Kleinmuͤtigkeit 
vndertruckt / vnd die Vermeſſenheit vnd Kuͤnheit 
temperiert vnd maͤſſiget: Wer nun dieſe Tugend 
hat / der ift frey / dienet dem Gluͤck vnnd weltlichen 
Eytelkeiten nicht. Die fuͤnffte iſt die Demuht / wel⸗ 
che dem Menſchen in allen Verſuchungen vorm 
fallen verwahret / dann wofern ſie nicht in allen vn⸗ 
ſern Wercken vorher gehet vnd vns begleitet / ſo 
wird ſie durch die Hoffart zernichtet. Sechſtens / 
die Freygebigkeit / welche den vnzeitigen Geitz vn⸗ 
dertrucket / vnd die vberfluͤſſige Verſchwendlichkeit 
maͤſſiget Zum ſiebenden die Magnificentz / welche 
machet / daß der Menſch alle feine herꝛliche Werd 
nicht thut auß Eytelkeit / ſonder zu Gottes Ehr / 
vnd deß Naͤchſten Nutz. Zum achten die Sanfft⸗ 
muͤtigkeit / durch welche der Zorn bezwungen / vnd 
die Rachqirigkeit vndertruckt wird. Zum neundten 
die Freundſeligkeit / welche vns vnderweiſet / wie 
wir mit den Leuten recht vnd gebuͤrlich converſie⸗ 
ren vnd vmbgehen ſollen / ſie vndertrucket auch den 
Zanck vnd Hader / vnd maͤſſiget die Schmeichle⸗ 
rey Zum zehenden die Warheit / von der geſchrie⸗ 
ben ſtehet: Leget alle Luͤgen von euch / ein je⸗ 
der rede die Warheit mit ſeinem Naͤchſten. 
Dieſe Tugend aber gebaͤret ein Tochter die heiſt 
Feindſchafft / von derentwegen die Menſchen die 
Warheit verlaſſen / vnd ſich zum . bege⸗ 
ben Zum eilfften die Hoöfligkeit / welche inde m ME 

N 6 ſchen 


454 Hirnſchleiffer. 
ſchen annehmliche Sitten machet. Befchließlichen 
rn velche ein maß vnd Ordnung für: 
ſchreibt / wie man ſich mit dem ſpielen erluͤſtigen 
vnd kurtzweiln verhalten ſolle / damit den Sachen 
nit zu viel geſchehe. 

Der allerhoͤchſte vnd fuͤrnembſte Philof Nah 
Chriſtus aber machet vns noch ein andere ſchoͤne 
Kron der Tugenden von 21. Edelgeſteinen zu ers 
langung ee Glory. Das erſte 
Kleinot iſt die Buß / dann er ſprich Matthæi am 

Thut Buß / dann das Huͤnmelreich na⸗ 
het herzu. Zum andern / die Vollziehu! ig ſeines 
Willens / dann Matthæi am 7. Capittel ſpricht er: 
Wer den Willen meines Vatters thut / 
der wird eingehen ins Himmelreich. Zum 
dritten der Glaub / dann von den Glaubigen ſagt 
er Matth 8. Sie werden ſitzen bey Abraham / 

Iſaac vnnd Jacob im Himmelreich. Zum 
vierdten / want dw vnſere Sinnlichkeiten bezwin⸗ 
gen Zum ßfuͤnfften / wann wir ihn lieben. Zi im ſech 
ſten / wann wir ſtehte Keuſ hheit halten. Zum ſi⸗ 
benden / die Demuth: Eſtote humiles & parvuli, 
&c. Zum achten / wann wir ſeine Gebott halten. 
Zum neundten / wann wir alles hingeben vnd ver⸗ 
laſſen von Gottes wegen. Zum zehenden / wann 
wir ſeinem Exemplariſchen Leben nachfolgen. 
Zum ey fften / wann wir in dem Weing zarten deß 
He arbeiten/onnd in der Kirchen $ Frucht ſchaf— 
fen Zum zwoͤlfften / wann wir den Kelch / welchen 
er getruncken / auch von feiner wegen trinken, 
Zum 


Hirnſchleiffer. 455 
Zum dreyzehenden / wann wir das Hochzeitliche 
Kleid der Reb anlegen Zum vierzehenden / wan 
wir in vnſern Amplen das Oel der guten Wercken 
haben Zum fuͤnffzehenden / wann wir das Heyl 
vnſers Nechſten ſuchen / dann alsdann wird zu vns 
geſagt werden / was Matthæt am 25. geſchrieben 
ſteht: Gehe ein in die Frewd deines Hern 

um ſechszehenden / wann wir Werck der Barm⸗ 
hertzigkeit begehen. Zum ſibenzehenden / wann wir 
wuͤrdiglich Kommuniciren. Zum achtzehenden / 
welche den heiligen Geiſt annemmen. Zum neun⸗ 
zehenden / welche das Wort Gottes hoͤren. Zum 
zwantzigſten / welche Gott dienen. Zum ein vnd 
zwantzigſten / welche beharren. Dann wer biß 
an das End beharret der wird ſelig. Wer 
ihm ein ſolche Kron der Tugenden ſchmiedet vnd 
bereitet / der iſt nit allein ſelig auff Erden / ſondern 
erlanget auch die Kron der Glory im Himmel / 
dann der Her: iſt getrew / vnnd weil er ſie zu geben 
verheiſſen vnd verſprochen hat / ſo wird ers halten / 

dann er ſelbſt hat durch den Pſalmiſten im 88. 
Pfalm geſagt: Ich will nit ande, 
ren was zu meinen Lefftzen 
gußgangen. 


358 Hirnſchleiffer. 


Einer hat drey Schwerdter 
im RU 


Ats der Weltweiſe Anacharkt en ward / 

was doch das alleraͤrgſte am Menſchen waͤre? 
Antwortet ersdie Zung: Die Zung iſt ein ſonder⸗ 
bare Art der Waffen in der alle andere Waffen 
gefunden werden: Sie iſt ein ſcharffſchneidendes 
Schwerdt / welches gewetzt wird an dem Stein 
der Falſchhett / vnd zwar dermaſſen ſcharpff / daß 
(wie der Weiſe⸗Mann ſpricht) viel deut ſeynd ge⸗ 
fallen durchs Schwerdt / aber vielmehr durch die 
Zung. Das wird nun bedeut durch das obbemelte 
Hicroglj phicum der dreyen Schwerdter / welche 
ein 


Hirnſchleiffer. 477 
ein Mann im Mund hat: Das erſte Schwerdt 
wird genant ein boßhafftiges Schwerdt / daffelbe 
beſchaͤdiget auff dreyerley weiß: Erſtlich / wann ei⸗ 
ner die Geheimnuß ſeines Naͤchſten offentlich an 
Tag bringt / vnd ihn vor den Leuten zuſchanden mas 
chet. Zum andern / wann er feinen Naͤchſten etwas 
zeihet / welches er nit gethan hat. Drittens / wann 
er Famoß⸗ibell oder Paßquillen wider ihn macht 
vnd außbreitet. 

Das ander Schwerdt / heiſt ein iſtiges ſchwerd / 
wann nemblich einer ſeinem Naͤchſten die Ehr 
heimlich oder durch $ift bemmbt / vnd ſolches ges 
ſchicht anff dreyerley weiß: Erſtlich / wann er vmb 
eines andern Tugenden gefragt wird / vnd ob er 
ſchon nichts boͤſes darzu ſagt / doch die warheit ver⸗ 
ſchweiget / vnd nit ſagt was er weiß vnd ſagen fo, 
Zum andern / durchs laugnen / wann nemblich er 
gleichwol nichts böfes von feinem Naͤchſten ſagt / 
aber doch das gute / welches andere von jhm ſagen / 
auß Neid verhaͤlt oder laugnet. Drittens / durch 
vergifften / vnd mit etwa einem boͤſen Zuſatz: ins 
maſſen etliche thun / vnd allzeit das / A BEg / dar⸗ 
zu ſetzen / vnd ſprechen: Ja / er iſt fromm / vnd ein 
feiner Mann / aber / ꝛc. 

Das dritte ſchwerd / heiſt ein betrognes ſchwerd 
vnd daſſelbe gebrauchen gemeinlich die Heuchler / 
dann ſie ſtellen ſich mit der ſtimm / mit dem geſicht / 
mit geberden vnd mit ſeufftzen / als wann fie ihres 
Naͤchſten gebrechen vngern / vnd wider ihren wil⸗ 
len entdeckten / da doch fie ſolches auß lauter Boß⸗ 
heit / Haß vnd Neid thun. 

Ich find noch andere dreyerley böfe Zungen oder 
ſchaͤd⸗ 


4:8 Hirnſchleiffer 

ſchaͤdliche ſchwerdter: Das erſte iſt das Schwerdt 
der Schmeichlerey / daſſelbe ſchneidet auff viererley 
Weiß: Erſtlich / wann einer feinem Naͤchſten et⸗ 
was Guts zueignet / oder lobet / welches er nit hat. 
Zum andern / wann er das Gute viel zu ſehr lobet / 
erhebet vnd herfuͤr ſtreichet: Driteens / wann er das 
böfe approbiret vnd gut heiſſet. Vierdtens / wann 
er wiſſentlich leugt / damit er feinem Nechſten bes 
lieben vnd gefallen moͤge. 

Das ander Schwerdt oder boͤſe Zung heiſt Aff⸗ 
terꝛed / durch dieſelbe wird deß Naͤchſten Ehr zer⸗ 
riſſen / oder gemindert / oder ſeine geheime verbor⸗ 
gene Ding offenbart / oder an feinen Ehren ges 
ſchmaͤcht. 

Das dritte Schwerdt heiſt Vneinigkeit / wann 
einer Frembde oder Freunde durch liegen vnd 
falſch ſchwetzen aneinander tnuͤpffet / vnd zweyerley 
Zungen darzu brauchet / dergleichen Leut ſeynd ſehr 

gefaͤhrlich / vnd werden billig von allermaͤn⸗ 

niglichen geflohen vnd verhaſt. 


O 


Hirnſchleiffer. 459 
Ein Hirtreiſſet einem Loͤden zwey Bein / 
vnd das aͤuſſerſte vom Ohr auß dein 
G 7 

Maul. 


DH die Schaff werden in heiltger Schrifft 

die Außerwoͤhlten verſtanden / vermoͤg der 
Wort: Ich aber glaubet nicht / dann jhr ge⸗ 
hoͤret nicht vnder meine Schaf: Meine 
Schaf hoͤren meine Stimm. Das Zeichen 
aber / darhen ſolche Schaf erkennt werden / fuͤhren 
fie an den Ohren / vnd das heiſt die Stimm Chriſti 
hören / vnd gern zur Predig gehen. Die Schaff / nit 
denen 


4.60 Hirnſchleiffer. 

denen der H. Job ſich bereicherte / hatten guͤldene 
Ohren⸗ ring an den Ohren / vnd durch ſolchen Oh⸗ 
ren⸗ ring wird der Gehorſamb deß Goͤttlichen Ges 
ſetzes vnd der Gebotten Gottes bedeut. Wann ei⸗ 
ner dieſen Ohren⸗ ring nicht hat / ſo iſts ein vnfehl⸗ 
bares Zeichen / daß er nicht vnder Chriſti Schaff 
gehoͤre. 

Es iſt nicht ohne / dieſe Schaff werden bißweilen 
von jhrem Hirten abgeſondert / vnnd weichen von 
der Himmels⸗Straſſen / vnnd wandern auff dem 
rauhen Weg der Laſter / dann ſonſten wuͤrde E⸗ 
ſaias am 3. Cap nicht geſagt haben: Wir haben 
geirꝛet alleſampt wie die Schaf, ein jeder 
hat ſich in ſeinem Weg gekehrt. Item der H. 
David: plal uns. Ich hab gejrꝛet wie ein ver⸗ 
lohrnes Schaff / ſuche deinen Knecht. Aber 
doch iſt der Vnderſcheidt zwiſchen Chriſti vnnd 
deß Teuffels Schafen dieſer / uemlich das Chris 
ſti Schaffein Stimm hoͤren / wann er jhnen ruffet / 
fo kommen ſie / aber deß Teufels Schaf hoͤren das 
p feiffen Chriſti nicht / vnd keen fein Stimm nicht / 
dann fie verſtopffen jhre Ohren vor jhm / vnd wer⸗ 
den durch ſeyn ſchreyen nur verſtockt vnd halsſtar⸗ 
rig. Gleich wie (ſpricht Amos am z. Cap.) ein 
Hirt dem doͤwen zween Schenckel oder ein 
Ohrlaͤplein auß dem Maul herauß reiſſet / 
alſo werden auch die Kinder Iſrael herauß 
geriſſen werden. Dieſer war ein kecker Hirt / wel⸗ 
cher dem doͤwen das geraubte vnd zerꝛiſſene Schaf 
auß dem Rachen geriſſen / was hats ihm aber ge⸗ 
holffen / 


Hirnſchleiffer. 461 
holffen / weil der koͤw ſchon das gantze Schaf gefrefe 
ſen hatte / vnd der Hirt nur zwey Bein vnd ein Ohr 
davon gebracht? Der Teuffel iſt der jenig / der gehet 
vmb vns hernmb / wie ein Brullender dow / vnnd 
ſuchet vns zuverſchlingen. Durch die zwey Bein 
oder Fuͤß werden verſtanden die gute Verlangen 
vnſerer Seelen / oder vnſere Affecten / mit denen 
wir immerdar zu vnſerm Gott vnd Erloͤſer gehen. 
Durch das Ohr aber wird bedeut der Gehorſamb 
der Goͤttlichen Gebotten: Es wird ons auch hier⸗ 
durch zuverſtehen gegeben / daß es nicht gnug ſey ⸗ 
wann wir ſchon gute Begirden vnnd Verlangen 
haben / die ewige Seligkeit zu erlangen / ſonder es 
gehoͤret auch noch darzu / daß der Gehorſamb der 
Goͤttlichen Gebotten auß dem Rachen deß Hoͤlli⸗ 
ſchen doͤwen geriſſen werde: Dann wann ein Schaf 
Chriſti allbereit vom Teuffel zerziffen vnnd vers 
ſchlungen iſt worden / vnd ob ſchon ſeine Bein oder 
Fuß / vnd fein Ohr noch gantz vnd vnverſehrt iſt / 
ſo tan es nimmer auß ſeiner Hand vnd Gewalt er⸗ 
rettet werden. Dann Chriſtus vnſer Herꝛ vnd Er⸗ 
löſer iſt der wahre Hirt / der hat 99. Schaf in der 
Wuͤſte deß Paradeiſes gelaſſen / das hunderſte 
verlohrne geſucht / vnd iſt zu ſolchem End auß dem 
hohen Himmel herab auff Erden kommen. Wann 
derowegen der Teuffel eines auß ſeinen Schafen 
erwiſcht hat / iſt kein beſſers Mittel vorhanden / als 
daß man zum Hirten Chriſto ſchreye / vnd ſampt 
dem H. David ſpreche: Ich hab gejrret wie ein 
verlohren Schaf / ſuche deinen Knecht. De 
rowegen laſſet ons die Affecten vnſers Gemuͤths 
Gott dem Herꝛn reſerviren vnd vorbehaltẽ / damit 
wir / 


462 Hirnſchleiffer. 

wir / vermittelſt der wahren Rew / zu jhm gehen 
mögen. Deßgleichen laſſet vns vnſere Ohren deß 
Gemuͤths verwahren / damit wir ſeine Stimm hoͤ⸗ 
ren / vnd feinem Ruffen gehorſamen / ſo werden wir 
auß deß Teuffels gewalt erꝛettet werden / vnnd das 
ewige leben von feiner Hand empfahen. 


Zwey alte Weiber ziehen ein 
Jungfrauw auff einem 
Wagen. 


Ver andern ſchoͤnen kehren vnd Vnderweiſun⸗ 
gen / welche Cato den Menſchen gegeben / war 
dieſe 


Hirnſchleiffer. 463 


dieſe nicht die ſchlechteſte / da er ſpricht: Minime Iu⸗ 
dica / das iſt / Reins Wegs vrtheile: Hierdurch gibt 
er den Richtern zuverſtehen / daß fie nicht leicht⸗ 
glaubig ſeyn / noch von wegen etwa einer ſchlechten 
ſuſpicion vnd Verdachts / noch auß falſchen Ver⸗ 
mutungen vnd Einbildungen judiciren / vrtheilen / 
oder nach dem bloſſen Schein / oder auß falſchen 
Einbil dungen / vnd nach jhrem ſelbſt Wolgefallen 
haͤndlen ſollen Dann gemeiniglich ſeynd ſolche 
Vrtheil oder Meinungen falſch vnd vngerecht: Wis 
der folche aber iſt vnd redet der Heilig Chryloftos 
mus vnd ſpricht: Man findet Leut / die halten alles 
was ſie ſehen / fuͤr boͤß / reden den Frommen vbel 
nach / beuten vnnd legen das Gute vnnd die Tu⸗ 
gendt zu einer Boß heit auß: VBefleißt ſich er ner der 
Demuth / ſo muß er ein Heuchler ſeyn: Iſt er gern 
froͤlich / ſo muß er ein Freſſer vnd liderlicher Geſell 
ſeyn: Iſt er gedultig / ſo muß er ein verzagter vnnd 
forchtſamer Haaß ſeyn: Befleißt er ſich ſchlecht 
vnd gerecht zu ſeyn / ſo muß er einfaͤltig vnnd ein 
Narꝛ ſeyn: Befleißt er ſich der Weißheit / ſo muß er 
ein Hoffer tiger Hans ſeyn: Iſt er andaͤchtig vnnd 
gewiſſenhafft / ſo muß er ſtuͤtzig vnnd eigenſinnig 
ſeyn: ft er red ſelig vnd freundlich / ſo muß er der 
Leut Schmeichler ſeyn. 

Andere judiciren vnd vrtheilen nicht ſo ſehr auß 
einem boͤſen Willen / als vielmehr auß einer liederli⸗ 
chen Ignorantz vnd Vnwiſſenheit / vnd dieſe ſchetzẽ 
die Menſch en für gerecht vnnd weiſe nach Beſchaf⸗ 
fenheit der Kleider / Wort / Sitten vnd Geberden: 
Solcher aler judicium / Vrtel vnd Meinung aber 
iſt fuͤr eilendt vnd falſch / dan ma findet viel ſpecies 

vnd 


464 Hirnſchleiffer. 


vnd Geſtalten vnder den Heuchlern / Betriegern vñ 
Ignoranten / welche das Angeſicht vnd den Schein 
der Weißheit / Gerechtigkeit vnd From̃igkett haben. 
Dan wie gemeinlich vnder einem guͤldenen oder 
gemahlten Bild ein wurmſtichiges Holtz ſteckt / alſo 
ſteckt vielmals vnderm Schein der Frombkeit vnd 
Weißheit ein grobe Ignorantz / Vnwiſſenheit vnd 
Thorheit: Daher ſagt der H. Joannes c 7. Richtet 
nicht nach dem Anſehen. Wer nun alſo dem bloſ⸗ 
fen aͤuſſerlichen Schein vnd Geſtalt nach vrtheilet / 
der wird bald betrogen / vnd in ſeinem eignen Vr⸗ 
theil zuſchanden gemacht / derowegen ſoll ein weiſer 
Mann nicht vrtheilen / weder ex ignorantia terum, 
noch ex ſolennitate verborum, ſonder auß rechten 
gewiſſen Scientz / Experientz vnd bekantlichen 
Wercken / dan Sapientiseft afliguare cauſas, & 
cognoſce re rem per certitudinem : Keiner ſoll ei⸗ 
nen andern ohne gnugſame vnd hochdringende Vr⸗ 
fach verachten / oder jhm einen Schaden zufügen 
ſonder wofern ſein Boßheit nicht offentlich bekandt 
iſt / ſoll man ihn fuͤr fromb paſſieren laſſen / vnd das 
jenig was zweiflich iſt / zum beſten interpretiren 
vnd deuten: Es iſt viel beſſer / es werde offt einer be⸗ 
trogen / wan er ein gute Meinung von einem boͤ⸗ 
ſen Menſchen hat / als daß er ſelten betrogen wer⸗ 
de / wan er ein boͤſe Meinung von einem Frommen 
hat: dan dardurch geſchicht manchem zu kurtz / durch 
das erſte aber nicht. So fol derowegen niemand in 
dubio vnd auß Verdacht feinen Naͤchſten vrtheilen 
dan wer geſchwindt vrtheilet / der ſuͤndiget offt / vnd 
wird geyrtheilt werden. 


Ein 


Hirnſchleiffer. 465 
Ein anderer Difcurs. 


Sonſten kan die Lehr Catonis: Du ſolleſt nicht 
richten: auff alle vnd jede Richter vnd Regenten 
verſtanden / vnd zu jhnen geſagt werdẽ / daß ſie nicht 
von wegen etwa eines geringen Verdachts ein Vrtel 
ſchoͤpffen vnd außſprechen ſollen: Dan erſtlich / weil 
biß weiln einer ſelbſt böß vñ nichts werth iſt / fo vers 
meint er / es ſey ein anderer auch alſo beſchaffen / ver⸗ 
moͤg der Wort Eccleſiaſt. am 10. Cap va er ſagt: 
So der Nax im Weg einher gehet / vnd 
iſt ein Narꝛ / ſo meiner er / die andern ſeyen 
alle Narꝛen. Zum andern kompt fi olcher Verdacht 
dah er / weil nemblich einer dem andern vbel geneigt 
iſt / dan wan einer einen verachtet / oder verhaſſet / 
oder ſich vber jhn erzuͤrnet / oder jhm neidig iſt / ſo 
fchöpffet er geringer Vrſachen halben einen boͤſen 
Verdacht wider jhn / dan es heiſt: Ein jeder glaubt 
gern was jhme geliebt. Drittens entſpringt der boͤ⸗ 
ſe Verdacht auß der langen Experientz vnd Erfah⸗ 
renheit / daher ſagt Ariftoteles die alte Männer 
ſeyen ſehr arzwoͤhniſch / ſintemal ſie anderer Leut 
Maͤngel vnd Gebrechen vielmals erfahren haben. 
Dem ey aber wie jhm woͤlle / weil wir je Menſchen 
ſeynd / vnd den boͤſẽ Verdacht vnd Argwohn je nicht 
wol meiden koͤnnen / ſo ſollen vnd muͤſſen doch die 
Richter ihre Vrt heil vnd End Beſcheid etwas eins 
ziehen / etwes an ſich halten / vnd nicht alſo lider⸗ 
lich vnd fuͤrelends richten / vrtheilen noch erken⸗ 
nen, 


Vnd 


466 Hirnſchleiffer. 


Vnd eben dieſer Vrſachen halben haben die alte 
Weiſen die Juſtici oder Gerechtigkeit der Geſtalt 
gemahlt / daß ſie auff einem Triumph⸗Wagen ge⸗ 
zogen wird / nicht von Roſſen oder Hirſchen / oder 
Tigerthieren / ſondern nur von zweyen alten Wei⸗ 
bern / welche kaum fortgehen koͤnnen / ſonder ſich an 
Kruͤcken leinen muͤſſen vnd zerbrochnes Schwerdt 
in der Hand haben zum Zeichen / daß die Richter 
vnd Raͤth im richten / vrtheilen vnd erkennen / lang⸗ 
ſamb ſeyn / vnnd ſich nicht geſchwind auff eines jeg⸗ 
lichen Schwetzers delation vnd angeben / mit der 
execution vnd thaͤtlichen Vollziehung / Gefaͤng⸗ 
nuß / oder Entſetzung der Ehren / oder ſonſten an⸗ 
derer Straff verfahren / wie auch in ſolchen Straf⸗ 
fen nicht zugeſtreng vnd ſcharpff ſeyn / ſondern ſol⸗ 
len dißfals ein Exempel an dem allerhoͤchſten him⸗ 
liſchen Richter nemmen / welcher die Sodomiter 
nit alsgleich ſtraffte / ſonder ſagte: Ich will hinab 
ſteigen vnd ſehen / ob das Geſchrey / welches 
fir mich kommen iſt / im Werck verꝛicht ſey 
worden: vnangeſehen jhm jhre Laſter wol bewuſt 

vnnd bekant waren / ſo hat er vor der Erkantnuß 
vnd Vrtheil daruͤber inqu xiren / ja ſo 
gar ſelbſt den Augenſchein einnem⸗ 
men wollen. 


Hirnſchleiffer. 467 
Ein Weib auff einem Wagen wird 
von vier Lowen gezogen. 


En liederliches Weib / mit einer Kron auff dem 

Kopff / mit verdeckten Augen / hatte in der ei⸗ 
nen Hand emen Scepter / in der andern einen Pfa⸗ 
wen / iſt koͤſtlich getleidt / ſitzt auff einem Wagen / 
vnd wird von vier doͤwen gezogen. Durch dieſes 
Webs Liderlichheit wird die Vnbeſtendigkeit der 
Reichthumben bedeut / dann wie ein vnbeſtendiges 
Weib viel Buler hat / den einen vmb den andern 
gibt / vnd ſie nicht lang liebet / alſo verfügen ſich die 
Reickthumben bald zu einem / bald zum andern / 
aber doch verlaſſen ſie letztlich 3 beide / dann: Je 


groͤf⸗ 


468 Hirnſchleiffer. 


gröffer das Glück iſt / je vnſicher iſt es. Durch die 
auffm Haupt wird bedeut / daß die Reichen geehrt / 
vnd allen andern / die ſeyen ſo edel / gelehrt / vnd mit 
Aemptern verſehen / wie ſie jmmer woͤllen / vorgezo⸗ 
gen werden wollen. Durch die bedeckte Augen wird 
verſtanden / daß alle geitzige Reichen blind ſeynd / 
vnd jhre bevorſtehendes Vnheil nicht fuͤrſehen / dañ 
weil fie auff das zeitliche v el zu fleiſſig mercken / fo 
ſehẽ ſie Gott den Heri nicht. Der Scepter / welchen 
dieſes Weib in der Hand hat / bedeut / daß den 
Reichthumben alle Ding gehorſamen vnnd nach⸗ 
folgen / allermaſſen wie dem Koͤnig / der den Scep⸗ 
ter in der Hand hat / alles gehorſamet / dan: DeGelt 
iſt alles gehorſamb. Ferner / wird durch den Pfaw⸗ 
en / welchen das Weib in der incken Hand hat / den 
Schweiff in die hoͤhe erhebet / die foͤrdere Theil 
zieret / vnd die hind erſte ſchaͤndet / zuverſtehen ges 
ben / das alle Sachen der Reichen / ſo lang ſie le⸗ 
pen / zierlich vnd wol geordnet ſeyndt / aber wann 
man ihr End deß Todts anſihet / alsdann fahren 
ſie nackendt / bloß vnd ſchandlich hinab zur Hoͤllen / 
dann der H. Paulus ſagt 1. Tim. am 6. Capittel: 
Wir haben nichts in dieſe Welt gebracht / 
vnnd werden ohn Zweifel nichts mit vns 
hinauß nehmen koͤnnen Die vnderſchiedliche 
Kleider dieſes Weibs bedeuten / das die Reichen 
mit vnderſchiedlichen Kleidern verſehen ſeynd / vnd 
auff nichts anders gedencken / als wie ſie mit newen 
Trachten Muſtern vnd Formen der Kleidern auff⸗ 
ziehen mogen / aber nach den vnbekleideten Armen 
fragen ſie nichts / daher ſagt der H. Jacobus am p. 
Cap⸗ 


Hirnſchleiffer. 469 


Capittel: Wolan jhr Reichen weinet vnnd 
heu et vber ewer Elend / das vber euch kom⸗ 
men wird: Ewer Reichtumb iſt verfault / 
ewer Kleider ſeynd gefreſſen von Motten. 
Daß auch dieſes Weib auff einem Wagen ſaß / der 
von den Raͤdern bald auff bald nider / vnnd rund 
herumb gezogẽ wird / dardurch wird vns angezeigt / 
daß der Menſch / der jetzt in der hoͤhe der Reich⸗ 
thumb vnd Ehren ſitzet / gar bald zu vnderſt in die 
Armuth faͤllt / vnd jedermann ſchabab wird / dann 
der H David ſagt im 74 Pfalm. Den einen de; 
muͤtiget er / den andern erhoͤhet er. Beſchließ!i⸗ 
chen wird durch die vier Loͤwen / die dieſen Wagen 
ziehen / bedeut / daß der Wagen der Reichthumben 
gegen wird von vier Suͤndẽ / nemblich: von der Hof⸗ 
fart / vom Fraß / von der Vnbarmhertzigkeit / vnnd 
von der Faulheit. Dann die Reichen kleiden ſich 
gar ſtattlich in Seiden vnd Sammet / in ſilberne 
vnd güldene Stuͤck / vnnd ſeynd darneben gefraͤſſig 
vnnd vnerſaͤttlich / dann jmmerdar pancketiren ſie / 
vnd haben einen guten Muth: Vnbarmhertzig ſeynd 
ſie / dann jhren zarten Polſter⸗Huͤndlein geben fie 
die beſte Bißlein / vnnd jhren Jaghunden das beſte 
Brod / vnd die faiſtete Suppen / aber den Armen 
vergoͤnnen ſie nicht die vberbliebene Broſamlein / 
die von jhrem Tiſch herunder fallen Sie ſeynd auch 
hinlaͤſſig vnd faul / dann im wenigſten 
gedencken ſie auff das Heil jhrer 
Seelen. 


(o) 


B 2 


479 Hirnfchleifer. 
nem Wa 


N — 
= Im 
N 1177 
N | I 9 
N 1 Y .. 


en / mit vier vnderſchiedlichen Geſchirꝛen / 

das eine von Eiſen / das ander von Silber / das drit⸗ 
te von Bley / das vierdte von Glaß. Auß dem er⸗ 
ſten ging herfüͤr das Fewr / Flammen / Kohlen 
vnd Rauch / vnd das hieß: Caput Vulcani. Auß 
dem andern der Fruͤlnng vnd Wolluͤſt / vnnd hieß 
Riſus Iovis, oder das Gelaͤchter Jovis. Auß dem 
dritten der Regen / Hagel / Schnee vnd Vngewit⸗ 
ter / vnnd hieß Mors Saturm, oder der Todt Sa- 
Aug dem vierdten allerley Saamen/ 
Mamilla lunonis, oder die Bruſt Jus 
ch wollen etliche bedeuten di: vier 
ger 


Doe Sonn fahrt auff einem Königlichen Wa⸗ 
9 


turni. 
vnnd hieß 
nonis. Hierdur 


Hirnſchleiffer. 47¹ 
Zeiten deß Jahrs / auß denen / wie auß vier groſſen 
Geſchirn / die Sonn alles / was zu Erhaltung der 
vnderſten Dingen vonnoͤthen iſt / ſchoͤpffet. Dann 
auß dem Sommer ſchoͤpffet ſie / als auß dem Vulca- 
ni Ofen / die Hitz: Auß de Winter die Vngewitter: 
Auß denn Herbſt den Regẽ / vnd auß dem Fruͤhling 
die Sarnen. Andere aber erklaͤren diefe Figur noch 
anders / vnd verſtehen durch die auffm Thron ſitzen⸗ 
de Sonn die Præ laten der Kirchen / als Haͤupter / 
Richter vnd gute Hirten / welche nicht allzeit auff 
einerley Weiß procediren / noch mit allerhand 
Perſonen vmbgehen / ſondern bißweiln ein 
Fewr machen / vnnd das Volck waͤrmen / biß⸗ 
weilen den Regen oder Waſſer zugieſſen / vnnd 
das Fetwor loͤſchen: Bißweilen guͤtig vnnd ſanfft⸗ 
muͤtig / hergegen auch bißweilen ſtreng vnnd exuſt⸗ 
hafftig ſeyn: jetzt im Sommer der Barmhertzig⸗ 
teit / ald imm Winter der Gerechtigkeit. 

Jener Cherubin beym Ezechiel am 1. Cap. hatte 
vier Angeſichter / nemlich eines Ochſen / damit er die 
Muͤhe vnnd Arbeit feines Ampts deſto beſſer auß⸗ 
ſtehen mö chte: Item / eines Adlers / damit er deſto 
ſchaͤrpffer auff alle Ding ſehen vnd mercken mochte: 
Item / eines Mefchen/ damit er deſto guͤtiger ſeyn / 
vnd die Suͤnder zur Buß ziehẽ moͤchte. Item / eines 
Loͤwen / zur Anzeigung / daß er die Böfen Verbrech⸗ 
en ſtraffen / vnd die Woͤlff vnd Ketzer vertreiben ſol⸗ 
le. Dieſes ſeynd nun die gute Eigenſchafften eines 
Prælaten oder guten Hirtens. Das allerfuͤrnemb⸗ 
ſte wird durch die Sonn bedeut: Dann erſtlich wie 
die Sonn auff einem hohen Thron ſitzet oder hoch 
erhebt iſt / alſo ſeyndt auch die Prælatẽ hoch erhebt. 

V3 An 


472 Hirnſchleiffer. 


An deß Koͤnigs Sauls Hof war es dem David ein 
groſſe Ehr / daß er auß einem armen Schaf Hr 
ten gemacht ward zu einem Tochtermann deß Koͤ⸗ 
nigs / aber doch ließ jhm der Her: ſagen: Eſto vir 
fortis,& præliare bella Domini. Das iſt: Ametzo 
haſtu gleichwol deß Königs Tochter vberkommen / 
vnd biſt erhebt worden zu hohen Ehren / aber doch 
muſtu es verdienen / vnnd weil ich dir mein Koͤ⸗ 
nigreich zuverthedigen vertrawe / ſo muſt du ein 
groſſe Tapfferkeit erzeigen in Verthedigung mei⸗ 
nes dir anbefohlnen Koͤnigreichs. Eben dieſe Wort 
koͤnnen auch geſagt werden zu einem Prælaten / 
daß nemblich Gott jhn zu einer ſo hohen Ehr er⸗ 
hebt / vnd hi fein Braut / ſein Tochter / nemblich 
die Seelen vberantwortet hab / damit er ſie fleiffig 
verwachen vnnd verwahren ſolle / aber doch mit 
dieſem Beding / daß er ein großmuͤtiger vnnd dapf⸗ 
ferer Fuͤrſt vnd Fuͤhrer feines Volcks ſeyn / vnnd 
Gottes Sach mannlich verthedigen ſolle. 

Zum andern / wie die Sonn die gantze Welt 
mit jhrem Glantz vberſcheinet vnd erleuchtet / alſo 
ſoll ein Prælat mit dem Liecht der Gerechtigkeit 
vnd behr / wie auch mit den Stralen der guten Wer⸗ 
cken leuchten vnd glantzen / nicht allein mit Wortẽ / 
ſondern auch mit dem Exempel / dann zu jhnen 
wird geſagt: Ihr ſeydt das Liecht der Welt. 
Das Ampt def Liechts iſt leuchten: Wann die Soñ 
deß morgens frühe auffgehet / alsdann vertreibt ſie 
geſchwind alle Finſternuſſen / beſcheinet les / zieret 
den Himmel vnnd Lufft mit ſchoͤnen Farben / vnnd 
machet die Erde fruchtbar: Alſo iſt der Prælaten 

Ampt / daß fie in der Sehr vnd Gelehrtheit leuchte 
8 die 


Hirnſchleiffer. 473 


die dicke Finſternuß der Irꝛthumb vnd Vnwiſſen⸗ 
heit vertreiben / vnd den Weg der Warheit bahnen 
vnd zeichnen ſollem / damit jhn daß Volck deſto beſ⸗ 
fer erkenne vnd beyfaͤlle: dann ſehr vbel gehts zu / 
wann die Prælaten Ignoranten ſeynd / dann wan 
die Augen der Gemein oder deß Volcks blindt / 
vngelehrt vnnd vngeſchickt ſeyndt / ſo hat es nichts 
anders als einen armſeligen vnnd ſchaͤndlichen 
Fall zugewarten Deß Chriſtlichen Kriegsheers 
Fuͤhrer ſeynd die Prælaten vnd Hirten / Ihr Ampt 
iſt auch / daß fie voran gehen / vnnd das Bold auff. 
den rechten Weg zum Himmel fuͤhren ſollen: wo 
fern derowegen die Pra laten blind / vnd deß Liechts 
der Weißheit beraubt ſeynd / lieber / was kan an⸗ 
ders darauß erfolgen / als ein leidiger Fall vnnd 

Verwirtung. a 
Als Cham deß Noe Sohn ſahe / daß der Zuͤnd⸗ 
fluß alle Reichthumb der gangen Welt verſchwẽbt 
hatte / beſorgte er ſich / es moͤchte ſich noch ein an⸗ 
derer dergleichen Fall begeben / der owegen ließ 
er ſiben erdine / vnnd ſiben aͤhrine Seulen mach⸗ 
en / vnnd in dieſeligbe zweymal die fcientia oder 
ſiben freye Kuͤnſt hawen: Die aͤhrine Seulen 
taugten wider den Suͤndfluß deß Waſſers / vnd 
die erdine waren tauglich wider den Gewalt deß 
Fewres / welches ſie ebenmaͤſſig foͤrchteten. Die 
Prælaten der Kirchen ſeynd Seulen / vnnd follen 
verſehen ſeyn mit allerley Wiſſenſchafft vnnd 
Weißheit. Der Preælat fol nicht ein gemahlte / 
ſondern mit ſchoͤner außgehawener / geſchnit⸗ 
tener oder geflochtener Arbeit gezierte Seul ſeyn / 
das iſt / er ſoll nicht zierlich / ſtattlich vnnd praͤch⸗ 
V 4 tiglich 


1774 Sernſchleiffer. 
tiglich in Kleidern auffziehen / ſondern ſoll mit al⸗ 
lerhand ſcentiis vnd Tugenden verſehen ſeyn / da: 
mit / ob ſchon es das Anſehen hat / als haben ſie der 
Welt Vrlaub geben / dannoch die Geſchickligkeit 
vnd Tugendt in jhnen glaͤntze / vnd jedermann Vr⸗ 
ſach habe / zu jhm / als zu einem Goͤttlichen vnnd 
Himmliſchen Oraculo der Weißheit / vnd zu einem 
H Ancker vnd Zuflucht der Tugenden zufl ehen. 
Ferner / wie die Art vnd Eigenſchafft der Son⸗ 
nen iſt / daß ſie mit jhrer Hitz alle Fruͤchte zeitig ma⸗ 
het / Alſo ſoll der Præ lat das Volck auch lehren 
vnd vnderweiſen mit Worten vnd Wercken. Man 
finder keut / welche mit jhrer Eloquentz vnnd Wol⸗ 
redenheit dermaſſen viel vermoͤgen vnd außrichtẽ / 
daß ſie gleichſamb den Schluͤſſel deß menſchlichen 
Hertzens in jhren Zungen haben / vnd daſſelbe nach 
allem jhrem gefallen reitzen vnnd bewegen koͤnnen: 
Hergegen findt man andexe / die ſtamlen wie Mon⸗ 
ſes / vnd ſtoſſen mit der Zungen an / reden derowegẽ 
wenig: Selten findt man einen Menſchen / der zu⸗ 
gleich maͤchtig iſt in Wercken vnnd Reden? Aber 
doch werden dieſe zwey Ding nothwendig an einem 
vollkommen Præ laten erfordert / vnnd wann fie in 
einem Prælaten coneurnren vnd beyſammen ſte⸗ 
hen / alsdann vocabitur magnus in cœlo: wird er 
groß genennet werden im Himmel: ſed rara 
ayis in terra. ein ſolcher iſt ein ſeltza⸗ 
mer Vogelauff Erden. 


(0 ) 8 


8 


Hirnſchleiffer. 475 
Ein groſſes Öefchüg, 


— — 


Der H. Gregors Nuzlänzenls fagte under” 
andern: ein Prediger muͤſſe zwey Ding an jhm 
haben / nemblich: Ein Se e Geſchickligkeit / 
Weißheit vnd Tugendt: Zum andern / daß er in 
ſeinen Wercken vnd Wandel dem Volck ein gutes 
Exempel vortrage. Die Ge ſchickliae. it wird erfor⸗ 
dert / dan er e en ee en, vnderweiſen 
moͤge: Die gute Werck aber / damit er das Bold 
deſto beſſer perſuadiren vnd bewege! ‚Öse. Emſol⸗ 
cher Pred ger war Chriſ tus / nembitch / mächtig in 
Werckenals ein Gott: vnd in Worten als ein 
Menſch; Er war gewaffnet mit zweyen ſchoͤnen 
V 5 Sluͤcken / 


476 Hirnſchleiffer. 
Stücken / nemblich / mit der dehr vnd mit der Tu⸗ 
gendt: Mit der Tugendt war er mächtig / vnd mit 
der Lehr maͤchtig. 1 

Die Sonn hat das kiecht vnd die Hitz. Wann 
ein grobes Geſchuͤtz mit Pulver / aber nicht mit einer 
Kugel geladen iſt / ſo gibt es gleichwol einen groſſen 
Klang vom ſich / vbet aber kein Krafft noch Wuͤr⸗ 
ckung: Chriſtus war ein grobes Geſchuͤtz / vnd gab 
nicht allein ein groſſen Klang / ſonder auch ein groſſe 
Krafft vnd Macht von ſich / er war eine ware Sonn / 
leuchtete mit Worten / vnd waͤrmete durch feine 
Werck: Aber leider / es ſchlagen jhm nicht alle Pre⸗ 
diger nach / dan etlicher Werckſtimmen nicht mit 
ihren Worten vberein: Sie ſeyndt die grobe Ge⸗ 
ſchuͤtz welche auff der Cantzel laut ſchreyen vnd jam⸗ 
meren / aber weil ſie keine Kugeln der Tugenden vnd 
guten Wercken in ſich begreiffen / ſo habẽ jhre Wort 
kein Wuͤrckung. Sie ſeynd dem Bild Nabuchodo⸗ 
noſors gleich / dan ihr Kopff iſt von Goldt / jhre 
Zung iſt verguͤlt vnd beredt / aber die Fuͤß jhrer 
Werckẽ ſeynd vonErd / vnd laſterhafftig. Sie ſeynd 
ein falſche Muͤntz / dan ihre Diſcurſen vnd Wort ha⸗ 
ben ein gute Farb / aber jhre Werck ſeynd von Bley: 

Sie haben die Stun Jacobs / aber die Haͤnd Eſaus. 
Sie reden wie die Jacobi / als wären fie kleine Heili⸗ 
gen / aber ſie leben wie Eſau / jhr Wandel iſt 
Fein nuͤtz. 

Wie es ein groſſes Meerwunder wäre / wan die 
Zung eines Menſchen viel länger wäre / weder die 
Armb: Alſo ſeynd die Prediger / welche viel reden / 
vnd aber nichts thun / einem ſolchen Meerwunder 
gleich / dan ſie reden vielmehr / dan fie thun jhre 

Zungen 


Hirnfchleiffer. 477 
Zungen ſeynd viel länger dan die Armb. Mancher 
prediget vnd ſchreyet viel vom faſten vnd diſeiplini⸗ 
ren / aber es iſt ein lautere Eitelkeit / fie ſelbſt thun 
nichts als pancketiren vnd zartlich leben: V olunt vo⸗ 
cari Rabbi: Sie ſeynd Phariſeer / vnd haben die 
Hoffart in den Ohren / vnd ſuchen nur geehrt zu 
werden. 

Noch aͤrger aller ſeyndt die jenige Hirten oder 
Pfarzer / welche weder predigen noch eftvas guts 
thun können / ſondern fuges conſumere nati, vnd 
die Pfarꝛliche Cinkommen vnd bene ficia nur ge⸗ 
nieſſen / aber nichts drumb thun. Gluͤckſelig aber iſt 
die Gemein / dern Seelſorger predigen vnd thun / 
welche mit Worten lehren / vnd mit den Wercken 
aufferbawen: dan als dan ſagen die Vnderthanen: 
Alles was ſie vns ſagen / das wollen wir thun vnd 
halten. 


Andere Außlegung. 


Die jenigẽ / welche darvmb gute Werck thnn / da⸗ 
mit ſie von den Menſchen geſehen vnd gelobt wer⸗ 
den / ſeynd eine Kriegs man gleich / der da verſehen iſt 
mit einem vngeladenẽ Geſchuͤtz / welches den Feindt 
anfangs ſchrecket / vnd jhm ein Forcht einjaget / daß 
es ein groſſen Schaden thun werde / aber weil er tes 
der mit Kraut / zoth noch Fewer verſehen iſt / fo iſt 
ſein gantze Geſtalt vergebens vnd vmbſonſt / vñ kan 
im wenigſten nichts ſchaden: Ob ſchon die naͤrꝛiſche 
Gleißner gewaffnet vnd verſehen ſeynd mit dẽ Ge⸗ 
ſchuͤtz der guten Werck / ob ſchon fie den Welt ⸗Mẽ⸗ 
ſchen vad fleiſchlichen ein Forcht einjagen / daß fie 

o 


478 Hirnſchleiffer. 

comparatione illorum verdampt werben muͤſſen / 
ob ſchon die jenigẽ / die fie alſo gewaffnet ſehen / ver⸗ 
meinen / daß ſie die Welt / das Fleiſch / vnd den Teuf⸗ 
fel vberwinden / vnd den Himmel mit Gewalt erobe⸗ 
ren werden / aber weil jhnen das Pulver der Goͤttli⸗ 
chen Gnad / die Kugel der guten Intention, vnd 
das Fewr der Goͤttlichen Lieb mangelt / fo koͤnnen 
ſie den Himmel nicht erobern / ſondern gewinnen 
die Hoͤll. 


Ein kleines Hertz ſtehet oben auff 
der Spitz eines hohen Bergs. 


Das Hertz ift das erſte mobile poder betvealiche 
Ding in deß Menſchen deib / welches alle ſphæ⸗ 


Tas 


Hirnſchleiffer 479 


ras der Seelen beweget: Es iſt der Geiſt def lebens / 
von dem Ezechiel Cap. 1. meldet Wo der Wind 
hinging / dahin gingen auch ſie / vnd erhuben 
ſich / vnd folgeten jhm dahin / dann es war 
ein lebendiger Geiſt in den Raͤdern Es iſt 
ein groſſer Brunquell / auß dem zween groſſe unge» 
ſtuͤmme Waſſerfluß fielen / nemblich die Begier⸗ 
lichkeit vnd die eb mit denen man Gott ehren / 
heben ondfeine Beſatz hatten ſoll / nach laut der 
Schrifft: Du ſolt lieben Gott deinen HEr⸗ 
ren auß gantzem deinem Hertzen / vnd von 
gantzer deiner Seelen / vnd auß allen deis 
nen Kraͤfften Einsmals bate ein Einſidler Gott 
den Herin taͤglich / er wolte jhm doch zeigen / was 
ihm zu ſeiner Seelen Heil am nothwendigſten / vnd 
Gott dem Herꝛn am allerangenembſtẽ waͤre?Eins⸗ 
mals aber erſchin ihm der Teuffel in der Geſtalt ei» 
nes guten Engels vnd ſprach zu jhm: Mein from̃er 
Vatter / dein Gebett iſt erhoͤrt / vnd Gott hat mich 
zu dir geſandt / vnd mir befohlen / ich ſoll dir anzeigẽ / 
daß / wofern du begehreſt ſelig zuwerden / muͤſſeſt du 
drey Ding für deine Suͤnd opffern / nembl ich einem 
newen Mon / den Zirckel der Sonnen / vnd den vier⸗ 
ten Theil eines Rads / wofern nun du alle dieſe drey 
Ding zuſam men br.ngen / vnd Gott dem Hern 
auffopfern tanſt / ſo wirjtu filig werden. So bald er 
auch dieſes geredt hatte / verſchwand er. Der arme 
Einfidter hielt ſolches für vnmuͤglich / vnd fing‘ an / 
feiner Seligleit zuverzweiff en: Aber Zott der HEre 
verließ hn nicht / fonder ſchickte ihm einen Engel 


V7 deß 


480 Hirnſchleiffer. 


deß Liechts / vnd ließ jhm ſagen / daß dieſe Ding / 
die jhm durch den Sathan ſeyen fuͤrgeſtellt worden / 
nicht vnmuͤglich / ſonder gar leichtlich zu wegen zu⸗ 
bringen ſeyen / dan der newe Mon werde bedeutet 
durch den Buchſtaben C. der Sonnen durch den 
Buchſtaben O. Vnd der vierdte Theil deß Rads 
durch den Buchſtaben R. Dieſe drey Buchſtaben / 
wan ſie zu ſammen gebracht werden / machen ein 
COR, oder ein Herß / vnd wan daſſelbig Gott dem 
HeErꝛn gantz auffgeopffert wird / ſo wird man ohne 
Zweiffel ſelig. . 

Ein fuͤrnehmer Poet nam dieſes Ænigma in 
obacht vnd ſagte: 

Dimidium ſphera ſpheram, eum principe Roma 

Poſtulat à nobis totius conditor orbis. 

Der halbe Theil einer Kugel iſt das C. Die 
Kugel iſt das O. vnnd der Fuͤrſt von Rom iſt 
das R. als der erſte Buchſtaben deß Worts 
Roma. 

Ein ander Poet ſagte: Tolle caput corvi, ca- 
put ovis , viſcera cervi, offer iſta Deo, inde 
beatus eris, das iſt: Nimb den Kopff von einem 
Raben / vnd den Kopff von einem Schaff / vnd 
das Ingeweid von einem Hirſchen: das iſt ſo viel 
geredt: Als nimb das C. welches das Haupt de 
Worts corvus iſt: Item das O welches dererſt 
Buchſtabe deß Worts ovis iſt: Item das R. wel⸗ 
ches mitten in dem Wort corvus ſtehet als dann 
componire ein Cor, oder ein Hertz darauf / vnd 
opffere es Gott dem Heri / ſo wird es jhm ein ans 
genehmes Opffer ſeyn / dan er ſelbſt ſagt: Fili pre- 
be mihi cor tuum: 

Eins mals 


Hirnſchleiffen 481 


Eins mals ſchrieb ein guter Freund dem andern 
einen ſchoͤnen Brieff / nachfolgenden Inhalts: Ich 
ſchicke der die Hörner deß Mons / die Runde der 
Sonnen / vnd den vierdten Theil deß Rads. Der 
Freund beſann ſich ein lange zeit hiervber / vnd be⸗ 
fand letzlich / das ſolches alles nur drey Buchſtaben 
machten / nemblich Cor, vnd vermeckte / daß ihm 
hiedurch zu verſtehen gegeben ward / daß im fein 
Freund ſein Hertz ſchickte / vnd ihm ſein Affection 
vnd dieb præſentirte Eben dieſes muͤſſen auch wir 
gegen Gott thun / vnd ihm vnſer Hertz allerdings 
ſchencken. Inmaſſen er ſelbſt alſo befihlt vñ ſpricht: 
Dil ges DominumDeum tuum ex toto corde tuo. 
Wer nun dieſes thut / vnd Gott von gantzem ſei⸗ 
nem Hertzen liebet / der verachtet alle zeitliche vnd 
weltliche Ding. 

Eins mals lude Phi lippus König in Macedonia 
feine Phi loſophos zu gaſt / vnd hielt ihnen ein frag 
fuͤr / was doch das allergroͤſte Ding in der Welt 
waͤre? Der eine antwortet / der Berg Olympus; 
waͤre das allergroͤſte ding in der welt / vnd vbertref⸗ 
fe alle andere Berg. Der ander ſagte: das Waſſer 
waͤre das allergroͤſte / ſintemal daſſelbe das Fewr 
dempfft / vnd mit feiner groͤſſe den allergroͤſten theil 
der Erden bedecke vnd einnemme. Der dritt ſagte / 
die Sonn wäre das allergroͤſte / vnd vbertreffe in 
der Groͤſſe die Erd vnd das Waſſer / vnd erleuchte 
beide mit feinen Stralen vnd $iecht Aber der vier⸗ 
te Philofophus ſchoſſe etwas naͤhender zum Zweck / 
vnd ſagte: Es ſey in der gantzen Welt nichts groͤſ⸗ 
ſers / als ein Hertz / welches die groſſe ding der welt 
verachtet. Dieſer Philofophus erlangte meines 10 
a 


482 Hirnſchleiffer 
achtens / den preiß / vnd redete wie ein warer Philo⸗ 
ſophus / dann er ſchetzte alle ding dieſer welt der⸗ 
maſſen gering vnd veraͤchtlich / daß der jenig ein 
groſſes Lob verdient / der das Hertz hat / die ding di⸗ 
ſer Welt zu verachten: Das woͤllen aber leider die 
weltlichen nit verſtehen / noch glauben / ſie thun das 
Widerſpiel / ſeufſtzen vnd trachten nur nach eitlen 
dingen / vnd verachten hingegen die Goͤttliche / vn⸗ 
angeſehen ſie wiſſen vnd ſehen / daß nichts beſtaͤn⸗ 
diges / ſondern alles ein vnbeſtaͤndiges meineydi⸗ 
ges trewloſes Weſen iſt in der Welt. 

Ferner / daß das Hertz in dieſem Hieroglyphico 
oben auff der Spitze eines Bergs ſtehet / bedeut / 
daß wann wir auff den Berg der Contemplation o⸗ 
der deß Gebetts ſteigen woͤllen / muͤſſe allzeit das 
hertz darbey ſeyn / dan kein Gebett ſoll hertzloß ſeyn / 
ſonder ſoll auß dem innerlichen hertzen vnd gemuͤth 
hergehen. Wann der H. David zu Gott betten wol— 
te / bereitete allzeit zuvor fein Hertz mit beſonderm 
Fleiß / dann er ſelbſt ſagte: Ich ſage dir Gott 
groſſen Danck / von wegen der groſſen Gut⸗ 
that / daf dein Knecht fein Hertz gefunden: 
Allzeit muß das Hertz ſich in die hoͤhe zu Gott erhe⸗ 
ben / auff Himliſche ding ſehen / vnd die Ärzdifehe 
ding verachten / dan ſonſten ſeynd ihm vnſere Ge⸗ 
bett vnd werck vnannemblich / vnd gibt zur Ant⸗ 
wort: Populus hie labiis me honorat, cor autem 
eorum longe eſt à me. So dann Gott der Herr 
die Ehr nit ann imbt, wann das Hertz nit de bey iſt / 
wie wolte er dan die Faſten / Allmuſen vnd Gebett / 
als einen verdienſt annemmen: Die Zung eignen 
wis 


Hirnſchleiffer 483 


wir Gott dem Herꝛn zu / aber das Hertz der Welt: 
Den tab bringen wir in die Kirchen / aber das hertz 
laſſen wir im Wirchs⸗ oder Kauffhauß: Den Leib 
im Cloſter / vnd das Hertz zu Hof. 

Man ſagt / es ge he das grauſame Thier Hyena 
in der Nacht vmb der Bawren⸗ Haͤuſer herumb / 
vnd wan es jemandt bey ſeinem Namen nenne hö> 
ret / alsdan behalt es ihn in der Gedaͤchtnuß / vnd 
lernet ſolchen Namen außwendig: Folgends gehet 
es mitten in der Nacht zum Bawrenhof / vnd ruffet 
dem Hirten / deſſen Namen es gelernet hat: Wann 
nun der Hirt herauß gehet / als dann erwiſchet vnd 
toͤdtet es ihn: Es verehret gleichwol den Hirten / in 
dem es ihn bey ſeinen eignen Namen ruffet / aber 
mit dem hertzen verhaſſet vnd ſuchet es ihn zu toͤd⸗ 
ten. 

Eben dieſes thut auch der Menſch gegen Gott 
deſſen beklaat ſich der Herz beum Hieremta am 7 
Cap. vnd ſpricht:spelunca hyenæ facta eſt habita- 
tio mea Mein Volck lobet vnd ehret mich / es pſal⸗ 
liret vnd ſinget mir zu Ehren / aber ihr hertz iſt weit 

von mir / ſie machen auß meiner Wohnung ein 
Spelunck einer Hyenæ: Mit dem Mund ruffen ſie 
meinen Namen an / aber mit dem Hertzen ſeynd ſie 
mir fei d. 

Beſchließlichen ſtehet das Hertz oben auff dem 
Berg alein / gleichſamb in der Einoͤd / ohn einige 
andere Geſellſchafft / dardurch wird erſtlich zu ver⸗ 
ſtehen gegeben / de / wann wir auff dem Berg der 
Contemplatiom oder Betrachtung / oder deß gebets 
ſte igen ond vns begeben woͤllen / muͤſſe vnſer hertz 
allein vid frey ſeyn von allen andern irꝛdiſchen ge 

2 dan⸗ 


484 Syirnfchleifter 

dancken / dann es ſtehet geſchrieben: Wer wird 
ſteigen auff den Berg deß Herꝛn / vnd wer 
wird ſtehen in ſeiner heiligen Staͤtte? Ant⸗ 
wort: Wer ſein Seel nit vergeblich empfan⸗ 
gen hat. Wie nun von dem jenigen / welcher ſeine 
von Gott empfangene talenta vnd gaben vbel ver⸗ 
wendet vnd aalegt / geſagt kan werden / er hab feine 
Seel in vanum empfangen / alſo empfahet der je⸗ 
nig fein hertz in vanum; der in der Contem plation 
vnd Gebett / eitele vnd vnnuͤtze gedancken vnd Ein⸗ 
fall hat / oder mit andern ſorgen beladen iſt. 

Zum andern wird durch das allein auff dem berg 
ſtehende hertz bedeut / daß der Religioß / der die 
Welt verlaſſen / vnd ſich in die Eindd deß H. Or— 
dens begeben hat / muͤſſe gar allein / das iſt / er fol 
kein proprietarius ſeyn / er ſoll auch nichts anders 
ſuchen / als die Armut / vnd im wenigſten an die 
Welt gedencken: Dan man findet etliche Neligiofe 
die ſteigen auff den Berg der Religion / vnd geben 
fihfür Religioſen auß / vnd trachten nach koͤſtlichẽ 
Sachen / vnd denen das Maul immerdar nach ho⸗ 
hen Ehren vnd Prælaturen ſtincket / ſie leben auch 
in den Cloͤſtern dermaſſen weltlich / vnnd bemühen 
ſich viel mehr mit weltlichen bingen / dan die welt⸗ 
lichen ſelbſt, 

Beſchließlichen / iſt das auff dem Berg ſtehende 
hertz ſehr klein / das bedeutet erſtlich / daß vnſer hertz 
ſehr klein vnd demuͤtig ſeyn ſoll / damit es Gott dem 
Herꝛn gefalle / dan nichts liebet er fo ſehr / als eben 
die Demut. Jederzeit hat er die kleinen vnd demuͤti⸗ 
gen geliebt / vnb ſie fur eine Kinder erwoͤhlt. 7 
bes 


Hirnſchleiffer. 485 
liebet vnd ſihet nur auff die Demuͤtigen: Ob dero⸗ 
wegen ſchon einer noch ſo hoch auff dem Berg der 
Religion ſtehet / jedoch / wofern er kein kleines / ſon⸗ 
dern ein groſſes Hertz hat / wofern er nit demuͤtig / 
ſondern großmuͤtig / vnd einen hohen Geiſt hat / ſo 
kan er doch nit in Himmel kommen / kan auch nit 
ſampt dem H. David in feinen 130, Pſalm ſpre⸗ 
chen: Herꝛ mein Hertz iſt nit ſtoltz / vnd meine 
Augen ſeynd nit hoch / vnd hab nit gewandelt 
in groſſen dingen / noch in wunderlichen din⸗ 
gen / die vber mich ſeyndt: Beſchließlichen wird 
ein ſolcher / der ein groſſes Hertz hat / in ſeinem Ge⸗ 
bett nit erhoͤrt / dann / oratio humiliantis fe nubes 
penettat. Rein hoffertiges Hertz / noch hohes Ges 
muͤth wird erhoͤrt / vnd ſein Gebett durchtringet 
die Wolcken nit. Ob ſchon der Menſch mit allen 
andern Tugenden verſehen iſt / jedoch / wofern er 
ie Demuth nit hat / ſo hat der Herr kein gefallen 
an feinem Gebett / wie zu ſehen iſt anj enem Pha⸗ 
riſeer / vnd dem armen Sünder: Der eine war an⸗ 
daͤchtig / faſtete fleiſſig / gab viel Allmuſen / vnd war 
nit wie andere Menſchen / weder ein Dieb / noch 
Rauber / noch Ehebrecher / aber doch / weil er nicht 
demuͤtig / ſondern ſtoltz vnd hoffertig im hertzen war 
vnd ſich ſeiner guten Werck beruͤmbte / ward er nit 
erhoͤrt noch gerechtfertigt: Hergegen / ob ſchon der 
ander mit keinen einigen Tugenden verfehen war / 
jedoch weil er demuͤtig war / ſeine eigne Suͤnd er⸗ 
kente / vnd ſeine Augen nit gen Himmel erheben 
dorffte / ſo gieng er gerechtfertigt widerumb heim / 
Endlichen wird durch dieſes brennende 1 

Ge 


486 Hirnſchleiffer 

bedeut / daß vnſer Hertz allzeit in der Siebe Gottes / 
vnd in der Danckbarkeit brennen ſoll. Im Levitico 
am 6. Cap. befahl Gott der Her / bab auffſenem 
Altar allzeit ein Fewr brennen muͤſte / das war nun 
ein Figur / daß vnſer Hertz immerdar in der Goͤtt— 
lichen dieb vnd Danckbarkeit entzuͤndt fein ſolle / 
wie / damit das Fewr nit erlöͤſche / man pflegt Holtz 
drein zu werffen / alſo / damit das Fewr der Lieb nit 
erloͤſche / fo muß das Holtz der Goͤttlichen Keb in 
vnſern Hertzen vnd en drein geworffen 
werden vermoͤg der Wort: In meditatione mea 
exardeſcit ignis: Die Betrachtung vnd Erinner ũg 
der Goͤttlichen Gutthaten ſeynd Gott dem Herm 
dermaſſen angenehm / daß ( wie Hermes Triſme gi- 
ſtus ſagt es ſich nit gebüret/ Gott dem Herꝛn den 
Weyrauch vnd Myrihen anzuzuͤnden vnd ihn alſo 
anzubetten / wofern es nit mit einer Lieb vnd danck⸗ 
barkeit aeſck hicht: Derhalben ſollen wir mit dem H: 

David in feinem 102. Pſalm allzeit ſchreyen: 
Lob den Herꝛn meine Seel / vnd 
vergiß nit ſeiner wol⸗ 
thaten. 


Re 


Hirnſchleiffer. 487 
Ein Hundt / der mit einem Pfeil 
geſchoſſen. 


She iſt maͤchtiger / als eben deß Menſchen 
Zung / dan der Todt vnd das Leben beſtehet in 
der Zungen. Soll die Zung dem Menſchen das $e- 
ben geben / ſo muß ſie gefuͤhrt werden von zweyen 
Fuͤhrern / nemblich von der Weißheit vnd Fuͤrſich⸗ 
tigkeit. Wan ſie aber dem Menſchen den Todt ver⸗ 
vrſachet / ſo wird ſie gefuͤhrt vom Zorn vnd Neyd. 
Als der Erlöfer einen gehoͤrloſen Menſchen hei⸗ 
len wolte / vondem Marcus am 7 Cap. meldet / vnd 
zu der Zungen kam / betrachtete er / was dieſes kleine 
Glied fuͤr groſſe Vngelegenheiten / Jammer a 
Not 


— S 


488 Hirnſchleiffer. 


Noth zu ſtifften vnd zu verurſachen pflegt / daher 
ſeufſtzte er von hertzen / als wolt er fagen: O Zung / 
O Zung du biſt klein / veruchteſt aber viel boͤſes / du 
biſt gleichwol weich vnd fleiſchlich / aber doch dar⸗ 
neben hart wie ein Staal Du biſt ein organum deß 
Geſchmacks / vnd doch darneben das allerbitterſte 
auff Erden: Ich ſihe / daß du aller Orten mit ſtar⸗ 
cken Mawren vmbgeben biſt / aber doch iſt nichts 
freyer als eben du. Ich ſihe / was du fuͤr boͤſe Ding 
vervrſacheſt / vnd vervrſachen wirſt / derowegen 
ſeufftze ich billich. O wie ſchaͤdlich iſt dem gemeinen 
Weſen ein boͤſe Zung. 

Sepulchrum patens eſt guttur eorum: Wofern 
ein Grab / welches mit todten verfaulten Leibern 
erfüllt waͤre / in einer Statt offen gelaſſen wuͤrde / ſo 
wuͤrde es ohn zweifel den Lufft inficieren / ein vers 
giffte Peſtilentz vervrſachen / vnd viel Volcks hin⸗ 
weg nemmen / jederman würde ſchreyen vnd begeh⸗ 
ren / man ſolte ſie einwerffen vñ zumachen Ein boͤ⸗ 
fe ehrenruͤhrige Zung mitten vnder dem Volck / iſt 
je nichts anders als ein offnes ſtinckendes Grab / 
darauß nichts anders als inficierte vergiffte Reden 
vnd Wort gehen. Heut ſchaͤndet ſie den einen / mor⸗ 
gen verkleinert ſie einen andern / vnd laͤſt nit nach / 
biß fie alle andere inficiert / rein hergenommen vnd 
auß gericht hat. Ein Nottuͤrfft wäre es / daß jeder⸗ 
man hauffenweiß herzu lieffe / ihm das Maul vers 
ſtopffte / vnd daſſelbe offne Grab bedeckte / ſinte⸗ 
mal er jederman angreiffet vnd beleidiget Wann 
ein Grab verſperꝛt iſt / alsdann bleibet der Ge— 
ſtanck darinn verborgen / vnd iſt nur inwendig ine 
ficiert / Aber ein Affterꝛeder iſt ein offnes Grab / 
wel⸗ 


Hirnſchleiffer. 489 


da alles / was boͤſes im Hertzen ſteckt / herauf 
wirfft 

Das deutet der Weiſe-Mann artlich an / da er 
ſpricht: Gleich wie ein Pfeil / der in die Huͤfft 
deß Hunds geſchoſſen wird / alſo iſt auch das 
Wort in einem Narren. Ein geſchwetziger 
zaͤnckiſcher vnd ehrenruͤhriger Menſch / der feines 

tachften Maͤngel / Gebrechen vnd Verbrechen 
nit verſchweigen kan / iſt einem Hundt gleich / dem 
ein Pfeil in die Huͤffte geſchoſſen worden. Deß 
Hunds⸗Art vnd Eigenſchafft iſt / daß er hellet: Vnd 
eines Ehr ahſchneiders Art⸗ vnd Eigenſchafft iſt / 
daß er wider jederman bellet / allermaͤnniglich beiſ⸗ 
ſet / vnd niemand verſchoͤnet. Wie auch der Hund 
kein Ruhe hat / ſo lang er den Pfeil nit auß feiner 
Haut gezogen hat: Alſo hat ein Affterꝛeder kein ru⸗ 
he / biß er ſeines Naͤchſten geheimes Verbrechen 
offenbahrt vnd an Tag gebracht hat. Es iſt ihm 
vnmuͤglich / daß ers verſchweige:Es iſt ihm gleich⸗ 
ſamb / als waͤre er mit einem vergifften Pfeil ver⸗ 
wundt / derowegen wuͤtet vnd tobet er ſo lang / biß 
er alles / was er von ſeinem Naͤchſten weiß / auß⸗ 
goſſen hat. 

Biß weilen ſchickt Gott dẽ Menſchen zur ſtraff 
ſeiner ſuͤnden / etwan ein boͤſe Zung: vnd wie dieppe⸗ 
ſtilentz / Hunger / Thewrung vnd Krieg ein Inſtru⸗ 
ment ſeynd / mit denen Gott ein Statt oder gantzes 
Landt ſtraffet / daher werden alsdann ſonderbare 
Proceſſiones vnd offne Gebett angeſtellt vnd ges 
halten / damit Gott widerum̃ verſoͤhnet werde: Al⸗ 
fo fol man billig auch für ein boͤſe Zung thun / vnd 

mit 


Hirnſcheleißfr. 
mit dem König David im 119. Pfalm ſprechen: 
Kerr erꝛette mich vor den boͤſen Maͤulern 
vnd von den falſchen Zungen. 

Als Gott ſein Volck ſtraffen wolte / ließ er jhnen 
durch den Propheten Jeremiam am 8. Cap. ſagen: 
Ich werde Baſiliſcken ſchlangen vnder euch 
ſenden / die ſich nit beſchweren laſſen / vnnd 
fie werden euch beiſſen. Kein vergiffte Schlang 
iſt fo ſehr zu foͤrchten / als eben eines Gottloſen 
Zung / welche jedermans Ehr angreifft: Dann ſie 
ſeyndt Speculatores, Auffſeher / Speonen vnnd 
Augkundſchaffter vber anderer leut Leben / Handel 
vnd Wanbel: Alles was ſie ſehen / Hören vnnd er⸗ 
fahren / das notiren vnnd mercken ſie auff / damit ſie 
einen groſſen hauffen Holtz oder Scheiten zuſam⸗ 
men bringen / vnnd jhn mit dem Blaßbalg jhree 

Zungen anzuͤnden moͤgen. . 

Der H Johannes ſahe in feiner Offenbarung 
am 12 Capittel vnder andern auch einen groſſen 
roten Trachen / der hatte ſiben Koͤpff vnnd ſiben 
Hoͤrner / vnnd auff jedem Kopff ein Kron / vnnd 
fin Schwantz zoge den dritter Theil der Sternen 
vom Himmel nach ſich Durch diſen Trachen kan 
gar wol ein Affterꝛeder verſtanden werden / ders 
ſelb iſt / wie der Trach roth / dann / damit jhm 
geglaubt werde / fo ſuchet er allerhand Far⸗ 
ben / ſeine Luͤgen zucoforiren vnd zufärben. Durch 
die ſiben Kopff werden bedeut fibeniriey Art 
deß Affterꝛedens vnnd Ehrabſchneidens. Die 
ſiben Kronen bedeuten / daß dieſes Laſter in 
ſiben vnderſchidlichen Orten der Well regieret/ 

dan 


Hirnſchleiffer. 491 


an der Fraß vnd die Voͤllerey regiert fuͤrnemblich 
n Teutſchlandt / die Vnkeuſchheit in Italien / dte 
doffart in Hiſpanten / der Zorn vnd Würigfeie 
md Vnruhe in Franckreich / vnd der Neid vnd 
galſchheit en Engellandt; Aber des baſter deß Aff 
lreedens regiert em allen Landen Stätten / Hoͤfen / 
loſtern vnd Haͤußern / der Schwantz / welcher den 
ruten Theil der Sternen nach ſich zohe / bedeut / 
aß das kaſter deß Affterꝛedens einen groſſen Theil 

Chriſten hinab zur Hoͤllen zeucht / ſintemahl die 
fflerzeder den Schaden / welchen fie ihrem 
ach ſten zugefügt / nimmermehr erſtatten kön 


4 


otto, dan fo ſich einer geduͤncken laͤſt ( fprich der H. 
jaccb in feiner 2 Eptſt.) er ſey ein Reltgtoß oder 
hriſtglaubiger vnd Gottesdtener / haͤlt aber feine 
ung nit im Zoum / fo iſt ſen Andacht vnd Gotts⸗ 
enſt vmbſonſt. Vnder andern Vrſachen / warumb 
r Tauffer Joaunes ſich in die Wuͤſte begab / war 
eſe eine damit nemblich er fein geben mit vergeb⸗ 
chen vnd vnnuͤtzen Worten nicht beflecken möcht: 
rowegen ſingt die Rirch von ihm: Antra deferti 
neris ſub annis, Civium turbas fugiens peti- 
> 

Ne levi ſaltem maculare vitam Famine pof- 
s. Drefer Vrſachen halben ermahnet ung der hei⸗ 
ch Geiſt vnd ſpricht: Ne temerè quid loquaris, 
que cor tuum fit velox ad proferendum ſer- 
onem coram Deo, quia Deus in cœlo & tu 


lupe 


ne re m Te ee — 


Hirnſchleiffer. 


492. 
fuperterram:idcircg ſint paucı fermones tui. A 
wolt er fagen: Die ſchlechte veräcyiliche Menſch 
dörffen vor den Fuͤrſten vnd Potentaten nie 
reden / vnd die jenigen / welche wenig wiſſen / müfl 
vor den Gelehrten ſtillſchweigen: Meil aber Ge 
tes Ma jeſtaͤt / Herilichkeit vnd Weiß beit fo art 
iſt / du aber gegen ihm nur ein veraͤchtlicher Wurt 
vnd mit lauler Vnwiſſenheit erfullt biſt / vnd wei 
daß er deine Word wage / fe ſchawe auff / vnd fi 
dich wol für / was vnd wie du vor ihm rede 
Schweige auch ſtil / vnd halte lilentium ſo vil A 
moͤglich iſt 

Weil dan an der Zungenfo viel gelegen iſt / 
muß man Gott den Hern fleiſſig vmb Gnad 5 


5 daß er fie bewahren woͤlle; Dan der we 


an ſagt in feinen Spruͤchen am. 26. Cap “ 
ſteht in deß Menſchen Gewalt / daß er fü 
Hertz bereit e aber der Herr regiert diezung 
Golt allein iſt der jenig / der dem Vnrath d 
Zungen begegne vnd ſteure; derowegen foͤrcht 
te ſich David vor ihr vnd fprad) : Pone cuſtodia 
ori mco & oſtium c ircumſtaptiæ labijs me 
Man pfleget vor der Statt Thor einen 36 
ner zuordnen / der auff die waaren mercket die au 
vnd eingefuhrt werden / damit nichts vnderſchl 
gen vnd vnverzollt hinein komme oder du! chg 
ſchleicht werde / er ſchreibet auch alles fleiſſia et 
biß weilen meſſet vnd mager ers / daunt er will 
moͤge / was der Zoll darfuͤr ſey : Afo vnd ebn 
Geſtalt begehrt der H. David von Gott de 
Herm / daß er ihme einen Huͤter oder Wachter 
fich 


Hirnſch leiffet r. 493 
elle / der feinen Mundt bewahre / vnd der ein 
Bag ind r Hans habe / vnd alles abwaͤge / dannt 
fin einiges Wo rt auß einem Mundt gehe welches 
icht zuvor in die Wag gelegt / gewagt vnd exami⸗ 
nert waͤre: Dan wol reden vnd wol ſchweigen / 
ompl don Gott her vnd iſt ein Gab deß Allerhoͤch 
fe allermaſſen das Leben vnd der Todt in der Zun⸗ 
gen iſt Ein gute Zung iſt ein Himliſch Ding / aber 
in boſe / ein Holliſche. 


Andere Außlegung. 


Boltz / mit denen GOTT de 
is ſcheuſt / ſeyndt die Truͤbſeligkeiten 15 
deſem geget bawde de n / vnd wie de i bn 
eib geſcho ſſene Wunden ons wehe thun / dem Rib 
ſchmertz lich ſey dt / vnd ons bewegen vũ antreiben / 
fin remecdhum oder Artzney zuſuchen; alſo ſeyndt 
die Truͤbſol vnd Widerwertigkeiten vnſerm Herzen 
ſch mertzlich / derowegen bewegen vnd treiben ſie vns 
n andere Weg ein i oder Troſt zuſuchen / 
nemblich zur Bet rachtung deß allerhoͤchſten vnd 
ewigen Guts. Daher ſich 5 itgeſchrteben: Deine 
ſeil ſtecken in mir / vnd dein Hand haltefl 
du an vber mich. Wer dieſelbige betrachtet / der 

greiffet ur Gedult / vnd ſtehet alles / was 
hm GOTT widerwertiges zuſchicket / mit Gedult 
auß: murꝛet vnd beſchweret ſich nicht wider Gott / 
uͤrnet auch nicht wider feine Feinde / vnd ſuchet vnd 
4 Rach / wird durch den Schuß vnd 
nach empfargener 2 ucht hart vnd wuͤtig 
2 wie 


494 Hirnſchleiffer 


wie ein Hundt / ſondern er ergibt ſich geduͤltiglich 
die Vaͤtterliche Straff / Ruthe oder Heimbſuchu 
Gottes / erhebet ſein Gemuͤth zu ihm / vnd dand 
ihm darumb: Letzlichen erbarmet ſich der H 
pber ihn / ſihet ihn mit dem Aug feiner Barm⸗ 
hertzigkeit an / troͤſtet / erloͤſet vnd 
erꝛettet ihn auß aller 
Noth. 


Hirnſchleiffer. 495 


Ein zer brochener erdiner Krug mit 
einem ſchoͤnen ſilbernen verguͤl⸗ 


TIRIE II 


| SERIE —— 

Gathocles König in Sicilia war anfangs ein 
Hafner / damit er ſich aber von wegen der er⸗ 
angten Koͤniglichen Majeſtaͤt vnd Hochheit nicht 

berheben / ſtoltztren / vnd feines vorigen ſchlechten d 
Standts vergeſſen moͤchte / ſo aß er auß keinem ſil 
ernen / ſondern erdinen Geſchir :; Er erinnerte ſich 
ch / daß er ein Hafner geweſt / vnd nichts anders 
vaͤre / als ein Erd Durch nichts anders werden die 
hohe Gedancken vnſers Gemuͤths ehender bezwun⸗ 
zen vnd gedaͤmpt / als eben durch die Betrachtung / 
X 3 daß 


496 Hirnſchleiffer 
daß diefer vnſer Leib nur von Erden erſchaffen ift 
Ind widerumb in Erd, a ar Aſchen verkehr 
werden ſoll. Das wird vns artlich angedeu 
durch das obgeſetzt. Hierog ha um eines erdine 
Hafens / vnd deß darauff ſtehenden ſilberne 
Deckels. 

Dan obſchon der Menſch ein noch fo gro 
mächtiger Koͤnig / Reyſer / Fuͤrſt oder Herꝛ aſt / ſo if 
er doch nur der e eim Koͤniglicher Titel / ſen Ma 
jeſtaͤt vnd He hheit iſt groß vnd herzlich / ab er wat 
vnder dieſem Deckel oder Titel verb borgen / iſt nu 
ein Han voll Erden. Derowege u ſagte der H 
David: Non apponatı ultra n gnihice are fe home 
de terra ala wolt er ſagen: Warumb begehret fid 
der Menſch groß vnd heril: c zumachen / vnd fid 
biß an den Himmel zu erheden / da er doch er haftet 
iſt auf; m allerveraͤchtlichſten Element / nemblich 
auß der Erden? Wofern erauß dem Himmel h erfä 
me / wofern er ein lauterer Geiſt wäre / wofern ei 
auß etwa einer andern edlern Mater erſchaffen 
ware, fo waͤre es dannoch etwas / aber weil er nu 
von Erden ıf kit varh siert er dan Biß wellen 
ehen wir einen T hrafonem oder Schnarcher vnd 
Broß ſprecher⸗ der beruͤmbt ſich ſeines Adels vnd 
vraͤlten Geſchlechts vnd Herkommens / aber es 
komp einer zu ihm vnd ſprich Mein Kerl / was be⸗ 
ruͤmbſt du dich? Vermein ſtu / man kenne dich vnd 
deine Eltern nicht? Man weiß gar wol Zu dem biſtn 
nn in Kind der Erden 

Iſraeliter wolten nicht ala uben / daß das 
1 1 nder Wuͤſte inbetteten / kein Bott 
wäre / derowegen ließ Moy ſes daſſelbe Kalb zer⸗ 
ſchmet⸗ 


— 


Hirnfehteifer. 422 


0 ö 
hmetterm / zu Pulver mache ins Waſſer werffen 
NO dem Volck zutrinck enge ar C xod ez Cap. 
eſchrieben ſteht O wie ein hrilncher Tit ck war 
eſes / O wie fein hat dieſe Purgation yr Torheit 
nweg genommen Der Gott / weichen ust utter 
ershreren vnd anbetteten / wid zer 
erbrennt/ zu Aſchẽ gemacht / vnd in das (hä liche 
ort deß menſchlichen Bauchs geworffeu. O vu fin» 
iger narꝛiſcher Menſch / der du d t ſelbſt ein Gott⸗ 
eit auff Erden verbeiſſeſt / vnd dermaſſen ebeſt 
nd handleft/ als waͤre kein Gott im Himmel: Des 
ebeſt du dieſe deine Thorheit zuvberwinden ond 
ub dieſer Vnwiſſen heit zukommen / vnd begehreſt 
b Härlıch zuſehen / daß du nur ein Menſeh / vnd fein 
Bott ſeyeſt / ſo chu den ſilbernen Deckel deiner Ma⸗ 
ſtaͤt / Hochheit vnd hohen Standts hinweg / ſo 
uurſt du einen Erdenen zerbrochenen Hafen ſehen. 
detrachte / was du fuͤr ein End nemmen werdeft⸗ 
den daß dein deib eben fe wol / als jenes gülden 
es Kalb zerſchmettert / vnd in Staub vnd Aſchen 
erkehrt werden ſoll. 

Artlich verſpottete Eſaias der Heyden Thor heit / 
elche ein buͤrzes Holtz für einen Gott anbetteren. 
un Zimmerman (ſpricht obermelter Eſatas) ge⸗ 
et in den Wal dt / hawet einen Cederbaum ab / tragt 
n heimb / zer hackt ihn in zween Theil / mit dem et⸗ 
en Tdeil backet er Brod vnd waͤrmet ſich / auß dem 
ndern Theil aber machet er einen Goͤtzen / vnd bet⸗ 
t ihn an: O groſſe Thorheit / den einen Theil deß 
yolges verbrent er zu Aſchen / den andern Theil a⸗ 
er / darauß et einen Goͤtzen gemacht / bettet er an. O 
ſas hette naͤniſcher ſeyn koͤnnen / als daß einer auß 
K 4 einen » 


798 Hirnſchleiffer. 
einerley holtz zugleich einen Aſchen vñ einen Abgot 
machet / denſelben in die Hoͤhe erhebet / vor ihm ni 
derfaͤllt / vnd ihn anbettet. O wie ein ſchoͤnes Argu 
mẽt iſt dieſes / die hoffertige vnd vermeſſene Gemuͤ 
ther zu demuͤtigen / welche ſich von wegen ihre 
Reicht humb vnd Gluͤckſeligkeit für Götter anbett 
laſſen / vnd betrachten nicht / daß wir alleſampt auf 
elnerley Wurtzel vnd Asft gebohren / vnd auß den 
Baum der menſchlichen Natur herkommen ſeyndt 
Wir alleſampt ſeyndt ein Theil dieſes Baums / wel 
der Theil / welcher laͤngſt vor vns hergangen / zi 
Aſchen verkehrt / vnd durch das Fewr def Todt 
verzehrt iſt worden / was ſollen wir dan von den 
vorigen noch vorhandenen Theil ſagen vnd halten 
Weil das Fewr alle Fuͤrſten vnd Potentaten de 
Welt / welchevor vns geweſt ſeyndt / verzehrt hat, 
weilſte alleſambt mit der Sichel deß Todts zerſchnit 
len vnd; rhawen ſeyndt / weil ſie alleſampt elendig 
lich vmbtommen / vnd in Staub vnd Afchen ver 
; lehrt ſeyndt worden: Warumb darffſt dan du när 
riſcher vnd hoffertiger Menſch / der du eben dieſet 
Holtzes ein halber Theil biſt / dir ſelbſt ein Sicher 
hett verhelſſen / dich ſelbſt zu einem Gott machen, 
vnd vonallermaͤnniglichen verehren vnd anbettet 
laſſen? Gedenck / O Menſch / daß dein Standt vn 
Hochheit gleichſamb nur ein ſibener Deckel auff el 
nem zerbrochnen erdt nen Hafen iſt / gedenck daf 
du nur ein Menſch biſt vnd eben ſo wol zum Tod 
verurtheilt biſt als ein andere. 

Dn: ſolſt mit dem weiſenee Roͤnnig Salomon ſpre 
chen I ch bin auch ein toͤdtlicher Menſch 
gleich wie alle andere / vnd auß dem jrꝛdi 

N ſchen 


* 


Hirnſchlefffer. 499 
chen Geſchlecht deſſen / der erftlich gemacht 


fi. Hinweg / hinweg ihr böfe Gebaucken / 
rollt euch ihr falſche Schmeichler / Fuͤchsſchwentzer 
vnd Ohrenkratzer / vberꝛedet mich nicht / daß ich ein 
Gott ſey vnd ein andere Natur / weder alle andere 
Adams Kinder / habe: dan die Erde dieſes meines 
geibs gibt mir zuverſtehen / daß weder die Macht 
dieſes Koͤntgreichs / noch das groſſe Geſchrey mer 
ner Weiß heit / noch die Herꝛligkeit meines Bluts 
vnd Geſchlechts / noch auch die Glory meiner Reich⸗ 
thumb / mich in einen andern verkehrt habe / dan ich 
bin ein ſterblicher Menſch / vnd der Verweſenheit 
eben ſo wol vnderworffen / als andere Adams ⸗Kin⸗ 
der. Philippus König in Macedonia hatte einen 
Knaben / der muſte ihn räglich deß Morgens fruͤh 
auffwecken / vnd zu ihm fagen Gedeuck O Konig / 
daß du ein Menſch biſt: Der Konig antwortet: Frey⸗ 
lich bin ich nur ein armſcliger Meuſch / vnd der Ver⸗ 
weſenheit vnderworffen / vnd muß widerumb 
zu Aſchen werden. Owie hoch wäre es zu wuͤnſchen / 
daß wir Chriſten dieſem Heidniſchen Koͤnig gleich⸗ 
fals nachfolgten mit dem filbernen Deckel vnſers 
hohen Standts / Adels Reichthumb / vnd mit vn⸗ 
ſerer Schönheit nicht fo ſehr prangeten / ſondern 
den darunder ſtehende Erdinen Hafen onferer 
Schwachheit / Zergoͤnglichteit Schaͤndlichkeit vnd 
Heßlichrett eigentlich beſchaweten. Dan lieber / 
was ſteckt vnder der koͤſtlichen guͤldinẽ Cron / vnder 
dem Koͤniglichen Pu pur / Scepter anders / als ein 
erdirer zerbrochner Hafen? War iſt er mehr als ein 
Erd vnd Hand vol Koths! Was ſteckt vnde den 
e verguͤl⸗ 


* 
400 Hirnſchleiffer. 


verguͤlten koͤſtlich gezier!tẽ vnd geſch muͤckten Haupt 
eines hoffertigen Weibs bild anders / als ein bam 
faͤltige Erd / Staub vnd Aſchen / was iſt der weiber 
aͤu ſſerliche Schönheit anders / als ein verdeckten 
Vnflat?! 

Als jener auſſaͤtzige Syriſche Fuͤrſt Naaman 
auß Syria in Judæam zum ProphetenEliſæo kam / 
vnd begehrte durch ihn gereinigt zu werden / hat er 
die Reinigung erlangt / als er aber widerumb 
heimb reifen wolte / bate er denſpropheten / er wolte 
ihm doch zween Koͤrb voll Erden auß dem Iſraeli⸗ 
uſchen Land mit ſich hinweg zuführen e xlauben / 
dan er war vorhabens / hinfuͤran den wahren 
Gott zuverehren / vnd ihme einen Altar in ſet⸗ 
nem Hauß zubawen weil er auch ve rmeinte/ daß 
die Erde deß kands Iſracl heilig wäre, ſintemal 
der wohre Gort aldort verehret ward / fo hat er 
vmb erlaudnuß / ſolche Erd mit ſich zuführen ger 
detten / damit auß ſolch erErdeinen Altar zurichten / 
vnd den wahren GOTT anbettem / wie auch durch 
die an ſchawung ſolcher Erd ſich feines vorigen 
A. ſſages erinnern / vnd ſich vor Hoffart vnd Vber⸗ 
muth huͤten möchte. O wie hoch wäre es zu wuͤn⸗ 
ſchen / daß auch wir dieſes nuͤtzliche re medium 
brauchten / auch an die Erd / die wir nicht a allein vn⸗ 
der den Fuͤſſen / ſondern auch oberhalb der Fuͤſſen 
tragen / gedaͤcht en / ſo würde gewiß lich vnſer Hoff art 
vnd Vbermuth zimbli licher maff en gedaͤmpt werden: 
Wir würden nicht fo ſehr prangen mit dem zerbro⸗ 
chenen Deckel vnſerer Hochhe ten / groſſen vnd 
langen Titeln / noch mi fe onferen n Deichthumben/ 
Schoͤnheit vnd gelsscheisen / ſonder wurden ung 

. ſtoſſen 


Hirnſchleiffer. for 


ſtoſſen am den zerbrochenen erdinen Hafen vnſer 
Schwachheit vnd Laſter 
Beſch ließ lich iſt dieſes wol zumerckẽ / daß das da⸗ 
474 Wort / he mo ein Menſch / in allen Spra⸗ 
hen ein Erd bedeutet / vnd man leſe es für ſich / oder 
hinderſich / fo lauts vnd heiſt doch homo, (dan der 
Buchſtab H iſt nur ein afpıratio ) vnd wird hier⸗ 
durch zu verſtehen gegeben / daß der Menfch mam 
beſehe vnd beſchawe ihn / wie vnd wo man immer 
woͤlle / jo iſt er doch nichts anders als ein werug Erd / 
ein zerbrochner Hafen / vnan geſehen fein Deckel von 
Suͤber / von Goldt / vnd ſein Tuel vnd Standt noch 
fo groß vnd ſtastlich iſt / wan wir einem Todt hero 
den Vor lauff ſetnes Lebens biß zu feiner Geburt be⸗ 
trachten / ſo befinden wir / daß er ein homo, ein Erd 
iſt: wan wir ihn von feiner Geburt hero anfahen zu⸗ 
betrachten / vnd einen Vberſchlag machen was er 
doch ſey / ſo werden win gleichfals befinden / daß es 
nur ein home, ein Erd iſt / daher wird nicht vnbillig 
geſagt Gedenck O Menſch daß du eit 
Aſchen biſt vnd in Aſchen verkehrt wirſt wer⸗ 
den. 

Dic Megarenſer begruben ihre Todten auff dkeſe 
Weiß nemblich den Mund legten fie auff die Er⸗ 
den / gleichſam kuͤſſete er fie. Hurdurch wolter ſie 
zuverſtehen geben / daß der eriodus eder gauff bie⸗ 
fis tehens feinen andern termmum „ale eben die 
Erd / habe / der gantzen Welt den Rucken zeige / vnd 
daß ak Reichthumb / Glory und Woluft in der 
elt verbleibe / aber der todte Men ſch hab vo ihr 
Vrlaub genommen / vnd ſey widerumb in ein Erd 

26 vertehrs 


502 Hirnſchleiffer. 
verkehrt worden. Dieſes iſt nun das erdine Geſchi⸗ 
er: mit dem ſilbernen Deckel. 


Ein Andere Außlegung 


Es geſchehen viel vngleiche Heurat in der Welt / 
biß weilen nimbt ein reicher Geſell ein armes Maͤgd⸗ 
lein / ein Edler ein Vnedle / hergegen ein reiche Fraw 
einen armen Geſellen / vnd ein Edle einen Schrei⸗ 
ber / oder Knecht. Der Edelman nimbt bißmweilen 
eines reichen Wuͤcherers oder Kauffmans Tochter / 
nur von wegen ihres Gelts vnd Guts: Manche 

choͤne Sram nimbr einen heßlichen / vngeſchaffenen 
Knopff / von wegen ſeiner Reichthumb: Mancher 
König oder Fuͤrſt verehlicht ſich mit eines Edel⸗ 
mans Tochter / nur von wegen der eitelen vnd ſchoͤ⸗ 
nen hieb Junge friſche Geſellen nemmen biß weilen 
alte Weiber / her gegen die alte Weiber hengen 
ſich an junge Rotzbuben. Deß gleichen nemmen als 
te Maͤnner friſche junge Maͤgdlein / von wegen ih⸗ 
rer Schoͤnheit. Nichtweniger werden junge geſunde 
ſchoͤne Maͤdlein verkuppelt mit vngeſunden / vnret⸗ 
nen ſtinckenden Maͤnnern. So gar mmbt bißwel⸗ 
len ein feiner gelehrter Geſell ein zeruſſene / vbelbe⸗ 
ſchreyte Jungfraw / mehr von wegen deß ſchuoͤden 
Gelts / dan es gilt vns nunmehr alles gleich / wan 
nur Belt vorhanden iſt / vnd es heift : Je ärger 
Menſch / je beſſer Gluͤck. Das alles aber reimbt ſich 
wie ein Fauſt auff ein Aug / vnd wie ein ſilbener ver⸗ 
guͤlter Deckel auffe inen alten erdinen Hafene Kein 
wahre rechtſchaffene lieb vnd Einigkeit regieren in 
einer ſolchen Ehe / ſondern es erfolgtdarauß / 75 
e 


Hinrſchleiffer. 703 


ſie einan der allzeit verachten ſchaͤnden vnd ſchmaͤ⸗ 
hen. Die reithe nennet ihn einen Bettelman / der 
ihr nichts hat zugebracht / vnd der in dem ihrigen 
ſitzet. hergegen nennet der Edelman fie ein grobe 
baͤuriſche Drampel oder Pefferſack. Der junge 
man nennet die Alte einen alten Balg vnd Vn⸗ 
huldt: hergegen nennet ſie ihn einen jungen Schel⸗ 
men / der ihr alles verthut / vnd auff die ſieten gehet, 
es entſpringt auch bißweilen ein holdſeliges rauffen 
drauß: Vtel rat hſamer waͤre es / daß ſie niemaln 
einander geſehen / oder Hochzeit gehalten haͤtten. 
Derowegen iſt nichts beſſer / als daß ein ſilberner 
Deckel ein ſilbernes Geſchirꝛ habe / vnd daß ein er⸗ 
dines Geſchtrꝛ ein erdinen Deckel ſuche / vnd ſich 
damit bedecke. 
ketztlich vnd zum Beſchluß wird durch den zer⸗ 
riſſenen erdinen Hafen ein boͤſe vngerechte Sach / 
vnd durch ein ſilbernen vergulten Deckel ein gelehr⸗ 
ter Advocat verſtanden / dan zu einer guten gerech⸗ 
ten Sach bedarff man keines ſonderbarẽ hochgelehr⸗ 
ten Fuͤrſprechers / dan fie iſt an ihr ſelbſt richtig / 
vnd redet fuͤr ſich ſelbſt Aber je vnrichtiger / aͤrger 
vnd hoͤſer ein Sach iſt / je boͤſere vnd ſpitzfuͤndigere 
Advocate ſuchet vnd findet man / welche fich gar 
gern gebrauchen laſſen / vnd uͤber ein jedes 
ſtinckendes Wildpret ein Bruͤhle 
zumachen wiſſen. 


904 Hirnſchleiffer. 


Zween Trom eter / der eine blaͤſt / 
der ander nicht 


— 


Dan e ele voller Na aber 
ui ound kauglich / dan ſie haben bie Qualitaͤteu 
vnd Sigen ſchafften nicht / die darzu erfordert were 
den / dan etliche pr edigen vnberuffen/ vnd ſeynd 
vom Apoſtoliſchen Stul nit geordnet: Derowegen 
wird zu ihnen eſagt: Quomodo præd „ 
mitt; tur? Wie wolten fie predig gen / w 
nicht geſandt werden: Zum andern baer an 
etlichen Orten vngelehrte Schuster vnd Schnei⸗ 
der / welche auß lauer Vnwiſſenheit Keen yen 
vnd 


Hirnſchleiffer 907 


dnd Irithumb predigen. Drittens / finde t man 
Gelt⸗Pwediger / welche von deß Gelts wegen das 
Wort Gott s verkauffen / vnd das thrige; ‚abe vnicht 
was Chriſtt iſt / ſuchen Vterdtens / predigen etliche 
wol / leben aber vbel Dergleichen Prediger aber 
ſeynd vm gluͤckſelig / ſintemahl fie ſich vnderſtehen 
andere zuerl euchten / fie ſelbſt aber wanderen in des 
Finſtermuß vnd Verdamnuß 

Infeli a quspanca [apit pernitque doceri: 

Infeltr qui recta docens operatur iniquè: 


Als dan iſt der Prediger Lehr geſundt / heilſam vnd 
fruchtbar / wan nemblich das Leben vnd die zehr v⸗ 
bereiult mmen/ daher fagte der Pro phet Joel am 

NN zu den Predigern:C anite tuba in Sion, 

Blaſet mit der Poſaun zu Ste on. Ein einige 

tommereiß micht g ugſamb ein ſteten Klang zu 
ma chen / dan ein einiger Trommeter kan nicht allzeit 
ein Stund oder zwo nacheinander bla en / ſondern 
er muß bißweilen pauſiren / auffhoͤren / vnd ein we⸗ 
nig verſch nauffen vnd verblaſen / aber zween koͤnnen 
den Klang eontinuiren vnd beharten / wan nemb⸗ 
lich fie abwechßlen / vnd einer vmb den andern 
hlaſt. 

Durch die Poſaun wird ein Prediger verſtäden / 
der ſoll dem Volck das Wort vnd die Geſetz Got⸗ 
tes vorblaſen / wie dan der Prophet Efaias je * 
ſeinem 58. Capitel hierzu ermahnt / vnd fpric 
Schrey⸗ laß nicht nach / erhe b dein Sum 
wie ein Poſann. Aber ein einige ſolch Pos 
ſaun hilfſt wenig / dan die Stimm deß Predigers 
wird vnderſagt / wofern der Klang der u 

Wer⸗ 


506 Hirnſchleiffer. 


wercken vnd Exemplariſchen Lebens nicht darbey 
beharzt. 

Wie ein Seeman feinen Samen ohn allen Vn⸗ 
derſcheid in den Acker wirfft vnd außſtrewet / alfo 
ſoll ein Geiſtlicher Seeman das Wort Gottes ohn 
Anſehen der Perſonen / nach eines jedes Standts 
Notturfft predigen / dan er iſt eines jeglichen 
Schuldner / ſo wol der Gelehrten / als der Vnge⸗ 
lehrten / ſo wol der Reichen als der Armen / ſo wol 
der Hanſen als der Haͤnßlein. 

Artleich vergleichet Eſatas den Prediger einer 
Wolcken. da er ſpricht: Wer ſeyndt die welche 
da fliegen wie die Wolcken 2 Wie die 
Wolcken vns pflegen den Regen zuertheilen / alſo 
ſollen die Prediger ons mittheilen ihre heilſame 
kehr: Die Wolcken haben keinen Vnderſcheidt der 
Perſonen / ſondern lauffen vnd fliegen durch alle 
Landt: Pluit ſuper juſtum & injuſtum, ſie regnen 
über die Gerechten ond vagerechten: Alſo vnd eb⸗ 
ner Geſtalt ſoll der Prediger alle Menſchen ohn 
Vnderſcheid mit dem Thaw feiner Prebig netzen 
vnd trucken machen / Gott geb / er treffe wen er 
woͤlle / vndempfindts wer da wolle. Eſatas redet in 
feisem 35. Captttel vou Wort Gottes vnd ſpricht: 
Wie der Regen vnd der Schnee vom 
Himmel herab kompt / vnd dahin nicht wi⸗ 
derkehrt / ſondern das Land waͤſſert vnd 
feuchtet; alſo wird auch mein Wort ſeyn / 
das von meinem Mundt außgehet / es fol 
nicht leer u mir widerkehren. Dan nan der 
Regen 


Hirnſchletffer. 107 


Regen vom Himmel herab fallt / fo ſteigt er nicht 
der übter ſich / ob ſchon etwa ein Koͤnig oder Fuͤrſt 
peifet oder über kãd zeucht / ſondern ohn einiges An⸗ 
ſehen der Perſonen theilen die Wolden ihren Re⸗ 
gen auß! Alſo fol auch das Wort Gottes ohn ei⸗ 
nigen Reſpect noch Forcht der Perſonen gepre 
diget werden. Das vom Himmel herab gefallene 
Wort Gottes ſol nich wider zuruͤck kehren / vnd je⸗ 
mans ſeud oder hohen Standt verſchonen / immaſ⸗ 
ſen die Pfeil vnd das Schwerdt Jonathr gethan / 
wie von ihnen die Schriffe meldet: Der Pfell 
Jonathæ kehrte nicht wider zuruͤck vnd. das 
Schwert Sauls ward nicht lehr gefunden. 
Saul vnd Jonathas waren tapffere Kriegs Fuͤr⸗ 
ſten vnd foͤrchteten ſich vor niemandt / ſondern 
ſchlugen auff die Feinde ohne anſehen der Perſo⸗ 
nen. Zu wuͤnſchen waͤre es / daß alle Prediger / de⸗ 
nen die Waͤhr vnd Wapffen deß Worts Gottes zu⸗ 
geſtellt ſeyndt / vnuͤberwindliche Cæſares, Saul 
vnd Jonatha wären / jederman ſtrafften / keines 
Maͤchtigen verſchonten / vnd auß den Wapffen deß 
Worts Gottes keine verzagte Loͤtfeigen machten / 
noch auch ihre Haͤnd / ob ſchon der Zuhoͤrer zuͤrnet / 
einziehen / noch auch auffhoͤren zupredigen vnd die 
Laſter zubereden. 

Hergegen / wofern der Prediger den Samen 
deß Hoͤttuchen Worts ohn Bnderſcheid auß ſeet / ſo 
wirds ohn allen Zweifel vielfaͤltiglich fr uͤchten / dan 
wie auß einer einigen Nuß oder Eichel / welche in 
die Erden gepflantzt wird / ein groſſer Baum waͤchſt / 
deſſen Spitz gleichſamb biß an die Wolcken reichet / 

wie 


908 Hiruſchl ll 

mie auch auß einem Genfltörnlein ein felhr bebe 
vnd sroſſer Baum waͤchſt / auß den die Voͤgel nis 
ſten: Alſo hat das Wort Gorteſt / Bike es in we 
Menſchen Hertz gefisi wird / ein groſſe Krafft / ein 
pberfluͤſſige Frucht der Gnaden herfur zubr en 
Wie der Regen / oder der Schnee / oder der Taw 
wicht wider hinauff eig, in der Geſtali wie er her⸗ 
ab iſt gefallen / ſondern in einer audern Geſtalt / 
nemblich in der Geſtal der Bieren / Blumen vnd 
Roſen Alſo ſteigt sus a Gottes gleich wol ini» 
der hinauff gen Himmel / von dannen es kommen 
iſt / aber n cn er reignen Geſtalt ſondern in 
einer frewden / dan es bring; die Srüchte deß fa⸗ 
ſtens beſtens / weine us / ſeufftzens diſciplinirens und 
ſtrengen Lebens. 


Weitere Außlegung. 


In der Offenbarung Joannis leſen wir / es ha⸗ 
ben ſiben Engel auff Zittern geſchlagen vnd ſiben 

dere haben 7. Schalen deß Goͤttlichen Zorns 
außgeſchuͤttet. Durch dieſe Engel koͤnnen verſtan⸗ 
den werden die Prediger / dieſelben ſollen in ihrem 
Wande l rein ſeyn wie die Engel Ein ſolcher Engel 
ſoll auff der Zitter der H. Schrifft ſchlagen / vnd 
lieblich drein ſingen / vnd zwar nit allein deß Moy⸗ 
ſis Geſang / das iſt / deß alben Teſtame ts / ſondern 
auch das Gr ſang deß lambs / das iſt / er ſoll das 
Newe Teſtament / vnd das H. Evangelium Chriſti 
auß legen Auß dieſe n beyden Geſäagen fo oll die Ma 
ſte deß Predigers con npom rt vnd ange ſtellt werden. 
Auff dieſem gemeinen Inſtrument ſoll der 
Prediger ſchlagen / vnd wie ein Geiſt lich er ur 
A 


Hirnſchleiffer. 509 
iſt oder Harpffe: ce x ſoll er mit de r Eloquens / 
Wolredenbeit vnd Gelehrtheit der Zutzoͤrer Ger 
müther bewegen vnd erweichen 

Aber doch ſoll er ſeinen me 1 Fleiß nicht da⸗ 
hin anwenden / damit er nur den Zuhoͤrern gef falle / 
vnd ihre Gemuͤther erlüſtige / vnd bey maͤnnigli⸗ 
berlange / nein / ſonder er muß auch zu 
Zorns Gottes greiffen / vnd fie auff 

NEN: Das 1 ft / er fol diekaſterſtr⸗ ffẽ / 
die Zuhorer in den guten Sitte ondert® iſen / vnd dẽ 
Leuten ius Gen iſſen hinein reden / er fol ihnen den 

das letzte Gericht / vi d mit der Hoͤll len truͤhen / 
alen beh Pe lichen Zorns ſoll er in 
rGemuͤther gieſſen / dam it ſie von Suͤn⸗ 
den abſtiehen / vnd ſich zu ı Gole bekehren. 

Aber leyder / ſehr viel Prediger ſchlagen auff der 

Zilter / aber wenig fd üͤtten dte Schalen deß Zorns 

Gottes auß: Die gantz Zeit ihrer Predig verzehren 
vnd bringen fie mit Zitterſchlagen zu / ntemaln a⸗ 
ber (hätten fie die Sd alen deß Zorns Gottes wi⸗ 
der die daſter auß: Od ſchon die Welt voller Gre⸗ 
wel vnd kaſter iſt / fo echten doch die Prediger 
die Blumen / legen die curioſitates auß / vnd erluͤ⸗ 
ſtigen nur damit die Zuhörer / das iſt aber ein ver⸗ 
gebliche Mühe vnd Arbeit. 

Zu folchen Predig ern aber ſagt Jeremta 18: Date 
flores Moab quja floren s egred ietur: als wolt er 
ſagen: B as thut ihr? Siehet ihr nicht / daß die Aſ⸗ 
ſyrien vnd Chaldeer ewer gantzes Land verwuͤſten / 
die H Stadt mit Ser vnde chwerdt verhergen / vñ 
nicht deſtowenig ahne, ihr dem Volck nur zarte 
Blumen an: Deß 6 eandts Gefahr! ſt groß / vnd an 
ſtatt 


510 Hirnſchleiffer. 
ſtatt der Waͤhr vnd Waffen mit denen fie ſich wider 
ihre Feinde währen ſolten / gebt ihr ihnen Blumen 
vnd Roſen in die Haͤnd. Wer ſthet nit / daß dieſes 
auch zu dieſen vnſern Zeiten der H. Kirch en an vie⸗ 
len Orten widerfaͤhrt? Torus mundus im maligno 
poſitus eſt: Die Welt ſtehet je vbel / gehet auff 
Steltzen / vnd wir Reken je in groſſer Gefahrꝛin ale 
len Orten ruhren vnd entpören ſich Krieg / Auff⸗ 
ruhr / heimbliche Verbundnuſſen wider die Kirchen 
Gottes / die Ketzer nehmen vnd rauben den meiſten 
Theil der braut deß vubeflecktenkambs: Die Kirche 
werden zerſtoͤrt / Stifft vnd Cloͤſter eingezogen / die 
Religion wird veracht / vnd vnſchuͤldig Blut vergoſ⸗ 
ſe / ſo gar vnder den Chriſtglaubigẽ felbft werden die 
meiſte vnd grauſambſte kaſter begangen; Nicht des 
ſtoweniger thun etliche Prediger nichts anders / 
als daß fie der Welt die Blumen vnd Cur ioſicaͤten 
præſenttren. 
kaͤcherlich wäre es anzuſehen / wan zur Zeit deß 
Kriegs / wan nemblich ein Statt belaͤgert vnd auffs 
hefftigft beſtuͤrmbt vñ vnder grade wird / die Haupt⸗ 
leut vnd Soldaten nichts anders thaͤten / als dem 
Feind auß den Fenſtern oder über die Stattmau⸗ 
ren Blumen vnd Roſen zuwerffen / da doch hergegen 
der Feindt nichts anders thut /als bleyene Kogeln 
vnd Fewr hinein werffen / vnd mit groven Geſchuͤtz 
antworten vnd Beſcheidt thun: O groſſe Blindheit! 
Die Welt iſt erfullt mit Ketzern / Sünden vnd $ar 
ſtern / darwider aber thun etliche Geiſtliche Haupt⸗ 
leut nichts anders als Blumen vnd Roſen der Cu⸗ 
rioſttaͤten auß werfen / erzeigen ihre Gelebrtheit 
in dem daß fie bißweilen laͤcherliche Poſſen euff die 
Bahn bringen, Zwo 


Hirnſchleiffer. 
Zwo Laternen. 


Ter Weiſe Man beſchreibt in feinen welſen 
N Sprüchen am 33. Capit. die Eigenſchafft eines 
haͤußlichen Weibs vnd ſpricht: Conlideravit ſemi- 
tas domus ſuæ, & panem otiofa non comedit:das 
iſt: Sie betrachtet die Weg ihres Hauſes / vnd iſſet 
ihr Brodt memaln mit Muͤſſiggang / ſondern bleibt 
allzeit anheimbs / tft haͤußlich / fleiſſig / embſig / vnd 
läßt ihr nichts mehrers angelegen ſeyn / als ihr 
Haußweſen. Das deutet vns das obgeſetzt Hee⸗ 
roglyphicum eier groſſenvnd duncklen Latern / 
darin kein echt brennt / her gegen einer kleinen 
vnd brennenden Lanternen an. Mancher Man 
vermeint / 


712 


vermeint / er exeffe es wol / wan er ein ſtat⸗ 
liche / ſchoͤne / reiche vnd edle Fraw vberkompt / 
wan fie aber darneben nicht haͤußlich iſt / ſondern 
immer dar auß dem Hauß lauffet / vnd ihren Hain 
garten vnd Geſellſchafften nachgehet: I. em / wan 
fien icht klug oder geſch eidt / ſondern ein Lappin⸗ 
naͤruſch vnd onbefchei aden eff als dan mag der Man 
fein rechnung machẽ / er habe ein fiüfiere Lal ern im 
Hauſe / dar bey er nichts ſthet / noch gewinnet / ſon⸗ 
dern fe In (aller perenbtr £ He ie / wer fich mit 
einer mittelmeſſigen Stands⸗Perſon ere ichet / 
welch e / ob ſie ſch on nicht W ch / edel vnd reich / 
darneben doch haͤußlich / embſig vnd fleiſſig im 
Hauß ⸗weſen ist / der hat ein kleine brennenden katern 
im Hauſe / bar beh ſihet er wol / wirdt reich / vnd hat 
Stück ver e Gluͤck Wer da begehret wol vnd gluͤck⸗ 
lich zu heuraten: der fol: ucht anſehen die Groͤſſe / die 
Laͤnge / die S Schoͤn heit / die Holdſe ſeligkeit deß Weths / 
fondern das innerliche glantzende kiecht de Later⸗ 
nen / das iſt/ die Tugendt ihrer Seelen ſoll er anſe⸗ 
hen / dan der Werfe- Man ſagt in feine: m3 Cap. 

Alle Schoͤnheit iſt betrieglich. Aber leid ex / die alien 
vnd jungen Harıen ſchnappen vnd tappen nur nach 
ſchoͤnen / reichen vnd edlen 8 elbern / aber ein kleine 

baͤußliche/tug endi ſame laſſen ſie ſitzen / das dunckele 

erwoͤhlen fie fürs Hare / derowegen ſehen ſie im Ehe⸗ 

ſtand nicht / haufen im duncklen / vnd er zeigen dun⸗ 

le / naͤruſche / vnartige vnd yngehorſame Kinder. 


Ein 


Hirnſchleiffer. 7173 
Ein ander Diſcurß. 


1 deuten dieſe Figur anderſt vnd verſtehen 
ug die groſſe Latern / in dern kein kiicht ſcheinet / 
n anſe ehn lich e R ch 5E S tifft coder B Biſtum b / wel⸗ 
ches gar keinen / oder doch nur et nen vn ee 
vnd vnexemplariſchen Vorſteher hat / ingefehen 
derſelb fonften ſihr Edel am Geſchl ct vnd Her⸗ 


kommen iſt: Durch die kleine aber brinnende! datern 
verſtehen fie ein kleine oder ſchlechte Kirch / Præla⸗ 
tur oder Pfarr / dern Vorſteher eines hocher⸗ 
leuchten Verſtandts vnd exemplaͤri⸗ 
ſchen Wandels iſt / derſelb sk 
den Vuderthanen 


114 Hirnſchleiffer. | 


Der Todt ſteigt durchs Fenſter 
ins Hauß. 


— 


Der weltweiſe Athlas mahlte drey vn derſchied⸗ 
E the Staͤtt / ein obere / ein vndere vnd ein mit. 
lere. Die vnderſte neunte er ein Statt der Bandi⸗ 
ten oder der Lands verw iſenen / die hatte ſehr viel 
Pforten: Die mitlere nennete er ein Statt der Rei⸗ 
ſenden oder Wanderenden / oder Lauffenden / vnd 
dieſe hatte nur ein einiges Thor. Die ober Statt 
nennete er ein Statt der Froͤlichen / vnd dieſe hatte 
wenig Pforten Durch die vnderſte Statt wird be⸗ 
deut die Hoͤlliſche / dan daſelbſt hingehen alle die je⸗ 
nige / welche auß der Himliſchen Statt 1 
niſirt 


Hirnſchleiffer. 5 
niſirt vnd verwieſen ſeynd / dieſe hat vnendlich viel 
Pforten / das iſt / der Teuffel hat vnendlich viel 
Mittel / die Menſchen hinab zur Hoͤllen zuziehen. 
Durch die obere Statt wird bedeut die Statt der 
Seligen vnd Froͤlichen: Von dieſer Statt ſagt E⸗ 
ſatas am 19. Cap. Werden Frewd vnd Wonn 
beſitzen: Dieſe Statt hat wenig Pforten / dann 
das Gedreng deren ſo hinein gehen / iſt ſehr klein / 
Daher ſteht geſchrieben: Viel ſeynd beruffen / 
aber wenig außerwoͤhlt Durch die mitlere 
Statt wird bedeut / vnd wird genennt ein Statt 
der Lauffenden / dan in derſelben lauffen vnd eylen 
wir alleſampt zum Todt / was iſt vnſer Leben an⸗ 
ders / als eben ein immerwehrenderkauff zum Todt? 
Dieſe Statt aber hat nur ein einiges Thor / durch 
welches man ein⸗ vnd außgehet / wir alleſampt ge⸗ 
hen nackendt hinein / vnd nackendt wider hinauß / 
zum Leben vnd zum Todt: Der Todt / der Todt 
iſt ein Wächter vnd Thuͤrhuͤter aller deren fo hinein 
gehen / vnd er lauret auff ſie / wan ſie wider hinauß 
muͤſſen / als dan nimbt er fie beym Grind vnd ent⸗ 
bloͤſſet ſie aller zeitlichen vnd leiblichen Güter. 
Dreyerley Todt ſeynd vorhanden / der erſt wirdt 
genenne ber lebendige Todt / dan er machet daß wir 
mit Chriſto leben / allermaſſen der Todt Chriſt ihn 
lebendig gemacht hat: Selig ſeynd derowegen die 
im HErꝛen ſterben / Apoc, 18 vnd dieſer Todt iſt 
nichts anders als ein End dieſes zeitlichen vnd muͤh⸗ 
feligen debens / vnd ein Thuͤr der ewigen Seligkeit. 
Der ander Todt heiſt der ewige Todt / vnd derſelb 
iſt der Luffel ſelbſt / vnd die ewige Verdamnuß. 
5 Der 


516 Hirnſchleiffer. 
Der dritt heiſt der menſchliche Todt / weil demſel⸗ 
ben alle vnd jede Menfchen vnderworffen ſeyndt / 
vnd mit dieſem Beding geboren werden / daß ſie 
ſterben ſollen. Kein einiger Menſch kan allzeit leben / 
derowegen fpricht der Prophet: Wer iſt der 
Menſch / der den Todt nicht ſehen wird? Se 
viel die Weiß vnd Manier deß ſterbens belangt / 
ſonder auch fo viel die Zeit vnd das Alter betrifft. 
Als derowegen eins mals ern heiliger Mann Gott 
den Herm bate / er wolte ihm doch zeigen vnd ſehen 
laſſen / wie der Todt geſtaltet vnd beſchaffen ſey / 
hörte er alsbald ein Stim̃ / die ihm ruffte / derowegẽ 
ging er auß ſeiner Zellen / vnd ſahe im Wald ein 
Thier / das hatte einen Leib wie ein Eſel / Bein wie 
ein Hirſch / Fuͤß wie ein koͤw / vnderſchiedlich Reyen⸗ 
Zeen im Maul / vnd ein menſchliche Stim: Durch 
den feib eins Eſels wird bedeut / daß der Tod / wie ein 
Eſel / alles traͤgt / nemblich die Seel zu Gott wofern 
ſte ſich wol regiert hat: Wo nicht dem Teufel Den 
Leib tragt er zu den Wuͤrmen / vnd die Reichthumb 
zu den Freunden. Durch die Beim eines Hirſchen 
wird deß Todts Geſchwindigkeit verſtanden / dann 
wie der Hirſch geſchwind iſt mit ſpringẽ vñ luffen / 
alſo iſt der Todt geſchwind / er ſpringt vnd tödtet 
jetzt einen in Italien / baldt einen andern in Franck⸗ 
reich / vnd ſteigt bald in dieſes / bald in einanders 
Hauß. Die Fuͤß eines Pferdes bedeuten das nagen 
deß Gewiſſens / dann wie das Roß ein Krrgeriſch 
vnd ſtreitbares Thier iſt / alſo machet der Tidt / das 
die Seel wider Gott ſtreittet / vermittelſt leß beiſ⸗ 
ſens vnd nagens deß Gewiſſens / dan ſie nuß ihm 
Rechenſchafft geben von allen Werden, . 
de 


Hirnſchleiffer. 510 
deß Loͤbens Angeſicht wird bedeut die Vnforcht⸗ 
ſamkeit oder Keckheit vnd Vnerſchrockenheit deß 
Todes / dan er foͤrchtet weder junge noch alte / we⸗ 
der arme noch reiche / weder weiſe noch einfaͤltige / 
weder Geiſt⸗ noch Weltliche: Er iſt der pluto, von 
dem die Poeten ſagen / daß er ein Gott der Hoͤllen 
ſey / vnd drey Menſchen⸗Koͤpff habe / dardurch die 
drey Alter / nemblich die Kindheit / die Jugend vnd 
das Alter bedeut werden. Die drey Reyen⸗ Zeen be⸗ 
deuten die vnderſchiedliche Weiſen / mit denen er die 
Menſchen toͤdtet / dann derſelb töͤdtet den einen mit 
dem Schwerdt / den andern im Meer / den dritten 
im Beth / den vierten mit Gifft Das groſſe Horn 
bedeut / daß der Todt alles vmbſtoſſet / ſo wol den 
Keyſer vnd Pabſt / ja alles was geboren wird / dan / 
omne quod naſcitur moritur. Beſchließlichen 
wird durch die menſchliche Stimm / deß Todts Be⸗ 
trug bedeut / dann etliche ſtellen ſich als woͤllen ſie 
gleich ſterben / ſterben aber nicht: Andere / als woͤl⸗ 
len ſie nicht ſterben / aber vnverſehens ſterben ſie. 
Derowegen fpricht der Her: Luc. am 11 Capit. zu 
ons: So ſeyd nun bereit / ꝛc. Sonſten wirdt der 
Todt pon den Mahlern in einer erſchroͤcklichen Ge⸗ 
ſtalt gemahlt / vnd zwar erſtlich ohne Augen / dan 
er reſpettret vnd ſihet auff niemand: O ihr Paͤbſt / 
Keyſer / Fuͤrſten / Hern / Edelleut / der blinde vnd 
grauſane Todt ſihet vnd reſpectiret weder ewre 
Throͤn goch Nronen / weder ewre Scepter noch 
Mitras eder ewre Purpur / Sey dene noch Sam⸗ 
metene Kleyder noch Kleinoter: Die jenigen / wel⸗ 
che ſtalich vnd koͤſtlich geziert ſeynd / tractiret er 
chen ſy abel / als die jemgen / wel che in einem 


Y 2 Zwillich⸗ 


518 Hirnſchlei ffer. 
Z willichnen Kittel herein gehen. Eben fo keck gehet 
er in die Königliche Pallaͤſt / als indie Arme Baw⸗ 
ren⸗Huͤtt en. ö 

Zum andern wird er ohne Ohren gemahlt / dann 
er hoͤret vnd vernimbt kein bitten noch flehen: Er 
verachtet das reden der allerweiſeſten vnnd zier⸗ 
lichſten Redner / das klaͤgliche weynen vnd ſchrey⸗ 
en der Weiber / er achtet kein ſchmeichlen noch lieb⸗ 
koſen. i 

Drittens wird er ohne Naſen gemahlt / dann er 
fraget wenig nach dem Biſam / Amber vnd koͤſtlichẽ 
Salben der zarten vnd geilen Weiber vnd Maͤnner / 
dann wan er fompt / alsdann wird / ſagt Eſaias am 
3. Geſtanck / fuͤr gut Geruch ſeyn. 

Der liebliche Geruch wirdt jhn nicht abwendig 
machen / ſonder er wird ein Frewd haben an deinem 
ſtinckenden Leib / vnd wann die Wuͤrm drauß krie⸗ 
chen / was werden als dann dem Menſchen helffen 
die profumixte Kleider / töftliche Salben vnd diſti⸗ 
lierte Waſſer? 

Vierdtens nackendt / dann er verachtet alle Irꝛ⸗ 
diſche vnd Zeitliche Reichthumben vnd Schanck⸗ 
ungen: Er erbarmet ſich weder der Armut / noch 
verehret die Reichthumb: Er laͤſt ſich weder durch 
Golt noch Silber / noch Guͤter abkauffen. 

Fuͤnfftens ohn Haut / ohn Fleiſch / ohn Blut: dan 
er fragt nichts nach der Schoͤnheit / Holdſeligkeit 
vnd Annemblichh eit der Weiber / er verachtet jhr 
zartes Fleiſch / ihryſchneweiſſe Hand / jhr lebendiges 
Blut / ihr roſenfarbes Angeſicht / ihren Ges 
ſchmuck vnnd falſchen Anſtrich. a 

Zum 


Hirnſchleiffer. sie 

Zunm fechften wird er weder in eines Mans noch 

Weibes Geſtalt gemahlt / dan er verſchonet deren 
keins / ſſo wol die Maͤnner als Weiber nimb er beym 
Grind) / vnd wirfft ſie in die Erd. Beſchließ lichen 
mit eimer ſcharpffen Sichel in der Hand: Dan wie 
ein Schnitter das Graf oder das Getreid auffm 
Feld fiampt dem Vnkraut abmaͤhet / vnnd in den 
Gärten die kleine vnd groſſe / die zarte / vnzeitige 
vnd zeitige Kraͤuter abſchneidet: Eben alſo gehet 
der Todt mit dem Menſchen vmb / vnd reiſſet ohn 
allen Vnderſcheidt die frommen vnd böfen / die flei= 
nen vind groſſen / die ſchoͤnen vnnd heßlichen / die 
zeitigen vnd vnzeitigen / die ſchwachen vnd ſtarcken 
auß dieſer Welt hinweg. Seynd die Menſchen als⸗ 
dann nicht zeitig in der Hitz der Goͤttlichen Lieb / 
ſondern noch gruͤn in Suͤnden / ſo iſts ihr Schade 

Die zeitigen werden in die Himmliſche Schewren 
gefuhrt / aber die Onzeitigen wie ein Stroh ins 
ewig Fewr geworffen werden. 

Ferner wird der Todt einem Jaͤger verglichen / 
dan wie ein Jaͤger oder Wilbtpret⸗Schuͤtz allent⸗ 
halben mit ſeinem Bogen vnd Pfeiln / oder Buͤchſen 
in den Waͤlden oder Feldern vmbgehet / vnd alles 
was er ſihet / hinweg puͤrſchet: alſo iſt der Todt ein 
alt erfahrner geuͤbter Schütz / der hat erſtlich den 
Adam / Seth / Enos / Caman / Matael / Jared / 
Enoch / Mathuſalem / Lamech / Noe / gleichſamb 
im Wald dieſer Welt nider geſchoſſen / vnd hat ſie 
biß uͤber 900. Jahr alt werden laſſen / aber anjetzo 
ſcheuſt er viel ehender vnd geſchwinder auff ſte / vnd 
trifft fie vorm fuͤntzigſten / viertzigſten / dreyſſigſten / 

zwantzigſten / zehenden / ja fuͤnfften Jahr: So gar 
Y 3 ſtuͤtzet 


f20 Hirnſchleiffer. 


ſtuͤrtzet er etliche ehe vnd bevor ſie auff die Welt 


geboren werden. 


Ein gewaltiges Wildprät oder Wildtſtuck lieſſ 


in der Welt herumb / das hieß Alexander der Groß / 
der beging viel herꝛliche Thaten / aber doch hat diefer 
Jager der Todt auff jhn dargeſchoſſen / vnd hat jhn 
geſtuͤrtzt: Dann nach dem er den Darium Koͤnig 
in Perfien vberwunden hatte / vnnd gen Babel kom⸗ 
men war / vnd zu Tiſch ſaß / flohe ein vnbelanter Voͤ⸗ 
gel im oͤniglichen Saal herumb / derſetzte fich letzt⸗ 
liche in deß Könige Schoß / legte jhm ein En dar⸗ 
ein / vnd flohe wider hinweg: Auß dieſem Ey fro- 
che alsbald ein kleiner Wurm / vnd zwar nur ein⸗ 
mal vmb das Ey herumb / vnd als er widerumb in 
das doch / darauß er gekrochen war / kriechen wolte / 
konte er nicht / ſondern ſtarb Hieruͤber verwunderte 
vnd betruͤbte ſich Alexander zum hoͤchſten / vnd tond- 
te die gantze Nacht nicht ſchlaffen: In derſelbigen 
Nacht auch gebar ein Weib ein Meerwunder / das 
war oberhalb der Gürtel ein todter Menſch / vnder⸗ 
halb aber ein lebendiges Thier: Alexander ſahe die⸗ 
ſes Meerwunder / foͤrchtete ſich vnd berathſchlagte 
ſich mit feinen Aſtrologis oder Sternerfündigern/ 
was doch dieſes alles bedeuten moͤchte? Nun war 
einer vnder ihnen / der erklaͤrte es nachfolgender 
Geſtalt / vnd ſagte: Das Ey bedeutet die gantze 
Welt / der drumb ktriechende Wurm bedeut den 4 
lexandrum / der du allbereit die gantze Welt vmb 
vnd vmb gereiſt / vnd anjetzo widerumb ine Neſt deß 
Grtechenlandts kommen biſt / derowegen wirſt du 
dafel bſt ſterben / vnnd dein Leben vollenden vnd be⸗ 
ſchlieſſen: Deſſen zum Zeichen / hat ein We ein 
Meer⸗ 


Hirnſchleiffer. 121 


Meer wunder geboren / deſſen Obertheil todt vnd ein 
Menſch war / daſſelbe bedeutet die Perſon / welche 
gleichſamb ein Menſch iſt: Deine Nachfolger wer⸗ 
den gleichſamb beſtiæ oder Thier ſehn ( du wirſt 
ſterben / vnd ſie werden leben / inmaſſen ſolches das 
Meerwunder / welches du geſehen haſt / zuerkennen 
gibt. Als Alexander ſolches hoͤrte / erhebte er ſeine 
Augen vberſich gen Himmel / ſeufftzete vnd ſprach: 
O groſſer Gott Jupiter / was fuͤr ein ſchlechte 
Gab iſt das Leben / biß ich alles was in der Welt iſt / 
im Hertzen erfüllt haͤtte / Aber leider / jetzt muß ich 


ſterben! N 
Ander Diſcurs. 


Drittens wird der Todt verglichen einem Diebe 
Dann wie einer / welcher in ein Hauß begehrt zuge⸗ 
hen / zuvor anklopffet oder leutet / abet ein Dieb 
ſteigt heimblich durch etwa ein Jenſter hinein vnd 
ſuchet etwas welches er ſtehlen möge: Alſo / wann 
der Todt die Frommen heimbſuchen will / ſo gehet er 
durch die Haußthuͤr ein / weil ſie lang zuvor ſeyndt 
zurch die Truͤbſaln gewarnet worden. Aber wann er 
die Gottloſen angreifen will / ſo ſteiget er heimblich 
durchs Fenſter / vberfaͤllt te vnverſehens vnd ſtilt 
ihnen Ihre arme Seelen. Derowegen ſteht geſchrie⸗ 
ben: Der Todt iſt hinein gangen durch erore 
Fenſter. Armſelig aber vnnd vbel dran iſt der 
jenig / zu dem der Todt nicht durch die Hauß⸗ 

whuͤr eingehet / ſonder durch die Fenſter ſteigt / vnd fie 
vnverſehens in der Vnbereitſchafft vnd Vnbußfer⸗ 
tigkeit auß dieſer Welt reiſſet: dann gemeinlich ge⸗ 


yathen ſolche Menſchen in die ewige Verdamnuß / 
9 4 wie 


722 Hirnſchleiffer. 


wie ſolches der Weiſe⸗Mann in feinen Spruͤch⸗ 
woͤrtern am 8. Cap. andeut / da er fag: Wann der 


Gottloſe ſtirbt / iſt kein Hoffnung mehr. 
Deßwegen beweinte der fromme David fo ſehr den 
vnverſehenen böfen Todt feines Sohns Abſalons: 
Item / deß Abners / wie im 2. Buch der Koͤnig am. 3. 
Capittel zu ſehen. 

Viel andere hat auch der Todt vnverſehens vber⸗ 
fallen: Viel Menſchen ſitzen am Tiſch vnd eſſen / re⸗ 
den / kachen / ſeynd luͤſtig / wandern / ſchlaffen vnd 
ſterben darneben deß gähen Tods. Geſund vnd frö- 
lich war Tarquinius Prifcus als er an einem Fiſch⸗ 
grad erſtickte: Jener Fabius ſtarb / vnnd kam durch 
ein zartes. Haar / welches er in einermilch verſchluckt 
hatte / vmb: Ariſtides ſtar b / weil jhn ein Wiſel ge⸗ 
biſſen hatte Deß Julij Cæſaris Vatter gieng ge⸗ 
fund auß dem Beth / vnnd als jhin die Schuch an⸗ 
gelegt wurden / gab er den Geiſt auff Ein anderer 
Keyſer ſetzte ſeinen Fuß auff die Thuͤrſchwell / fiel 
nider vnd ſtarb: Ein Geſandter von Rodis redet 
ſehr zierlich im Roͤmiſchen Rath / vnd mitten im re⸗ 
den verſcheyde ersCnejus Pamphilius fragte ſeinen 
Diener wie viel es geſchlagen haͤtte / aber bald 
drauff kam fein letzte Stundt. Nicht allein iſt dieſes 
den Heyden vnd Vnglaubigẽ begegnet / ſonder auch 
wir Chriſten erfahrens taͤglich / vnd ſehen die Ex⸗ 
empel vor Augen. 


Selig aber ſeyndt die jenigen / zu denen der Todt 
nit durchs Fenſter einſteigt / ſonder durch die Hauß⸗ 
thuͤr zu jhnen gehet: Selig ſeyndt die jenigen / deren 
Leben ohne daſter iſt / vnd welche nicht fo lang war 
ten / 


| 


Hirnſchleiffer. 723 


ten / biß er zu jhnen kompt / ſonder welche ſelbſt jhm 
entgegen gehen / offt vnd allzeit an jhn gedencken / 
fich zum ſeligen ſterben bereiten / mit Gott verſoͤh⸗ 
nen / vnd ſeliglich im Herꝛn entfchlaffen. Als König 
Ezech tag ſahe daß der Todt vorhanden war / kehrt 
er ſein Angeſicht zu der Wand / bettete / weinte vnnd 
ſprach: Domine, ſi ſic vivitur, & in talibus: vita ſpi- 
ritus mei, corripies me & vivificabis me, ecce 
in pace amaritudo mea amariflima : als wolt er 
ſagen: O Herꝛ / weil das menſchliche Leben je fo 
ſchwach / zergenglich / arm vnd muͤhſelig iſt / wie ichs 
in dieſer meiner gegenwaͤrtigen Kranckheit erfahre / 
fo bitte ich dich / du woͤlleſt mich von wegen meiner 
Suͤnd vnd fafter in dieſem gegenwertigen Leben 
ſtraffen / damit du mich wider lebendig machen moͤ⸗ 
geſt in jenem Leben / quia in pace amarıtudo mea. 
Dann je weniger ich an den Todt gedencke / vnd vm̃ 
wie viel ſicherer ich vermeine zu leben / vmb fo viel 
deſto vnverſehener ding iſt mir ein Kranckheit zuge⸗ 
ſtoſſen / die hat mich nder ins Beth geworffen / vnd 
trohet mir den bittern Todt. 

Wir alleſampt ſeynd ſterbliche vnd ſchwache Ge⸗ 
ſchirt / darinn der Schatz vnſerer vnſterblichen See⸗ 
len verborgen ligt: Wir alleſampt ſeynd durch die 
Vbertrettung vnſerer erſten Eltern zum Todt ver⸗ 
vrtheilt worden / vnd es bleibtidie execution nicht 
auß / dann das geben vnd der Todt lauffen mitein⸗ 
ander in die welt / vnſer langes Leben iſt nur ein 
Auffſchub vnnd Verlaͤngerung deß Tods: Derwe⸗ 
gen laſſet ng nach dem Erempel Ezechiæ zu Gott 
fliehen / vnſere Sünden heweinen / vnd jhn 
demütiglich bitten / daß er vns allhie in die⸗ 

95 ſem 


124 Hirnſchleiffer. 


ſem Leben gnaͤdiglich ſtraffen / heimſuchen / vnd den 
Todt durch vnſere Haußthuͤr eingehen / keines 
wegs aber durchs Senfler einſteigen / vnd vns gaͤh⸗ 
ling vnd vnverſehens vder fallen laſſen wolle / damit 
wir vor der ewigen Verdamnuß beftehet ſeyn / 
ſonder wuͤrdig werden moͤgen / zuerlangen 
die ewige Frewd vnd Selig⸗ 
keit / Amen. 


E N DE. 


9. 8 
8 


Der Niemand. 
Kan weder reden / Hoͤren noͤch ſehn / 
Darxzu nicht greiffen oder 

gehn⸗ 


Niemand auff Teutſch werd ich genennt / 

Kom von nirgend / niemand mich kent / 
An keinem End man mich auch find / 

Vnd bin doch allenthalben geſchwind. 
Ich bin von nicht / vnd kan auch nicht / 

Thue nichts / ohn alles was geſchicht / 
Wer da begehret mehr Bericht / 
Der kauff vnd leſe diß Gedicht 


Ss? In jeglich Ding hat feine Zeit / 

Alſo auch Frewd vnd Trawrigkeit 
O Schimpff vnd Ernſt habẽ ihren Beſcheid / 
Ein jedes doch zu feiner Zeit. 

Ach laß dir auch nit frembde ſeyn / 

Mein lieber Leſer dieſe Reim. 

Obs ſchon nicht eitel Weißheit iſt / 

Was hie geredt zu dieſer friſt. 

Nimb gleich vor gut was Niemand ſpricht / 

Weil er von niemand ſaget nicht. 

Ich heiß Niemand ob niemand leben / 

Will ich euch allzeit zu rathen geben. 

Nun glaub ich zwar halts fuͤr gewiß / 

Das Niemand in dem geben iſt. 

Solt aber Niemand leben nicht / 

Wer wolt haben geſchaffen dich? 

Ich bin der Niemand Alters her / 

Niemand lebet von ihm ſelber. 

Niemand iſt alleweg geweſen. 

Von niemand hat man nicht geleſen. 

Daß Niemand ſey von Anfang her / 

Geweſenje / denn Niemand eer. 

Kan ſeyn / er fer) zuvor geſchaffn / 

Niemand kan ſich jeh ſelber machn. 

Niemand tan ſterbn / ehe er thut lebn / 

Niemand kan Gott widerſtreben. 

Niemand ſind muͤglich alle Ding / 

Niemand bey ſich alle Weißheit find. 

Niemand vermag ewig zu ſeyn / 

Niemand iſt aller Suͤnden rein. 

Niemand dem Todt entlauffen kan / 

Niemand fein Ende kan uͤbergahn. 


Nie⸗ 


Niemand weiß feines debens Ende / 
Niemand kan ſein Vngluͤck wenden. 
Niemand weiß Gottes Heimlichkeit / 
Niemand weiß alles allezeit. 
Niemand ſich ſelbſt kan ſelig machen / 
Niemand iſt klug in allen Sachen. 
Niemand kan ſich benuͤgen lan / 
Niemand ſein Gluͤck recht tragen kan. 
Niemand darff ſtraffen offenbahr / 

Die gantze Welt ſchewt kein Gefahr. 
Auff der Bulſchafft iſt Niemand weiß / 
Niemand it trew mit ſondern fleiß. 
Niemand laͤſt ſich befohlen ſeyn / 

Seins Freundes Noth / als wer ſte ſein. 
Niemand verſteht deß Himmels kauff / 
Niemand der weiß ſeine Wuͤrckung auch. 
Niemand allein weiß alle Ding / 

So beyd im Himmel vnd Erden find, 

Niemand zween Herzen dienen kan / 
Niemand kan all ſein Willen han. 
Niemand iſt fromb / Niemand kan ſagen / 
Daß er kein Vngluͤch werde tragen. 
Niemand tan ſeyn an allen Enden / 
Niemand hat alles in ſeinen Haͤnden. 
Niemand die Welt regieren kan / 
Niemand iſt willig vnterthan. 

tiemand Geſchenck thut verachten / 

Niemand thut recht in allen Sachen. 
Niemand foͤrdert den gemein en Nutz / 
Niemand iſt auch der Armen Schutz. 
Niemand vertritt Widwen vnd Waͤiſen / 
Niemand thut nicht fein beſten Fiefen. 


Mienand lan ohn Gebrechen bleiben / 
Niemand allzeit kan Vngunſt meiden: 
Niemand kans machen vberall / 
Daß es eim jeden wollgefall. 
Niemand wird trewer Dienſt belohnt / 
Niemand der Suͤnd vnd Boßheit ſchont. 
Niemand der mmpt fein Gelt vnd Gut 
Von hinnen mit / wenn er iſt todt. 
Nie mand die Zeit kan wieder bringen / 
Niemand iſt maͤchtig allen Dingen. 
Ja was Niemand fuͤr Macht thut han / 
Niemand auff Erden außſprechen kan. 
Ob wol niemand ein Erdiſch Gott / 
Bewißt man ihm doͤch groſſen Spott. 
Dieweil ihn fuͤr ein Huͤmpelman / 
Halten than / Alt / Jung / Fraw vnd Mann 
Es iſt im Hauß keiner ſo klein / 
Niemand maß ſein Abnehmer ſeyn. 
Denn alles was uͤbel gethan / i 
Daran der Niemand ſchuld muß han. 
Niemand thut alles was geſchicht / 
Niemand auch doch iſt vnſchuldig. 
Iſt was verlohren in einem Hauß / 
Hat es Niemand getragen rauß. 

ſt was geſtolen groß oder klein / 

ſttemand der Dieb allweg muß ſeyn. 
Iſt was zuſchlagen oder zubrochen / 


Ay der Stuben oder inder Küchen. 

Der Ofen etwa emgeftoffen/ 

Kannen zerworffen / Bier vergoffen. 

Be Stuͤel / Siedel vnd Baͤncke / 8 
nd was der likbe Schlafftrunck thut MT 


— 2 


enn 


Wenn gleich etwan ſeyn zufallen / 
Toͤpffe / Schuͤſſel oder Kannen. 
Leuchter / Bacher / oder Glaͤſer / 
Häfen / oder was ſonſt mag geweſen. 
Das has der arme Niemand gethan / 
Vnd muß die Schuld allewege han. 

Hat die Koͤchin groß Fewr gemacht / 
Deſſelben nicht gehabt in acht. 

Alſo / daß etwa Schad geſchehn / 

Dem Seſſel abgebrand ein Bein. 

Der Blaſebalg / Beſem ſeynd verdorben / 
Verbrandt die Schuͤſſeln mit dem Korbe, 
Die Haußarbeit gethan nicht recht / 
Jedoch an ſeine ſtatt gelegt. 

Der Wuͤrtzbeutel offen vergeſſen / 

Oder der Zueker auffgefreſſen. 

Die Speiſetammer offen gelan / 

Daß Hund vnd Katzen ſchad gethan, 

Die Keller auch nit wol verſchloſſen / 

Bier vnd Wein außlauffen laſſen. 

Die Proviant nicht wol verwahrt / 
Butter vnd Schmaltz nicht recht verſpart. 
Das Bier vnd Wein auß getragen / 
Dadurch Freundſchafft vnd Gunſt zuhaben 
Vnd wie ein Kuͤch vnd Keller mehr / 
Vara h vnd Schad eneſtanden wer. 
Thut ſich der Haußwirth deß bellagen / 
Vnd ſein Geſind darumb befragen. 
Entſchuͤldigt ſich bald Jeder man / 

Vnd hats der arm Niemand gethan. 
Als was im Hauß vnd Hoff vor Schad / 
Den Morgen fruͤh vnd Abend ſpat. 


Bey Tag vnd Nacht allzeit geſchicht / 
Geſinde Suld will haben nicht. 
Niemand die Schuld allweg muß han / 
Wiewol niemand kein Suͤnd gethan. N | 
Niemand thut alles / Niemand thut nichts / 
Wie offt der Haußwirth ſelber ſpricht: 

Arbeit ich nicht / arbeit Niemand / 

Niemand leihet mir eine Hand. 

Niemand ſchawet auff das mein / 

Niemand mir doch wil trewe ſeyn. b 

Der Pferde thut mir Niemand warten / 

Niemand arbeitet in dem Garten. 

Niemand der bawet mir das Land / 

Niemand dient trewlich mit der Hand. 

Denn Niemand zwar zu dieſer friſt / 

Ja Niemand gewiß zu trawen iſt. 

Wer diß mit mir nicht eins wil ſeyn / 

Dem laß ich ſeine Weiß allein. 

Mein lieber Leſer nimb vor gut / 
Was Niemand von ſich ſagen thun 


* 2 


. a 


m — fen a 1